Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wo die Einbildungskraft wie bei Bettina so sehr alle anderen Geisteskräfte übermächtigt, droht die Gefahr, daß die Phantasie den Willen aufzehrt und daß sie in tatscheue, weichliche Traumseligkeit zerfließt, die allmählich jede gesunde Lebenstüchtigkeit untergräbt. Nicht so bei Bettina! Bei ihr ist der Wille zum Leben so ursprünglich und stark, daß er sich immer aus sich selber neu gebiert, nach immer anderen Zielen strebt. Sie war und blieb ein zäher, nicht zu entmutigender, ichbesessener Tatmensch. »Eigentlich kann man Dir nichts geben, weil Du Dir alles entweder schaffst oder nimmst«, schreibt ihr Goethe einmal. Dies Wort erleuchtet blitzhaft, wenn auch nicht eben schonsam, ihr Wesen.
Je herrischer, wirklichkeitsmächtiger das Leben nach ihr griff, umso eigenwilliger setzt sie dagegen den unbeugsamen Willen, jede Wirklichkeit in Poesie zu verwandeln. Sie schafft sich die Menschen nach dem Bilde, das sie von ihnen wünscht und braucht. Je mehr ihr das Leben gibt, desto mehr schafft sie sich. Als echtes »Kind« kann sie nichts sehen, wonach sie nicht mit Händen greift, was sie nicht haben will.
Ebenbürtig ihrer naiven Besitzgier war ihre unbegrenzte Liebesfähigkeit …
Die schon erwähnte, der Zeit eigene erotische Atmosphäre, die in ihrer Art kaum vorstellbar ist, forderte auch von Bettina Tribut … Ihr, der »Braunen, Vermessenen«, begegneten wieder und wieder Männer, die ihr schwärmerisch huldigten und auch ihr gefielen …
Mit ihrer von phantastischer Leidenschaft trunkenen Liebe zu Goethe hatte sie das Äußerste und Höchste erreicht, was ihr erreichbar und ausdenkbar war … Erreichbar? War in ihm wahrhaftig ihre Mignonsehnsucht erfüllt? Gehörte er ihr in Wahrheit und Wirklichkeit? War da nicht ein Kranz blühender Frauen und Mädchen, die ihn umlockten und umschwärmten? Eine Ziegesar, eine Gotter, ein Minchen Herzlieb, eine Seidler und wie sie alle hießen, mit denen er äugelte und liebelte und dichtete? Ihre Eifersucht war wach! Nein, sie will ihn nicht mit anderen teilen! Ihr allein muß er eigen sein! Wohl mahnt die Frau Rat: »Sei aber nicht gar zu toll mit meinem Sohn, alles muß in der Ordnung bleiben!« Bettina aber setzt dagegen: »Ich bin erzürnt über alle Menschen, die mit ihm zu tun haben.« … Wie sich abfinden? Was für ein Gleichnis hatte da neulich ein Frankfurter Bekannter auf Goethe angewendet? Er verglich ihn mit dem Rheinstrom, dem in seinem Lauf von links und rechts alle Flüßlein und Flüsse zueilen. So auch unser Goethe: »Wo er geht und steht, wo er gewesen ist und wo er hinkommt, da ist immer was Liebes, was den Strom seiner Begeisterung anschwellt.«
Und hatte nicht auch sie ihre Freunde? Sie überschlug fast heiter ihre großen und kleinen Liebeserlebnisse, vom Gärtner in Großmutters Garten, von den Marburger Studenten bis zu den Freunden des Bruders Clemens, bis zu Savigny. Seltsam, daß dieser Verschlossene und Fertige sie anzog! Je näher er ihr kam, auch als Schwager, um so mehr lernte sie ihn schätzen, aber doch nicht eigentlich lieben. Ihre Achtung gehörte dem still seines Wegs gehenden, zielgewissen Mann, der keinem ganz gehört, nur sich selber. Auch dem Clemens ging es nicht anders mit ihm. Was Savigny an Achtung gewann, verlor er an Zuneigung. Alles Gediegene, Bürgerliche war ihr verdächtig. Wo Bettina nicht lieben konnte, überwog bald die Abneigung jede Anziehung, verwandelte sich in unduldsame Kritik, wo nicht in Schlimmeres, in Feindseligkeit.
Da war der Arnim ein anderer Kerl! So oft sie an ihn dachte, sah sie gleich den Bruder und ihn als Rheinfahrer, reisende Studenten und Poeten vom Juni 1802. Kein trockener Pedant und Philister, der Arnim, sondern ein echter Poet und ein Mann aus einem Guß! Männlich schön, von hohem, edlem Wuchs, freimütig, feurig und mild. Eine ritterliche Erscheinung – jeder Zoll, innerlich und äußerlich. Die Kunst, so ernst er sie nahm, blieb ihm wie ihr immer ein romantisches Spiel …
Ein ausnehmender Familiensinn verband alles, was Brentano hieß, und ein nicht geringer Wohlstand, verbunden mit einer beneidenswerten Beweglichkeit, begünstigten es, daß Verwandte und Freunde sich immer wieder am dritten Ort zusammenfanden. So im Sommer 1808, wo die Familie von ihrem Landsitz in Winkel am Rhein aufbrach und sich in Schlangenbad im Taunus für einige Wochen niederließ. Auch Bettina war mit von der Partie und wurde schnell Mittelpunkt der Badegesellschaft, die sie zum Ziel ihrer extravaganten Späße und nicht immer schonenden Spöttereien machte. Ausflüge über Land wechselten mit Fahrten auf dem Rhein. Am 4. August kam auch Arnim aus Heidelberg angereist. So sehr sich Bettina auf das Wiedersehen mit dem Freund freute, sie konnte es sich nicht verhehlen und es beunruhigte sie, daß er nur ihretwegen kam. Ihr gegenseitiges nahes Verhältnis – der Bruder und der Freund hatten sie in ihren engen Bund aufgenommen und ein reger Briefwechsel hatte den dreifachen Bund befestigt – drängte zur Aussprache, Klärung und endgültigen Entscheidung. Ihre hochgespannte Liebe zu dem Einzigen, zu »ihrem« Dichter, zu Goethe, mußte unerschüttert bleiben. Arnim oder Goethe – gab es da überhaupt eine Wahl? Goethe über alles! … Traute sie sich die himmlische und die irdische Liebe zu vereinigen? Gab es ein Schwanken? Unmöglich!
Schon schwebte die Berufung Savignys nach Landshut. Savigny, seiner inneren Bestimmung zum Gelehrten getreu, nahm, wie er nicht anders konnte, die Ordentliche Professur in Landshut an. War es nicht auch für Bettina ein Wink des Schicksals? Sie ließ sich so gerne von solchen magischen Winken bestimmen und leiten.
