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Zweites Kapitel

Die erste Schwierigkeit der arabischen Bewegung lag in der Feststellung, wer eigentlich »Araber« war. Da sie ein zusammengewürfeltes Volk sind, hat ihr Name im Lauf der Jahre seinen Inhalt geändert. Einst bedeutete er »ein Arabischer«. Es gibt ein Land, das Arabien heißt; doch damit ist nichts gewonnen. Es gibt eine Sprache, das Arabische, und das führt uns zum Ziel. Sie ist die gemeinsame Umgangssprache in Syrien und Palästina, in Mesopotamien und auf der großen Halbinsel, die auf der Karte mit Arabien bezeichnet ist. Vor dem Sieg des Islams waren diese Gegenden von verschiedenen Völkern bewohnt, die Sprachen der arabischen Sprachgruppe gebrauchten. Wir nennen sie das Semitische, was (wie die meisten wissenschaftlichen Bezeichnungen) ungenau ist. Indessen waren das Arabische, Assyrische, Babylonische, Phönizische, Hebräische, Aramäische und Syrische doch verwandte Sprachen; und die Merkmale gemeinsamer Einflüsse in der Vorzeit oder sogar eines gemeinsamen Ursprungs wurden durch die Erkenntnis bestätigt, daß Sitten und Gebräuche der heute arabisch sprechenden Völker Asiens zwar bunt wie ein Mohnfeld sind, doch im wesentlichen übereinstimmen. Man kann sie mit vollem Recht Verwandte nennen – wunderliche Verwandte, die voreinander auf der Hut sind.

Das arabischsprechende Gebiet Asiens stellt ein unregelmäßiges Parallelogramm dar. Seine Nordseite läuft von Alexandrette am Mittelmeer quer durch Mesopotamien ostwärts zum Tigris. Die Südseite bildet die Küste des Indischen Ozeans von Aden bis Maskat. Im Westen ist es begrenzt vom Mittelmeer, vom Suezkanal und dem Roten Meer bis Aden. Im Osten vom Tigris und dem Persischen Golf bis Maskat. Dieses Viereck, so groß wie Indien, bildet das Heimatland der Semiten, in dem keine fremde Rasse dauernd Fuß fassen konnte, obwohl Ägypter, Hettiter, Philister, Perser, Griechen, Römer, Türken und Franken es verschiedentlich versucht haben. Alle sind schließlich unterlegen; und ihre verstreuten Reste gingen bald in. der semitischen Rasse mit ihren stark ausgeprägten Merkmalen auf. Einige Male sind die Semiten über dieses Gebiet hinausgedrungen und selber in der Außenwelt untergegangen. Ägypten, Algier, Marokko, Malta, Sizilien, Spanien, Kilikien und Frankreich haben semitische Kolonien aufgesogen und vernichtet. Nur in Tripolis, in Afrika und in der erstaunlichen Erscheinung des Welt Judentums haben Teile der Semiten ihre Eigenart und Stärke behauptet.

Der Ursprung dieser Völker ist eine wissenschaftliche Streitfrage. Aber für das Verständnis ihres Aufstandes sind ihre gegenwärtigen sozialen und politischen Unterschiede von Bedeutung, die nur bei Berücksichtigung ihrer geographischen Lage verstanden werden können. Ihr Gebiet zerfällt in mehrere große Abschnitte, deren außerordentliche landschaftliche Verschiedenheit die voneinander abweichenden Sitten ihrer Bewohner bedingt.

Im Westen, zwischen Alexandrette und Aden, wird das Parallelogramm von einem Gebirgsgürtel umrahmt, der im Norden Syrien heißt, dann weiter nach Süden zu Palästina, ferner Midian, Hedschas und zuletzt Jemen. Seine Durchschnittshöhe beträgt ungefähr dreitausend Fuß mit einzelnen Gipfeln von zehn- bis zwölftausend Fuß 1 Fuß = 30,479 cm (A. d. Ü.).. Dieser Berggürtel ist nach Westen zu offen, ist gut bewässert durch Regen und feuchte Seewinde und im allgemeinen dicht bevölkert.

