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Die aufrichtige Begeisterung über den moralischen Sieg, den wir errungen haben, hat, wie ich sehe, Sie genauso wie mich ergriffen. Ja, liebe Genossen, wir haben allen Grund, begeistert, froh und stolz zu sein, weil unsere Feinde durch dieses Urteil gezeigt haben, wie sie vor uns zittern. Man glaubt nun einen Schreckschuß gefunden zu haben: Jeder, der es wagt, an den Grundfesten des Staates zu rütteln, der wird jetzt zwölf Monate ins Gefängnis gesperrt. Aber der Glaube, wir würden uns durch Gefängnisstrafen irremachen lassen, ist nur ein Beweis dafür, wie sich unsere Weltanschauung in den Köpfen eines preußischen Richters und Staatsanwalts spiegelt. Als ob zwölf Monate Gefängnis ein Opfer wären für einen Menschen, der in der Brust die Gewißheit hat, für die ganze Menschheit zu kämpfen. Dieser Prozeß beleuchtet so richtig unseren ganzen Klassenstaat; hier stehen sich zwei Welten gegenüber, die wegen der vollständigen Unfähigkeit, unsere Psyche zu begreifen, nie überbrückt werden können. (»Sehr richtig!«) Deshalb gibt es keinen Pardon, dieser Staat muß zum Teufel gejagt werden. (Lebhafter, lang andauernder Beifall.)
Man wollte ein Opfer treffen, aber was bedeutet die Lappalie, ein Jahr Gefängnis, gegen jenes Löbtauer Schreckensurteil, das jetzt sein fünfzehnjähriges Jubiläum feiern kann? In der Quelle: zehnjähriges Jubiläum. – Im Februar 1899 waren vom Dresdener Schwurgericht neun Bauarbeiter aus Löbtau zu insgesamt 53 Jahren Zuchthaus, 8 Jahren Gefängnis und 70 Jahren Ehrverlust verurteilt worden, weil sie protestiert hatten, daß auf einem Nachbarbau über die festgesetzte Arbeitszeit hinaus gearbeitet wurde. Es war zu Tätlichkeiten gekommen, als der Bauleiter mit einem blindgeladenen Revolver auf die Arbeiter geschossen hatte. Gibt es nicht schon der Opfer massenhaft, sind die Tausende von Familien, die in Not und Elend leben, nicht auch ein Opfer des Klassenstaats? Wir machen keine Rechnung über Opfer, denn es versteht sich, daß jede Erkenntnis mit Opfern verknüpft ist. Je mehr Opfer, um so mehr werden sich zu uns scharen. (Lebhafter Beifall.)
Aber dieses Urteil hat auch noch eine politische Bedeutung. Sie sehen, daß wir seit dem berühmten Liebknechtschen Hochverratsprozeß Vom 9. bis 12. Oktober 1907 war auf Betreiben des preußischen Kriegsministers Karl von Einem gegen Karl Liebknecht ein Hochverratsprozeß wegen seines Buches »Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung« angestrengt worden. Liebknecht wurde zu 1½ Jahren Festung verurteilt, die er in Glatz verbrachte. kein solches Urteil mehr erlebt haben. Damals mußte man sich noch unter die Fittiche des Hochverratsparagraphen flüchten, heute genügt schon der Paragraph 110, um auf ein annähernd gleiches Strafmaß zu kommen. Paragraph 110 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich besagte, daß derjenige, der öffentlich – mündlich oder schriftlich – zum Ungehorsam gegen die Gesetze der herrschenden Ordnung auffordert, mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft wird. Dieses Urteil hat, wie mein Verteidiger Dr. Rosenfeld ganz richtig ausführte, die Reform des Strafgesetzbuches vorweggenommen, das eine ausgesprochene Klassenrichtung gegen die Sozialdemokratie hat. Diese Gerichtspraxis ist ein würdiges Seitenstück zu den fortgesetzten Attentaten auf das Koalitionsrecht und die Verfolgung unserer Presse, über die im letzten Jahre nicht weniger als sechzig Monate Gefängnis verhängt wurde. (»Sehr richtig!«)
Diese Zeichen der immer stärker werdenden Reaktion geben uns die Lehre, daß wir unsere Aufmerksamkeit verdoppeln und daß wir zum Angriff übergehen müssen, weil wir uns nicht alles gefallen lassen dürfen. (Stürmischer Beifall.) In dieser Beziehung gibt uns der Prozeß noch eine andere heilsame Lehre, er beweist sich als ein Teil jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft. Der Staatsanwalt hat die Höhe des Strafmaßes damit begründet, daß er sagte, ich hätte den Lebensnerv des heutigen Staates treffen wollen.
Sie hören, die Agitation gegen den heutigen Militarismus ist ein Angriff auf den Lebensnerv des Staates. Sie sehen, der Lebensnerv unseres heutigen Staates ist nicht der Wohlstand der Massen, nicht die Liebe zum Vaterland, nicht die geistige Kultur, nein, es sind die Bajonette! Das zeigt doch in viel krasserer und aufreizenderer Weise, als ich es könnte, daß ein Staat, dessen Lebensnerv das Mordwerkzeug ist, daß dieser Staat dazu reif ist, daß er zugrunde geht. (Stürmischer Beifall.)
Dieses offene Bekenntnis des Herrn Staatsanwalts wollen wir festhalten und als wichtigste Lehre mit nach Hause nehmen. Der Lebensnerv des Staates durch seine eigenen offiziellen Vertreter bloßgelegt! Gegen diesen Lebensnerv wollen wir kämpfen vom Morgen bis zum Abend mit all unserer Kraft. Wir wollen dafür sorgen, daß dieser Lebensnerv so schnell wie möglich durchgeschnitten wird. (»Bravo!«)
Wenn preußische Staatsanwälte des rohen Glaubens sind, wenn diese Leute sich in ihrer groben historischen Vorstellung einbilden, daß unser Hauptmittel im Kampfe gegen den Militarismus darin bestehe, daß wir den Soldaten in dem Augenblick hindern wollen, wenn er den Arm hebt, um die Waffe loszudrücken, so irren sie sich. Die Hand wird vom Hirn geleitet. Auf dieses Hirn wollen wir einwirken durch unser geistiges Sprengpulver. (Stürmischer, lang anhaltender Beifall.)
Und noch etwas möchte ich hier sagen, das ich dem Staatsanwalt zu sagen verschmäht habe. Er hat auf meine besondere Gefährlichkeit hingewiesen, weil ich dem extremsten, radikalsten Flügel unserer Partei angehöre. Aber wenn es gilt, gegen den Militarismus zu kämpfen, da sind wir alle einig, da gibt es keine Richtungen. (Beifall.) Da stehen wir alle wie eine Mauer gegen diese Gesellschaft. (Stürmischer, brausender, lang anhaltender Beifall.) Es ist nicht die Rosa Luxemburg, es sind heute bereits zehn Millionen Todfeinde des Klassenstaats.
Parteigenossen! Jedes Wort der Urteilsbegründung ist ein öffentliches Eingeständnis unserer Macht. Jedes Wort ist ein Wort der Ehre für uns, darum heißt es für mich wie für Euch, zeigen wir uns dieses Ehrentitels würdig. Wollen wir immer eingedenk sein der Worte unseres verstorbenen Führers August Bebel: »Ich bleibe bis zum letzten Atemzug der Todfeind des bestehenden Staates.« (Jubelnder, nicht enden wollender Beifall.)