Am 13. September 1808 starb die Frau Rat in Frankfurt, Bettinas nächste und beste Freundin, die sie als Adoptivtochter unmittelbar, fast blutsmäßig mit Ihm, dem Sohn und ihrer beider Abgott, verband. Traurig und schmerzhaft genug, daß auch dieses Band reißen konnte! Was tun? Es durfte nicht reißen, was sie in Jahren hochgestimmten Glücks der engsten geistigen Verbundenheit mit Weimar, mit Goethe verknüpft hatte. Stand nicht der Sinn ihres ganzen Daseins, ihres poesiegewordenen Lebens auf dem Spiel?!
Gewaltsam, sprunghaft, eingebungsmäßig entschied sich Bettina für den Abgott ihrer Phantasie, für Goethe. Sie entschloß sich, die Familie Savigny nach Landshut zu begleiten.
In Aschaffenburg nahm Arnim von Bettina Abschied, ohne daß es zwischen den beiden zu klarer Entscheidung gekommen war …
Als die Familie Savigny in Landshut eintraf, stellte es sich heraus, daß die Möbel noch nicht angekommen waren. Man fuhr also kurz entschlossen nach München weiter, das am 27. September erreicht wurde. Bei einer alten Freundin der Familie Brentano, in der Rosenstraße, wurde Bettina einquartiert. Bis die Eltern Savigny sich in der kleinen Universitätsstadt an der Isar eingerichtet hatten, sollte sie in der bayrischen Hauptstadt die zwei kleinen Kinder der Schwester im Alter von einem halben und drei Jahren betreuen.
Das »Kind« als Hüterin und Erzieherin von zwei kleinen Kindern – ein neues Bild! Aus den peinlich genauen, oft lustigen Berichten, die sie, zeitweise täglich, aus der Kinderstube den Eltern schickt, läßt sich ersehen, daß Bettina ihre neue, ungewohnte, verantwortungsvolle Aufgabe mit Lust und liebevollem Verständnis angriff und erfüllte.
Dreiundzwanzig Jahre war Bettina alt, als sie nach München kam. Gern wüßte man mehr über ihr inneres Leben in den Jahren 1808 bis 1811 als die erhaltenen spärlichen Zeugnisse verraten. Es waren und wurden je länger je mehr Jahre des Ringens und Reifens. Es war ein Doppelleben, das sie führte, schwer zu ergründen und faßbar zu machen. Während sie die ihr anvertrauten Kinder beaufsichtigt, bemuttert und auf ihre Spiele eingeht, baut sie mit gesteigertem Schwung weiter an dem Tempel, in dem sie das von ihr geschaffene Götterbild verehrt … Zu Hilfe kam ihr bei ihrem phantastischen Dasein in verschiedenen Sphären zugleich – die Kunst. Schon immer war die Musik ein, wenn nicht das Urelement ihrer durch und durch künstlerischen Natur. Jetzt erst recht schlug die Musik die Brücke zwischen Tag und Traum. Sie nahm Musikstunden wie schon einst in der »Grillenhütte« zu Offenbach. Ihre schöne Altstimme wird des öfteren gerühmt. Ihre Ausbildung leitete auf seinen eigenen Wunsch der Komponist und Bayrische Hofkapellmeister Peter von Winter. Ein Münchner Brief vom Januar 1809 zeichnet sehr anschaulich den Verlauf ihres Vormittages. »Alle Morgen um halber acht auf, frühstücke, dann Klavier gespielt bis elf, vor lauter Hunger und Eifer eine Tasse Schokolade getrunken, kömmt Winter, wird gesungen bis halb ein Uhr« … Ein Gast, der oft zu Bettina kam, schildert ebenso lebendig einen Abend bei ihr. »Am schönsten war es, wenn der alte, kolossale Kapellmeister Winter kam und ihr Singunterricht gab. Wenn er kam, sagte sie ihm so viel Artigkeiten, daß der alte Riese ganz freundlich wurde, sich ans Klavier setzte und nun anfing, auf dem Klavier herumzuschlagen und mit den großen Händen darauf loszuhämmern, daß jedesmal nachher der Flügel verstimmt, oft auch die Saiten gesprungen waren. Wenn sie nun neben ihm stand und sang, so sah sie aus wie ein klein Kind, da stellte sie sich einen Stuhl hinter ihn und stieg hinauf und schlug mit einer Rolle Noten den Takt auf seinem großen Kopf, der reichlich mit weißen Haaren bedeckt war, die aber abstanden wie bei einem Stachelschwein und auch so hart wie Schweineborsten waren. Neben ihm stand seine ebenfalls kolossale Schnupftabaksdose, aus der er sehr häufig Prisen nahm, aber doch so viel danebenkommen ließ, daß, wenn er nach der Unterrichtsstunde aufstand, man genau die Form seiner großen Füße auf dem Boden sehen konnte. Manchmal wurde er über der Bettine ihren Mutwillen, besonders aber über das Taktschlagen auf seinem Kopf mißmutig und stand erzürnt auf und wollte gehen. Wie der Blitz aber hatte die Bettine die Türe schon abgeschlossen, besänftigte ihn und ließ ihn nicht zu Worte kommen und nach einem Glas Zuckerwasser, das sie ihm recht süß machte, hörte der Vulkan auf zu toben, setzte sich, und die Stunde nahm wieder ihren Fortgang.« …
Sehr bezeichnend für den schnellen Wechsel, dem ihre Schätzung von Menschen und Dingen unterworfen war, sind ihre Beziehungen zu dem bekannten Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi, der mit seinen zwei Schwestern in München wohnte. Jacobi war eine in der literarischen Welt hochangesehene Persönlichkeit. In den Jahren 1771 und 1773 war er ein gern gesehener Gast im Hause Laroche in Ehrenbreitstein. Wie mit Bettinas Mutter und Großmutter war er auch mit Goethe befreundet gewesen. Zumindest eine Anstandsvisite war sie ihm schuldig. Schon Ende September ließ sich Bettina von ihrem Schwager Savigny zu dem alten Herrn begleiten, der, 1805 an die Kgl. Bayr. Akademie der Wissenschaften berufen, seit 1807 ihr Präsident war … Jacobi war zugleich Philosoph und Poet. Als Vertreter einer ihm eigenen Gefühlsphilosophie, die gegenüber der dürren Verstandesaufklärung des 18. Jahrhunderts den Standpunkt des Glaubens vertrat, bekämpfte er den Atheismus Spinozas, neuerdings auch Fichtes. Zwei Romane von ihm, »Allwill« und »Woldemar«, fanden viel Beachtung, wurden auch viel befehdet: die zünftigen Philosophen ließen ihn nicht als ihresgleichen gelten, den Poeten war er zu philosophisch. Der Jacobi von damals wird von einem jüngeren Zeitgenossen geschildert als »ein schöner Greis von hoher Gestalt und edlen Zügen; sein Wesen war edel und vornehm zugleich, so daß man ihn eher für einen hochgestellten Staatsmann halten konnte als für einen Philosophen.