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Mein akademischer Umgang beschränkte mich übrigens nicht bloß auf die Gipssaalgenossen. Zwei ältere, schon selbständig arbeitende Schüler meines Vaters führten mich nun auch in weitere Kreise ein. Sie hießen Träger und Cotta.
Träger war ein hochblonder Mensch von unscheinbarem, etwas abgetragenem Äußern, in welchem niemand das Genie erkannt hätte. Er stammte vom Rheine her, war früher Schreiber gewesen und hatte sich erst seit einigen Jahren der Malerei gewidmet; aber jetzt schon war er der hervorragendste Schüler der Akademie und hatte bereits einen Namen, der in der Folge zu den besten zählen mußte, wenn er nicht allzu früh gestorben wäre. Dieser ausgezeichnet begabte Mensch war, trotz seines wenig bestechenden Aussehens, der Liebling aller, die mit ihm in Berührung kamen, und stand in höchster Achtung. Überaus gefällig, still, bescheiden, von feinem Takt und Geiste, hatte er ein besonders schnelles Auge für das Gute und Echte in Natur und Kunst und die besondere Gabe, dies auch andern fast augenblicklich zu erschließen. In seiner Gesellschaft Bilder zu sehen, etwa die Dresdner Kunstsammlungen, oder die Mappen und Kupferhefte meines Vaters zu durchstöbern. war daher ein Hochgenuß für mich. Viele Worte pflegte Träger freilich nicht dabei zu verlieren, er sagte sogar in der Regel gar nichts; aber indem er das, was ihm gefiel, unter einem herzlichen, nur ihm allein eigenen halblauten Lachen auf höchst charakteristische Weise mit dem Finger umschrieb, öffnete sich auch mir das Verständnis, und zwar viel einleuchtender und besser, als dies mittelst der weisesten Auseinandersetzung möglich gewesen wäre. Zu mir, dem tief unter ihm stehenden Anfänger, ließ der angehende Meister sich aufs freundlichste herab, unterstützte mich mit Rat und Tat und ward mein lieber Freund.
Der andere, namens Cotta, Sohn eines Malers in Rudolstadt, war ein langer, pockennarbiger Mensch in hellgrünem Pelzrock und mit grimmigen Gesichtszügen, deren Häßlichkeit man jedoch nicht übelnahm, weil sie zu der Individualität des Ganzen paßte. Von Träger sehr verschieden, war er laut, derb, fast roh, doch niemals salzlos. Wie jener, welcher Heilige und schöne Engel malte, sich vorzugsweise am Idealen begeisterte, so er am Trivialen. Eine gutgemalte Katze, pflegte er zu sagen, sei ihm lieber als ein schöngedachter Engel, und damit beschönigte er die Gegenstände seiner Muse. Er malte nämlich Hunde, Pferde, Kosaken und Baschkiren, für welche letztere er besondere Zärtlichkeit empfand, hatte auch bereits ein Heftchen radierter Kriegsszenen herausgegeben, die von der Künstlerwelt wohl aufgenommen wurden. Mein Vater hatte Wohlgefallen an diesem Kraftgenie, sowohl wegen seiner Leistungen als wegen seines jovialen Wesens; er gehörte daher, sowie auch Träger, zu den begünstigteren Gästen unseres Hauses, und namentlich konnten Landpartien ohne ihn nicht wohl gedacht werden. Dann führte er sein Skizzenbuch stets bei sich und stahl, was vorkam, mit leichtem Strich sehr saubere Bildchen entwerfend. Wenn dann auch ich bei solchen Gelegenheiten mich oft vergebens nach passenden Objekten umsah, um es ihm gleichzutun, so lachte er mich aus, behauptend, daß ich den Wald vor Bäumen nicht erkenne, denn er war der Meinung, daß außer dem, was man gewöhnlich schön nenne, auch alles übrige den höchsten Reiz gewinne, wenn man's nur scharf ins Auge fasse. Dies übrige, das heißt dasjenige, was man gewöhnlich nicht schön nennt, sprach ihn sogar besonders an, namentlich wenn es recht verkommen, verfallen und veraltet war. Ein abgetriebener Gaul, eine liederliche Hütte, ein alter versoffener Kerl bewogen ihn auf der Stelle, sein Skizzenbuch hervorzuziehen, während er an einem schönen arabischen Pferde, an Palästen und am Apoll von Belvedere ungerührt vorüberging. Als ich ihm deshalb mein Befremden zu erkennen gab, sagte er: «Recht hast du! Als Ochse bin ich geboren und habe es durchgesetzt, auch einer zu bleiben; du aber bist ein feines und gelehrtes Männchen.»
