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Siebenunddreißigstes Kapitel

Um die militärische Lage kümmerte sich Abdulla sehr wenig; er meinte mürrisch, es sei Faisals Sache, sich damit zu befassen. Seinem jüngeren Bruder zu Gefallen sei er nach dem Wadi Ajis gegangen, und hier würde er bleiben. Er selbst nahm nie an Vorstößen teil und ermutigte kaum andere, die sie unternahmen. Mir schien dahinter Eifersucht auf Faisal zu stecken, und es sah aus, als ob er mit Absicht militärische Operationen unterließ, um nicht etwa unwillkommene Vergleiche mit den Taten seines Bruders heraufzubeschwören. Wenn Schakir mir nicht gleich anfangs geholfen hätte, wären meine Unternehmungen verzögert und erschwert worden, obwohl Abdulla mit der Zeit wohl nachgegeben und großzügig alles erlaubt hätte, was nicht direkt einen Energieaufwand seinerseits erforderte. Immerhin hatten wir jetzt zwei Zerstörungstrupps an der Bahnstrecke, die über genügend Hilfsmittel verfügten, um ungefähr jeden Tag irgendeine Sprengung vorzunehmen; und schon weniger würde genügt haben, den Zugverkehr lahmzulegen. Wenn wir das Verbleiben der türkischen Besatzung in Medina um einige Grade weniger schwierig machten, als die Räumung der Stadt, so würde das in gleicher Weise den englischen wie den arabischen Interessen dienen. So hielt ich denn mein Werk im Wadi Ajis für getan und für gut getan.

Ich sehnte mich danach, aus dem erschlaffenden Lager fortzukommen und wieder nach Norden zu gehen. Abdulla würde mich alles tun lassen, was ich wünschte, aber von sich aus würde er nichts unternehmen; und für mich lag der eigentliche Wert des Aufstandes gerade in dem, was die Araber ohne unsere Hilfe anpackten. Faisal war der begeisterte Tatmensch, nur von der einen Idee besessen: daß sein Volk den Ruf seiner Vergangenheit rechtfertigen müsse, indem es aus eigener Kraft sich seine Freiheit errang. Seine Unterführer Nasir, Scharraf und Ali ibn Hussein standen ihm mit Kopf und Herz bei seinen Plänen zur Seite, so daß mein Anteil dabei mehr synthetischer Art war. Ich beschränkte mich darauf, ihr loses Funkengesprühe zu einer starken Flamme zu sammeln und ihre verschiedenen, mehr vom Zufall abhängigen Eingriffe zu einer zielbewußten Operation umzuwandeln.

Am Morgen des 10. April ritten wir ab, nach sehr herzlichem Abschied von Abdulla. Meine drei Ageyl begleiteten mich wieder, ebenso der kleine Syrier Arslan, der in seiner arabischen Kleidung wie einem Witzblatt entsprungen aussah; er war überzeugt, daß alle Beduinen komisch aussahen und sich komisch benahmen. Er ritt schändlich und litt während des ganzen Weges unter dem stoßenden Gang seines Kamels; aber er rettete seine Selbstachtung durch die Erklärung, daß in Damaskus kein anständiger Mensch ein Kamel reite, und behauptete zudem, was ihm seine gute Laune wiedergab, daß in Arabien niemand außer einem Damaszener ein so schlechtes Kamel reiten würde. Mohammed Ali war unser Führer, dazu kamen sechs Dschuheina.

Wir ritten wie auf dem Herweg das Wadi Tleih hinauf, bogen aber nach rechts ab, um die Lava zu vermeiden. Da wir keine Vorräte mit hatten, hielten wir bei ein paar Zelten, um uns Reis und Milch geben zu lassen. Der Frühling war für die Araber eine Zeit der Fülle; in ihren Zelten gab es Überfluß an Schaf-, Ziegen- und Kamelmilch, und jedermann sah gut genährt und zufrieden aus. Danach ritten wir – es war schön wie an einem Sommertag in England – ein schmales, von der Flut geglättetes Tal hinunter, das Wadi Osman, das sich windungsreich zwischen den Bergen hindurchschlängelte, aber guten Weg bot. Das letzte Stück ritten wir in der Dunkelheit; und als wir hielten, wurde Arslan vermißt. Wir schossen in die Luft und entfachten ein Feuer, damit er uns finden könne; aber bis zum Morgengrauen war noch keine Spur von ihm entdeckt, und die Dschuheina eilten vor und zurück, kaum noch hoffend, ihn zu finden. Aber er war nur eine Meile hinter uns und schlief dort fest unter einem Baum.