« Bettina war denn auch beim ersten Besuch frostig berührt. »Jacobis Person flößt keinen Enthusiasmus ein. Ich habe nichts mit ihm gesprochen.« Schon am 3. Oktober lautet es: »Zu Jacobis gehen wir beinahe alle Tage.« Sie gleicht in seinen Augen ihrer Mutter, »in die er auch verliebt war«, so daß auch sie ihm eine sehr angenehme Erscheinung zu sein glaubt. In einem Brief von Mitte Oktober entschuldigt Bettina bereits ihr zutunliches Wesen. Aus der frostigen Ablehnung ist also schon übertriebene Zutunlichkeit geworden, die sich entschuldigen muß, und rasch sich zu Bewunderung und Überschätzung steigert – zu rasch, als daß nicht die Enttäuschung und Ernüchterung beide hätte ablösen müssen. Wieder wie so oft hatte sich Bettinas Einbildungskraft ein Menschenbild zurechtgeschmückt, das vor der Wirklichkeit nicht standhielt. Wie bei ihr üblich, setzte nun die Kritik ein. Bettina weiß allerhand Geschichten von Jacobi, die ihm abträglich sind. Besonders abgesehen hat sie es auf die zwei altjüngferlichen Schwestern, die ihm lieber eine Zipfelmütze als den Kranz Platos aufsetzen …
Erfreulicher und etwas dauerhafter entwickelte sich Bettinas Beziehung zu Ludwig Tieck, einem der Häupter der älteren romantischen Schule. Sie war schon immer angetan von Tiecks Dichtung, konnte z. ;B. »Franz Sternbalds Wanderungen« nicht ohne Rührung ansehen … Tieck besuchte sie häufig in der Rosenstraße und sie hatte auch Gelegenheit, seine hohe Vorlesekunst zu bewundern. Später hat sie ihn auf seinem Krankenlager täglich besucht …
Bettina war nicht nur dichterisch und musikalisch hoch befähigt, sondern hatte auch bildnerische Anlagen. Friedrich Tieck, Ludwigs Bruder, der bekannte Büsten Clemens Brentanos und Ludwig Tiecks schuf, lebte derzeit auch in München. Gern besuchte Bettina den Bildhauer in seiner Werkstatt und ließ sich von ihm und seiner Kunst neuerdings zum Modellieren anregen. Möglich, daß schon damals in ihr der ahnende Wunsch aufdämmerte, ihren vergötterten Goethe in einem Bildwerk zu verherrlichen. Friedrich Tieck schuf auch von dem Philosophen Schelling eine Portrait-Büste.
Bei der hochfahrenden Abneigung, mit der Bettina allen Philosophen und ihren Lehren gegenüberstand, hatte sie gewiß kein geringes Vorurteil gegen Schelling zu überwinden. Ihr Mißtrauen zeigte sich schon bei der ersten Begegnung, nach der sie sich brieflich gegen Arnim sehr abfällig über »Schellings fürchterliches Gesicht« äußerte. Sie wich ihm aus. Aber ihre Neugier auf berühmte Personen war stärker als jede Voreingenommenheit. Schelling war immerhin eine akademische Großmacht, gehörte überdies wie Tieck und die Brüder Schlegel zu den Gründern und Häuptern der Romantischen Schule. Mehr noch war seine Frau Caroline, die frühere Gattin Wilhelm Schlegels, eine geistige und gesellschaftliche Größe des damaligen München. Nicht nur ihre starke Persönlichkeit, auch ihre bewegte Vergangenheit machte sie interessant.
Im Gegensatz zu Bettina, die aus ihrer Abneigung gegen die Philosophie und alle Philosophen kein Hehl machte, war Karoline Schelling als die Muse eines Philosophen, ein im ausnehmenden Sinn philosophisch gerichteter Geist. Dabei war sie alles andere als eine gelehrte Frau, ein Blaustrumpf, vielmehr eine jener Naturen, die Jean Paul als »geflügelt« bezeichnet. Sie gehört zu den seltenen Menschen, deren Wesen sich zwar nicht kurzerhand auf eine eindeutige Formel bringen läßt, sich aber blitzhaft nach seiner Tiefe und Breite durch ein einziges ihrer Worte aufhellt. In einem ihrer Briefe – sie gab ihr Bestes in Briefen – schreibt sie: » … Kritik geht unter, leibliche Geschlechter erlöschen, Systeme wechseln, aber wenn die Welt einmal aufbrennt wie ein Papierschnitzel, dann werden die Kunstwerke die letzten, lebendigen Funken sein, die in das Haus Gottes eingehen – dann erst kommt Finsternis.« Sie verband mit ihrem starken Geist, ihrem ebenso scharfen, wie klaren Urteil eine seltene Anmut der Empfindung und des Ausdruckes; ihrer Phantasie, die nie in Phantastik abirrte, vermählte sich eine fast unbegrenzte Liebesfähigkeit: »Mein Liebesmantel ist so weit, als Herz und Sinne des Schönen gehen.« Zwei Frauen mit so verschiedenen und doch auch wieder in manchem verwandten Anlagen, mußten sich ja bei ihrem Zusammentreffen ebensosehr anziehen, wie schroff abstoßen. Man kann sich denken, mit welcher Spannung eine Bettina Brentano und eine Karoline Schelling ihre erste Begegnung erwarteten. Es lag nahe, daß Bettina sich bei Jacobi, dem Präsidenten der Akademie, nach Schelling erkundigte, der 1806 nach München an die Akademie berufen worden war. Jacobis Antwort fiel so aus, daß sie die Neugier mehr befördern als verringern mußte: »Dieser Mann hat für mich so unendlich viel Anziehendes, daß ich mich vor ihm in acht nehmen muß wie vor den verbotenen Reizen einer Dame.