Von einem geselligen Zusammensein mit in den Schoß gelegten Händen hatte in unserem Hause niemand einen Begriff. Wenn wir des Abends beieinander saßen, so hatte jeder irgend etwas vor, wobei es keinen Unterschied machte, ob Freunde zugegen waren oder nicht. Mein Vater modellierte in der Regel kleine Wachsfiguren als Vorstudien zu seinen Bildern, mein Bruder schnitzte allerlei aus Holz oder zeichnete nach Ridingerschen Jagdszenen, ich endlich «inventierte», wie ich nach Cottas Vorgang das Entwerfen eigener Ideen nannte. An solchen fehlte es mir nicht im geringsten; unter den Gipssaalschülern, die sich meist an ihren Studienköpfen genügen ließen, die Inspiration zu eigenem Schaffen geduldig von der Zukunft erwartend, war ich sogar der reichste an selbständiger Erfindung und füllte meine Mappe mit einer Menge kleiner Kompositionen. Wenn diese auch sämtlich nicht viel besser gedacht als gemacht und nicht viel besser gemacht als gedacht sein mochten, so hatten meine beiden Gönner Cotta und Träger doch ihre Freude daran und überredeten mich, einem Kompositionsvereine beizutreten, dessen Mitglieder sämtlich älter und weiter gefördert waren als ich. Die Sache war nicht unbedenklich, da in der Regel niemand aufgenommen werden sollte, der nicht entweder schon ein Bild gemalt oder doch wenigstens Schüler der ersten Klasse, des Ölsaales, war, und in solchen Ausnahmefällen schloß eine einzige schwarze Kugel aus. Aber die Freunde machten Mut: «Der Teufel», sagte Cotta, «soll diese Steckenpferde reiten, wenn sie dich, gelehrtes Männchen, durchfallen lassen!» So wagte ich es denn. Ich mußte dreimal hospitieren, um bekannt zu werden, und wurde dann mit allen Stimmen akzeptiert.
Auf der Königlichen Akademie wurde außer dem Malen, von dem vorausgesetzt zu werden schien, daß es jeder selbst erfinden oder privatim erlernen werde, auch das Gewandzeichen und die Komposition gänzlich vernachlässigt. Es hatte sich daher jene Gesellschaft unter der Firma eines «Kunstvereins» gewissermaßen als Ersatzschule, wenigstens für die beiden letztgenannten Disziplinen, zusammengetan. Jeden Sonnabend abend fanden wir uns in einem zu diesem Zweck gemieteten Lokale ein und begannen unsere Studien zuerst am Gliedermann.
Für den Meister sind ohne Frage die Köpfe das schwerste, danach das Nackte; die Gewänder sind das leichteste. Umgekehrt geht es dem Schüler; daher man in den Arbeiten der Anfänger leidlichere Köpfe als Nacktes und leidlicheres Nacktes als leidliche Gewandung antrifft. Die Köpfe sind das letzte, was ein Meister, die Falten das letzte, was ein Schüler begreift. Dilettanten kommen niemals zu einigem Verständnis des Faltenwesens.
Von diesen Schwierigkeiten hatte ich damals noch keinen Begriff und setzte mich bei meinem ersten Besuche im Kunstvereine so sorglos an die Arbeit wie zu Tische. Falten – dachte ich – sind Falten und brauchen weder ähnlich noch verstanden zu sein, weil sie weder Physiognomien noch Muskeln oder Knochen haben. In Zeit von einer halben Stunde hatte ich den ganzen Gliedermann bewältigt mit allem, was drum und dran hing, und wenn es meiner Arbeit auch an Reiz zu fehlen schien, so befremdete mich das wenig, da offenbar die Puppe in demselben Fall war. Gleichgültig erhob ich mich, um Trägers Arbeit anzusehen, die mich lebhaft überraschte. Träger hatte zwar nur einen Teil des Gewandes gezeichnet, doch mit derselben Genauigkeit und Schärfe, als gälte es die Züge eines menschlichen Gesichtes; wirkliche und schöne Falten waren es, während die meinigen Gedärmen glichen. Auf meine Bitte nahm der Freund jetzt meinen Platz ein; er zeigte mir, wie die Falten, wenn auch gerade keine Anatomie, doch immerhin eine Art von Organismus, das heißt ein Gesetz ihrer Bildung hätten, nach welchem sie verstanden werden müßten, und daß ich sie nur oberflächlich angesehen hätte. Ich ging mit neuem Eifer und größerem Interesse an die Arbeit, aber die Aufgabe ward von Tag zu Tag schwerer, und das Rätsel der Falten kostete mich noch manchen bitteren Seufzer, ehe sie sich nur einigermaßen von Wurzeln und Gedärmen unterscheiden wollten.
