Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

In Rabegh lag die »Northbrook« vor Anker, ein Schiff der Indischen Marine. An Bord traf ich Oberst Parker, unseren Verbindungsoffizier bei Scherif Ali, dem er meinen Brief von Abdulla übermittelte mit dem »Befehl« seines Vaters, mich unverzüglich zu Faisal zu senden. Ali wurde stutzig über den Inhalt des Schreibens, aber er konnte nichts dagegen tun; denn die einzige telegraphische Verbindung mit Mekka ging über die Funkstation unseres Schiffes, und er scheute sich natürlich, auf diesem Wege bei seinem Vater vorstellig zu werden. So tat er alles, was er konnte, und stellte mir sein eigenes prächtiges Reitkamel zur Verfügung, gesattelt mit seinem eigenen Sattel und behangen mit üppigen Schabracken und Polstern in jener aus vielfarbigen Lederstücken zusammengesetzten Nedschdarbeit, mit geflochtenen Fransen und silberdurchwirktem Netzwerk. Als zuverlässigen Führer zum Lager Faisals erwählte er Tafas el Raaschid, vom Stamm der Hawasim-Harb, nebst dessen Sohn.

Er tat das alles Nuri Said zu Gefallen, dem Bagdader Generalstabsoffizier, dessen ich mich einst in Kairo, als er dort krank lag, angenommen hatte. Nuri war jetzt zweiter Kommandeur der regulären Truppen, die Asis el Masri in Rabegh aufstellte und einübte. Einen anderen Freund bei Hofe hatte ich in dem Sekretär Fais el Ghusein. Er war ein Sulut-Scheik aus dem Hauran und ehemaliger Beamter der türkischen Regierung, während des Krieges war er über Armenien entflohen und hatte schließlich in Basra Gertrude Bell getroffen. Sie hatte ihn mit warmen Empfehlungen zu mir geschickt.

Für Ali selber faßte ich große Zuneigung. Er war von mittlerer Größe, schlank und sah älter aus als siebenunddreißig Jahre. Er ging ein wenig gebückt. Seine Gesichtsfarbe war blaß, die Augen groß und dunkelbraun, die Nase schmal und ziemlich gebogen, der Mund bitter und herabgezogen. Er hatte einen spärlichen schwarzen Bart und sehr zarte Hände. Sein Auftreten war gemessen und würdig, dabei aber offen, und er machte mir den Eindruck eines sympathischen, selbstbewußten Herren, ohne große Charakterstärke, nervös und ziemlich abgespannt. Durch seine Krankheit (er war schwindsüchtig) war er plötzlichen Anfällen heftiger Erregungszustände ausgesetzt, denen lange Perioden kraftlosen Starrsinns vorangingen und folgten. Er war sehr gebildet, ein besonderer Kenner der Religion und Gesetzeskunde und fromm fast bis zum Fanatismus. Er war sich seiner hohen Abkunft allzu bewußt, um ehrgeizig zu sein, und innerlich zu sauber, um bei seiner Umgebung eigennützige Beweggründe zu sehen oder vorauszusetzen. Infolgedessen geriet er leicht unter den Einfluß seiner Umgebung und war für Ratschläge zu empfänglich, um ein großer Führer zu sein, obwohl er durch die Reinheit seines Wollens und Verhaltens die Liebe aller gewann, die mit ihm in Berührung kamen. Wenn sich Faisal nicht als der Prophet herausstellen sollte, den ich suchte, so mochte der Aufstand zur Not auch mit Ali als Führer einigermaßen vorwärtsgehen. Er schien mir mehr Araber zu sein als Abdulla oder auch Seid, sein jüngerer Halbbruder, der ihm in Rabegh zur Hand ging; Seid kam zusammen mit Ali, Nuri und Asis zu dem Palmenhain hinaus, wo mein Aufbruch stattfand. Er war ein schüchterner, blasser, bartloser Junge von etwa neunzehn Jahren, sanft und ein wenig tapsig, kein Eiferer des Aufstandes. Seine Mutter war eine Türkin, und er war im Harem aufgewachsen, so daß er kaum viel innere Anteilnahme an einer arabischen Erhebung haben konnte. Aber heute zeigte er sich denkbar entgegenkommend und übertraf darin sogar Ali, vielleicht weil seine Gefühle durch die Reise eines Christen in die Heilige Provinz auf Veranlassung des Emirs von Mekka nicht übermäßig verletzt wurden. Seid war natürlich noch weniger als Abdulla der geborene Führer, den ich suchte. Aber ich mochte ihn gern, denn ich konnte erkennen, daß noch ein ganzer Mann aus ihm werden würde, wenn er sich erst selbst gefunden hatte.

