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Bei Morgengrauen überstiegen wir einen kurzen steilen Paß, der uns aus dem Wadi Kitan in das Hauptentwässerungstal des jenseitigen Berglandes brachte. Wir bogen seitwärts in das Wadi Reimi ein, ein Nebental, um Wasser zu nehmen. Einen eigentlichen Brunnen gab es dort nicht, nur eine Versickerungsgrube im steinigen Bett des Tales; wir fanden sie hauptsächlich mit der Nase, wenn auch der Geschmack, zwar ebenso faulig, doch merkwürdigerweise ganz anders war als der Geruch. Wir füllten unsere Wasserschläuche auf; Arslan buk Brot und wir rasteten zwei Stunden. Dann ritten wir weiter durch das Wadi Amk, ein ebenes grünes Tal, wo die Kamele ein angenehmes Gehen fanden.
Sobald sich der Amk westwärts wandte, überquerten wir ihn und stiegen aufwärts zwischen Pfeilern aus verworfenem grauen Granit, wie er für das Hochland des Hedschas charakteristisch ist. Der Engpaß stieg eine kurze Strecke an bis zum Fuß einer mit natürlichen Stufen versehenen Rampe, sehr brüchig, gewunden und schwierig für Kamele. Danach ritten wir eine Stunde lang durch ein offenes Tal mit niedrigen Höhen zur Rechten und Bergen zur Linken. In den Kalksteinsenken gab es Wassertümpel, und unter den schönen Bäumen in der Niederung standen Zelte der Merawin. Die Hänge waren sehr fruchtbar, und überall sah man weidende Ziegen- und Schafherden. Die Araber gaben uns Milch; für meine Ageyl war es die erste Milch, die sie in den zwei Jahren der Dürre bekommen hatten.
Der Aufstieg aus dem Tal, besonders weiter oben hin, war äußerst schwierig und der Abstieg jenseits zum Wadi Marrakh nahezu lebensgefährlich; aber die Aussicht von der Höhe aus entschädigte uns für alles. Das Wadi Marrakh lief wie eine breite, friedvolle Avenue zwischen zwei geraden senkrechten Bergwänden dahin und mündete vier Meilen weiter in eine Art Arena, in der Täler von drei Seiten einzumünden schienen. Vor dem Zugang waren Hügel aus unbehauenen Steinen errichtet. Als wir eintraten, sahen wir, daß die grauen Bergwände allseitig im Halbkreis zurückwichen. Vor uns im Süden war die Krümmung des Tals durch eine gerade Wand oder Stufe aus blauschwarzer Lava versperrt, die sich über einer kleinen Gruppe von Dornbäumen erhob. Wir ritten darauf zu und legten uns dann in ihrem spärlichen Schatten nieder, dankbar für jeden Schein von Kühle in dieser stickigen Luft.
Der Tag, jetzt auf der Mittagshöhe, war sehr heiß; meine Schwäche hatte so zugenommen, daß ich kaum noch den Kopf heben konnte. Die heißen Windstöße preßten sich wie feurige Hände gegen das Gesicht und brannten in unseren Augen. Ich hatte so große Schmerzen, daß ich keuchend durch den Mund atmen mußte; der Wind zerbarst mir die Lippen und dörrte die Kehle aus, bis sie so trocken war, daß ich nicht mehr sprechen konnte und jedes Schlucken eine Qual wurde; trotzdem verlangte mich immerfort zu trinken, und vor Durst konnte ich nicht stilliegen und fand nicht die Ruhe, nach der ich mich sehnte. Und dazu plagten mich noch die Fliegen.
Das Talbett bestand aus feinem Quarzkies und weißem Sand. Sein Geglitzer drängte sich zwischen die Augenlider; und der ganze Boden schien zu tanzen, wenn der Wind die blassen Spitzen des harten Grases hin- und herbewegte. Die Kamele liebten dieses Gras, das in Büscheln auf schiefergrünen Halmen etwa sechzehn Zoll hoch wuchs. Sie schlangen große Mengen davon hinunter, bis unsere Leute sie forttrieben und sie neben mir zum Niederlegen brachten. Ich bekam einen förmlichen Haß auf die Tiere, denn vom vielen Fressen stank ihr Atem, und immerfort, sobald sie einen Bissen wiedergekäut und hinuntergeschluckt hatten, würgten sie mit gurgelndem Geräusch einen neuen aus ihrem Magen herauf, bis grüner Geifer über die Backenzähne zwischen ihren schlaffen Lefzen hervorrann und über ihr sackiges Kinn herabtropfte.
