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Das Hauptaugenmerk der echten Mitglieder des ehrwürdigen Pinselordens muß auf das gerichtet sein, was andre Leute von ihnen sagen. Was hilft die hochbelobte innere Überzeugung, daß man recht und nach Grundsätzen gehandelt habe? Kann man doch dafür keine Nuß kaufen! Und was ist in dieser Welt das wert, was nichts einbringt? Vox populi est vox Dei; man muß sich also nach den allgemeinen Meinungen richten und kömmt hier auf Erden mit sogenannten Grundsätzen nicht durch. Die Grundsätze müssen sich nach den Umständen fügen; da können stündlich Fälle kommen, wo man aus Gefälligkeit Ausnahmen machen oder, um sein zeitliches Glück zu gründen, ganz anders handeln muß, als man für recht erkennt.
Überhaupt gehören Gefälligkeit und Geschmeidigkeit im höchsten Grade zu den Prinzipal-Tugenden eines vollendeten Ordensmitglieds. Das, was die hochfahrenden Weltmenschen Originalität nennen, ist eine eigensinnige, alberne Gemütsart, womit man nicht weit kömmt. Leute, die so etwas Eignes vorstellen wollen, soll man auf alle Art demütigen. Aber ach! man hat nur gar zuviel mit den bösartigen Vernunftmenschen zu kämpfen. Man muß ihnen mit vereinten Kräften die Stange halten – keine Duldung gegen sie und gegen ihre Meinung! Verderben sei den beiden neumodischen Kobolden, der sogenannten Toleranz und der Aufklärung, geschworen! Ihre Namen müssen verächtlich und stinkend werden unter allen echten Brüdern; Sela!
Man halte fest an den alten Sitten und Meinungen unsrer Väter, welche die Weltmenschen abscheulicherweise Vorurteile und Bocksbeutel zu nennen pflegen! Die Neuern suchen allen Glauben an Überlieferungen, allen Kredit der Autorität und alles Zutraun zu übernatürlichen Würkungen zu Schande zu machen; aber, gottlob! noch haben wir in der Schweiz, in Berlin, in München und in soviel Gegenden von Europa erhabne und berühmte Kämpfer für die fromme Sache. »Ein guter Mann« (das sind selbst eines Spötters, des berüchtigten Rabelais', Worte, welche ihm die Wahrheit wider Willen auspreßt), »ein guter Mann glaubt alles, was ihm gesagt wird, besonders, wenn er gedruckte Zeugnisse darüber in Händen hat, bis man ihm das Gegenteil dartut; und die Theologen lehren uns, es liege in dem Glauben selber das kräftigste Argument für solche Dinge, die gar keine Wahrscheinlichkeit haben.« Der große Kampf aber wider die Weltmenschen muß mit Politik und Sanftmut geführt werden, und auf unsern Gesichtern müssen sie immer die süßeste Liebes- Brüderlichkeit und Leidens-Demut lesen, wenn wir am heftigsten ihren verruchten Werken, Grundsätzen und Machenschaften entgegenarbeiten – »Der Sachen Feind, der Menschen Freund!« sagt ein altes, bewährtes Sprüchwort.
Durch äußere christliche gute Werke suche man die wohlverdiente Achtung des Volks zu gewinnen. Wen der himmlische Vater mit irdischen Gütern gesegnet hat, der vergesse nicht, Kirchen zu beschenken, Altäre zu bekleiden und öffentliche Armenanstalten zu unterstützen! Bei andern Armen und Bettlern, die in die Häuser schleichen und uns allerlei Klagen über die Menge zu ernährender Kinder, teure Zeiten und dergleichen Litaneien vorwinseln, soll man vorsichtig zu Werke gehn. Man pflegt sie schamhafte Armen zu nennen; denn es hat gemeiniglich einen Haken, warum sie sich schämen müssen. Da soll man erst strenge untersuchen, ob sie auch unsrer Wohltat würdig sind, und solchen Herumläufern, statt des geforderten Geldes, tüchtige Wahrheiten auf den Weg geben. Am besten aber ist es, bei seinen Bedienten zu bestellen, daß sie uns vor solchen Leuten verleugnen, die armselig gekleidet sind; denn die haben immer ein Anliegen.