Ali ließ mich nicht vor Sonnenuntergang abreiten, denn keiner von seinen Leuten sollte mein Verlassen des Lagers bemerken. Selbst vor seinen Sklaven hielt er die Reise geheim und versah mich mit arabischem Mantel und Kopftuch, die meine Uniform verhüllen und mir im Dunkeln auf dem Kamel eine unauffällige Silhouette geben sollten. Da ich keine Vorräte bei mir hatte, gab er Tafas Weisung, in dem sechzig Meilen entfernten Bir el Scheik, der ersten Tagesrast, Lebensmittel anzukaufen, und befahl ihm aufs strengste, unterwegs jederlei neugierige Fragen oder Erkundigungen von mir fernzuhalten und alle Lager oder sonstige Begegnungen zu vermeiden. Die Masruh-Harb, die das Gebiet um Rabegh bewohnten, waren dem Scherif nur äußerlich ergeben. Ihre wirkliche Anhänglichkeit gehörte Hussein Mabeirig, dem ehrgeizigen Scheik des Stammes, der auf den Emir von Mekka eifersüchtig und von ihm abgefallen war. Er lebte jetzt als Flüchtling in den Bergen im Osten und stand, wie man wußte, mit den Türken in Verbindung. Sein Stamm war nicht ausgesprochen türkenfreundlich, aber schuldete ihm Gehorsam. Wenn er von meiner Reise gehört hätte, würde er sicher seinen Leuten befohlen haben, mich auf dem Wege durch sein Gebiet aufzuhalten.

Tafas war ein Hasimi, vom Zweige Beni Salem der Harb, und stand daher mit den Masruh nicht auf gutem Fuß. Das machte ihn mir geneigt, und da er einmal den Auftrag, mich zu Faisal zu geleiten, übernommen hatte, konnte man ihm vertrauen. Die Treue zum Reisebegleiter ist den arabischen Stämmen heilig. Nach ihrer Anschauung ist der Führer mit seinem Leben für das seines Gefährten verantwortlich. Ein Harbi, der einst Huber nach Medina zu bringen gelobt, aber sein Wort gebrochen und ihn unterwegs, als er entdeckte, daß jener ein Christ war, bei Rabegh ermordet hatte, war von der öffentlichen Meinung geächtet worden. Seitdem hatte er, obwohl die religiösen Vorurteile der Menge auf seiner Seite waren, elend und verlassen in den Bergen gelebt, von jedem freundschaftlichen Verkehr ausgeschlossen und beraubt der Möglichkeit, eine Tochter des Stammes zu heiraten. Wir konnten uns also auf Tafas und seinen Sohn Abdulla verlassen; Ali bemühte sich, durch eingehende Unterweisungen dafür zu sorgen, daß die Ausführung des Auftrags auch den Absichten entsprach.

Wir ritten durch die Palmenhaine, welche die zerstreuten Häuser des Dorfes Rabegh wie ein Gürtel umschlossen, und dann unter die Sterne hinaus, durch die Tihamma dahin, jenen sandigen und flachen Wüstenstreifen, der sich an der Westküste Arabiens zwischen Meeresstrand und Randgebirge auf Hunderte von Meilen einförmig dahinzieht. Tagsüber herrschte in dieser Ebene eine unerträgliche Hitze, und ihre Wasserarmut machte die Durchquerung höchst beschwerlich. Doch war dieser Weg nicht zu vermeiden, da die wasserreichen Randgebirge von Norden wie von Süden her zu schroff waren für einen Übergang mit beladenen Tieren.