« Bettina lernte das Ehepaar Schelling bei Tieck kennen, fand Caroline so häßlich wie ihren Mann und erging sich in herabsetzenden Reden über beide, verglich Caroline, die immerhin eine, wenn nicht die bedeutendste Vertreterin des romantischen Kreises war, mit einer »abgetragenen Wildschur«. Noch schärfer freilich, wenn auch etwas maßvoller, lautete Carolines Urteil über Bettina. Auch sie ging von dem ihr mißfälligen Äußeren der Rivalin aus, die sich auf den Kopf stelle, um witzig zu sein. Sie macht kein Hehl aus ihrer feindseligen Gesinnung und Abneigung gegen alle Brentanos: »Alle die Brentanos sind höchst unnatürliche Naturen«; sie verglich Bettina mit der pilgernden Törin in den »Wanderjahren«. »Es ist ein wunderliches kleines Wesen … innerlich verständig, aber äußerlich ganz töricht, anständig und doch über allen Anstand hinaus, alles aber, was sie ist und tut, ist nicht rein natürlich und doch ist es ihr unmöglich, anders zu sein. Sie leidet an dem Brentanoschen Familienübel, einer zur Natur gewordenen Verschrobenheit, ist mir indessen lieber als die andern … Unter dem Tische ist sie öfters zu finden wie drauf, auf einem Stuhl niemals. Du wirst neugierig sein, zu wissen, ob sie dabei hübsch und jung ist, und da ist wieder drollicht, daß sie weder jung noch alt, weder hübsch noch häßlich, weder wie ein Männlein noch wie ein Fräulein aussieht.« … Man sieht, die zwei Frauen – jede in ihrer Art über das Mittelmaß ihres Geschlechts vorragend – dachten nicht glimpflich voneinander. Sie scheuten sich leider auch nicht, bei ihren Verunglimpfungen in die Niederungen der Schmähsucht hinabzusteigen. Möglich, daß letzte Ursachen Neid und Eifersucht waren und sie sich gegenseitig den Ruhm nicht gönnten … Oder kündigte sich in ihrer Feindseligkeit schon der sich vorbereitende Bruch in der Romantik an, der in die geistige und gesellschaftliche Einheit des gesinnungsverwandten Kreises eine gefährliche Bresche schlug, durch die bald genug das nachfolgende »Junge Deutschland« siegreich in die Literatur einziehen sollte? …
Fast ein Jahr hatte Bettinas Aufenthalt in München gewährt, sicherlich länger, als ursprünglich geplant war. Erst am 27. September 1809 meldet Savigny aus Landshut seinem Freund Arnim: »Seit vorgestern ist die Bettina wieder hier …« Es war ein Jahr, das Inhalt und Färbung vorherrschend durch die Musik erhielt. Die Ausbildung ihrer schönen Stimme hatte unter Winters Leitung große Fortschritte gemacht. Sie und der Kapellmeister, Schülerin und Lehrer, hatten sich so zusammengelebt, daß Bettina ihn nach Landshut zu Schwager und Schwester mitbrachte. Der ungeschlachte Musiker fürchtete, kein ganz willkommener Zuwachs für Savignys zu sein und ließ sich – für ihn eine große Sache – statt des langen vorsintflutlichen Rocks, der offenbar berüchtigt war, einen kürzeren machen, um »geschwind laufen zu können, wenn Ihr ihn allenfalls jagen solltet«, schreibt Bettina an ihre Schwester Gunda. Überdies war Bettina begleitet von einem begabten jungen Komponisten Peter ;I. ;Lindpaintner aus Kolberg, ebenfalls Winter-Schüler, »achtzehn Jahre alt, blond, gar nicht schön, aber gutmütig, sittsam und sehr kindisch«. Auch ein Mädchen hatte sie gemietet, das alle möglichen guten Eigenschaften besaß, zubenannt »die große Anna«, während Lindpaintner mit dem vielverheißenden Spitznamen »der Leibhusar« angemeldet wurde.
Savignys waren in Landshut bereits heimisch geworden, als Bettina mit ihrem dreifachen Gefolge dort eintraf. Schüler und Kollegen hatten sich schnell an den neuen jungen Professor und seine gastliche, liebenswerte Frau angeschlossen. Das Geheimnis von Savignys großer Beliebtheit erklärt Bettina in einem Brief an Goethe: »Savigny mag so gelehrt sein, wie er will, so übertrifft seine kindliche Freundesnatur dennoch seine glänzendsten Eigenschaften; alle Studenten umschwärmen ihn … So haben auch die meisten Professoren ihn lieb« …
Jung wie Bettina war, hielt sie sich auch in Landshut am liebsten zur Jugend. Schon einst in Marburg, noch zu Lebzeiten der Günderode, schwärmte sie mit den Studenten, denen sie später auch das Erinnerungsbuch an die Freundin widmete. Savigny, ihr Schwager, hatte schon durch seine Stellung als akademischer Lehrer regste und vielseitigste Berührung mit jungen Menschen, die bei ihm Vorlesungen hörten oder sich sonstwie zum Verkehr in seinem Haus empfahlen, wo ein freier, künstlerischer Ton zwischen Alt und Jung herrschte. Studenten aus allen Fakultäten huldigten der »Braunen Vermessenen«, lose und engere Herzensverhältnisse spannen sich an und weiter. Bettina, die sich so gerne »elektrisch« nannte, schickte zündende Funken in viele Sinne und Herzen. Mehr als einer bewahrte das von ihr entzündete Feuer oder doch ein dankbares Leuchten der Erinnerung bis in späte Lebensjahre. Weit über ein Dutzend solcher zarten Neigungen und Schwärmereien sind aus der Landshuter Zeit bekannt. Oft sind nur die Namen der dortigen Anbeter erhalten, Eintagsfliegen, die sich an dem elektrischen Feuer mehr oder minder die Flügel versengten. Ob die Funken bei Bettina selbst stärker oder schwächer brannten, läßt sich oft schwer erraten. Es ist das traurige Vorrecht berühmter Menschen, daß die Nachwelt Kleinstes und Verborgenstes ihres Wesens ans Licht zieht und zerrt, das andere Sterbliche für sich allein behalten dürfen. Es soll und darf hier von solchen Erlebnissen nur das berührt werden, was in Bettinas Entwicklung nachhaltiger eingriff, für sie selbst besonders kennzeichnend ist oder was sich mit Namen verknüpft, die des Gedenkens wert sind …
