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28.
Die Harmonie

Alles, was wir über die Erlösung von dem Übel gesagt haben,« fuhr Sieger fort, »könnte als ein schöner, aber vorerst unerfüllbarer Traum angesehen werden, wenn nicht der Beweis geliefert werden könnte, daß es schon in der Gegenwart tatsächlich möglich ist. Und diesen Beweis will ich jetzt antreten.«

»Ich bin wahrhaftig begierig auf diesen Beweis,« rief Helling aus: »Denn ich muß gestehen, daß ich zwar von einer zukünftigen Entwicklung die Überwindung des Bösen hoffe, daß mir jedoch die Gegenwart noch lange nicht reif dazu erscheint.«

»Diese weitverbreitete Meinung,« erwiderte der Ingenieur, »läßt sich widerlegen durch die einfache Tatsache, daß in mehr als einem Falle die Ausschaltung des Übels nahezu oder ganz gelang. Mir sind hauptsächlich drei merkwürdige Fälle dieser Art bekannt: die Harmonie, Pitcairn und die Insel Felsenburg, und diese möchte ich in aller Kürze schildern.

»Was die Harmonie betrifft, so besitzen wir über sie die verschiedenartigsten Darstellungen aus der Feder von genauen Kennern, die teils selber zu ihren Mitgliedern gehörten oder ausgetretene Mitglieder waren, teils jahrelang in der Ansiedlung weilten. Die einen sprühen leidenschaftlichen Haß und lassen kein gutes Haar am Schöpfer und Leiter der Gesellschaft, den sie mit den gemeinsten Schmähungen überhäufen. Selbstverständlich spricht hieraus eine persönliche Gereiztheit, die es nötig macht, die Berichte mit größter Vorsicht aufzunehmen, so sehr die Verfasser betonen, daß sie nur die reinste Wahrheit berichten. Immerhin wird man sich sagen müssen, daß die Erbitterung dieser Zeugen nicht ganz grundlos gewesen sein dürfte. Die anderen Darstellungen strömen über von Begeisterung und überschwenglichem Lobe. Auch das mahnt zur Vorsicht gegenüber ihrer Glaubwürdigkeit. Aus den beiderseitigen Darstellungen läßt sich ein einigermaßen zuverlässiges Bild dadurch gewinnen, daß die Feinde der Harmonie gewisse Vorzüge, die Freunde gewisse Fehler des Oberhauptes und seiner Regierungsweise zugeben, so daß in solchen Punkten das Zeugnis beider Parteien übereinstimmt.

»Zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts lebte im württembergischen Dorfe Iptingen der Landwirt Georg Rapp, der sich viel mit Durchforschung der Bibel und schwärmerischen Schriften abgab. Bald verkündigte er den zahlreichen Zuhörern, die seine Beredsamkeit um ihn sammelte, ein strengeres Christentum mit Enthaltsamkeit von allen sinnlichen Genüssen und Gleichheit aller.

»Im Jahr 1806 erbaute er mit etwa siebenhundert seiner Anhänger die Stadt ›Harmonie‹ in Pennsylvanien. Die fleißigen Schwaben wandelten bald den Urwald in fruchtbare Äcker und saftige Wiesen um.

»Sie lebten in Gütergemeinschaft, das heißt, Rapp verwaltete das Gemeindevermögen und teilte jedem sein bescheidenes Maß an Lebensmitteln und sonstigen Bedürfnissen zu. Die Leute ertrugen ein entbehrungsreiches Leben in harter Arbeit gerne, im Hinblick auf das nahe Ende der Welt, das Rapp ihnen verkündigte. Ja, sie ließen sich sogar von ihm das Joch der Ehelosigkeit auflegen.

»Was mir nicht gefällt, ist, daß Rapp selber für sich das Recht der Vielweiberei in Anspruch nahm, mit den Seinen ein üppigeres Leben, frei vom Arbeitszwang führend.

»Später verkaufte er die Ansiedlung mit großem Gewinn, und die harte Arbeit der Urbarmachung begann von neuem. Als auch die neue Ansiedlung in Blüte stand, veräußerte er sie wiederum und gründete ›Ökonomie‹ am Ohio.

»Auch hier entstanden in der Wildnis bald lachende Fluren.

»Die Ansiedler scheinen sich wohl gefühlt zu haben. Sie waren frei von allen Sorgen wegen ihres Unterhalts, Nahrung und Kleidung. Sie glaubten und gehorchten unbedingt ihrem Oberhaupt, das ihr König, Priester und Prophet war. Nur dieser Ausbau auf streng monarchischer Unterlage ermöglichte es, daß bei ihnen der Versuch einer Gütergemeinschaft nicht so kläglich scheiterte, wie bei allen anderen derartigen Unternehmen. Doch war die Sekte natürlich zum Aussterben verdammt, infolge des Gebots der Ehelosigkeit.«

»Verzeihe!« sagte Helling: »Eine Erlösung von dem Übel kann ich in dieser tyrannischen Willkürherrschaft nicht sehen.«

»Ich auch nicht,« gestand Sieger: »Vor allem ist mir die Unterdrückung des fröhlichen Kinderlebens zuwider, das auch unmöglich nach dem Sinn des großen Kinderfreundes Jesus sein kann. Um so ansprechender scheinen mir die beiden anderen Fälle.«


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