Die Kühle der Nacht war wohltuend nach dem mit Widrigkeiten und Verhandlungen hingeschleppten Tag in Rabegh. Tafas führte schweigend, und die Kamele schritten lautlos über den weichen, ebenen Sand. Während wir so dahinzogen, dachte ich daran, daß wir hier auf der alten Pilgerstraße ritten, auf der seit unzähligen Generationen das Volk aus dem Norden herabgezogen kam, um die Heiligen Städte zu besuchen und Gaben des Glaubens am Heiligen Grab niederzulegen. Und mir kam der Gedanke, daß die Erhebung Arabiens gewissermaßen eine Pilgerfahrt in umgekehrter Richtung werden könnte, eine Pilgerfahrt, die dem Norden – Syrien – ein anderes Ideal bringen würde: den Glauben an die Freiheit an Stelle ihres früheren Glaubens an eine Offenbarung.

siehe Bildunterschrift

Emir Abdullah.
Pastellzeichnung von Kennington

Mehrere Stunden lang ritten wir gleichförmig dahin. Bisweilen strauchelten die Kamele; dann rafften sie sich wieder hoch und die Sättel krachten: Anzeichen dafür, daß die glatte Ebene in Triebsandgelände überging, das mit niedrigem Strauchwerk bestanden und infolgedessen uneben war, da sich um die Pflanzen kleine Dämme stauten und die Wirbel der Seewinde die Zwischenräume aushöhlten. Die Kamele schienen im Dunkeln nicht gangsicher zu sein, und da der sternbeleuchtete Sand kaum Schatten zeigte, waren Unebenheiten und Löcher schwer zu erkennen. Kurz vor Mitternacht hielten wir an; ich wickelte mich fester in meinen Mantel und suchte mir eine meiner Größe passende Kuhle, in der ich gut bis fast zur Morgendämmerung schlief.

Sobald Tafas den frostigen Lufthauch des nahenden Tages spürte, war er auf den Beinen, und zwei Minuten später schaukelten wir von neuem dahin. Eine Stunde danach, als es eben hell wurde, klommen wir einen niedrigen Lavarücken hinan, der fast bis zur Höhe mit Flugsand bedeckt war. Ein schmaler Ausläufer nahe dem Ufer verband ihn mit dem großen Lavafeld von Hedschas, dessen Westrand rechts von uns aufstieg und die Lage der Küstenstraße bestimmte. Der Rücken war steinig, aber nicht lang, die bläuliche Lava hatte beiderseits niedrige Grate angestaut, von denen aus man – wie Tafas sagte – die Schiffe draußen auf dem Meer sehen konnte. Zu Seiten des Weges hatten hier die Pilger Steinmale errichtet. Bisweilen waren es einzelne kleine Pfeiler, aus je drei übereinandergeschichteten Steinen bestehend, bisweilen regellose Haufen, denen jeder Vorübergehende nach Belieben einen Stein hinzufügte – ohne eigentlich zu wissen warum, nur weil es andere auch taten, und die wußten vielleicht den Grund.