Schon frühzeitig fiel in der Schar der damaligen Landshuter Studenten, die sich um Savigny sammelten, der Charakterkopf des Mediziners Johann Nepomuk Ringseis auf. Bettina hat den bekannten Romantiker, den angesehenen späteren Arzt und Münchner Professor aus ihrer zugleich bildnerischen und dichterischen Schau nach dem Leben modelliert, als er in Landshut studierte: »Ein Gesicht wie aus Stahl gegossen, alte Ritter-Physiognomie, kleiner, scharfer Mund, schwarzer Schnauzbart, Augen, aus denen die Funken fahren, in seiner Brust hämmert's wie in einer Schmiede, will vor Begeisterung zerspringen; und da er ein feuriger Christ ist, so möchte er den Jupiter aus der Rumpelkammer der alten Gottheiten hervorkriegen, um ihn zu taufen und zu bekehren.« Dieser geborene Arzt und urwüchsige Mann hat noch im späten Alter für Bettina ein ebenso warmherziges wie gerechtes Bekenntnis abgelegt, das ihm und ihr alle Ehre macht: »Es hat mich nie ein zarteres Gefühl an sie gefesselt, wohl aber beseelte mich bald staunende Bewunderung über ihre sprudelnde, unvergleichliche Genialität, ihren tiefsinnigen Witz, für den sicheren Anstand, womit sie die geniale Freiheit ihrer Bewegung zu begleiten wußte, so daß ihr ohne Zweifel niemand unehrerbietig zu begegnen wagte, und warme Freundschaft erregte mir die wohlwollende Güte, sowie die Rechtschaffenheit ihres Wesens, welcher die vielleicht zu kühnen, manchmal zu schalkhaften poetischen Licenzen und dichterisch ausschmückenden Arabesken und Humoresken in ihren Schriften keinen Abbruch taten.«
Ein Schüler Savignys und zugleich ein begeisterter Musiker war der aus dem Allgäu gebürtige Alois Bihler. Er unternahm es, Bettina auf ihren Wunsch in der Harmonielehre zu unterrichten, und die beiden studierten und komponierten miteinander um die Wette. Auch er hat in seinen Jugenderinnerungen Bettinas mit Anhänglichkeit und ehrlicher Bewunderung gedacht. Über den Gesangsunterricht, der ihre Stimme zu der ihr von Natur eigenen Schönheit emporbildete, erzählte er: »Selten wählte sie geschriebene Lieder, singend dichtete sie und dichtend sang sie mit prachtvoller Stimme eine Art Improvisation.« Gewöhnlich sei sie während des Musizierens auf einem Schreibtisch gesessen und habe von oben herab gesungen: »wie ein Cherub aus den Wolken«. Er fährt dann fort: »Ihre ganze Erscheinung hatte etwas Besonderes. Von kleiner, zarter und höchst symmetrischer Gestalt, blassem klaren Teint, weniger blendend schönen als interessanten Zügen, mit unergründlich dunklen Augen und einem Reichtum langer schwarzer Locken schien sie wirklich die ins Leben getretene Mignon oder das Original dazu gewesen zu sein. Abgeneigt modischem Wechsel und Flitter, trug sie fast immer ein schwarzseidenes, malerisch in offenen Falten herabfließendes Gewand, wobei nichts die Schlankheit ihrer feinen Taille bezeichnete als eine dicke weiße oder schwarze Kordel, deren Ende ähnlich wie an Pilgerkleidern lang herabhing … Fast immer traf sie der Eintretende auf niedrigen Fenstertritten oder Fußbänken sitzend, bequem zusammengekauert, einen Band aus Goethes Werken auf dem Schoße haltend … Ihr reicher Geist, ihre sprudelnde Regsamkeit, voll poetischer Glut und Phantasie, verbunden mit ungesuchter Anmut und grenzenloser Herzensgüte, machten sie im Umgang unwiderstehlich. Großmut, diese gemeinsame Eigenschaft genialer Naturen, trat auch bei ihr in glänzender Weise hervor.«
Nicht nur die jungen Herzen gewann Bettina in Landshut im Sturm, auch alte und ältere Professoren wußte sie für sich einzunehmen. Unter den Professoren war der Philosoph Jacob Salat bekannt und gefürchtet für seine scharfe und spitzige Zunge. Zeitlebens sah er »die kleine fliegende Gestalt mit dem ganz eigenen Ausdruck von Geistigkeit« vor sich. In Savignys Haus erwarb sich Bettina auch die Sympathie des berühmten Theologie-Professors Johann Michael Sailer, des späteren Bischofs von Regensburg. Sie lernte ihn bei Jacobi kennen, der ihn als »göttlichen Philosophen« mit Plato gleichsetzte.
Bettina wird nicht müde, des alten kleinen, wie Marburg an seinen Burgberg hingelagerten Universitätsstädtchens an der Isar zu gedenken: »Ach, liebes Landshut, mit Deinen geweißten Giebeldächern und dem geplackten Kirchturm, mit Deinen Springbrunnen, aus deren verrosteten Röhren nur sparsam das Wasser lief, um den die Studenten bei nächtlicher Weile Sprünge machten und sanft mit Flöte und Guitarre accompagnierten und dann aus fernen Straßen singend ihre Gute Nacht ertönen ließen … Man sieht sich hier täglich, und zwar mehr wie einmal. Abends begleitet der Wirt vom Haus seine Gäste mit angezündetem Wachsstock einen jeden bis zu seiner Haustür, gar oft habe ich die Runde mitgemacht.« Hört man nicht die Schritte hallen in den verträumten, winkeligen Gassen, hört die Glocke vom Turm der St. Martinskirche in der Nachtstille verschweben? Ist's nicht wie ein Bild von Spitzweg, so anheimelnd und versponnen? …
Aber man schreibt 1809! Während Bettina mit dem alten Sailer den Kirchberg hinansteigt, mit der schwärmenden Jugend um den Springbrunnen tanzt, droht im Westen mit zuckenden Blitzen ein neues Kriegsgewitter herauf. Noch wuchtet ja der dämonische Alpdruck Napoleon auf den geknechteten, knirschenden Völkern Europas. Der österreichisch-französische Krieg steht unmittelbar vor der Tür. Auch nach Bettina und den Ihrigen greifen die Sorgen und Nöte der bitterschweren Zeit …
An der Erscheinung Napoleon scheiden sich die Geister.
