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Als Sieger mit Helling die Straßen von Khartum durcheilte, um General Gordon aufzusuchen, kam ihnen ein hagerer Mann in arabischer Tracht entgegen. Kaum hatte er die beiden erblickt, als er rasch mit der Hand gegen den Turban fuhr, als wolle er ihn zurechtrücken. In Wirklichkeit war es ihm nur darum zu tun, seine Gesichtszüge zu verbergen, um nicht erkannt zu werden. Diese waren von abschreckender Häßlichkeit. Schon von Natur mochten die groben Formen, die dicke Nase und die wulstigen Lippen nichts Anziehendes haben. Nun aber war die eine Gesichtshälfte überdies grauenhaft entstellt durch eine tiefe Narbe, die sich von der linken Augenhöhle bis zu dem mit spärlichen Barthaaren bewachsenen Kinn herabzog: das linke Auge selber war nicht mehr vorhanden.
Von den eilig einherschreitenden Männern wurde der Orientale nicht weiter beachtet. Er bog schleunigst in eine Seitengasse ein, bevor er mit ihnen zusammentraf. Dann wandte er sich zu einem hinter ihm herkommenden Fellachen: »Kennst du die beiden Herren?« fragte er ihn.
»Das ist der Leutnant Helling und sein Freund, der Ingenieur Sieger,« antwortete der Mann und ging seines Weges weiter.
Der Einäugige trat zurück an die Straßenecke und spähte den beiden nach.
»Sieger?« murmelte er höhnisch auflachend: »Otto von Helling, du hast dir vergeblich den Bart wachsen lassen und einen anderen Namen angenommen! Das eine Auge, das mir dein Bruder gelassen hat, ist scharf genug, dich zu erkennen. An deinem Bruder Siegmund wollte ich mich rächen: nun führt mir das Schicksal auch dich in die Hände, der für tot galt und den ich noch mehr hasse als den anderen. Du hast mir das Liebste geraubt, und sie hat dich mir vorgezogen und sich dadurch den Freund zum Feind gemacht. Sie soll das erste Opfer meiner Rache werden, und damit treffe ich auch dich ins Herz. Dann aber kommen die sauberen Brüder an die Reihe! Ihr ahnt mein Hiersein nicht, aber bald sollt ihr es inne werden, daß der Geiger euch nicht vergessen hat und sich zu rächen versteht an seinen Todfeinden!«
Auf Umwegen verließ der verkappte Deutsche die Stadt und eilte der Stelle des Walles zu, in der die Bresche gähnte, deren sofortige Ausbesserung Helling und Sieger veranlassen wollten. Dort traf der verdächtige Schleicher mit dem Kommandanten Farag Pascha zusammen, wie er beabsichtigt hatte. Im Flüstertone unterhielt er sich mit diesem eine geraume Weile. Dann begab er sich durch das Kalakle-Tor vor die Mauer hinaus. Am Dorfe Kalakle vorbei eilte er auf den Baum des Muha Bey zu.
In Khartum hatte sich niemand weiter um den Mann gekümmert, so ausfallend auch sein ganzes Benehmen erscheinen mußte, zumal der Umstand, daß er die belagerte Stadt allein verließ. Aber einmal war die Aufmerksamkeit der Wächter auf den Wällen durch Hunger, Überanstrengung und Hoffnungslosigkeit eingeschläfert; sodann kam es hie und da vor, daß Botschaften zwischen dem Lager des Mahdi und der belagerten Stadt getauscht wurden, und wer etwa den Vorgang beobachtet hatte, mußte denken, um eine solche Botschaft handle es sich in diesem Fall; denn wer wollte sonst wagen, bei lichtem Tage sich in das feindliche Lager zu begeben? Und wie wäre es denkbar gewesen, daß einem Unbefugten das Tor überhaupt geöffnet worden wäre?
Freilich, hier handelte Farag Pascha auf eigene Faust: er kannte Gordons sorgloses Vertrauen zur Genüge, um zu wissen, daß er es ohne Bedenken und ohne Gefahr mißbrauchen konnte.