Als ich so voller Wut dalag, warf ich einen Stein nach dem nächstliegenden; es sprang auf und tappte hinter meinem Kopf herum. Schließlich spreizte es die Hinterbeine und ließ sein Wasser in breitem, stinkendem Strahl; ich war von der Hitze, der Schwäche und den Schmerzen so mitgenommen, daß ich einfach liegenblieb und hilflos herumschrie. Die Leute waren gegangen, um Feuer anzumachen und eine Gazelle zuzubereiten, die einer von ihnen geschossen hatte. Und ich dachte daran, wie schön für mich diese Rast an einem anderen Tage gewesen wäre, denn die Berge waren seltsam geformt und in lebhaften Farben. Ihr Sockel zeigte das warme Grau von altem aufgespeicherten Sonnenlicht, und längs der Gipfel liefen schmale, granitfarbene Steinadern, meist paarweise nebeneinander, fast den Konturen der Höhenlinie folgend, wie die rostigen Schienen einer verlassenen Berg- und Talbahn. Arslan meinte, die Berge wären gezackt wie Hahnenkämme, eine noch schärfere Beobachtung.
Nachdem die Leute gegessen hatten, saßen wir wieder auf und erstiegen leicht die erste Welle der Lavaflut. Sie war kurz, ebenso wie die zweite, auf deren Kamm eine breite Terrasse lag, mit einer Anschwemmung von Sand und Kies in der Mitte. Die Lava bestand aus einem nahezu gleichmäßigen Untergrund von rostroter Gesteinsschlacke, über dem Gruppen loser Steine verstreut lagen. Die weiteren Stufen stiegen nach Süden zu an; wir aber wandten uns nach Westen, das Wadi Gara hinauf.
Gara ist früher vielleicht eine Granitmulde gewesen, in deren Bett die Lava herabgeflossen war, sie allmählich ausfüllend und sich in der Mitte hoch aufwölbend. Zwischen der Lava und den Bergwänden waren beiderseits tiefe, trogartige Senkungen, die vom Regenwasser ausgefüllt wurden, wenn immer das Unwetter in den Bergen losbrach. Der Lavastrom hatte sich, indes er erstarrte, wie ein Tau gewunden, war abgerissen, um sich wirr in sich selbst zu verkrümmen und ineinander zu schlingen. Die Oberfläche war mit Gesteinstrümmern bedeckt, zwischen denen hindurch viele Generationen von Kamelkarawanen sich mühselig einen kaum gangbaren Weg gebahnt hatten.
Stundenlang kämpften wir uns hindurch, nur ganz langsam vorwärts kommend, wobei die Kamele jedesmal, wenn ihr Fuß auf die scharfen Gesteinsränder trat, schmerzvoll zusammenzuckten. Der Weg war nur an den hinterlassenen Mistspuren, an der etwas blaueren Färbung der abgeschliffenen Steinplatten zu erkennen. Die Araber erklärten den Weg für ungangbar nach Eintritt der Dunkelheit, was wohl zutreffen mochte, denn wir liefen Gefahr, unsere Tiere zuschanden zu reiten, sobald wir sie in unserer Ungeduld zu größerer Eile antrieben. Aber kurz vor fünf Uhr nachmittags wurde der Weg besser. Wir schienen uns dem höchsten Punkt des Tales, das immer enger wurde, zu nähern. Vor uns, zu unserer Rechten, lag ein regelrechter Kraterkegel, vom oberen Rand bis zum Fuß von geraden Furchen durchzogen, der ein besseres Fortkommen versprach, denn er bestand aus schwarzer Asche, die wie gesiebt war, unterbrochen hie und da von Stufen härteren Bodens und Schlacke. Dahinter breitete sich ein anderes Lavafeld aus, das vielleicht noch älter als die Täler war, denn das Gestein war geglättet, und dazwischen zogen sich flache Mulden aus Erdreich hin, dicht mit Gesträuch bewachsen. In einem dieser offenen Gründe standen Beduinenzelte, deren Besitzer, als sie uns kommen sahen, uns entgegeneilten und mit gastfreundlicher Gewalt unsere Halfter ergriffen, um uns nach ihrem Lager zu führen.