Schon zur Zeit der Günderode, als Bonaparte seine ersten Siege erfocht, war es nicht anders. Sogar die Freundin und sie, in so vielem einig, waren verschiedener Meinung über den gewalttätigen, welterschütternden Eroberer. Bettinas früherwachter Freiheitssinn sträubte sich gegen den despotischen Korsen, der die Völker blutig schlug und unterjochte. Die Günderode, die weiche, bestimmbare, gehörte zu seinen Bewunderern, so sehr Bettina sie schalt und sie eines Besseren zu belehren suchte … Erst recht in Bayern, wo das Königshaus in nahen verwandtschaftlichen Beziehungen zu Napoleon stand, ging der Riß des Für und Wider durch die ganze gebildete Gesellschaft. Bettina und die Ihrigen waren, wie auch Arnim, der preußische Junker, gute deutsche Patrioten; im übrigen neigte der akademische Kreis überwiegend zu den Franzosen. Bettina hielt sich in mündlichen und brieflichen Gesprächen nach Möglichkeit jeder Politik fern. War ihr die Politik zu wesensfremd, hatte ihr ohnehin gespaltenes Innenleben nicht Raum dafür? Politik will mit dem Verstand gemacht und erfaßt sein. Nur wo Bettinas Herz das letzte Wort haben durfte, war sie bei einer Sache. Einstweilen war ihre politische Stunde noch nicht gekommen …
10. Caroline v. Günderode
11. Georg Friedrich Creuzer
Zu den Freunden ihrer Mutter gehörte Graf Lothar Stadion, der österreichische Gesandte am bayrischen Hof, ein aufgeschlossener Weltmann, durch Bettinas Großeltern Laroche über seinen Großvater freundschaftlich, ja verwandtschaftlich mit ihr verbunden. Stadion gehörte nicht nur durch seine diplomatische Sendung, sondern aus Überzeugung zu den ausgesprochenen Gegnern Napoleons. Kein Zweifel, daß in den Gesprächen, die Bettina bei den gegenseitigen Besuchen mit dem wohlunterrichteten Staatsmann führte, auch die gespannte, sich zu einem Krieg zuspitzende Weltlage häufig Gegenstand der Unterhaltung war und sie von ihm Rat und Aufklärung empfing. »Du kennst vielleicht«, schreibt sie an Goethe, »oder erinnerst Dich doch gesehen zu haben, einen Grafen Stadion, Domherr und kaiserlicher Gesandter, von seinen Freunden der ›schwarze Fritz‹ genannt. Er ist mein einziger Freund hier, die Abende, die er frei hat, bringt er gern bei mir zu, da liest er die Zeitung, schreibt Depeschen, hört mir zu, wenn ich was erzähle, wir sprechen auch oft von Dir; ein Mann von kluger, freier Einsicht, von edlem Wesen« …
Obwohl endgültig zu Schwager und Schwester nach Landshut übergesiedelt, hatte Bettina immer noch ihr Quartier in der Münchner Rosenstraße beibehalten und wechselte ihren Aufenthalt auf längere oder kürzere Zeit zwischen den beiden Städten. Die rege Korrespondenz unter den Geschwistern enthält außer dem Alltäglichen und Persönlichen auch mancherlei politische Anspielung, die in den absichtlichen, für die Zensur berechneten Dunkelheiten wichtige Personen und Vorgänge unter Decknamen versteckte. So wird z. ;B. Napoleon als »der Verwalter« eingeführt.
Mitte März verließ Graf Stadion München. Seine Mission, die darauf abzielte, Bayern von Napoleon zu trennen, war gescheitert; der Ausbruch des Krieges unzweifelhaft. Bange Wochen folgten für das mit Napoleon verbündete Bayern; die französischen Heerhaufen wälzten sich mit wachsender Schnelligkeit gegen seine westlichen Grenzen. Was wird aus Landshut werden? Bettina, in steter, steigender Sorge um die Familie Savigny, rät dem Schwager und der Schwester, sich ein Notquartier in dem sichereren München von ihr besorgen zu lassen, bis die nächste und schlimmste Gefahr vorüber sei.
Schlag um Schlag folgten sich im April die Ereignisse. Um Landshut tobten erbitterte Kämpfe mit wechselndem Kriegsglück. Der Erfolg blieb bei Napoleon, der am 21. April dort einzog.
Bettinas Hauptsorge galt ihrer Schwester Gunda, die ihr drittes Kind erwartete. Ein Brief von ihr aus diesen Tagen an Savigny spricht von ihrer großen Unruhe und Besorgnis: »Wenn es mir möglich gewesen wäre, so würde ich gewiß zu Euch gekommen sein, um jedes Schicksal mit Euch zu teilen, da meine Natur gar nicht furchtsam ist, ich hätte der Gundel von großem Trost sein können.« … Noch weiß sie nicht, wie die Geschwister durch die Schrecken der Zeit gekommen sind … Inzwischen stand es bei Savignys viel trauriger, als sie ahnen konnte. Die Kämpfe um Landshut hatten sie schwer mitgenommen. Besonders hatte Gunda unter Angstzuständen zu leiden, die sich bis zu Krampfanfällen steigerten und sie auch ihrer Mutterhoffnung beraubten … Bettina tut, was in ihren Kräften steht, um die Geschwister aus ihrer schweren Niedergeschlagenheit und Melancholie aufzurichten. Bei alledem vergißt sie nicht die kleinen Savignys, die so lange ihrer Obhut anvertraut waren: »Haltet mir meine Kinderchens warm in meinem Andenken!«
Mit fieberhafter Anteilnahme folgt Bettina dem weiteren Kriegsgeschehen. Ihre ersten Hoffnungen auf ein rasches, glückliches Ende des Feldzuges werden bald bitter enttäuscht. Der Blitzfeldzug Napoleons vollzieht sich binnen weniger Wochen peinlich genau und programmäßig … Schon wird um Wien gekämpft. Am 6. Juni beklagt Bettina sich gegenüber Gundel über täglich zunehmendes Herzklopfen und meldet zuversichtlich, eine entscheidende Schlacht stehe unmittelbar bevor. Alle Truppen wurden nach Wien gezogen: »Es geschähe gewiß nicht, wenn nicht die besten Anstalten zum Sieg getroffen wären.« Wenige Tage später – und die Entscheidungsschlacht zwischen Österreich und Frankreich ist bei Wagram zugunsten Napoleons entschieden. Der Waffenstillstand zu Znaim vollendet die Niederlage Österreichs, die kurz darauf durch den Wiener Frieden besiegelt wird.
