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Der selige Wahn

Der doch wohl bedeutendste unserer neueren Essayisten, der Kulturhistoriker Karl Hillebrand, spricht von Bettina als der ewig jungen, »wahrheitsliebenden Lügnerin«. Es ist nicht anzunehmen, daß sie mit einer so ungalanten Bezeichnung für ihre allmächtige Phantasie einverstanden gewesen wäre. Sie selber prägt für diese Macht, kraft deren sie jede Wirklichkeit überhöhte, den schönen Namen »der selige Wahn«.

Die große Dichterin, die sie war und bleibt, mag und muß in den folgenden Blättern durch sich selbst sprechen, um ihren Sieg über die Wirklichkeit durch Proben ihrer hohen Kunst glaubhaft zu machen.

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Ach, der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer Au seinen diamantenen Fuß aufsetzt und sich übers Haus hinüberschwingt auf den Johannisberg, der ist wohl grad wie der selige Wahn, den ich hab von dir und mir.

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Die Natur ist kindlich, sie will verstanden sein und das ist ihre Weisheit, daß sie solche Bilder malt, die der Spiegel unserer inneren Welt sind, und wer sie anschaut, in ihre Tiefen eingeht, dem wird sie die Fragen innerer Rätsel lösen.

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Bald sind's die Sterne, die mit Dir Rücksprache nehmen, bald die tiefen, abgründlichen Felskerne; bald schreitet der Blick als Prophet durch Nebel und Luftschichten, und dann nimmst Du der Blumen Farben und vermählst sie dem Licht; Deine Leyer findest Du immer gestimmt, und wenn sie Dir auch frisch entgegenprangte, würdest Du fragen: Wer hat mir diesen Kranz gewunden? Dein Gesang würde diese Blumen bald versengen, sie würden ihre Häupter senken, sie würden ihre Farbe verlieren und bald würden sie unbeachtet am Boden schleifen. Alle Gedanken, die die Liebe mir eingibt, alles heiße Sehnen und Wollen kann ich nur solchen Feldblumen vergleichen; sie tun unbewußt über dem grünen Rasen ihre Augen auf, sie lachen eine Weile in den blauen Himmel, dann leuchten tausend Sterne über ihnen und umtanzen den Mond und verhüllen die zitternden, tränenbelasteten Blumen in Nacht und betäubenden Schlummer. So bist Du, Poete, ein vom Sternenreigen seiner Eingebung umtanzter Mond, meine Gedanken aber liegen im Tal wie die Feldblumen und sinken in Nacht vor Dir, und meine Begeisterung ermattet vor Dir und alle Gedanken schlafen unter Deinem Firmament.

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Das sehe ich gerne, wenn die Sonne untergeht, wenn die Erde ihre Glut in sich saugt, und ihr die feurigen Flügel leise zusammenfaltet und die Nacht durch gefangen hält, da wird es still auf der Welt, die Sehnsucht steigt so heimlich aus den Finsternissen empor; ihr leuchten die Sterne so unerreichbar überm Haupt.

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Wenn die Abendschatten sich übers Land ziehen, dann sollen die Nachtigallen nicht schweigen: Singen soll alles oder sich freudig aussprechen; die Welt soll ein üppiger Fruchtkranz sein, alles soll sich drängen im Genuß und aller Genuß soll sich mächtig ausbreiten; er soll sich ergießen wie gärender Most, der brausend arbeitet, bis er zur Ruhe kommt: untergehen sollen wir in ihm wie die Sonne unter die Meereswellen, aber auch wiederkommen wie sie.

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Der Mensch, wenn er Morgennebel trinkt, und die frischen Winde sich mit ihm jagen und der Duft der jungen Kräuter in die Brust eindringt und in den Kopf steigt; und wenn die Schläfen pochen und die Wangen glühen, und wenn er die Regentropfen aus den Haaren schüttelt, was ist das für eine Lust!

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Nichts ist reizender als die junge Pflanze in voller Blüte stehend, auf der der Finger Gottes jeden frischen Morgen den zarten Tau in Perlen reiht, und ihre Blätter mit Duft bemalt.

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Die ganze Natur sprach in mich hinein, sie küßte meine Seele.