Es stellte sich heraus, daß es Scheik Fahad el Hanscha und seine Leute waren, alte redselige Krieger, die mit uns nach Wedsch gezogen waren und Garland begleitet hatten gelegentlich jenes großen Ereignisses, der Explosion der ersten selbsttätigen Mine unter einem Truppentransportzug bei der Station Toweira. Fahad wollte nichts davon hören, daß ich mich ungestört draußen vor seinem Zelt niederlegte, sondern nötigte mich mit dem rücksichtslosen Gleichheitssinn der Wüstenbewohner hinein auf einen unglückseligen Platz inmitten seines Ungeziefers. Dann drängte er mir einen Napf harntreibender Kamelmilch nach dem anderen auf und fragte zwischendurch nach Europa, meinem heimatlichen Stamm, den Kamelweiden in England, dem Krieg im Hedschas und den Kriegen draußen, nach Ägypten und Damaskus, wie es Faisal ginge, was wir bei Abdulla wollten und aus welcher verderbten Hartnäckigkeit ich durchaus Christ bleiben wolle, während doch ihre Herzen und Hände bereit seien, mich als Gläubigen willkommen zu heißen.
So vergingen lange Stunden, bis um zehn Uhr abends der Gasthammel hereingetragen wurde, nun zerlegt und knusperig thronend auf einem mächtigen Haufen von gebuttertem Reis. Ich aß, wie die Sitte es verlangte, wickelte mich in meinen Mantel und schlief ein; meine körperliche Erschöpfung nach dem schlimmsten aller Märsche machte mich unempfindlich gegen die Massenangriffe der Flöhe und Läuse. Die Krankheit hatte jedoch meine sonst ziemlich träge Phantasie aufgepeitscht, die sich in wilden Träumen erging: ich wanderte nackt eine dunkle Ewigkeit lang über unendliche Lava (sie sah wie Rührei aus, stahlblau geworden – höchst seltsam das Ganze), die scharf in die Fußsohlen stach, und irgendetwas Entsetzliches, vielleicht ein toter Marokkaner, kletterte ständig hinter mir drein.
Am Morgen wachten wir zeitig und erfrischt auf; in unseren Kleidern wimmelte es von schmerzhaftem Geziefer, das sich an uns mästete. Nachdem mir der eifrige Fahad eine weitere Schüssel Milch aufgedrängt hatte, war ich imstande, ohne Hilfe zu meinem Kamel zu gehen und mit einiger Mühe aufzusitzen. Wir ritten das letzte Stück des Wadi Gara bis zum Kamm hinauf, zwischen schwarzen Aschenkegeln von einem Krater weiter südlich. Dann bogen wir in ein Seitental ein, das in einem steilen, felsigen Kamin endete, durch den wir unsere Kamele hinauftrieben.
Jenseits hatten wir leichten Abstieg zum Wadi Murrmija, dessen ganze Mittelsohle von Lava wie verzinktes Eisen erfüllt war, während zu beiden Seiten Streifen weichen gut gangbaren Sandes dahinliefen.
Nach einer Weile kamen wir an einen Spalt in dem Lavastrom, der als Übergang zur anderen Seite diente. Dort ritten wir hinüber und fanden die Lava von offenbar sehr gutem Erdreich unterbrochen, denn es wuchsen Laubbäume darauf und Wiesen breiteten sich aus, übersät mit Bäumen, der beste Weidegrund während unserer ganzen Reise, dessen Grün sich wunderbar von dem blauschwarzen Felsgezack ringsum abhob. Die Lava hatte ihren Charakter verändert. Sie bestand hier nicht mehr aus Anhäufungen loser Steine, so groß wie ein Schädel oder eine Hand, die einander abgeschliffen und abgerundet hatten, sondern aus gebündelten und kristallisierten Rippen metallischen Gesteins, das barfuß völlig ungangbar war.