Eine andere Reihe bewohnter Höhenzüge bildet nach dem Indischen Ozean zu die Südseite des Parallelogramms. Den Ostrand bildet zuerst eine Alluvialebene, Mesopotamien genannt, dann im Süden von Basra an ein Flachufer mit den Landschaften Koweit, Hasa und Katr. Ein großer Teil dieser Ebene ist bevölkert.

Diese bewohnten Berggürtel und Ebenen umschließen ein dürres Wüstengebiet, in dessen Mitte ein Archipel wasser- und volkreicher Oasen liegt: Kasim und E'Riad. Diese Oasengruppen sind das eigentliche Herz Arabiens, das Gehege seines völkischen Geistes und einer selbstbewußten Eigenart. Die Wüste umschließt sie rings und hält sie von der Berührung mit der Außenwelt fern.

Die Wüste um die Oasen, die ihnen diesen großen Dienst leistete und so den Charakter der Araber formte, ist landschaftlich nicht einheitlich. Südlich der Oasen erscheint sie als ein unwegsames Sandmeer, das sich fast bis zu den Abdachungen an der Küste des Indischen Ozeans erstreckt und diese Gebiete von der Geschichte Arabiens und dem Einfluß arabischer Sitte und Politik ausschließt. Hadramaut, wie man diese Südküste nennt, gehört mit in die Geschichte Niederländisch-Indiens und seine geistigen Fäden spinnen sich eher nach Java als nach Arabien. Im Westen der Oasen, bis zu den Höhen von Hedschas hin, liegt die Nedschdwüste, meist aus Kies und Lava bestehend, mit kleinen Sandeinschüssen. Im Osten der Oasen, nach Koweit zu, erstreckt sich ebenfalls steiniger Boden, aber unterbrochen von großen Strecken losen Sandes, der einen Durchmarsch erschwert. Im Norden der Oasen liegt ein Sandgürtel; daran schließt sich eine ungeheure Ebene aus Kies und Lava an, die den ganzen Raum zwischen dem Ostrand Syriens und den Ufern des Euphrats bis zur Grenze Mesopotamiens ausfüllt. Der Umstand, daß dieser nördliche Teil der Wüste für Fußgänger und Automobile zugänglich ist, ermöglichte den vollen Erfolg des arabischen Aufstandes.

Die Berggürtel im Westen und die Ebenen im Osten gehörten stets zu den volkreichsten und lebendigsten Gebieten Arabiens. Besonders Syrien und Palästina, Hedschas und Jemen griffen von Zeit zu Zeit in die Geschichte des europäischen Lebens ein. Ihrer kulturellen Eigenart nach gehören diese fruchtbaren und gesunden Bergländer mehr zu Europa als zu Asien. Wie überhaupt die Araber ihre Blicke stets auf das Mittelmeer und nicht auf den Indischen Ozean gerichtet hielten, sowohl für ihre kulturellen Bedürfnisse und wirtschaftlichen Unternehmungen, wie auch besonders für ihre Ausbreitung. Denn die Frage der Volksverschiebung bildet eine der stärksten und verwickeltsten Grundkräfte Arabiens; das gilt für das ganze Land, wie verschieden sie sich auch in den einzelnen Teilen gestalten mag.

Im Norden (Syrien) hatten die Städte infolge schlechter sanitärer Zustände und der ungesunden Lebensweise niedrige Geburtenziffern und hohe Sterblichkeitsraten. Infolgedessen fand die überschüssige Landbevölkerung Aufnahme in den Städten und wurde von ihnen aufgesogen. Im Libanon, wo die sanitären Bedingungen besser waren, nahm die Auswanderung der Jugend nach Amerika von Jahr zu Jahr zu und droht (zum erstenmal seit den Tagen der Griechen) die Zukunft eines ganzen Landstrichs entscheidend zu beeinflussen.