Jenseits der Höhe stieg der Pfad in eine weite, offene Ebene hinab, die Masturah, durch die das Wadi Wadis = trockne, oft tief eingeschnittne Flußtäler, die nur während der Winterregen, etwa Januar und Februar, Wasser fuhren, dann allerdings zu reißenden Strömen werden. (A. d. Ü.) Fura zum Meere floß. Die ganze Oberfläche war bedeckt mit ineinanderlaufenden, wenige Zoll tiefen Rinnen aus lockerem Steingeröll: den Betten des Hochwassers, wenn es nach einem der seltenen Regenfälle in Tareif sich mit stromartiger Gewalt zum Meer ergoß. Das Delta der Flußmündung war ungefähr sechs Meilen breit, und in seinem unteren Teil traten zuweilen für ein bis zwei Stunden oder selbst für ein bis zwei Tage kleine Wasserläufe hervor. Der Untergrund war voller Feuchtigkeit und durch die darüberliegende Sandschicht vor dem Austrocknen geschützt, so daß Dornbäume und lockeres Buschwerk darauf wuchsen. Manche Stämme waren einen Fuß im Durchmesser stark und etwa zwanzig Fuß hoch. Die Bäume und Büsche standen in einzelnen Gruppen verstreut, und ihre unteren Zweige waren von Kamelen abgefressen, so daß sie wie künstlich gestutzt aussahen, was in dieser Wildnis einen seltsamen Eindruck machte, zumal die Tihamma sich bisher nur als eine kahle Öde gezeigt hatte.

Zwei Stunden stromaufwärts lag, wie Tafas berichtete, der Durchbruch, wo das Wadi Fura aus den letzten Granitbergen heraustrat; dort war ein kleines Dorf entstanden, Khoreba, mit Bewässerungskanälen, Brunnen und Palmenhainen, bewohnt von einer kleinen Anzahl Freigelassener, die Dattelbau betrieben. Das war von Bedeutung. Wir hatten nicht gewußt, daß das Bett des Wadi Fura einen direkten Verbindungsweg darstellte, der aus der Gegend von Medina bis in die Nähe von Rabegh führte. Er lag so weit südlich und östlich von Faisals vermutlicher Stellung in den Bergen, daß er von da aus kaum gedeckt werden konnte. Abdulla hatte uns auf das Vorhandensein Khorebas nicht aufmerksam gemacht, trotzdem es für die Rabegh-Stellung von großer Wichtigkeit war, da der Feind dort eine Wasserstelle finden konnte, die vor unserem Eingreifen oder unseren Schiffsgeschützen sicher war. Die Türken konnten bei Khoreba starke Kräfte zusammenziehen, um von da aus die von uns vorgesehene Brigade in Rabegh anzugreifen.

Auf weitere Fragen erzählte Tafas, daß bei Hadschar, in den Bergen östlich von Rabegh, eine weitere Wasserstelle vorhanden wäre, die den Masruh gehörte und wo sich jetzt das Hauptquartier Hussein Mabeirigs, ihres türkenfreundlichen Scheiks, befände. Die Türken konnten sie von Khoreba aus als nächste Station auf ihrem Marsch nach Mekka benutzen und dabei Rabegh unbelästigt und, ohne von dort einem Angriff ausgesetzt zu sein, in ihrer Flanke liegenlassen. Das bedeutete, daß die angeforderte englische Brigade nicht imstande sein würde, Mekka vor den Türken zu schützen. Dazu würden Kräfte mit einer Front oder einem Aktionsradius von einigen zwanzig Meilen englische Meile = 1,609 km. (A. d. Ü.) erforderlich sein, die den Feind von allen drei Wasserstellen fernhalten konnten.

Die Sonne stand noch nicht hoch am Himmel, und wir ließen die Kamele über das gleichmäßige Kiesgeröll zwischen den Bäumen in ständigem Trab gehen, um den Brunnen von Masturah zu erreichen, die erste Station auf der Pilgerstraße von Rabegh, wo wir tränken und etwas rasten wollten. Ich war ganz entzückt von meinem Kamel, denn ich hatte nie vorher auf einem so trefflichen Tier gesessen. In Ägypten gibt es keine guten Kamele, und die aus der Sinaiwüste, obgleich kräftig und abgehärtet, sind nicht auf diesen sanften, gleichmäßigen und raschen Gang dressiert wie die prächtigen Tiere der arabischen Fürsten.