Da wir alle schwache Menschen sind und man sich leicht durch seine Gutherzigkeit verleiten lassen kann, gegen die Klugheit zu handeln, so soll man sich lieber, wenn man sich nicht Stärke genug zutrauet, vor dem Anblicke des Elendes hüten. Überhaupt, da uns der liebe Schöpfer in diese Welt gesetzt hat, um uns in derselben froh zu machen, so entferne man von sich und den Seinigen alle trüben Gedanken und Bilder von Not und Tod und Kummer, damit man nicht in Mißmut verfalle oder sein Gut an Bettler verschwende!
Allein zu milden Stiftungen, zu Kollekten für Auswärtige, zu Erbauung von Kirchen und dergleichen weigre man nicht, sein Scherflein zu reichen! Da sieht man doch, wo es hinkömmt!
Auch in Erteilung guten Rats, selbst wenn man nicht darum gebeten wird, zeige man seine Wohltätigkeit! Man suche die kleinen häuslichen Verhältnisse und Familienzwistigkeiten zu erfahren, um, wenn es nicht etwa zu Besserung der Menschen notwendig sein sollte, die Uneinigkeit zu unterhalten, Frieden zu stiften! Man empfehle auch gute Hausmittel, Rezepte, Mirakel -Pflaster und allgemeine Arzeneien! Unser lieber Bruder, der Redakteur des »Hamburgischen Korrespondenten«, ist angewiesen, dergleichen Mittel in seiner Zeitung zu rekommandieren und anzukündigen.
Da viel daran gelegen ist, dem Orden Glanz, Macht, Gewalt und Ansehn zu verschaffen, so sollten die Mitglieder jeder Gelegenheit, sich emporzuschwingen, sich geachtet zu machen, Einfluß und Glücksgüter zu erlangen, nachstreben. Allerorten soll man es mit der herrschenden Partei halten und in jedem Streite das Interesse des stärkern Teils ergreifen.
Weil das weibliche Geschlecht sehr viel Einfluß in alle Welthändel zu haben pflegt, so ist es sehr wichtig, die Damen, besonders die alten Matronen, auf seine Seite zu lenken, und ist dies eine Kunst, die besonders studiert werden muß, man soll aber auch ihrem Rate, in allen wichtigen Fällen, treulich folgen.
Um mit Anstande und Gewichte in der großen Welt zu erscheinen, ist es sehr nützlich, Titel, Orden, Adelsbriefe und dergleichen zu kaufen, wenn man das Geld an eine solche Standeserhöhung zu wenden irgend vermag.
Das blinde Glück pflegt Leuten unsrer Art nicht ungünstig zu sein, nur muß man die Wege betreten, die es uns bahnt. Lotterien und Lotti sind wahre Goldgruben für uns; man versäume ja nicht, fleißig einzusetzen!
Große, mühsame Entwürfe hingegen, womit mancher sich oder andre Menschen oder die Welt im allgemeinen recht weit zu bringen denkt, sind nichts für uns – das sind lauter Schwärmereien! Es ist nicht zu begreifen, wie Leute, welche ihre Ruhe lieben, für so etwas Sinn haben können.
Damit man sich nie in Entschlüssen übereile, so fasse man deren keinen einzigen schnell und auf der Stelle, sondern frage erst immer andre um Rat, so geht man sicher und kann gewiß sein, daß man nachher nicht getadelt wird. Sind die Ratgeber nicht einerlei Meinung, so ist es am schicklichsten, dem letzten zu folgen, der gewöhnlich recht zu haben pflegt. Freilich geht darüber zuweilen der günstige Zeitpunkt verloren; aber das ist doch nicht immer der Fall.
Sooft dich daher jemand um etwas bittet, so sage es nicht gleich zu, sondern erkläre: du wollest dich darauf besinnen, und dann höre erst fremde Meinungen darüber!