Eine knappe Stunde später hielten wir bei den Zelten einer der Frauen Dakhil-Allahs, um uns durch ein Mahl zu stärken. Mohammed gestattete sich ein Bad und reine Kleider und flocht sein üppiges Haar neu. Es währte lange bis zum Essen, und erst gegen neun Uhr erschien eine riesige Schüssel Safranreis mit einem zerlegten Hammel darauf. Mohammed, der es für seine Pflicht hielt, mir zu Ehren das Essen appetitlich zu servieren, füllte aus der großen Schüssel je eine kleine Kupferschale für sich und mich ab und überließ den ganzen Rest der Gefolgschaft. Die Mutter Mohammeds fühlte sich alt genug, um mich genauer in Augenschein zu nehmen. Sie fragte mich aus über die Frauen des Stammes der Christen und ihre Lebensweise, staunte über meine weiße Haut und die schrecklichen blauen Augen, die aussähen, wie sie meinte, als ob der Himmel durch die leeren Augenhöhlen eines kahlen Schädels blickte.

Das Wadi Osman erwies sich, als wir darin weiterritten, weniger windungsreich und verbreiterte sich allmählich. Nach zweieinhalb Stunden bog es plötzlich nach rechts ab, und wir gelangten durch eine Einschnürung in das enge, von Felsklippen überreiche Wadi Hamdh. Wie meist war das harte Sandbett an den Rändern kahl und in der Mitte mit Hamdh-Asla-Bäumen bewachsen, zwischen Stellen mit grauer, schorfiger Salzkruste. Vor uns lagen von der Flut übriggebliebene Süßwasserteiche, deren größter fast dreihundert Fuß lang und sehr tief war. Sein schmales Bett war in den hellen, undurchlässigen Lehm eingeschnitten. Mohammed meinte, das Wasser hielte sich bis zum Ende des Jahres, würde aber bald salzig und ungenießbar.

Nachdem wir getrunken hatten, badeten wir; das Wasser war voll von kleinen silbernen Raubfischen, die wie Sardinen aussahen. Nach dem Baden ließen wir uns Zeit, um den Genuß auszukosten; dann ritten wir bei Dunkelwerden noch sechs Meilen weiter, bis wir müde wurden. Zum Übernachten bogen wir nach einer höher gelegenen Stelle ab. Wadi Hamdh unterschied sich von den anderen Wildtälern des Hedschas durch seine kalte Luft. Das machte sich natürlich besonders nachts bemerkbar, wenn ein weißer Nebel, der das Tal mit einer salzigen Ausdünstung überzog, ein paar Fuß hoch aufstieg und dann regungslos darüber stehenblieb. Aber selbst bei Tage im Sonnenschein war die Luft des Hamdh feucht und unnatürlich rauh.

Am nächsten Morgen brachen wir zeitig auf und kamen, im Tal weiterziehend, an mehreren großen Teichen vorüber; aber nur wenige hatten trinkbares Wasser, die übrigen waren grün und brackig, und die kleinen, weißen Fische schwammen tot und wie eingesalzen obenauf. Später überquerten wir das Talbett und ritten nordwärts über die Ebene von Ugila, wo Ross, unser Fliegerkommandant aus Wedsch, kürzlich eine Flugstation eingerichtet hatte. Ein paar Araber bewachten sein Benzin; wir bekamen Frühstück von ihnen und ritten dann das Wadi Methar entlang bis zu einem schattigen Baum, unter dem wir vier Stunden lang schliefen.