Am Ufer des Weißen Nils landete eine Barke, die den Boten aufnahm und übersetzte. Dann wurde er sofort zum Mahdi geführt, denn er war bereits eine bekannte Persönlichkeit im Lager der Derwische.
Mohamed Achmed, der Mahdi, war ein großer, breitschulteriger Mann von lichtbrauner Hautfarbe; seine großen, schwarzen Augen leuchteten in eigentümlichem Glanz, und der feingeformte Mund ließ in ewigem Lächeln die weißen Zähne sehen, deren Schmelz durch die Schwärze des Bartes, der das Gesicht umrahmte, gehoben wurde.
»Was bringst du mir für Kunde, Emin Gegr?« frug der Mahdi den Ankömmling, der sich vor ihm niedergeworfen hatte und die dargebotene Hand küßte.
»Alles ist bereit, Herr! Farag wird euch ohne Widerstand einlassen!«
»Es ist gut! Wir werden sehen. Verrätern ist nie zu trauen: doch wehe dem, der Allahs Gesandten zu täuschen sucht. Der Prophet wird mir eure Gesinnung offenbaren, und auch ohne eure Hilfe werde ich Khartum und die Welt erobern.«
»Doch will sich der Prophet seiner unwürdigen, aber treuen Diener bedienen, o Herr, und wir hoffen auf den Lohn, den deine Großmut uns gewähren wird.«
»An reichen Schätzen, treue Helfer zu belohnen, wird es mir nie mangeln.«
»Ich trachte weniger nach irdischen Gütern, als nach der Ehre, dir fernerhin dienen zu dürfen: lasse mich als Emir in deiner Nähe bleiben, und es wird mein Glück sein, die Sonne deines Angesichts zu schauen, und meine Wonne wird es sein, deine Feinde zu vertilgen.«
»Der Lohn wird euren Taten entsprechen,« erwiderte der Mahdi, immer lächelnd. »Haltet euch bereit beim ersten Morgengrauen!«
Nachdem der Herrscher noch die wichtigsten Einzelheiten des verräterischen Planes mit dem gewissenlosen Schurken besprochen hatte, entließ er ihn mit seiner gewöhnlichen leutseligen und doch so rätselhaft zweideutigen Freundlichkeit.
Emin Gegr um Salama, wie der Verräter vom Mahdi genannt wurde, entfernte sich auf dem Wege, den er gekommen war. Es war bereits Nacht, als er innerhalb der Umwallung mit Farag wieder zusammentraf.
»Es ist Befehl vom Mudir gekommen, den Wall hier auszubessern,« sagte Farag mit boshaftem Lächeln, nachdem er Emins Bericht angehört.
»Haha! Gordon ist etwas spät daran! morgen wird die Arbeit überflüssig sein.«
»So scheint es nach Allahs Rat. Aber wie wird es uns gehen?«
»Wir beide haben nichts zu fürchten: der Mudir hat keinen Verdacht. Sein Untergang ist sicher: die Aasgeier schwebten über seinem Schiff, als er den Nil herauffuhr, genau wie sie die Armee des Hicks Pascha auf ihrem Zug ins Verderben begleiteten.«
»Von Gordon fürchte ich nichts, aber von den Derwischen: die Nacht ist dunkel, und mein Geist sieht noch schwärzere Nacht; doch was Allah bestimmt hat, läßt sich nicht ändern.«
»Morgen wird es Tag auch in deinem Geiste,« spottete Emin mit widerlichem Lachen. »Die Sonne wird rot aufgehen! Aber jetzt muß ich in die Stadt und wachen, daß nichts geschieht, was unsere Pläne durchkreuzen könnte.«
Mit diesen Worten verabschiedete er sich von seinem Spießgesellen und begab sich in die Stadt zurück. Hier lagen die meisten Einwohner schon in tiefem Schlaf und so düster und sorgenschwer ihnen die Zukunft auch erscheinen mußte, so ahnten sie doch nicht, wie schauerlich schon ihr nächstes Erwachen sein sollte.