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Aber die hunderttausend Bienen und Mücken, die mich umschwirrten, die alle in der Linde Nahrung suchten … Da ist kein Markt zu reich an Verkehr, und alles war so bekannt, jedes sucht sein kleines Wirtshaus unter den Blüten, wo es einkehrt, und emsig flog es wieder hinweg und begegnete dem Nachbar, und da summten sie aneinander vorbei, als ob sie sich sagten, wo gut Bier feil ist.

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Das ist Beethovens Meer der Musik, von Himmel zu Himmel steigen die Töne und kühner, je öfter hinab sie wieder strömen, und fühlst hoch über diesem Doppelschall Dich geborgen auf freiem Fels, umkreist von jenen wütenden Orkanen, jenen Bergen, die ohne Ende zurückgeworfen, ohne Aufhören wiederkehren mit erneuter Macht, Dich umschmettern, einander überwogend und doch sich wieder teilend im Sonnenozean der Harmonie.

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16. Frau Rat Katharina Elisabeth Goethe

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17. Maximiliane La Roche mit Wieland und Jacobi in Weimar
Original im Besitz von Frau v. Savigny, München

Er selber sagte, daß Musik höhere Offenbarung ist, als alle Weisheit und Philosophie; sie ist der Wein, der zu neuen Erzeugungen begeistert, und ich bin der Bacchus, der für die Menschen diesen herrlichen Wein keltert und sie geistestrunken macht.

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Musik ist so recht die Vermittlung des geistigen Lebens zum sinnlichen … Melodie ist das sinnliche Leben der Poesie.

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Musik ist der elektrische Boden, in dem der Geist lebt, denkt, erfindet.

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Musik bringt alles in Einklang, sie donnert durch die hellstirnige Nacht ihren gewaltigen Strom, dann tanzt sie hin und grüßt mit jeder Welle die Blume, die da heimlich blüht am Ufer. Wenn dann die Wolken vom Windsturm dahingejagt kommen, dann werden sie gleich von ihrem Hauch bezaubert. Der Regen rollt Perlen unter ihren tanzenden Schritt, sein leuchtender Blitz, vom Donner durch die Nacht geschnellt, die er mit schallenden Schwingen durchrast, das ist ein Hymnus mit der Musik.

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Eigentlich ist das doch nur Musik, was gerade da beginnt, wo der Verstand nicht mehr ausreicht.

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Das ist die Gewalt der Liebe, daß alles Wirklichkeit wird, was vorher Traum war, und daß ein göttlicher Geist dem in der Liebe Erwachten das Leben erleuchtet wie der junge Tag dem aus der Traumwelt Erwachten.

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Freund! Sie ist nicht erfunden, diese innere Welt; sie beruht auf Wissen und Geheimnis, sie beruht auf höherem Glauben. Die Liebe ist der Weltgeist dieses Inneren, sie ist die Seele der Natur.

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Es wird Dichtung meiner Natur sein, daß ich so liebe – aufnehmend, hingebend, aber nicht aufgenommen werdend.

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Liebe ist der Entfaltungstrieb in die göttliche Freiheit. Das Herz, das von Dir empfunden sein will, will frei werden; es will entlassen sein aus dem Kerker in dem Bewußtsein: Du bist das Reich, der Stern, den es seiner Freiheit erobern will. Liebe will allmächtig die Ewigkeit erobern, die, wie Du weißt, kein Ende nehmen wird.

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Du, der die Liebe erkennt, und die Freiheit der Sinne, o, wie ist alles so schön in Dir; wie rauschen die Lebensströme so kräftig durch Dein erregtes Herz und stürzen sich mit Macht in die kalten Wellen Deiner Zeit und brausen auf, daß Berg und Tal rauchen von Lebensglut und die Wälder stehen mit glühenden Stämmen an Deinen Gestaden, und alles was Du erblickst, wird herrlich und lebendig. Gott, wie gerne möchte ich jetzt bei Dir sein! Und wäre ich im Flug, weit über alle Zeiten und schwebte über Dir: Ich müßte die Fittiche senken und mich gelassen der stillen Allmacht Deiner Augen hingeben.


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