Am Nachmittag war alles höchst munter und die Dschuheina begannen, mit ihren Kamelen Wettrennen zu machen. Zuerst ging es zwei zu zwei, aber die anderen schlossen sich an, bis sie zu sechs in einer Reihe waren. Der Weg war schlecht, und schließlich jagte einer mit seinem Kamel gegen einen Steinhaufen. Es glitt aus, er stürzte herunter und brach sich den Arm. Das war ein Mißgeschick; aber Mohammed verband ihm gleichmütig den Arm mit ein paar Lumpen und Kamelgurten und ließ den Verletzten dann ein wenig unter einem Baum ausruhen, bevor dieser nach Ugila zurückreiten konnte, um dort zu übernachten. Die Araber gehen mit Knochenbrüchen sehr willkürlich um. In einem Zelt im Wadi Ajis hatte ich einen jungen Mann gesehen, dessen Unterarm schief angeheilt war; als er das feststellte, hatte er eigenhändig mit einem Dolch in seinem Fleisch herumgeschnitten, bis der Knochen bloßlag, ihn von neuem gebrochen und geradegerichtet; und so lag er da, gleichmütig mit philosophischer Ruhe die Fliegen ertragend, den linken Unterarm dick verpackt mit Lehm und heilenden Kräutern, und wartete darauf, daß er gesund wurde.

Am nächsten Vormittag kamen wir bis Khauthila, einem Brunnen, wo wir die Kamele tränkten. Das Wasser war unsauber und hatte abführende Wirkung. Dann ritten wir noch weitere acht Meilen in den Abend hinein, da wir vorhatten, den nächsten Tag ohne Unterbrechung bis Wedsch durchzureiten. Wir erhoben uns also bald nach Mitternacht und gelangten noch vor Tagesanbruch über den langen Hang von Raal hinunter in die Ebene, die sich über die Mündungen des Hamdh hinweg bis zum Meer erstreckt. Der Boden wies zahlreiche Autospuren auf, die bei den Dschuheina den lebhaften Wunsch erweckten, sobald wie möglich die neuen Wunder von Faisals Armee zu sehen. Dadurch angefeuert, machten wir ohne Halt einen Ritt von acht Stunden, eine ungewöhnlich lange Zeit für Hedschas-Beduinen.

Danach waren alle, Menschen und Tiere, rechtschaffen müde, da wir seit dem Frühstück am Tage zuvor nichts zu uns genommen hatten. Das schien für den jungenhaften Mohammed der geeignete Zeitpunkt, ein Wettrennen zu veranstalten. Er sprang von seinem Kamel, warf die Kleider ab und forderte uns auf, bis nach einer Gruppe von Dornbäumen auf dem Hang vor uns um die Wette zu reiten; der Preis für den Sieger sollte ein englisches Pfund sein. Alle nahmen das Angebot an, und die Kamele jagten in einem Rudel los. Die Entfernung, etwa dreiviertel Meilen bergan durch tiefen Sand, war offenbar größer, als Mohammed berechnet hatte. Trotzdem zeigte er überraschend viel Kraft und gewann, wenn auch nur um ein paar Zoll, worauf er prompt zusammenbrach, aus Mund und Nase blutend. Wir hatten ein paar gute Kamele bei uns, und sie gaben ihr Letztes her, wenn man sie gegeneinander ausspielte.

Die Luft war hier für die aus den Bergen Stammenden sehr heiß und schwer, und ich fürchtete, daß darauf Mohammeds Erschöpfung zurückzuführen war. Aber nachdem wir eine Stunde lang geruht und ihm etwas Kaffee eingeflößt hatten, kam er wieder auf die Beine, ritt die letzten sechs Stunden nach Wedsch in so vergnügter Laune wie stets und unterhielt uns wieder mit seinen Possen, die uns auf der langen Reise von Abu Markha her erheitert hatten. Wenn einer zum Beispiel ruhig hinter dem Kamel eines anderen herritt, tappte er plötzlich mit seinem Stock gegen die Lenden des vorderen Tieres und stieß eigenartige Brüllaute aus; das Tier hielt ihn dann für einen erregten Hengst und raste in wildem Galopp davon, sehr zum Entsetzen des nicht darauf gefaßten Reiters. Ein anderes beliebtes Spiel war es, ein Kamel im Galopp gegen ein anderes zu treiben und es gegen einen nahen Baum zu drängen. Entweder wurde der Baum umgerissen (in dem leichten Boden der Hedschastäler standen die Bäume merkwürdig locker), oder der Reiter wurde zerkratzt und zerrissen; oder, was am schönsten war, er wurde ganz aus dem Sattel gehoben und blieb hilflos in den Dornenzweigen hängen, wenn er nicht heftig zu Boden fiel. Das war ein gern geübter Zeitvertreib, sehr beliebt bei allen, außer natürlich bei dem Betroffenen.

