Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Neuntes Kapitel

Schilderung des Zustandes, in welchem der Verfasser den Hof in Gondar fand. Betragen des neuen Königs

Sobald ich die Grenzen des abyssinischen Reichs betrat, erfuhr ich, daß der gute alte König vor vier Wochen gestorben wäre. Nach allem, was ich von dem Kronprinzen und meinen Verhältnissen mit ihm gesagt habe, wird man leicht begreifen, daß diese Nachricht mich recht sehr niedergeschlagen machte. Ich trat in Gondar sogleich in dem Hause meines Herrn Vetters, in welchem, wie man weiß, auch ich wohnte, ab und wurde von ihm, der mich längst sehnlich erwartet hatte, liebreich empfangen. Zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, legte er mir tausend Fragen über die Erwartungen vor, die man von dem neuen Monarchen hegen dürfte, und ich hielt es für Pflicht, ihm offenherzig zu gestehen, wie wenig Glück ich dem Lande von dieser Veränderung versprechen könnte.

Ich habe im ersten Teile dieses Buchs den alten Negus so treu als möglich geschildert. Das war freilich nicht das Gemälde eines großen Regenten, aber doch eines Mannes, der das Gute mit Wärme zu lieben, zu wünschen und zu befördern imstande war; der sich gern unterrichten, gern etwas in der Welt ausrichten wollte, das nützlich und lobenswert wäre; der dabei, obgleich er eine zu hohe Meinung von sich selber hatte und gern glänzen wollte, dennoch auch fremdem Werte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, guten Rat anzunehmen,

nützliche Dienste zu erkennen und zu vergelten wußte: endlich der, soviel er auch auf seinen Fürstenstand und auf unumschränkte Gewalt hielt, doch kein eigentlicher Tyrann war.

Wie der Kronprinz von allen diesen Zügen nicht einen einzigen hatte, wie er dagegen alle Fehler seines Vaters in dem höchsten Grade und Übermaße mit unzähligen Lastern vereinigte, wovon in des alten Negus Charakter keine Spur zu finden war, das wissen die Leser nun auch. – Meinem Vetter aber entfiel der Mut, als er diese Umstände erfuhr. Indessen war es der Klugheit gemäß, dies gegen niemand zu äußern und ruhig abzuwarten, welche Wendung das Ganze nehmen und wie sich der neue König bei seiner Ankunft gegen jedermann betragen würde.

Das Volk in allen Ländern ist, wie bekannt, nie von der gegenwärtigen Regierung vollkommen zufrieden, verspricht sich unter dem Zepter des Thronfolgers ein Goldnes Zeitalter und hegt immer von den Kronprinzen gewaltige Hoffnungen, von welchen es dann gewöhnlich, nach Jahresfrist, wenn der neue Herr nicht jeden unruhigen Kopf zufriedenstellt, tief wieder herabsinkt und den hochseligen Fürsten wieder aus dem Grabe hervorwünscht. So ging es auch hier! Noch ehe der Prinz nach Gondar kam, lief schon der Ruf seiner großen Tugenden, seiner Menschenliebe, Huld, Weisheit und Gerechtigkeit vor ihm her, und die Zeitungen waren voll Anekdoten von edeln Zügen und Proben der liebenswürdigsten, erhabensten Denkungsart, die er auf seiner Reise hätte blicken lassen und wovon ich freilich nichts gesehen hatte. Als er nun aber vollends seinen feierlichen Einzug in der Residenz hielt, schön geschmückt auf einem Elefanten saß und von beiden Seiten mit fürstlicher Herablassung und Freundlichkeit den herzudringenden Haufen anlächelte, die Glückwünsche in Prosa und Versen und die leeren Komplimente so gnädig annahm und so artig beantwortete, da erschallten aus allen Ecken die Ausrufungen: Oh! der gute Herr! der gnädige Herr! das ist ein Herr! wie wird nun das Land so glücklich sein!

