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Neunzehntes Kapitel

Die nächsten beiden Tage verbrachte ich in Faisals Gesellschaft und bekam dadurch tieferen Einblick in die Art seiner Führung, und zwar gerade während dieses interessanten Zeitabschnittes, als durch die ständigen Alarmmeldungen und den Abfall der nördlichen Harb der Geist seiner Armee schwer litt. Faisal wußte den Mut seiner Leute hauptsächlich dadurch wieder zu heben, daß er jedem in seine Nähe Kommenden etwas von seiner eigenen Zuversicht einflößte. Für alle war er zugänglich, die vor seinem Zelt standen und auf Beachtung warteten; nie, daß er Bitten oder Gesuche kurz abwies, selbst dann nicht, wenn ein ganzer Schwarm von Leuten kam, um rund um uns her in der Dunkelheit ihre Klagen in vielstrophigem Chorgesang vorzutragen. Stets hörte er aufmerksam zu; und wenn er nicht selbst entschied, rief er Scharraf oder Fais herbei, damit diese die Sache für ihn erledigten. Diese unendliche Geduld war eine weitere Lehre für mich, was Führerschaft über Eingeborene in Arabien bedeutet.

Gleich groß war aber auch seine Selbstbeherrschung. Als Mirsuk el Tikheimi, sein Haushofmeister sozusagen, von Seid gesandt, ankam, um von ihrer schmachvollen Schlappe Bericht zu geben, lachte ihn Faisal vor allen Leuten einfach aus und hieß ihn beiseitetreten und warten, während er die Scheiks der Harb und der Ageyl empfing, deren Nachlässigkeit hauptsächlich das Unheil verschuldet hatte. Diese behandelte er mit feinem Spott und zog sie auf mit diesem und jenem, was sie getan, und den Verlusten, die sie erlitten oder verursacht hatten. Dann rief er Mirsuk zurück und ließ die Zeltflagge niederholen: ein Zeichen, daß jetzt Privatangelegenheiten zur Verhandlung standen. Ich dachte an die Bedeutung des Namens Faisal (das im Niedersausen blitzende Schwert) und fürchtete eine Szene. Doch er machte auf seinem Teppich Platz für Mirsuk und sagte: »Komm. Erzähle uns noch mehr von euren ›Nächten‹ und wunderbaren Heldentaten. Erheitere uns.«

Mirsuk, ein gut aussehender, gescheiter Bursche (nur mit etwas zu scharfen Zügen), paßte sich der Situation an und begann in seinem breiten näselnden Ateibi-Dialekt uns wahre Wortgemälde zu entwerfen: von der Flucht des jungen Seid, dem Entsetzen Ibn Thaweibs, des berüchtigten Räubers, und wie, o Höhe des Mißgeschicks, der ehrwürdige el Hussein, der Vater des Scherifs Ali, seine Kaffeekannen verloren hätte!

Faisal hatte eine klangreiche, melodische Stimme und wußte damit geschickt auf seine Leute zu wirken. Er sprach mit ihnen im Dialekt der Stämme, aber auf eine sonderbar zögernde Art, wie wenn er, innerlich nach dem rechten Wort suchend, jeden Satz sich erst mühsam ertasten müsse. Der Gedanke mochte bei ihm vielleicht nur um ein Geringes dem Wort vorausgehen, denn der schließlich gewählte Ausdruck war stets von größter Einfachheit, was ihm etwas Aufrichtiges und zugleich Packendes gab. Fast schien es, so dünn war der Schleier der Worte, als könnte man seinen geraden und hochgemuten Sinn hindurchleuchten sehen.