Alle deutschen Patrioten, und mit ihnen Bettina, ließen sich nicht entmutigen. Ihre Hoffnungen klammerten sich an den seit 1808 entflammten und immer verbisseneren Krieg auf der Pyrenäen-Halbinsel, der als untrügliches Vorzeichen gelten konnte, daß die Macht Napoleons nicht unüberwindbar war. Bald genug wiederholt sich in nächster Nähe ein ähnliches ermutigendes Schauspiel: das kleine Bergvolk der Tiroler, das treu zu seinem Kaiser und seiner Kirche hielt, erhob sich wie ein Mann gegen die Unterdrücker, geführt von Andreas Hofer, dem Wirt aus dem Passeier Tal. Der Kampf der Tiroler um die Freiheit war so recht nach Bettinas Sinn. Ihr freiheitsliebendes Herz loderte hoch auf und sofort setzte ihre persönliche Hilfsbereitschaft ein. Sie schrieb nach allen Seiten und warb für die Tiroler Freiheitshelden … Bei einer Karnevals-Festlichkeit hatte sie den Kronprinzen von Bayern kennengelernt, den nachmaligen König Ludwig ;I. Ihr Klavierlehrer, der Kammermusikus Bopp, der auch den Kronprinzen unterrichtete, mußte den Mittelsmann abgeben und zugunsten der gefangenen Tiroler Bettinas schriftliches Fürwort weiterleiten. Auch in ihren Briefen an Goethe gedenkt sie wieder und wieder der tapferen Tiroler: »Ach hätt' ich ein Wämslein, Hosen und Hut, ich lief hinüber zu den gradnasigen, gradherzigen Tirolern und ließ ihre schöne grüne Standarte im Winde klatschen … Zur List habe ich große Anlage, wenn ich nur erst drüben wäre, ich könnte ihnen gewiß Dienste leisten« … Aus all den vielen und menschlichen Wirrnissen, in die Bettina und ihre Landshuter Geschwister seit Kriegsausbruch verflochten waren, schenkte ein freundliches Schicksal einen unerwartet günstigen Ausweg. Im Frühjahr 1810 erhielt Savigny den ehrenvollen Ruf an die neugegründete Universität Berlin, die unter der Ägide Wilhelm von Humboldts die geistige Erneuerung Preußens einzuleiten und zu führen berufen war …
Die Stunde des Abschieds von dem alten, liebgewordenen Landshut war auch für Bettina fast über Nacht gekommen. Es wurde beschlossen, über Wien, wo damals Bettinas ältester Bruder und seine Frau Toni wohnten, auf das in Böhmen gelegene Familiengut Bukowan zu reisen, das ihr Bruder Christian Brentano, der Spielgefährte früher Kinderjahre, bewirtschaftete.
Der Abschied von Landshut wurde für Savigny ein Triumph seiner großen Beliebtheit; für Bettina das schmerzliche Zerreißen vieler freundschaftlicher Bande …
»Kurz nach Ostern reisten wir ab.
Die ganze Universität war in und vor dem Hause versammelt, viele hatten sich zu Wagen und zu Pferde eingefunden; man wollte nicht so von dem herrlichen Freund und Lehrer scheiden. Es ward Wein ausgeteilt, unter währenden Vivatrufen zog man zum Tor hinaus, die Reiter begleiteten das Fuhrwerk.
Auf einem Berg, wo der Frühling eben die Augen auftat, nahmen die Professoren und ernsten Personen einen feierlichen Abschied; die Andern fuhren noch eine Station weiter, unterwegs trafen wir alle Viertelstunde noch auf Partien, die dahin vorausgegangen waren, um Savigny zum letzten Mal zu sehen. Ein junger Schwabe, Nußbaumer, die personifizierte Volksromantik, war weit vorausgelaufen, um dem Wagen noch einmal zu begegnen; ich werde das nie vergessen, wie er im Feld stand, sein kleines Schnupftüchelchen im Wind wehen ließ und die Tränen ihn hinderten, aufzusehen, wie der Wagen an ihm vorbeirollte; die Schwaben habe ich lieb.«
Man fühlt den Stolz Bettinas auf den Schwager und ihre kindliche Freude über den pomphaften Abschied, der ja nicht zum wenigsten auch ihr galt. Sie gibt eine ganze Liste des anhänglichen Studentengefolges, versieht jeden ihrer Lieblinge mit ein paar Kennworten, die ihn und sie charakterisieren. An der Spitze steht der Mediziner und treue Hausfreund Ringseis, der zweite ein Herr von Schenk, hat weit mehr feine Bildung, hat Schauspieler kennenlernen, deklamiert öffentlich, war verliebt ganz glühend, mußte seine Gefühle in Poesie ausströmen. Nach dem Italiener Salvotti – schön im weiten grünen Mantel, glühende Regsamkeit im Ausdruck – und nach dem kindlich-schüchternen Freiherrn von Gumpenberg folgt als fünfter Max Prokop von Freyberg, »zwanzig Jahre, große männliche Gestalt, als ob er schon älter sei, ein Gesicht wie eine römische Gemme, geheimnisvolle Natur, guckt nachts zum Fenster hinaus nach den Sternen, übt eine magische Gewalt auch über die Freunde« … Auch über Bettina, wie sich bald herausstellen wird …
In Salzburg wird genächtigt: »Es war schauerlich, die glattgesprengten Felsen himmelhoch über den Häusern hervorragen zu sehen, die wie ein Erdhimmel über der Stadt schwebten im Sternenlicht …« Bettina ist überwältigt von dieser Nacht in der Fremde, die über alles ihren Zaubermantel geworfen hat … »Das ganze Firmament schien zu atmen; ich war über alles glücklich.« Die Salzburger Tage werden ihr zu einem großen Erlebnis, das sie Goethe mit begeisterten Worten schildert. »Wie kann ich Dir nur von diesem Reichtum erzählen, der sich am andern Tag vor uns ausbreitete? – Nein, wo sich der Vorhang allmählich vor Gottes Herrlichkeit teilt, und man sich nur verwundert, daß alles so einfach ist in seiner Größe. Nicht einen, aber hundert Berge sieht man von der Wurzel bis zum Haupt ganz frei, von keinem Gegenstand bedeckt, es jauchzt und triumphiert ewig da oben, die Gewitter schweben wie Raubvögel zwischen den Klüften, verdunkeln einen Augenblick mit ihren breiten Fittichen die Sonne … In den kühnsten Sprüngen, von den Bergen herab bis zu den Seen, ließ sich der Übermut aus, tausend Gaukeleien wurden ins Steingerüst gerufen, so verlebten wir wie die Priesterschaft der Ceres bei Brot, Milch und Honig ein paar schöne Tage; zu ihrem Andenken wurde zuletzt noch ein Granatschmuck von mir auseinandergebrochen, jeder nahm sich einen Stein und den Namen eines Berges, den man von hier aus sehen konnte, und nennen sich die Ritter vom Granatorden, gestiftet auf dem Watzmann bei Salzburg …«
Einem hätte sie wohl am liebsten den ganzen Granatschmuck geschenkt wie ihr ganzes Herz – dem großen, männlich-schönen Max Freyberg mit dem Gesicht einer römischen Gemme. Freyberg begleitete die Reisenden noch eine Station weiter als die übrigen Ritter vom Granatorden, bis Neumarkt. Unter dem Sternenhimmel in Salzburg und in der nächtlichen Wallfahrtskapelle zu Altötting hatte sich die Beziehung zwischen ihm und Bettina zu einer Leidenschaft entwickelt, wie sie so ekstatisch und sinnlich-übersinnlich nur Bettina wecken und leben konnte. Der vier Jahre jüngere Freyberg war streng religiös, und die einfühlsame Bettina sammelt, was von religiösen Empfindungen in ihr ist und steigert sich und ihn in eine schwindelhohe, mystische Gefühlswelt. Sie wollte einst, fast noch als Kind, mit der Günderode die Stifterin einer »schwebenden Religion« werden. Glaubte sie, in der Liebe zu Freyberg, »dem Götterjüngling« und »dem Engel Gottes«, die Erfüllung dieses höchsten Ideals und fernsten Traums ihrer Phantasie zu finden? – Eines Ideals, das christliches Rittertum und hellenische Schönheit vermählte und in den erhabensten Symbolen beider schwelgte?