Im Jemen war die Lösung anders. Dort gab es keinen auswärtigen Handel und keine Industriezentren, welche die Bevölkerung an ungesunden Orten aufhäuften. Die Städte waren nichts als Marktflecken, primitiv und ländlich wie die Dörfer. Infolgedessen nahm die Bevölkerung langsam zu; die Lebenshaltung sank auf einen sehr niedrigen Stand, und allgemein machte sich eine Übervölkerung fühlbar. Eine Auswanderung über das Meer war unmöglich; denn der Sudan war sogar noch unwohnlicher als Arabien. Die wenigen Stämme, die das Wagnis unternahmen, sahen sich, wenn sie sich behaupten wollten, genötigt, ihre Lebensweise und ihre semitische Kultur von Grund auf zu ändern. Eine Ausdehnung nach Norden längs der Berge war ebensowenig möglich; denn der Weg war durch die Heilige Stadt Mekka und ihren Hafen Dschidda versperrt. Diese Schranke wurde immer wieder durch Einwanderer aus Indien und Java, Buchara und Afrika verstärkt, die sich kräftig behaupteten und dem semitischen Wesen feindlich gegenüberstanden; und sie wurde trotz aller wirtschaftlichen, landschaftlichen und klimatischen Gleichklänge durch das künstliche Mittel einer Weltreligion aufrechterhalten. Die Übervölkerung im Jemen, nachgerade zu einem Notstand geworden, fand daher nur im Osten einen Ausweg, wobei die dünner gesäten Grenzbewohner immer weiter und weiter die Hänge der Berge hinabgedrängt wurden, die Wadis entlang, das halbwüste Gebiet der großen wasserreichen Täler von Bischa, Dawasir, Ranja und Taraba, die weiter nordwärts in die Nedschdwüste führen. Die schwächeren Stämme mußten ständig wasserreiche Quellen und fruchtbare Landstücke gegen immer ärmere und weniger ertragreiche eintauschen, bis sie schließlich eine Gegend erreichten, wo ein Ackerbau allein unmöglich wurde. Dort fingen sie an, ihren kärglichen Lebensunterhalt durch Schaf- und Kamelzucht zu ergänzen; und mit der Zeit wurde ihr Dasein immer mehr und mehr von diesen Herden abhängig.

Schließlich wurden die Grenzvölker, schon fast alle Hirten geworden, unter einem letzten Vorstoß der notleidenden Bevölkerung in ihrem Rücken auch aus der fernsten kleinen Oase hinaus in die unwegsame Wildnis getrieben und sie wurden nun Nomaden. Dieser Vorgang, den man heute bei einzelnen Sippen und Stämmen verfolgen kann, deren Wanderungen sich nach Ort und Zeit genau bestimmen lassen, muß schon am Anfang der vollen Besiedlung des Jemen begonnen haben. Die Wadis unterhalb von Mekka und Taif sind voll von Erinnerungen und Ortsnamen einiger fünfzig Stämme, die von dort ausgezogen sind und heute vielleicht im Nedschd, im Dschebel Schammar, im Hamad oder sogar an den Grenzen von Syrien und Mesopotamien zu finden sind. Dort begann die Wanderung, entstand das Nomadentum, entsprang der Golfstrom der Wüstenwanderer.

