Wilhelm von Kügelgen
Jugenderinnerungen eines alten Mannes
Wilhelm von Kügelgen

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5. Der Grundbesitz

Während meiner Abwesenheit waren die Meinigen auch nicht ganz ohne Erlebnis geblieben; es hatte sich sogar etwas recht Angenehmes zugetragen.

«Willst du was wissen?» sagte mir mein Bruder; «du bist Krautjunker geworden!»

«Und du?» erwiderte ich.

«Auch Krautjunker, lauter Krautjunker! Wir haben Land und Leute!»

«Wo liegt das Land?» fragte ich.

«Südlich vom ‹Weißen Hirsch›.»

«Und wer sind die Leute?»

«Ein Winzer mit Familie nebst Kettenhund und Kuh. – Merkst du was?»

Schon seit Jahren war der Vater mit dem Gedanken umgegangen, sich anzukaufen. Zwar dachte er nicht an Herrschaften und Rittergüter, wohl aber an Gärten und Weinberge. Dergleichen «Sommerpläsiers» (wie man's in Dresden nannte) waren des öfteren besichtigt worden und hatten uns andere auch stets befriedigt, den Vater aber leider nie, oder er hatte doch wenigstens mit den Besitzern nicht handelseinig werden können. Wir Kinder hatten uns daher bereits in den Gedanken eingelebt, daß es mit dieser Sache wie mit der russischen Reise gehen würde.

Desto mehr überraschte mich jetzt die Neuigkeit des Bruders, daß wirklich etwas gekauft sei, und zwar etwas ganz Herrliches, nämlich der alte wohlbekannte und geliebte Weinberg, den wir zu Senffs Zeiten mietweise innegehabt und nach welchem unsere Sehnsucht stets zurückgestanden hatte. Diese kleine, etwa vierzig Magdeburger Morgen große und nur ein Stündchen von der Stadt entfernte Besitzung entsprach allen Anforderungen und Wünschen. Das Gehöft mit dem Wohnhause war halbwegs zwischen der Mordgrundbrücke und dem Loschwitzer Dorf in mittlerer Höhe des Bergzuges gelegen, der von der Sächsischen Schweiz längs der Elbe herstreicht. Von hier aus stieg die mit Obstbäumen untermischte Weinanlage aufwärts bis zum Rücken des Berges und verlief dann weiter nach dem «Weißen Hirsch» und der Bautzener Straße zu in Wiesen, Feld und Eichengestrüpp. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich sage, daß man von der Höhe mindestens sechzehn Quadratmeilen übersah mit noch einmal so viel Ortschaften, unzähligen Schlössern und Landhäusern, Wäldern, Feldern, Berg und Tälern, den breiten Elbstrom mitten durchgeschlungen. Zählt man zu diesen Eigenschaften noch das pretium affectionis eigenen Besitzes, so konnte unser Weinberg, wie er eben war, uns schon als Paradies erscheinen – und was mußte es erst werden, wenn alle Neubauten und Verbesserungen hinzukamen, die noch im Plane lagen? Das etwas kahlgelegene Wohnhaus sollte mit Blumen- und Boskettanlagen eingefaßt, der Röhrbrunnen (in dessen Troge ich vorzeiten unter Assistenz von Winzers Gottlieb manches bluterstarrende Bad genossen) zum Springbrunnen und das Eichengestrüpp dort oben zum Lustwäldchen umgeschaffen werden; Waldesschatten und Wipfelrauschen sollten uns und unsere Gäste in höchster Höhe laben. Vor allem aber gedachte der Vater, der sich bis dahin mit ungeeigneten Lokalen behelfen mußte, ein großes Atelier mit wandbreitem Fenster anzubauen, und konnte es kaum erwarten, wie klar und farbig er in solchem Lichte malen werde. Auch die Wohnzimmer sollten umgestaltet und erweitert, auch einige Gaststuben eingerichtet werden. Der Umbau des Hauses wurde daher zuerst in Angriff genommen, Wände wurden eingerissen, andere aufgeführt, und fast täglich ging man hinaus, zu sehen, wie die Sachen sich gestalteten.