Zu anderen Zeiten war er voller Humor, ein unwiderstehlicher Magnet, die Hingabe der Araber zu gewinnen. Eines Abends sprach er zu den Scheiks der Rifaa, die er vorschicken wollte, um die Ebene diesseits Bir el Fagir zu besetzen. Es war ein sehr unübersichtliches, von Akazien und Tamariskengebüsch bedecktes Gelände, die kaum wahrnehmbare Wasserscheide der langen Senke, die Bruka und Bir el Said verband. Er erzählte ihnen freundlich, daß die Türken im Herankommen wären und sie die Pflicht hätten, sie aufzuhalten, damit Gott uns den Sieg geben könne; er fügte hinzu, daß dies aber unmöglich sein würde, wenn sie sich etwa verleiten ließen zu schlafen. Die alten Männer – und in Arabien galten die alten mehr als die jungen – brachen in begeisterte Worte aus, riefen, daß Gott ihm einen Sieg oder besser noch zwei Siege geben würde, und krönten ihre frommen Wünsche mit der Bitte, sein Leben möge verlängert sein durch die Anhäufung einer beispiellosen Anzahl von Siegen. Das beste aber war, daß sie dank seines wirksamen Zuredens auch wirklich jede Nacht aufmerksam Wache hielten.

Der Tageslauf unseres Lagerlebens war einfach. Unmittelbar vor Anbruch des Morgens pflegte der Armee-Imam von der Spitze eines kleinen Hügels über dem schlafenden Heer einen aufschreckenden Gebetruf loszulassen. Seine Stimme war rauh und so gebieterisch, daß wir uns aufgescheucht erhoben, sei es zum Beten oder Fluchen. Sobald er geendet hatte, begann der Imam Faisals vor dem Zelteingang sanft und melodisch zu rufen. Eine Minute danach kam einer von Faisals fünf Sklaven (alles im Grunde Freigelassene, die sich ihre Lossprechung für einen ihnen genehmen Zeitpunkt vorbehielten, denn es war angenehm und nicht unvorteilhaft, Faisals Diener zu sein) und reichte uns gesüßten Kaffee. Zucker für die erste Tasse hielt man in Rücksicht auf die Kühle des Morgens für angemessen.

Eine Stunde später wurde die Klappe zu Faisals Schlafzelt zurückgeschlagen: seine Einladung zum Eintritt für die nächste Umgebung. Meist waren vier oder fünf anwesend, und nach dem Austausch der Morgenneuigkeiten wurde eine Platte mit Frühstück hereingetragen. Der Hauptsache nach bestand es im Wadi Janbo aus Datteln; bisweilen sandte Faisals tscherkessische Großmutter ihm eine Schachtel ihrer berühmten Gewürzkuchen aus Mekka; und manchmal bereitete uns Hedschris, der Leibsklave, irgendwelche seltsamen Kuchen oder Backwerk eigener Erfindung. Nach dem Frühstück pflegten wir uns abwechselnd mit bitterem Kaffee oder süßem Tee zu erfrischen, während Faisal seine Korrespondenz erledigte und den Sekretären diktierte. Einer von diesen war Fais el Ghusein, der Verwegene, ein anderer Imam, ein ernst aussehender Mann, berühmt in der ganzen Armee durch seinen bauschigen Regenschirm, der stets an seinem Sattelknopf hing. Gelegentlich wurde jetzt auch eine Privataudienz erteilt, doch nur selten, da das Schlafzelt des Scherifs ausschließlich seinem persönlichen Gebrauch vorbehalten blieb. Dieses, ein gewöhnliches Spitzzelt, war ausgestattet mit Zigaretten, einem Feldbett, einer leidlich guten kurdischen Wolldecke, einem schäbigen Schiras und einem prachtvollen alten Belutschistan-Gebetsteppich, auf dem er bei den Andachten niederkniete.

Gegen acht Uhr morgens pflegte Faisal seinen Galadolch umzugürten und nach dem Empfangszelt hinüberzugehen, dessen Boden mit zwei scheußlichen Kelims bedeckt war. Hier setzte er sich in den Hintergrund des Zeltes, dem Eingang gegenüber, während wir uns längs der Wände im Halbkreis um ihn gruppierten. Die Sklaven beschlossen den Zug und stellten sich rings um die offene Seite des Zeltes auf, um die Masse der Bittsteller zu überwachen, die im Schatten des Zelteingangs oder weiter entfernt im Sande lagen und warteten, bis die Reihe an sie kam. Wenn irgend möglich, wurde die Arbeit bis Mittag erledigt, da der Emir sich um diese Zeit zu erheben liebte.