Es kostet die Fürsten sehr wenig, die Herzen des Pöbels zu ihrem Vorteile zu stimmen; das eingewurzelte Vorurteil, daß diese Menschenklasse aus Wesen höherer Art besteht, wirkt, daß man alles, was sie Menschliches tun, für Herablassung erklärt. Durch diese sklavische Anbetung hat man wirklich den mehrsten von ihnen so den Kopf verdreht, daß sie glauben, was andre ihnen erwiesen, das wäre strenge Pflicht, was sie hingegen für andre täten, bloße willkürliche Gnade. Man sollte ihnen doch von Jugend auf sagen, daß Titus ein eitler Narr war, wenn er ausrief, der Tag sei verloren, an welchem er nicht eine gute Handlung begangen, eine Wohltat erzeigt hätte. Das ist bei allen Menschen in der Welt der Fall, daß die Tage verloren sind, an welchen man nichts Gutes tut; aber bei Fürsten ist es keine Kunst, Wohltaten zu erzeigen, denn sie nehmen die Mittel dazu aus fremden Geldbeuteln. Was sie geben, gehört nicht ihnen, sondern dem Staate; was man von ihnen erbittet, insofern man es mit Gerechtigkeit von ihnen erbitten kann, ist nicht mehr und nicht weniger, als was man sich selbst geben oder nehmen würde, wenn man nicht darüber einig geworden wäre, einem gemeinschaftlichen Ausspender und Verwalter sich anzuvertrauen, und dieser hat Ursache, dem Volke dafür zu danken, daß es ihm erlaubt, auf so wohlfeile Art Gutes zu tun und Menschen froh zu machen, ohne daß es ihm etwas kostet. – Man verzeihe mir diese Ausschweifung! Das sind Wahrheiten, die man nicht oft genug sagen kann. – Kehren wir nun zu unserm neuen Könige zurück!

Jedermann war nun in Erwartung, wodurch der junge Negus den Antritt seiner Regierung bezeichnen

würde. Die ersten Monate verstrichen mit Feierlichkeiten, Krönungen, Huldigungen, mit Erteilung von Titeln, Orden und Ausspendungen von Geschenken an allerlei gute, schlechte und unbedeutende Menschen. Da Seine Majestät sich nicht gern mit Arbeiten abgaben und mein Herr Vetter als ein fleißiger, der Geschäfte kundiger Mann bekannt war, dem Negus auch als Kronprinzen nie etwas zuleide getan hatte, so blieb es anfangs mit ihm beim alten, und er behielt seine Stellen und Würden. Was mich betrifft, so hätte ich freilich eine Beförderung zu höheren Ehrenämtern erwarten können; denn es hatte mir der alte Negus dergleichen versprochen, wenn ich den Prinzen glücklich zurückbrächte. Allein man weiß ja, wie wenig ich mich bei dem jungen Herrn und seinen Günstlingen eingeschmeichelt hatte; ich blieb also, was ich war, Baalomaal, und konnte froh sein, daß ich nicht verabschiedet wurde. Einige schiefe Gesichter, die ich zuweilen bekam, und je einmal einen matten Spott über langweilige Philosophen abgerechnet, ging mir's also nicht schlimm. Manim wurde Finanzrat, Soban aber erhielt eine Pension und die Erlaubnis oder vielmehr den Wink, mit seiner Familie nach Sire zu ziehen, woher er gebürtig war. Sein Hofnarrenamt würde ihm den Freibrief gegeben haben, ungestraft derbe Wahrheiten zu sagen, und die hatte man nicht Lust zu hören.

Der neue König wurde nun mit Bitten und Klagen aller Art bestürmt, wie denn bei solchen Regierungsveränderungen alles Alte wieder aufgerührt zu werden pflegt und nun jeder das durchsetzen zu können hofft, was ihm bis jetzt nicht hat glücken wollen. Die mehrsten dieser Bittschriften wurden dem Minister zur Prüfung, und um das Nötige zu verfügen, von Seiner Majestät übergeben, und dies gab meinem Herrn Vetter wirklich Gelegenheit, manche nützliche Abänderung zu machen, wovon der alte Negus, aus einem kleinen Eigensinne oder irgendeinem Vorurteile, nichts hatte hören wollen. Die Räte in allen Departements suchten sich angenehm zu machen und kamen mit nützlichen Vorschlägen, die zum Teil ausgeführt wurden. Wo irgend in Geschäften Schläfrigkeit eingeschlichen war und Sachen liegengeblieben waren, da trat nun neue Tätigkeit ein. – Die Ehre von diesem allen fiel auf den jungen König, und da hieß es wieder: Sehet! das ist ein Herr! der sorgt für sein Land!

Es war unter der vorigen Regierung den Untertanen eine gewisse Auflage zugemutet worden, die ein wenig drückend für einige Klassen der Bürger schien. Die Summen waren zum Teil nicht einzutreiben gewesen, aber immer in den Rechnungen liquidiert worden. Man legte dem neuen Könige ein langes Verzeichnis dieser inexigibeln Posten vor, und Seine Majestät hatten die hohe Gnade zu befehlen, daß ein Strich dadurch gemacht werden sollte – Sie schenkten den Untertanen, was doch nie zu erlangen war –, und alle Zeitungen posaunten, es habe der huldreiche Monarch dem Lande einen großen Teil der rückständigen Abgaben erlassen.

Weiter fiel in dem ersten halben Jahre eben nichts Neues vor; nun schwiegen nach und nach die Stimmen der Lobredner; mancher hatte auch nicht erlangt, was er gehofft und erbeten hatte; da fing man denn an, Seine Majestät mit kälterm Blute in der Nähe zu beobachten, und wir werden künftig hören, was man bemerkte.


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