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51.
Der Kaiser der Sahara

In der Normandie wuchs ein junger Mann auf, der frühe selbständig wurde, da seine Eltern bald starben und ihm ein unermeßliches Vermögen hinterließen, das sich täglich mehrte, weil es ihm unmöglich war, auch nur die Zinsen zu verbrauchen.

Er war jedenfalls ein Abkömmling der alten Normannen, also deutschen Blutes, wie seine blauen Augen und sein blonder Lockenkopf bezeugten, nicht minder seine hochherzige Gemütsart. Auch der alte Normannenstolz beseelte ihn, der Ehrgeiz und die Eroberungslust, die diesen Stamm über die Meere trieb und befähigte, blühende und mächtige Reiche zu gründen, zunächst an Frankreichs Nordküste, dann in England und Sizilien.

Dieser Jüngling nannte sich Jakob, auf Französisch »Jacques«, das »Jack« ausgesprochen wird, wobei das J wie ein weiches Sch lautet, gleich dem G in »Genie« oder dem zweiten g in »Gage«. Der Einfachheit halber wollen wir ihn daher »Jack« nennen.

Ist es verwunderlich, daß die ungeheuren Geldmittel, über die er verfügte, ihm zu Kopfe stiegen? Er wollte sie dazu gebrauchen, seine hochfliegenden und zugleich weltbeglückenden Pläne auszuführen. Sie gestatteten ihm, wie ein König aufzutreten; aber sein Ehrgeiz trachtete nach einer wirklichen Königskrone und einem großen Königreich. Wie seine tapferen Vorfahren wollte er sich ein solches erobern.

Derartige Träume eines jugendlichen Kopfes mochten noch vor tausend Jahren ausführbar und deshalb auch mit klarem Denken vereinbar sein. Aber in unseren Tagen, da die Welt schon vergeben ist, erscheinen sie schon als krankhafter Größenwahn. Trotzdem konnte noch vor hundert Jahren ein Napoleon, ein Jüngling aus niederem Stande und ohne Geldmittel, einen solchen Traum verwirklichen, eine Kaiserkrone erringen und seine Herrschaft über fast ganz Europa ausdehnen. Allein das war eine Ausnahme, und Bonaparte war ein kriegerischer Geist, ein hervorragender Heerführer, der frühe über eine bedeutende Heeresmacht zu verfügen hatte.

Jack war keine Feldherrnnatur, obwohl er sich auch getraute, ein Heer zu befehligen. So phantastisch seine Wünsche den nüchterner denkenden Zeitgenossen erscheinen mochten, so war er doch verständig genug, nicht das Unerreichbare zu erstreben, sondern sich an das zu halten, was die Möglichkeit des Erfolgs verhieß.

Große Armeen konnte er nicht besolden, und wer hätte ihm in Europa gestattet, solche auf eigene Faust anzuwerben, wie es im Dreißigjährigen Kriege noch ein Wallenstein vermochte, der weit nicht so reich war wie er? In den Ländern mit allgemeiner Wehrpflicht war auch nicht mehr daran zu denken, ein Söldnerheer aufzutreiben, das den stehenden Heeren hätte Trotz bieten können.

Anders lag die Sache in Afrika: da konnten noch mit geringer Truppenmacht Negerreiche erobert werden. Leider aber war in neuester Zeit auch der Schwarze Erdteil in der Hauptsache unter die europäischen Mächte verteilt.

Der Sudan war ja wieder zu erobern, seit der Aufstand des Mahdi ihn der ägyptischen Herrschaft entrissen hatte. Allein auf ihn hatte England längst die Augen geworfen und hätte es nie geduldet, daß ein einfacher Privatmann ihn für sich gewinne. Und um dieses ausgedehnte Gebiet den kriegerischen Derwischen wieder zu entreißen, hätte es blutiger Kämpfe und bedeutender, wohlgeschulter Heere bedurft.

Damit wollte Jack nichts zu tun haben; er warf vielmehr seine Blicke auf die Sahara. Hier waren freilich trostlose Wüsten, die schier endlose Flächen einnahmen. Aber eben deswegen war auch dieses verrufene Land wenig begehrt. Die Wüsten umfaßten andererseits zahlreiche Oasen von ungemeiner Fruchtbarkeit und oft ansehnlichem Umfang. Dabei hoffte Jack mit Hilfe seiner Reichtümer weite Länderstrecken in ertragreichen Boden umwandeln zu können, da es erfahrungsgemäß gelingt, durch Erbohrung von Quellen, die mittels der Wünschelrute entdeckt werden, neue blühende Oasen im toten Sandmeer hervorzuzaubern. Und die schon vorhandenen Oasen lassen sich immer weiter ausdehnen durch Bewässerungsanlagen, die ihre Wasserquellen in die umgebende Einöde weiterleiten.

Abgesehen von alledem, bot das Gebiet, das unter dem Namen der »Wüste Sahara« zusammengefaßt wird, noch außerordentlich reiche Gelegenheit zu neuen Entdeckungen: da war noch so viel unerforscht, daß Hoffnung bestand, Länder genug zu finden, die nichts weniger als eine Wüste waren. Daß es dort solche gab, stand sogar schon vielfach fest.

Aus eigener Machtvollkommenheit nahm der reiche Normanne daher die ganze Sahara für sich in Anspruch, unbekümmert um die Rechte Frankreichs, das sich ja um das Wüstengebiet wenig kümmerte.

Er legte sich fortan den stolzen Titel bei: »Jack I., Kaiser der Sahara.«

Mit Recht glaubte er, sich Kaiser nennen zu dürfen, da viele Königreiche ihm untertan waren.