Die Beduinen sind ein eigenartiges Volk. Für den Engländer war es schwer, mit ihnen umzugehen, besaß er nicht eine Geduld, weit und tief wie das Meer. Sie waren völlig Sklaven ihrer körperlichen Begierden, ohne jede Hemmung; sie gössen ungeheure Mengen von Kaffee, Milch oder Wasser in sich hinein, verschlangen ganze Haufen von gesottenem Fleisch und waren die zudringlichsten Bettler um Tabak. Wochen vorher und nachher träumten sie von ihren seltenen sexuellen Erlebnissen, und in der Zwischenzeit kitzelten sie sich und ihre Zuhörer mit der Erzählung schlüpfriger Geschichten. Hätten es die Umstände erlaubt, so würden sie hemmungslose Sinnenmenschen gewesen sein. Ihre Stärke war die Stärke von Menschen, die lediglich durch die Natur ihres Landes vor Versuchungen bewahrt sind: die Kärglichkeit Arabiens machte sie mäßig, enthaltsam und ausdauernd. Hätte man ihnen die Zivilisation aufgezwungen, so würden sie deren Krankheiten, Niederträchtigkeiten, Lastern, Grausamkeiten und Verlogenheiten genau so wie jedes andere primitive Volk erlegen sein; und würden genau so, aus Mangel an Gegengiften, verheerend darunter gelitten haben.

Sobald sie merkten, daß wir irgendwelchen Zwang auf sie ausüben wollten, wurden sie störrisch oder liefen davon. Erst als wir ihre Art begriffen hatten und uns Zeit und Mühe nahmen, ihnen das Geforderte als etwas höchst Verlockendes darzustellen, waren sie bereit, uns zuliebe sich gewaltig ins Zeug zu legen. Ob dann das erreichte Ergebnis der aufgewendeten Mühe entsprach, war freilich mitunter zweifelhaft. Als Engländer an ein entsprechenderes Verhältnis von Einsatz und Gewinn gewöhnt, wollte und konnte man nicht Tag für Tag, gleich den Scheiks oder Emirs, Zeit, Gedanken und Nervenkraft um kärglicher Resultate willen verschwenden. Dies vorausgesetzt, war die Art, wie sie als Araber handelten und dachten, genau so klar und folgerichtig wie die unsere; und wenn sie manchmal undurchsichtig oder allzu »orientalisch« erschienen oder wir sie mißverstanden, so lag die Schuld immer nur an unserer eigenen Schwerfälligkeit oder Unwissenheit.

Sie würden uns folgen, wenn wir alle Entbehrungen mit ihnen teilten und das, was wir wollten, nach ihrer Art und Weise durchführten. Das Schlimme war dabei nur, daß wir wohl oftmals damit den Anfang machten, dann aber verzweifelt nicht weiter konnten und sie aufgaben, den Fehler bei ihnen suchend, während es doch nur an uns selbst lag. Solcherlei Kritiken, wie die Klagen eines Generals über unfähige Truppen, waren in Wahrheit ein Eingeständnis unserer mangelhaften Voraussicht, oftmals mangelhaft deshalb, weil uns eine spöttische Bescheidenheit daran hinderte, es zu zeigen; denn wenn wir auch Mißgriffe begingen, so hatten wir am Ende doch Verstand genug, unsere Fehler zu erkennen.


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