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8.
Der Fall von Khartum

Kaum hatte Farag seine Hütte verlassen, als Abu Karga mit seinen Leuten durch die Bresche und das geöffnete Tor eindrang. Das erste, was die Eindringlinge taten, war, daß sie den verräterischen Pascha gefangen nahmen und banden und dann die ganze Wache niedermetzelten, die ihnen die freie Bahn geschaffen hatte. Sie handelten nach dem geheimen Befehl des Mahdi. So hatten den Verräter seine trüben Ahnungen nicht betrogen. Er selber überlebte seine schwarze Tat nicht lange, denn kaum drei Tage nach dem Fall von Khartum ließ ihn Mohamed Achmed enthaupten.

Jetzt wurde die Mauer rings um die Stadt in wenigen Augenblicken von den Derwischen erstiegen. Zu spät schreckten die ungetreuen Wächter aus dem Schlafe auf. Sie konnten sich nicht mehr wehren und fielen unter den Streichen der blutdürstigen Horden.

.

Mit gräßlichem Geheul drangen fünfzigtausend Krieger von allen Seiten in die Stadt ein, die nicht mehr als vierzigtausend Einwohner zählte, von denen Tausende mit den Mahdisten gemeinsame Sache machten.

Das war ein gräßliches Erwachen!

Schlaftrunken und völlig überrascht kamen selbst die Soldaten kaum zur Gegenwehr. Das ungewisse Licht des erst dämmernden Morgens vermehrte die Verwirrung, so daß es nur selten zu einem Kampfe kam: meist war es nur ein Hinschlachten wehrloser Opfer.

Der Statthalterpalast und die katholische Kirche waren das erste Ziel der wütenden Horden. Auf dem Wege aber wurden von einzelnen Banden die Haustüren erbrochen. Die Einwohner, die durch die gellenden Schreie, das Waffengeklirr und wüste Getümmel aus dem Schlafe geschreckt worden waren, wurden auf die grausamste Weise niedergemetzelt, ehe sie recht wußten, was sich ereignet hatte. Auch der Frauen und Kinder wurde nicht geschont.

General Gordon trat vor die Türe seines Palastes, um die Ursache des ungewohnten Lärmes zu erfahren. Im Augenblick war er von mehr als zwanzig Lanzen durchbohrt, sein Haupt wurde vom Rumpfe getrennt, auf eine Speerspitze gesteckt und im Triumphe zum Mahdi getragen. Mord und Plünderung waren die Losung, und alles wurde verwüstet und zerstört.

Sieger und Helling befanden sich inmitten der Gärten in der Nähe der Festungsmauer, die sie noch nicht erreicht hatten, als plötzlich die nächtliche Stille durch das Gebrüll der einströmenden Derwische unterbrochen wurde. Sie begriffen alsbald, was geschehen war, und daß es für die Stadt keine Rettung mehr gebe, denn von allen Seiten, in der Nähe und aus der Ferne, wurde nun das Geschrei vernehmbar.

Von Entsetzen und bangen Ahnungen ergriffen, stürzten sie atemlosen Laufes zurück nach der Wohnung des Ingenieurs.

Sie kamen zu spät!

Kaum zehn Minuten vorher war eine blutgierige Bande in das Haus eingedrungen, unter Führung von Emin Gegr um Salama. Die kaum aus dem Schlafe erwachte, zu Tode erschrockene junge Frau warf sich auf das Bett ihres Söhnleins, über welchem der Schurke schon die Lanze gezückt hatte. Kalten Herzens durchbohrte Emin die unselige Mutter, die wenigstens nicht viel zu leiden hatte, denn sie war ins Herz getroffen und sofort tot. Nun wollte der Unhold auch die beiden Kinder hinmorden. Doch daran hinderten ihn seine menschlicheren Begleiter.

Emin schäumte vor Wut, daß er den Ingenieur selbst nicht zu Hause angetroffen, wenn er auch eine genügend grausame Rache an ihm genommen, indem er ihn seines geliebten Weibes beraubt hatte. Töten wollte er ihn nicht, das wäre ihm als eine zu gelinde Strafe erschienen. Aber in seine Gewalt wollte er ihn bringen, sich ihm zu erkennen geben, ihm triumphierend berichten, wie er seine Frau erstochen und nicht ruhen werde, bis er auch seine beiden Kinder aus der Welt geschafft habe. Und dann wollte er täglich neue Qualen für sein Opfer ersinnen.