Doch blieben die Fertigkeiten meines Kamels an diesem Tage durchaus ungenützt, denn sie konnten nur Reitern zugute kommen, die sich darauf verstanden und den Kniff weg hatten, nicht aber mir, der ich lediglich getragen zu werden erwartete und von dieser Reitkunst wenig Ahnung hatte. Es ist nicht schwer, auf dem Buckel eines Kamels zu sitzen, ohne herunterzufallen; aber mit Verständnis das Beste aus ihm herauszuholen, ohne bei langer Reise Reiter und Tier zu überanstrengen, dazu gehört allerlei. Tafas gab mir unterwegs einige Winke in dieser Beziehung; und das war in der Tat so ziemlich das einzige, worüber er mit mir sprach. Der Befehl, mich von jeder Berührung mit Menschen fernzuhalten, schien auch seine eigenen Lippen verschlossen zu haben. Schade, denn sein Dialekt interessierte mich.

Nahe am Nordrand der Masturah trafen wir auf den Brunnen. Daneben lagen verfallene Steinmauern, wahrscheinlich einst eine Hütte, und gegenüber einige Schutzdächer aus Zweigen und Palmblättern, unter denen ein paar Beduinen hockten. Wir grüßten sie nicht, sondern Tafas bog hinter die Mauerruinen und wir stiegen ab. Dort blieb ich im Schatten sitzen, während Tafas und sein Sohn Abdulla die Kamele tränkten und für sich wie für mich einen Trunk Wasser schöpften. Der Brunnen war alt und geräumig, mit einer gut erhaltenen steinernen Einfassung und einer starken Mauerkappe über der Öffnung. Er war ungefähr zwanzig Fuß tief, und zur Bequemlichkeit für Reisende, die wie wir keine Seile bei sich hatten, war in dem Mauerwerk ein Schacht ausgespart mit Stützen für Hand und Fuß, so daß jedermann hinabsteigen und seinen Ziegenschlauch füllen konnte.

Unnütze Hände hatten Steine in den Brunnen geworfen, so daß der Grund zum Teil verstopft war und wenig Wasser gab. Abdulla band seine flatternden Ärmel über der Schulter zusammen, schürzte das lange Gewand unter dem Patronengürtel, und hurtig ab- und auf kletternd, brachte er jedesmal vier bis fünf Gallonen 1 Gallone = 4,54 Liter. (A. d. Ü.) herauf, die er für die Kamele in einen Steintrog neben dem Brunnen goß. Jedes von ihnen soff etwa fünf Gallonen, denn sie waren zuletzt am Tage vorher in Rabegh getränkt worden. Dann ließen wir sie etwas umherschweifen, während wir friedlich beieinandersaßen und die leichte Brise von See atmeten. Abdulla rauchte eine Zigarette zur Belohnung für seine Mühen.

Einige Harb kamen heran mit einer großen Herde Zuchtkamele und begannen sie zu tränken. Ein Mann stieg in den Brunnen hinab, um den schweren Ledereimer zu füllen, den dann die anderen Hand vor Hand mit lautem Stakkatogesang heraufzogen.

Wir sahen ihnen zu, ohne uns mit ihnen einzulassen. Denn sie waren Masruh und wir Beni Salem; und wenn auch die beiden Stämme zur Zeit in Frieden lebten und jeder ungehindert durch das Gebiet des anderen ziehen mochte, so war das nur eine vorübergehende Verständigung im Hinblick auf den Krieg des Scherifs gegen die Türken und entsprach nur wenig den wahren Gesinnungen.

Während wir ihnen zusahen, näherten sich von Norden her zwei Reiter auf rasch und leicht trabenden Vollblutkamelen. Beide waren junge Männer. Der eine trug kostbare Kaschmirgewänder und ein reich mit Seide gesticktes Kopftuch; der andere war in einfachen weißen Baumwollstoff gekleidet, mit einem Kopftuch aus rotem Kattun. Sie machten neben dem Brunnen halt; der Reichgekleidete glitt anmutig zur Erde, ohne sein Kamel niedergehen zu lassen, warf seinem Begleiter den Halfter zu und sagte nachlässig: »Tränke sie, ich gehe derweil mich ausruhen.« Dann schlenderte er zu uns herüber und ließ sich im Schatten der Mauer nieder, nachdem er einen Blick gemachter Gleichgültigkeit auf uns geworfen hatte. Er bot mir eine frisch gedrehte und geklebte Zigarette an und sagte: »Ihr kommt aus Syrien herunter?« Ich wich höflich aus, indem ich der Vermutung Ausdruck gab, er komme von Mekka, worauf er ebensowenig direkte Antwort gab. Wir sprachen dann noch einiges über den Krieg und die Magerkeit der Kamelstuten der Harb.