Das fast abenteuerliche Liebeserlebnis mit Freyberg, das sich kaum in Worten ausdrücken läßt, und weiter ausgemalt leicht die Grenze des Takts verletzen möchte, war Höhepunkt und Schlußzeichen von Bettinas jugendlich-überschwenglichen Schwärmereien der glücklichen Landshuter Zeit …
Und Goethe!?
Unwillkürlich und gebietend drängt sich die Frage auf angesichts eines Liebesabenteuers, ja einer Liebesirrung wie derjenigen der 24jährigen Bettina mit dem vier Jahre jüngeren Max von Freyberg … Sind das noch kleine, entschuldbare Verliebtheiten, die sie sich bekanntlich nicht scheut, gelegentlich sogar selber, halb lachend, halb weinend dem Einzigen in Weimar zu gestehen? Ist diese Landshuter Bettina, die einem blitzjungen Studenten den Kopf verdreht mit einer Leidenschaft, die in die höchsten religiösen Regionen greift, noch dieselbe, die einst als »Mignon« in verzehrender, abgründiger Sehnsucht verging? Ist das noch das verträumte Kind, das nicht rastete und ruhte, bis es an der Brust des Ersehnten, des Einen und Einzigen, seines Dichters, einschlief? Ist es dieselbe, oder ist aus der innigsten Treue die loseste Untreue geworden? War die feurigste Liebesleidenschaft doch nur, wie es ein lüsterner, spöttisch lachender Weltmensch einmal hieß, »Gehirnsinnlichkeit«? Soll die rührende Kindlichkeit recht behalten oder die bewußte oder unbewußte Gefallsucht des voll entfalteten Weibes?
Ja und nein! Nein und ja!
Die heranreifende Bettina versucht es, wie schon das »Kind«, das Unmögliche möglich zu machen, das Märchen in Wirklichkeit zu verwandeln, die Poesie in Wahrheit; die Phantasie, zur Alleinherrscherin zu erheben – allem Menschlichen Allzumenschlichen zum Trotz, abseits des nüchternen Alltags und seiner auch allmächtigen Gesetze und Bedingtheiten. Mit feurigen Buchstaben steht über Bettinas Dasein das wegweisende, sie und ihr Leben deutende Wort: »Mein Glaube ist mein Zauberstab, durch ihn erschaff ich meine Welt, außer welcher mir alles fremd ist, und ich hege keinen Zweifel, daß ich nur in ihr wirklich lebe. Mein Denken ist wundertätig; ich spreche mit Dir, ich sehe in Dich hinein, mein Gebet ist, daß ich meinen Willen stärke, Dich zu denken.« – In diesen Sätzen ist alles enthalten, was ihre Liebe zu Goethe, ihre einzigartige Phantasieleidenschaft ausmacht: Ein Glaube von religiöser Inbrunst, der Glaube als Berge versetzender Wille; Magie, Mystik, Religion, Romantik an sich, »Über allem Zauber Liebe«. Wer nicht diesen magischen Glauben glauben kann, der kraft der Phantasie Berge versetzt, Steine in Brot verwandelt, dieses einzigartige Phänomen begreift und anerkennt, bleibt von seinem Verständnis ein für allemal ausgeschlossen, muß verzichten, Bettinas Geheimnis zu ergründen.
Wochen, Monate, Jahre lang, tagaus, tagein behauptet Bettina in trotzig kühnem, zähestem Ringen diese Märchenliebe, diesen wahrhaft unglaublichen Glauben an ihren Dichter. In einem ihrer Briefe ruft Bettina einmal Goethe an als ihren »Magnetberg«, ruft, nein, betet: »Wollt' ich auch da- und dorthin die Fahrt lenken, an Dir würden alle Schiffe scheitern.« An ihre Schwester Gunda, neben Clemens das vielleicht vertrauteste, weil wesensverwandteste ihrer Geschwister, schreibt sie am 9. Februar 1809, also zur Landshut-Münchener Zeit, von einer Einladung Goethes und nennt ihn »unsichtbarerweise – das Leben ihres Lebens«; gesteht, sie würde verzweifeln vor Sehnsucht, wenn sie nicht die Hoffnung hätte, ihm einmal mit ihrem Gesang das Herz zu rühren. Sie meint da den Gesang als eigensten und stärksten Ausdruck ihres durch und durch musikalischen Wesens … Jener Anruf des »Magnetberg« und dieses Bekenntnis zum Leben ihres Lebens bekunden und bezeugen unweigerlich und unerschütterlich, daß kein Freyberg oder Arnim oder wer immer es sei, Recht hat über ihr heiligstes, unantastbares Goethe-Erlebnis. So hält sie es mit sich und verlangt es so von sich und anderen. In dem täglichen und immerwährenden Kampf zwischen Tag und Traum entscheidet sich diese »Besessene«, die »Mignon«, diese Zauberin immer wieder für den Goethe ihrer Phantasie. Wie irdisch und himmlisch in einem dies Liebeserlebnis empfunden ist, verrät die Nachschrift im Brief an Gunda: »Goethe soll viel jünger und schöner geworden sein, vielleicht den Sommer in Karlsbad – nicht, lieber Savigny?? Wenn wir nach Bukowan reisen?« Die Frage spielt offenbar an auf die von ihr erträumte neue persönliche Begegnung in Karlsbad oder in Weimar oder sonstwo …
Ihre Mignonsehnsucht ist also unverrückbar lebendig und selbstgewiß wie je. Früher oder später wird sie zu ihrem Goethe finden! … Es wird dann freilich der leibhaftige sein, der Sechzigjährige der Wirklichkeit, nicht der Unsterbliche der Phantasie des »Kindes«. Zwischen Tag und Traum wird dann die letzte Entscheidung fallen … wird sie wieder wie 1805 in seinen Armen, an seinem Herzen ruhn!?
Ist sie nicht schon auf dem Weg zu ihm? Es wird der Weg nicht bloß über Wien und Bukowan sein, sondern auch über Beethoven und Achim von Arnim. Weiß sie um die Schicksalsstunde? »Was ich tun muß, das wird geschehen.
Ich habe einen begeisterten Glauben an mich!«
Der Magnetberg zieht und zieht – werden alle Schiffe an ihm scheitern? Oder scheitert ihr eigenes!? …