Eine weitere Wasserscheide führte uns zu einem offenen flachen Tal hinab, wo die Dschuheina acht bis zehn Morgen des spärlichen Bodens unterhalb eines Gesträuchdickichts bestellt hatten. Sie erzählten, daß es in der Nachbarschaft noch mehr solcher Felder gäbe, stumme Zeugen des Mutes und der Ausdauer der Araber. Es hieß Wadi Chetf, und danach kamen wir wieder über einen zerrissenen Lavastrom, den schlimmsten, dem wir bisher begegnet waren. Ein schattenhaft angedeuteter Pfad führte im Zickzack darüber hin. Wir verloren ein Kamel, das sich beim Straucheln über ein ausgewaschenes Loch ein Vorderbein brach; und die vielen umherliegenden Knochen zeigten uns, daß auch andere bei diesem Übergang nicht vom Mißgeschick verschont geblieben waren. Aber damit hatte die Lava ein Ende, wie die Führer erklärten; und von nun an ging es durch flache Täler bequem dahin, zuletzt in einem langen Trab einen sanften Hang hinan bis zum Dunkelwerden. Der Weg war so gut, und die Kühle des Tages so erfrischend für mich, daß wir bei Anbruch der Nacht nicht wie sonst immer gleich haltmachten, sondern noch eine Stunde lang weiterritten aus dem Stromgebiet des Murrmija in das des Wadi Ajis, wo wir bei Tleih zum letztenmal unter freiem Himmel kampierten.
Ich war froh, daß wir unserem Ziel nahe waren, denn das Fieber lag schwer auf mir. Ich fürchtete, daß ich vielleicht ernstlich erkranken könnte; und in solchem Zustand in die Hände der wohlmeinenden Beduinen zu fallen, war keine angenehme Aussicht. Sie behandelten jedes Übel dadurch, daß sie dem Patienten an irgendeiner Stelle seines Körpers, die nach ihrer Meinung mit dem erkrankten Teil in geheimer Verbindung stand, Löcher einbrannten. Eine solche Kur mochte erträglich sein für den, der daran glaubte, war aber eine Marter für den Ungläubigen.
Der nächste Morgen brachte einen bequemen Ritt durch flache Täler und über sanfte Rücken in das Wadi Ajis. Abu Markha, seine nächstgelegene Wasserstelle, erreichten wir wenige Minuten, nachdem Scherif Abdulla dort haltgemacht hatte und eben Befehl gab, seine Zelte in einer Akazienlichtung oberhalb des Brunnens aufzuschlagen. Er hatte sein altes Lager bei Bir el Amri, weiter unterhalb im Tal, ebenso wie vordem das Lager bei Murabba verlassen, weil der Boden durch die Ausscheidungen von Mensch und Tier verunreinigt worden war. Ich übergab ihm Faisals schriftliche Weisungen, setzte ihm die Lage bei Medina auseinander und die Notwendigkeit, mit größter Beschleunigung die Bahnlinie zu sperren. Er nahm das meines Bedünkens sehr gelassen auf; aber ohne mich auf weitere Vorstellungen einzulassen, setzte ich hinzu, daß ich etwas ermüdet wäre von der Reise und mich mit seiner Erlaubnis hinlegen und eine Weile schlafen würde. Er ließ mir ein Zelt neben dem seinigen aufschlagen, und dort fand ich endlich die langersehnte Ruhe. Ich hatte tagelang im Sattel gegen meine wachsende Schwäche ankämpfen müssen, nur um überhaupt hierher zu gelangen; nun, da mit der Ablieferung meiner Botschaft die Willensanspannung vorüber war, fühlte ich, daß eine einzige Stunde mehr mir den Zusammenbruch gebracht haben würde.