Die Wüstenvölker waren ebenso unstet wie die Bewohner der Bergländer. Die wirtschaftliche Grundlage ihres Lebens war ihr Bestand an Kamelen; für die Zucht am geeignetsten waren die kräftigen Hochlandweiden mit ihrem starken, nahrhaften Dorngestrüpp. Von dieser Beschäftigung lebten die Beduinen; und sie wiederum formte ihr Dasein, bestimmte das Gebiet der einzelnen Stämme und hielt sie auf steter Wanderung von den Frühjahrs- zu den Sommer- und Winterweiden, je nachdem, wo die Herden ihre karge Nahrung fanden. Die Kamelmärkte in Syrien, Mesopotamien und Ägypten entschieden, wieviel Menschen die Wüste ernähren konnte, und regelten genau die Höhe ihrer Lebenshaltung. Gelegentlich kam es auch in der Wüste zu einer Übervölkerung im Vergleich zu den Ernährungsmöglichkeiten. Dann begannen die zahllosen Stämme einander zu schieben und zu stoßen, in dem natürlichen Drange, einen Platz an der Sonne zu finden. Südwärts zu unwirtlichem Sand oder Meer mochten sie nicht wandern. Westwärts konnten sie sich nicht wenden, denn die steilen Höhen von Hedschas waren von den Bergvölkern dicht besiedelt, die den Vorteil einer natürlichen Verteidigungsstellung genossen. Manchmal stießen sie nach den zentralen Oasen von E'Riad und Kasim vor; und wenn die Stämme, die neue Wohnsitze suchten, stark und kräftig waren, mochte es ihnen gelingen, sie teilweise zu besetzen. Wenn aber die Wüste ihre Kraft nicht gestählt hatte, wurden sie Schritt für Schritt nach Norden getrieben, in die Gegend zwischen Medina im Hedschas und Kasim im Nedschd, bis sie sich an der Gabelung zweier Wege befanden. Sie konnten sich nach Osten wenden, über Wadi Rumh oder Dschebel Schammar, und schließlich dem Batin bis Schamiye folgen, wo sie dann am unteren Euphrat Flußaraber wurden. Oder sie konnten langsam Sprosse für Sprosse die Leiter der westlichen Oasen erklettern – Henakijeh, Kheiber, Teima, Dschof und den Sirhan – bis sie sich glücklich dem Dschebel Drus in Syrien näherten oder ihre Herden in der nördlichen Wüste um Tedmur herum tränkten, auf dem Wege nach Aleppo oder Assyrien.

Aber auch dann wich der Druck nicht von ihnen: der unerbittliche Zug nach Norden dauerte an. Die Stämme wurden bis an den Rand der bebauten Gegenden Syriens oder Mesopotamiens gedrängt. Günstige Gelegenheit und die Magenfrage überzeugten sie von den Vorteilen, sich Ziegen und dann auch Schafe zu halten; und schließlich begannen sie Getreide zu bauen, wenn auch nur ein wenig Gerste für das Vieh. Sie waren nun nicht mehr Beduinen und litten ebenso wie die Dörfler unter den Raubzügen der nachdrängenden Nomaden. Ganz von selbst machten sie gemeinsame Sache mit der bereits ansässigen Landbevölkerung und fanden, daß auch sie nun Bauern waren.

Karte 1

Karte 1

So sehen wir also, wie Stämme, aus dem Hochland von Jemen gebürtig, von stärkeren Stämmen in die Wüste hineingetrieben und dort wider ihren Willen Nomaden werden, um sich am Leben zu erhalten. Wir sehen, wie sie Jahr für Jahr ein wenig weiter nördlich oder östlich wandern, wie sie gerade durch den einen oder anderen der Brunnenwege durch die Wüste geführt werden, bis endlich der Druck sie wieder aus der Wüste herausdrängt und sie sich ansiedeln, ebenso gegen ihren Willen, wie sie vordem zum Nomadenleben gezwungen worden waren. Dieser Kreislauf erhielt den Semiten ihre Kraft. Es gibt wenige, im Norden vielleicht überhaupt keine, deren Ahnen nicht einmal in dunkler Vorzeit durch die Wüste gewandert wären. Jeder von ihnen trägt mehr oder weniger das Merkmal des Nomadentums an sich, der schärfsten und einschneidendsten Zucht.


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