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36.
Das Probeschießen

Jetzt wird's ernst!« sagte Sieger zu Helling, als er in die Fabrik zurückkehrte. »Wenn der Tunnel nicht in drei Tagen vollendet ist, sind wir alle verloren!«

»Was gibt's?« fragte der Leutnant besorgt.

»Der Kalifa steht noch immer unter dem Bann der Enttäuschung, die ihm Neufeld oder Nofel, wie er ihn nennt, bereitet hat, da er, absichtlich oder nicht, kein brauchbares Pulver zustande brachte. Er ließ ja den Ärmsten dafür in den Seier sperren. Nun hegt er auch ein hochgradiges Mißtrauen gegen mich, das immer wieder durchbricht, und wahrscheinlich durch den Schurken Emin Gegr um Salama, der sich bei ihm einzuschmeicheln wußte, beständig genährt wird. Kurzum, wenn ich ihm nicht innerhalb dreier Tage eine brauchbare Kanone liefere, will er uns Hand und Fuß abhauen lassen.

»Daß er vor einer solchen Grausamkeit nicht zurückschreckt, wissen wir zur Genüge, denn solche Verstümmelte sind ja zu Hunderten in Omderman zu sehen, und viele andere sind dieser barbarischen Strafe erlegen. Hinhalten läßt sich der Wüterich nicht länger: ich bat ihn umsonst um drei Wochen Frist. So liegt unser einziges Heil in der Flucht, und diese kann nur durch den Durchbruch des Stollens ermöglicht werden.«

»Aber du hast doch ein Kanonenrohr so gut wie vollendet,« wandte Helling ein: »Das wird ihm doch vorerst genügen, und dann können wir immer noch weiter sehen. Der Kalifa wird nach dieser ersten günstigen Probe deiner Kunst überzeugt sein, daß du ihm noch mehr Geschütze liefern wirst, und dazu muß er dir einige Wochen Zeit lassen, das muß er einsehen, und daß er eine starke Artillerie notwendig braucht, wenn er vorkommenden Falls den Engländern wirksamen Widerstand leisten will, davon ist er überzeugt: sonst hätte er sich nie so lange geduldet. Du bist ihm unentbehrlich, so lange er hoffen darf, durch dich in den Besitz der ersehnten Kanonen zu gelangen.«

»Das ist alles schön und gut,« entgegnete Sieger niedergeschlagen, aber ich habe eine große Torheit begangen. Ich sehe jetzt ein, daß ich für alle Fälle ein dauerhaftes Geschütz hätte herstellen sollen, und dazu wäre ich jetzt nach all den gesammelten Erfahrungen wohl imstande gewesen. Dadurch hätten wir die nötige Frist gewonnen, und die eine Kanone hätte den Derwischen nicht viel nützen können.

»Allein, es widerstrebte mir so sehr, dem Unmenschen eine solche Mordwaffe zu liefern, daß ich das einzige bis jetzt fertiggestellte Rohr absichtlich so schwach baute, daß es nach wenigen Schüssen unfehlbar zerspringen muß. Mit einem Worte: es ist unbrauchbar. Platzt aber das Rohr, so platzt zugleich die Geduld des Kalifa: er wird mehr denn je überzeugt sein, daß ich ihn absichtlich hintergehe und dann wird er im ersten Zorn seine fürchterliche Drohung wahr machen.

»Tag und Nacht muß in der Höhle gearbeitet werden. Ihr müßt einander ablösen, du, Osman und Jussuf. Ich muß hier bleiben und zum Schein an der Kanone weiterarbeiten, obgleich eigentlich nichts mehr daran zu machen ist. Ich darf sie natürlich erst im letzten Augenblick als angeblich vollendet abliefern.«

»Aber du hast dem Tyrannen das feierliche Versprechen gegeben, nicht zu fliehen: dürfen wir es brechen?«

»Ich habe mich vorgesehen; ich gab ihm die Zusage nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er uns nicht an Leib und Leben bedrohe: das habe ich sorgfältig überlegt. Solange wir uns sicher wußten, konnten wir auf ein Entweichen, wenn auch schweren Herzens, verzichten. Das Versprechen war übrigens damals unerläßlich, um unser Leben zu retten. Nun jedoch, da uns der Kalifa Verstümmelung androhte, und die Unbrauchbarkeit meines Werks uns die Ausführung dieser Drohung in sichere Aussicht stellt, bin ich meines Versprechens ledig, weil er selber die Bedingung brach, an die ich es knüpfte: dies sah ich voraus, und nur deshalb entschloß ich mich damals so rasch, ihm die geforderte Zusage zu leisten.«

Es geschah, wie der Ingenieur es angeordnet hatte: Helling, Johannes und Josef arbeiteten abwechselnd Tag und Nacht in fieberhafter Tätigkeit an der Vollendung des Tunnels.