In der Tat hatte er schon mehrere Negerfürsten, teils mit Waffengewalt, teils durch Überredung und reiche Geschenke, dazu gebracht, seine Oberhoheit anzuerkennen, und gab sich redliche Mühe, die ihm unterworfenen Völker sittlich zu heben, sie zu zivilisieren und ihnen alle Segnungen einer höheren Kultur zu bringen. Seine Freigebigkeit und warmherzige Fürsorge befestigten seine Herrschaft, da die Neger bald einsahen, welche Vorteile und Annehmlichkeiten sie ihnen brachte.

Mit Karawanen, wie sie die Wüste nie gesehen hatte, bereiste der Kaiser der Sahara sein Reich, teils um seine Vasallenkönige zu besuchen, ihnen Ratschläge und Befehle zu erteilen und neue Hilfsmittel und Schätze zuzuführen, teils um noch unerforschte Gegenden zu erkunden und weitere Länder unter seine Botmäßigkeit zu bringen.

Er pflegte Hunderte von Kamelen mit sich zu führen, zählte doch sein wohlbewaffnetes »Heer« allein über hundert Mann. Es bestand aus kühnen Abenteurern aller Länder, die Jack jedoch sorgfältig ausgewählt hatte: Gauner, Feiglinge und gewissenlose, grausame Buben konnte er nicht brauchen und duldete sie nicht. Mehrere besonders tapfere Neger und Beduinen vervollständigten seine Truppe. Er führte stets einige Kanonen mit sich, um besonders wilde und unzugängliche Stämme rasch zur Unterwerfung zu bringen. Das Zusammenschießen einer Hauptstadt wirkte meistens Wunder, selbst bei den blutgierigsten Menschenfressern, und man kam dabei zum Ziele mit weit weniger Blutvergießen, als wenn man eine Schlacht geliefert hätte.

Die zahlreichen übrigen Kamele trugen vor allem Lebensmittel und Wasserschläuche in solcher Menge, daß die vielen Menschen nie Mangel litten, auch wenn sie längere Zeit durch wasserlose Steppen zu reisen hatten.

Endlich führte Jack I. Geschenke und Hilfsmittel für seine Untertanen, sowie zur Gewinnung noch ununterworfener Stämme mit sich.

Der Kaiser der Sahara pflegte an der Spitze seiner schier endlosen Karawane zu reiten. Sein Dromedar zeichnete sich durch besondere Schönheit und Schnellfüßigkeit aus. Es war mit reichen, goldgestickten Teppichen behängen und hob das Haupt so stolz, als sei es sich der Ehre voll bewußt, deren es gewürdigt war.

Jack selber war so prächtig gekleidet, wie es sich für einen Kaiser ziemte: sein schneeweißes Obergewand wurde durch einen goldenen, mit funkelnden Edelsteinen besetzten Gürtel gehalten. Seine ebenfalls weißen, weiten Beinkleider waren mit silbernen Fransen besetzt. Sein breitkrempiger, mit wallenden bunten Federn geschmückter Hut trug statt des Bandes einen blitzenden Goldreif. Ein krummer Säbel in reichverzierter Scheide und ein ebenso kostbares Gewehr verliehen ihm ein kriegerisches Aussehen. Um die Schultern wehte ihm ein leuchtender Purpurmantel, der nur bis zum Gürtel reichte, um ihn nicht zu behindern.

Hinter ihm ritt seine prächtig gekleidete Leibwache in verschiedenfarbigen Gewändern. Dann kamen die Trompeter und Flötenbläser, die Regimentsmusik.

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Bunte Fahnen und Wimpel wehten an verschiedenen Stellen des langen Zuges und trugen viel dazu bei, das Malerische des ganzen Bildes zu erhöhen: so zog blühendes, farbenstrahlendes Leben durch den todesgrauen Sand!

Stumm bewegte sich diese gefleckte Riesenschlange in der Sonnenglut dahin. Jetzt schlängelte sie sich zwischen hohen Dünen hindurch, jetzt wieder kletterte sie an einer Felsterrasse empor, die ihr den Weg verlegte.

Soeben hatte die Vorhut eine solche kahle Höhe erreicht, als der Kaiser der Sahara plötzlich stutzte und sein edles Tier anhielt. Schritt für Schritt pflanzte sich diese Bewegung durch den ganzen Zug fort, die Bewegung des Anhaltens und Stillstehens.

Jack I. aber wandte sich an seinen Feldmarschall, der auf einen Wink an seine Seite ritt, und fragte: »Fiel da nicht ein Schuß?«

»Mir schien es auch so, Majestät. Allein ich hielt es für eine Täuschung: wir reiten durch eine unbewohnte und völlig unerforschte Wüste. Feuerwaffen sind hier unbekannt, wir sind die ersten, die solche dieser staunenden Einöde zu Gesichte bringen.«

»Und doch!« rief der Kaiser: »Da fiel ja soeben ein zweiter: das war zweifellos der Knall einer Büchse!«

»In der Tat!« bestätigte der Feldmarschall und sah gleich seinem Gebieter in der Richtung nach Südwesten, woher der rätselhafte Laut gekommen war.

»Dort fern am Horizont schwenkt jemand ein weißes Tuch!« sagte der Kaiser, der seinen Feldstecher zu Hilfe genommen hatte: »Ein Mensch ist in Not oder gar mehrere. Wir reiten dorthin, die Pflicht der Menschlichkeit gebietet es. Überdies ist es kaum ein Umweg für uns, da wir fortan sowieso etwas südlicher halten müssen.«

Damit setzte er sein Kamel wieder in Bewegung und trieb es zu rascherer Gangart an.

Ihm folgten seine Leibwächter, ebenfalls im Trab, und ihnen nach die Soldaten. Die Lastkamele konnten ihren Schritt nicht wesentlich beschleunigen und blieben immer weiter zurück.


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