Sehr viel mehr Vergnügen machte mir der übrige Teil des Abends. Nachdem ein gemeinschaftliches Mahl von Kartoffeln und brauner Butter eingenommen war, öffneten sich die Mappen wieder, und die mitgebrachten Kompositionen wurden vorgewiesen. Ein und dieselbe Aufgabe war von allen in mehr oder weniger ausgeführten Skizzen behandelt worden. Die Motive waren Goetheschen Dichtungen entnommen, und da wir unserer einige zwanzig waren, so brachte ein solcher Abend auch einige zwanzig Klärchens, Mignons, Tassos oder Iphigenias zur Anschauung. Da war es denn sehr unterhaltend, zu sehen, auf wie verschiedene Weise die verschiedenen Talente ihre Aufgabe gelöst hatten; dazu erging sich die Kritik sehr ungeniert, obgleich in der Regel das einfache Nebeneinander schon ausreichen konnte, da schwächeres Licht vor hellerem von selbst erbleicht. So erinnere ich mich, daß eines Abends, als Erlkönige an der Reihe waren, die Zeichnung eines gewissen Kraft – der leider bald darauf gestorben ist – so allgemein frappierte, daß wir anderen unsere Blätter ins Feuer warfen. War endlich alles durchgesehen und durchgesprochen, so wurde der Rest des Abends versungen und verplaudert. Jedweder produzierte dann seine ergötzlichsten Seiten, und man genoß den Zauber einer Gesellschaft, wie sie so anregend und ungetrübt nur unter jungen Leuten künstlerischen oder wissenschaftlichen Berufs zustande kommen mag.
Dem sittlichen Werte der ersten Stifter, der Strenge der Ballotage und der geschickten Leitung unseres trefflichen Seniors, des Kupferstechers Stölzel, war es zu danken, daß unsaubere Elemente ausgeschlossen blieben. Wir bildeten, soweit ich sehen konnte, eine ganz löbliche, die Zwecke der Akademie nur fördernde Gesellschaft, entgingen aber dennoch nicht dem Mißtrauen der akademischen Behörde, welche Cotta deshalb von einem Kakodämon besessen glaubte. In der Tat weiß ich es nicht, warum die königliche Intendanz wie die meisten Professoren uns entgegen waren, wenn nicht vielleicht nur deshalb, weil wir uns zu einigen der letzteren allerdings wie Konventikelleute zu den Pastoren der Landeskirche verhielten, das heißt durch ihren Unterricht nicht sehr befriedigt fanden. Auch war es nicht zu leugnen, daß einige von uns altdeutsche Röcke trugen, woraus man auf politische Tendenzen schließen mochte. Da indessen keinerlei wirkliche Gravamina gegen uns vorlagen, so mußte man uns einstweilen und bis auf weiteres schon leben und bestehen lassen.