Nun stürmte er mit seinen Begleitern fort, um vor allem Sieger zu suchen und sich seiner zu versichern.

Josef war an dem Lärm erwacht, der im Schlafzimmer seiner Herrin entstanden war. Er vernahm einen verzweifelten Schrei, der ihm durch alle Glieder fuhr. Rasch warf er sich in seine Kleider und eilte hinunter. Er hörte noch die Mordbande die Stiege hinunterpoltern. Die Türe des Schlafzimmers, in dem ein Nachtlicht brannte, stand weit offen. Starr vor Schrecken blieb der Diener auf der Schwelle stehen, als er seine junge Herrin entseelt in ihrem Blute liegen sah.

Er erinnerte sich gleich des verdächtigen Treibens vor dem Stadtwall und sagte sich, daß die Derwische eingedrungen seien und eine allgemeine Metzelei begonnen hätten. Wie leicht konnte eine andere Bande erscheinen und auch die Kinder noch umbringen. Er mußte sie in Sicherheit bringen, aber wohin? Da entsann er sich, daß der Schreiber Petrus Polus erst gestern dagewesen war und die Befürchtung, ausgesprochen hatte, daß Gordons unbelehrbare Sorglosigkeit eine unvermutete Überrumpelung der Stadt durch die Mahdisten zur Folge haben könne. Er habe daher auf eigene Faust sein massiv aus Stein gebautes Haus in Verteidigungszustand gesetzt und lade den Freund ein, im Falle der Not sich mit den Seinigen zu ihm zu begeben. Sieger hatte ihn noch ausgelacht, daß er allzu ängstlich sei und Gespenster sehe. Nun aber hatte der Schreiber doch recht behalten.

Josef zögerte nicht: mit dem rechten Arm hob er den weinenden Johannes aus seinem blutbespritzten Bettchen, mit dem linken riß er die noch schlummernde kleine Fanny empor, die kaum die Augen aufschlug und dann an seiner treuen Brust weiterschlief.

So stürzte er hinaus und erreichte bald des Schreibers Haus, wo er die Insassen durch sein heftiges Pochen an die Türe weckte. Petrus Polus öffnete ihm selber, als er seinen Namen nannte.

Noch war es stille in der Stadt, denn Emin hatte mit seinen Spießgesellen das Blutwerk begonnen, als die Feinde noch nicht weit in die Stadt vorgedrungen waren. Man hörte aber schon ein dumpfes Brausen in der Ferne und einzelne schrille Rufe. Josefs Bericht erfüllte die Bewohner des Hauses mit Schrecken und lebhafter Teilnahme. Unverzüglich wurden die Insassen der benachbarten Häuser geweckt und veranlaßt, sich in das feste Haus zu flüchten.

Der Diener hatte kaum die Wohnung seines Herrn verlassen, als dieser mit Helling eintraf und die Treppe hinaufflog. Obgleich er sich sagte, daß die Derwische unmöglich schon so weit ins Innere der Stadt vorgedrungen sein könnten, weissagte ihm doch die weitoffene Haustüre nichts Gutes.

Und nun stand er auf der Schwelle seines Schlafgemachs, wie vom Donner gerührt. Dann warf er sich mit einem Aufschrei auf die Leiche seines geliebten Weibes. Tief erschüttert stand der Leutnant unter der Türe.

Als aber Helling mit einem raschen Blicke entdeckte, daß die beiden Kinder fehlten, rief er: »Armer Freund! Raffe dich auf: deine Kinder sind aus den Betten gerissen. Laß uns eilen, sie zu suchen: vielleicht können wir sie noch vor einem gräßlichen Schicksal bewahren!«

Diese Worte brachten den verzweifelnden Gatten und Vater zur Besinnung. Er raffte sich auf, warf einen verstörten Blick umher und sagte dann mit gebrochener Stimme: »Du hast recht! Verlieren wir keine kostbare Minute! Gebe Gott, daß Josef sich mit den teuren Kleinen zu flüchten vermochte. Doch ich habe keine Ruhe, bis ich Gewißheit über ihr Schicksal habe.«


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