Zu diesen Freuden gesellte sich die erste, zwar nicht reiche, aber an Qualität vorzügliche Weinernte. Wir alle legten Hand an, die schöne Gottesgabe einzuheimsen, und eine Lust war es, den Vater glühenden Gesichtes und mit der Kiepe auf dem Rücken wie einen Jüngling durch die Rebenhügel schreiten zu sehen. Die roten Trauben wurden nach rheinischer Weise in sauberen Bütten gekeltert oder durchgebuttert – was nicht so leicht war, als es aussah –, und erst nachdem die Masse einige Tage auf der Schale gestanden, kam sie auf die Presse. Da war's denn eine Hauptlust, den rubinroten Saft wie einen mächtigen Bergquell aussprudeln zu sehen, und wer hinzutrat, mochte sich daran laben. Besser noch, obgleich weniger guten Wein gebend, mundete der dickere Saft der weißen Trauben, die ungekeltert aufgeschüttet wurden, sich anfänglich durch eigenes Gewicht auspressend. Mit diesem sogenannten Ausbruch füllten mein Bruder und ich uns so maßlos an, daß der besorgte Winzer die Mahnung an der Zeit hielt, die jungen Herren würden eine schöne Angst im Leibe kriegen. Wir hatten aber nicht gewußt, daß irgend etwas in der Welt so überaus vortrefflich schmecken könne, und dachten, daß der gegenwärtige Genuß der kommenden Angst schon wert sei. Wir tranken daher fort, solange Raum war, und hatten es endlich noch umsonst, denn die angedrohte Angst blieb aus.

Der edle Trank ward im Keller eingelegt, und mein Vater behandelte ihn während seiner kritischen Verwandlung mit so aufmerksamer Sorglichkeit, als gälte es die Pflege eines allerhöchstgeborenen Patienten. Dafür erstand er auch zu seiner Zeit als ein ganz königlicher Gesell, ähnlich dem Aßmannshäuser, und zeigte, wessen die Elbtraube bei richtiger Behandlung fähig sei. Was wir nicht selber brauchten, wurde gut verkauft, und es ließ sich leicht berechnen, daß, wenn auf sieben Jahre auch nur eine volle Ernte kam, der Berg sehr reichliche Prozente tragen würde.

Mein Vater hatte somit einen sorglosen Besitz erworben, den er auf den Namen seiner Frau schrieb, um ihr den Witwensitz zu sichern. Er glaubte nämlich genau zu wissen, daß sie ihn überleben würde, und zwar infolge einer sehr sonderbaren kabbalistischen Berechnung, die ihn in seiner Jugend ein alter Mönch gelehrt hatte. Kannte man hiernach die Vornamen zweier Eheleute, so brauchte man deren Buchstaben nur in Zahlen zu verwandeln, diese auf gewisse Weise miteinander zu vermehren und zu teilen, und erhielt ein Fazit, welches anzeigte, wer von beiden zuerst sterben würde. Meine Mutter sah den Vater dieses Kunststück – dessen Schlüssel er jedoch geheimhielt – in einer größeren Gesellschaft produzieren. Man nannte ihm die Taufnamen ihm unbekannter, bereits verstorbener Eheleute; – er rechnete – und das Exempel traf immer zu. Auch in seinem eigenen Falle ist es zugetroffen, und zwar weit eher, als er dachte. Er sollte das hübsche kleine Weingut, an welchem er so große Freude hatte, nie bewohnen. Mein Vater beschleunigte den Bau des Hauses nach Kräften. Auch während des Winters ließ er arbeiten und ging mehrmals wöchentlich hinaus, die Bauleute anzuweisen. Wie freute er sich auf den Frühling, sein Landhaus zu beziehen! Wie freuten wir uns alle, und ich gewißlich nicht am wenigsten, der ich gleichzeitig in die Jüngerschaft des Vaters treten und den Kreidestaub von meinen Händen schütteln sollte, um im neuen Atelier den ersten Pinsel anzufassen. Es war so überreiche Aussicht, daß man nicht wußte, wo zuerst hinblicken, und doch war das Leichentuch schon gewoben, das alle diese Herrlichkeiten bedecken sollte.


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