Es war allerdings ein wunderlicher Geist, der damals in den Köpfen der jungen Leute spukte, und daß auch der meinige davon nicht unberührt geblieben, ist bereits gemeldet worden. Ebenso wie vordem auf der Schule, schwärmte ich auch jetzt noch für Rückbildung des Vaterlandes zu seiner Vorzeit, namentlich zu deren traditionellen Tugenden der Ehrlichkeit und Treue, des Glaubens, der Tapferkeit und Keuschheit, und da ich diese Eigenschaften an denen zu erkennen glaubte, die sich altdeutsch trugen, so legte auch ich solche Tracht an, um meine Tugend zu bekennen und Gleichgesinnten kenntlicher zu sein. Der nüchterne Rosa sagte zwar, wenn er auch zugeben müsse, daß wir mit unseren langen Haaren und kahlen Hälsen wirkliche Altdeutsche und Erzväter aus grauer Vorzeit seien, so sei es ihm doch unbekannt, daß solche nie getrogen und gelogen hätten, daher er nicht begriffe, wo wir das ungemeine Zutrauen zu unseren Röcken hernähmen. Ich nahm es ihm nicht übel, denn sonderbare Sachen zu sagen, war einmal seine Art, und fuhr fort, vor seinen und aller Leute Augen ganz unbefangen in der lächerlichsten Maskerade umherzulaufen. Ein phantastisches Samtbarett auf lang abwallendem Haar, eine kurze schwarze Schaube mit breit darübergelegtem Hemdkragen und an einer eisernen Kette, zwar kein Schwert, doch einen Dolch, dessen Ebenholzgriff auf silbernem Totenkopfe saß: das war mein Aufzug.
Als ich, so angetan, eines Abends über die Brücke ging, stand da im Ausbau eines Pfeilers ein gleichgekleideter Jüngling, bräunlich und schön wie der Hirtenknabe David, welcher die Vorübergehenden betrachtete, indem er sehr behaglich von einem großen Stücke Schwarzbrot abbiß, das er in der Hand hielt.
«Bist du Bursche?» redete er mich an. Ich stand und bekannte mich als Maler. Das mochte ihm gerade recht sein, da er sich in Dresden, der Stadt der Künste, befand. Zutraulich schlang er seinen Arm in meinen, und wir schlenderten miteinander weiter wie gute Brüder. Es war kein Arg unter uns Verkleideten, man traute sich gegenseitig gleich das Beste zu, und Rosa mochte sagen, was er wollte: man täuschte sich auch kaum, denn jedermann will doch gern sein, wofür er gehalten wird, wofern dies was Gutes ist.
Ich hatte in Wahrheit einen prächtigen Jungen aufgefunden, frisch, froh, fromm, frei, wie Vater Jahn es sich nur wünschen konnte. Freilich mochte die Freiheit etwas widerspenstig, die Frömmigkeit etwas willkürlich ausfallen; aber anders war es auch bei den besten nicht. Mit einigem Stolze präsentierte ich den neuen Freund, Ernst Förster von der Jenenser Burschenschaft, im Kunstverein, und er ward so herzlich aufgenommen, als hätte man es vorausgewußt, daß er selbst bald Maler, trefflicher Schriftsteller im Kunstgebiete und der Schwiegersohn des allgemeinen Lieblings Jean Paul Friedrich Richter werden würde. Vorderhand freuten wir uns an einem Rundgesange, den er für uns dichtete, wie an seinem herrlichen Gesicht, das verschiedentlich gezeichnet und gemalt ward. Auch brachte ich ihn zu meinem Vater, der ihm seine Bilder zeigte und sich an seinem geraden Wesen wie an den kernigen Reden vergnügte, die er von sich gab.
«Es ist doch was Besonderes», sagte mein Vater, «um diese nagelneue Auflage von jungen Leuten!» Mein lieber Vater war ein feiner, bescheidener Mann von vorwaltend aristokratisch-konservativer Gesinnung, und zwischen ihm und jenen altdeutschen Erzvätern, wie Rosa sie nannte, war außer der jugendlichen Frische, die er sich erhalten, wenig Gemeinsames; ja, wenn er gewußt hätte, wohin der treibende Geist von damals führen werde, er hätte mit allen Kräften wider ihn gestanden. Zu jener Zeit aber versprach er sich noch etwas für die Zukunft von der strengen, wenn auch rauhen Sittlichkeit, für die man schwärmte. Das übrige belachte er gleich Krummacher als Kinderei und meinte, es würde ganz von selbst an seiner eigenen Abgeschmacktheit zugrunde gehen. Er war ein durchaus edler, weitherziger Mensch, der im Grunde nichts als Gemeinheit haßte, und gemein war der Geist damaliger Jugend nicht. Mein Vater störte mich daher auch nicht in meinen Sympathien, wenn er sie gelegentlich auch zu klären und vor Exzentrizitäten zu bewahren strebte.