Wir von der Umgebung, sowie einige Gäste, versammelten uns dann im Wohnzelt, und Hedschris und Salem trugen die Platte mit dem Mittagessen herein, das aus so vielen Gerichten bestand, als die Gelegenheit jeweils erlaubte. Faisal war ein außergewöhnlich starker Raucher, aber ein schwacher Esser; und er pflegte zum Schein mit den Fingern oder einem Löffel in Bohnen, Linsen, Spinat, Reis und süßen Kuchen herumzustochern, bis er glaubte, daß wir satt waren, worauf nach einem Wink seiner Hand die Platte fortgetragen wurde und andere Sklaven erschienen, um am Zelteingang Wasser über unsere Finger zu gießen. Fette Leute, wie Mohammed ibn Schefia, gerieten in drollige Nöte bei den raschen und kärglichen Mahlzeiten des Emirs, und später, wenn sie allein waren, pflegten sie das Versäumte aus ihren eigenen Vorräten nachzuholen. Nach dem Essen schwatzten wir ein wenig, schlürften zwei Tassen Kaffee und genossen zwei Gläser eines sirupartigen Tees. Danach blieb bis zwei Uhr nachmittags der Vorhang des Zeltes herabgelassen, was bedeutete, daß Faisal schlief, las oder Privatgeschäfte erledigte. Nachher saß er wieder in dem Empfangszelt, bis er alle, die etwas von ihm wollten, abgefertigt hatte. Niemals sah ich einen Araber sein Zelt unbefriedigt oder gekränkt verlassen – ein Zeugnis für seinen Takt und sein Gedächtnis; denn nie schien er zu zögern, weil ihm eine Tatsache entfallen war, oder über eine verwandtschaftliche Beziehung zu stolpern.

Wenn nach der zweiten Audienz noch Zeit war, pflegte er mit seinen Freunden spazierenzugehen und sich mit ihnen über Pferde oder Botanik zu unterhalten, nach den Kamelen zu sehen oder sich nach den Namen der sichtbaren Bodenerhebungen zu erkundigen. Das Abendgebet war zuweilen öffentlich, obwohl Faisal nach außen hin nicht sehr fromm war. Danach empfing er einzelne in seinem Wohnzelt und besprach die nächtlichen Erkundungsritte und Patrouillen – der Hauptteil der militärischen Arbeit wurde erst nach Dunkelwerden erledigt. Zwischen sechs und sieben Uhr wurde das Abendessen gebracht, zu dem alle im Hauptquartier Anwesenden von den Sklaven gebeten wurden. Es entsprach ungefähr dem Mittagsmahl, nur daß das Hauptgericht – Medfa el Suhur – die große Reisschüssel, mit Stücken gekochten Hammelfleisches durchsetzt war. Wir beobachteten Schweigen, bis alle gegessen hatten.

Mit dieser Mahlzeit endete der Tag, abgesehen davon, daß ein barfüßiger Sklave unauffällig und in verlängerten Zwischenräumen ein Brett mit Tee herumreichte. Faisal pflegte erst sehr spät zu schlafen und verriet niemals den Wunsch, unsern Besuch abzukürzen. Den Abend widmete er der Erholung und vermied vermeidbare Arbeit. Er ließ sich einen Scheik der Gegend kommen, der Vorgänge aus seinem Bezirk oder die Geschichte des Stammes und seiner Ahnen erzählte, oder die Stammespoeten trugen ihre Kriegsdichtungen vor, lange Gesänge in der altüberlieferten Form mit einem feststehenden Vorrat an Bezeichnungen, Gefühlsäußerungen und Wendungen, die den Taten jeder Generation neu aufgepfropft wurden. Faisal war ein großer Liebhaber der arabischen Dichtung und liebte es, Wettkämpfe zu veranstalten, bei denen er den Schiedsrichter machte und die besten Verse des Abends belohnte. Nur selten spielte er auch einmal Schach, dann aber glänzend und mit dem unbekümmerten Draufgängertum eines Fechters. Bisweilen gab er, vielleicht mir zu Ehren, etwas von seinen Erlebnissen in Syrien zum besten, hie und da auch ein Kapitel aus der türkischen Geheimgeschichte oder aus Familienaffären. Ich lernte viel aus seinem Munde über Menschen und Parteien im Hedschas.


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