Jede Nacht begab sich Sieger heimlich in die Höhle, um nach dem Fortschritt der Arbeit und den Aussichten auf den baldigen Durchbruch zu sehen; allein, immer starrte ihm der harte Fels entgegen.

Am dritten Tage mußte er dem Kalifa seine erste Kanone vorführen. Eine große Menschenmenge hatte sich versammelt, um der Probe anzuwohnen. Der Kalifa befahl, die Kanone zu laden und auf eine alte, zerfallene Hütte fern über dem Nil zu richten. Der Schuß fiel, und die morsche Baracke stürzte in sich zusammen.

Ein ungeheures Jubelgeschrei begrüßte diesen Erfolg. Der Kalifa war überrascht und äußerte seine höchste Befriedigung.

Er verlangte einen zweiten Probeschuß.

Mit großer Sorge willfahrte der Ingenieur, denn er befürchtete, das schwache Rohr könnte schon bei diesem zerspringen, obgleich er noch einige Ringe darum geschmiedet hatte, um ihm größere Haltbarkeit zu verleihen. Er nahm die Pulverladung so schwach als möglich und richtete die Mündung auf eine nahe Palme.

Ein neuer Knall, – und der Wipfel neigte sich: der Stamm war zersplittert und der Baum krachte zur Erde.

Brausender Beifall war die Folge dieses zweiten Beweises von der Vortrefflichkeit des Geschützes.

Jetzt deutete der Herrscher auf eine Mauer, die glücklicherweise auch nicht sehr entfernt war, und verlangte, zu sehen, ob die Kugeln auch steinernes Mauerwerk zu zerstören vermöchten.

»Wenn das so fort geht,« dachte der besorgte Kanonier, »so kommt noch heute alles heraus!«

Er mußte notgedrungen eine etwas stärkere Ladung nehmen, wenn die Kugel die erwartete Wirkung ausüben sollte.

Mit einem heißen Stoßgebet gab er Feuer: die zum Glück schon sehr baufällige alte Mauer erbebte, die getroffene Stelle bröckelte auseinander und es zeigte sich eine ansehnliche Bresche.

Erneuter Jubel belohnte den Schützen, der sich jedoch über den trefflichen Schuß nicht freuen konnte, denn sein scharfes, sachkundiges Auge gewahrte bereits einen kleinen Sprung im überanstrengten Rohr.

»Einen Schuß mag es noch aushalten,« murmelte er: »Aber dann ist es auch Matthäi am letzten! Beim zweiten springt es unfehlbar in Stücke.«

Er atmete auf, als Abdullahi erklärte, für heute habe er genug gesehen, und gnädig hinzufügte:

»Ich sehe, Abd el Ziger, daß du treu und ehrlich bist und dein Versprechen gehalten hast, wenn es auch länger dauerte, als du selber glaubtest. Emin Gregr hat dich verleumdet mit seinen Verdächtigungen. Morgen soll die Kanone noch weiter erprobt werden; da wird sich zeigen, ob sie auch weiter entfernte Steinmauern zu zerstören vermag. Wenn sie aber auch noch nicht so viel leisten sollte, wie die Geschütze, die wir vom Feinde erbeuteten, ich habe deinen guten Willen erkannt, und du wirst noch mehr und bessere zu stande bringen.«

In der Freude seines Herzens befahl der Kalifa alsbald, dem erfolgreichen Techniker eine namhafte Summe aus dem Bet el Mal, dem Schatzhause, auszubezahlen. Er nahm damit eine schwere Sorge von Siegers Herzen. Denn in der letzten Zeit war der Herrscher nicht mehr so freigebig gewesen, wie früher, und die Summen, die er dem Ingenieur auszahlte, reichten knapp zur Beköstigung und Entlohnung der Arbeiter, so daß Sieger befürchtete, seine Flucht könnte schließlich am Mangel an Geldmitteln scheitern, weil er nicht mehr so viel Barmittel besaß, um die unbedingt nötigen Kamele zu kaufen.

Im Triumph wurde die Kanone nach Omderman geführt, und im Palast des Herrschers in Verwahrung genommen, während sich ihr Erbauer im Bet el Mal die gewährte Belohnung auszahlen ließ, um sich dann so rasch wie möglich heimzubegeben.

Das Probeschießen hatte schon ziemlich zeitig am Morgen begonnen, in der freien Ebene zwischen der Stadt und der Fabrik. So war es noch kaum Mittag, als Sieger wieder zurück war.

Er berichtete Helling über den günstigen Erfolg des Probeschießens, und dieser konnte eine ebenso erfreuliche Nachricht verkünden: die Bohrer hatten die letzte schmale Felswand durchbrochen, denn nach Zurückziehung des Maulwurfs schimmerte durch sämtliche Löcher Tageslicht. Johannes war eben dabei, die Sprengung vorzunehmen, durch die der völlige Durchbruch erzielt werden mußte.


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