Alle menschliche Unternehmungen werden am wichtigsten nach dem Erfolge beurteilt. Deswegen ist es gefährlich, eher Partei zu ergreifen, ehe man weiß, wie eine Sache ausfallen wird. Ist es zum Beispiel nicht gewiß, daß die Nordamerikaner allgemein für schändliche Rebellen anerkannt werden würden, wenn sie im Kriege mit England den kürzern gezogen hätten? Wie weise hat sich nicht deswegen unser lieber Bruder Schirach bis dahin in Ansehung der französischen Revolution betragen! Nur jetzt scheint es fast Zeit zu sein, daß er andrer Meinung werde, sonst möchten seine Prophezeiungen nicht eintreffen – doch wer weiß, wie es noch kommen kann!
Die wenigsten Leute pflegen es gern zu sehn, daß man über Dinge, die nun einmal geschehn und nicht mehr zu ändern sind, weitläuftig redet und klagt oder, wenn sie Fehler begangen haben, die sich nicht mehr verbessern lassen, ihnen darüber hinterher gute Lehren gibt. Ja, ja, so etwas schmeckt nicht; aber wer kann dazu schweigen? Das Gegenwärtige und Künftige ist in des Himmels Hand; aber über das Vergangne können wir recht passend und verständig räsonieren, und es lassen sich darüber viel gute Sachen sagen, besonders, wie es hätte kommen können, wenn es nicht so gekommen wäre, wie es gekommen ist.
Im vorigen Decennio kamen ein paar unsrer Mitglieder auf den Gedanken, sich zu stellen, als wollten sie sich ein wenig nach dem Geschmacke der Weltkinder richten. Sie heckten also ein System aus, welches unter dem Namen des Weltbürger-Systems bekannt ist und welches das Eigentümliche hatte, daß man beim ersten Anblicke glauben sollte, es habe ein Vernunftmensch den Plan dazu angelegt; bei genauerer Einsicht aber merkte man leicht, daß das Ganze einer Satire auf die hochfahrenden Entwürfe unserer Feinde nicht unähnlich sah. Die anscheinende Größe davon lag nur in den Worten und bewies, was für ein edles Ding die menschliche Phantasie ist. Dies System diente eigentlich dazu, unsre Halbbrüder herbeizulocken. Es wurde ihnen nämlich darin bewiesen, daß die natürlichen Bande unter den Menschen, als da sind: die zwischen Eltern und Kindern, zwischen Landesleuten, zwischen Geschwistern, Freunden und dergleichen, nichts wert wären; daß man diese alle der großen Wärme für das allgemeine Beste aufopfern müsse. Die guten Narren merkten es nicht, daß das allgemeine Beste ein Unding sein würde, wenn es nicht auf Übereinstimmung der einzelnen häuslichen und andern Privat-Glückseligkeiten gebauet wäre, und daß die Wärme für jenes nur dann Stich halten könnte, wenn wir es als Mittel betrachteten, das uns näherliegende Privatwohl zu befestigen. Das Ganze war in die Form einer geheimen Verbindung gebracht und darauf abgesehn, den Leuten so die Köpfe zu verwirren, daß die, welche auf halbem Wege waren, uns untreu zu werden, dadurch gänzlich zu uns zurückgeführt würden. Allein es gelang nicht; ein vermaledeieter Vernunftmensch schrieb ein Buch, betitelt: »Enthüllung des Systems der Weltbürger-Republik« – und die mehrsten von denen, die schon angekörnt waren, gingen wieder ab.
Überhaupt will es jetzt mit den geheimen Verbindungen, die uns lange Zeit hindurch so herrliche Dienste geleistet haben, gar nicht mehr fort. Noch haben wir einige Eiferer für die gute Sache, die sonst nichts zu tun haben und sonst zu nichts nützen. Der eine schreibt so gelehrt und verwirrt als möglich über die Notwendigkeit geheimer Bündnisse, und der andre rezensiert diese Bücher und lobt – aber kein Mensch liest sie. Ein dritter schickt Hirtenbriefe in die ganze Christenheit umher – aber er bekömmt keine tröstliche Antworten. – Doch die Zeiten werden sich ja auch ändern, wenn wir nur ausdauern.