Weniger bequem in dieser Hinsicht war meine Mutter. Ihrem nüchternen Auge war die Verkleidung, in der wir uns gefielen, zuwider, und schmerzlich vermißte sie gefällige Sitte, wie die der Jugend anstehende Bescheidenheit im Urteil und Benehmen. Auch glaubte sie keineswegs, daß solche Übelstände sich von selbst verzetteln, sondern vielmehr in die greulichste Barbarei auslaufen würden. Ich hatte daher des öfteren unter ihrer Kritik zu leiden, bis ein Ereignis eintrat, welches die altdeutsche Kleiderparade in Dresden plötzlich zu Ende brachte.
Eines schönen Morgens verbreitete sich im Gipssaal die Kunde von Kotzebues Ermordung, eines Schriftstellers, welchem wir alle mit mehr oder weniger Recht und Unrecht von Herzen gram waren. Ich meinesteils hatte weder viel noch wenig von ihm gelesen, doch war es mir nicht im geringsten zweifelhaft, daß er ein literarischer Giftmischer, ein russischer Spion, ein Vaterlandsverräter und Abgrund alles Verderbens gewesen. Diesen Höllenpfuhl mit seinem Pestqualm hatte der Heldenjüngling Sand geschlossen, sich selbst als ein anderer Curtius fürs Vaterland und seine heiligsten Interessen opfernd. Darüber, dachte ich, möge sich selbst die Mutter freuen, welche ihren Abscheu vor der Kotzebueschen Muse bei jeder Gelegenheit aussprach.
Statt dessen waren beide Eltern jetzt aufs tiefste empört, nicht nur über Sands unberufene Scharfrichterei, sondern fast mehr noch über meine Billigung derselben. Dahin also war es bereits mit unserer altdeutschen Tugend gekommen! Sie war zur Mutter eines Meuchelmordes geworden, und die Erzväter zeigten sich nicht abgeneigt, das Kind zu akzeptieren; wer aber konnte fortan noch seines Lebens sicher sein, wo hirnverbrannte Knaben Femgerichte bildeten?
Die Behörden glaubten anfangs, daß dieser Mord durch einen Beschluß der allgemeinen Burschenschaft, als deren Teilhaber man alles ansah, was sich altdeutsch trug, veranlaßt sei; aber wenn auch das nicht: aus dem Geiste hochmütiger Selbstüberschätzung, der unter jener Firma spukte, war er doch hervorgegangen, und solchen Geist zu dämpfen, schien geboten. Es fand sich daher in allen Sälen der Akademie ein königlicher Befehl ein, die langen Haare, deutschen Röcke und Waffen abzulegen. Der Rock macht freilich nicht den Mörder; aber immerhin: er war durch eine böse Tat geschändet und kein Zeichen mehr von «menschlicher und vaterländischer Tugend».
Ich, als Sohn eines Professors, mußte natürlich zuerst daran glauben, und Friseur und Schneider vollbrachten schnell an mir das Werk einer äußerlichen, mir recht verhaßten Bekehrung. Es war eine ganz erbärmliche Geschichte, und nie in meinem Leben habe ich mich mehr geschämt als damals, wo ich die wenigste Ursache dazu hatte. Geschoren und im Philisterkleide heimelte ich zwar nun meine gute Mutter wieder an, wagte mich aber kaum noch vor die Haustüre hinaus. Gerade jetzt, wo ich aussah wie andere Sachsen, schoß ich gesenkten Hauptes durch die Straßen ihrer Hauptstadt, fürchtend, aller Welt sehr aufzufallen, und es vergingen lange Wochen, ehe ich die Leistungen der Polizei an meiner Toilette verschmerzen lernte und meine Unbefangenheit zurückgewann.
Aber die Untat Sands brachte uns noch wesentlicheren Nachteil. Die strengere Überwachung, welcher infolge der Karlsbader Beschlüsse alle akademischen Anstalten unterworfen wurden, sprengte endlich auch unseren Kunstverein. Man legte uns so viel Schwierigkeiten in den Weg, daß wir uns selbst auflösten; und wenn wir dann auch, besserer Gestirne harrend, noch längere Zeit hindurch ein Scheinleben führten, indem wir, Namen, Statuten und künstlerische Übungen aufgebend, uns ab und zu in anderen Kneipen versammelten, um miteinander ein Glas Bier zu trinken: die Sache war und blieb verloren, und der Phönix ist nie wieder auferstanden aus seiner Asche.