Der andere Reiter stand mittlerweile bei dem Brunnen, müßig die Halfter haltend, und schien zu warten, bis die Harb ihre Herde getränkt hätten und die Reihe an ihn käme. Sein junger Herr rief ihm zu: »Was soll das, Mustafa? Gib sofort den Tieren zu trinken!« Der Diener kam zu uns und sagte betrübt: »Sie wollen mich nicht heranlassen.« »Zum Teufel!« rief sein Herr wütend, sprang auf und schlug dem unglücklichen Mustafa mit dem Reitstock drei- oder viermal über Kopf und Schultern. »Geh und frage sie!« Mustafa machte eine beleidigte, verdutzte und zornige Miene, fast als wollte er zurückschlagen, besann sich aber eines Besseren und eilte zum Brunnen.

Die betroffenen Harb machten ihm mitleidig Platz und ließen seine zwei Kamele aus ihrem Wassertrog saufen, Sie flüsterten: »Wer ist er?«, und Mustafa sagte: »Der Vetter unseres Herrn von Mekka.« Sofort liefen sie hin, knüpften ein Bündel von einem ihrer Sättel los und streuten daraus den beiden Reitkamelen Futter von grünen Blättern und Dornstrauchknospen. Diese werden gesammelt, indem man mit schweren Stöcken auf die niedrigen Büsche schlägt, bis die abgebrochenen Zweigspitzen auf das darunter ausgebreitete Tuch herniederregnen.

Der junge Scherif sah ihnen befriedigt zu. Als sein Kamel gefressen hatte, kletterte er leicht und ohne jede Anstrengung über den Hals in den Sattel, setzte sich lässig zurecht, nahm salbungsvoll Abschied von uns und rief des Himmels reiche Gnade auf die Araber herab. Sie wünschten ihm gute Reise, und er ritt nach Süden zu davon, während wir, nachdem Abdulla unsere Kamele herbeigebracht hatte, uns nach Norden wandten. Zehn Minuten später hörte ich den alten Tafas kichern und sah vergnügte Fältchen zwischen seinem grauen Schnurr- und Vollbart.

»Was hast du, Tafas?« fragte ich.

»Herr, du sahst jene beiden Reiter am Brunnen?«

»Den Scherif und seinen Diener?«

»Ja; aber es war der Scherif Ali ibn el Hussein von Modhig und sein Vetter, Scherif Mohsin, die Oberherren der Harith, die Todfeinde der Masruh. Sie fürchteten, angehalten oder vom Wasser vertrieben zu werden, wenn die Araber sie erkannten. So gaben sie sich als Herr und Diener aus, von Mekka kommend. Habt Ihr den Zorn Mohsins gesehen, als Ali ihn schlug? Ali ist ein Teufel. Mit elf Jahren floh er aus seines Vaters Haus zu seinem Onkel, dessen Gewerbe das Berauben von Pilgern war, und lebte bei ihm viele Monate, bis sein Vater ihn wieder einfing. Vom ersten Tage der Schlacht bei Medina an war er bei unserm Herrn Faisal und führte die Ateiba an in den Ebenen rund um Aar und Bir Derwisch. Hier waren die Kamelgefechte, und Ali wollte keinen Mann bei sich haben, der es ihm nicht gleichtun konnte: neben dem Kamel herlaufen und sich mit einer Hand in den Sattel schwingen, während die andere die schußbereite Büchse hielt. Die Kinder der Harith sind Kinder der Schlacht.« Zum erstenmal floß der Mund des alten Mannes über von Worten.


 << zurück weiter >>