Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Dreizehntes Kapitel

Schluß des vorigen

Frei geborne Menschen durch stufenweise verstärkte Eingriffe in ihre Rechte, dann durch immer mehr gewagte Mißhandlungen, nebenher durch Korruption ihrer Sitten, wodurch Seele und Leib geschwächt, zum Widerstande unfähig gemacht werden, endlich durch erschreckliche Strafen sich unterwürfig zu machen, das heißt, Meister über alle ihre Handlungen zu werden; das ist freilich ein abscheulicher Despotismus! – Aber was bedeutet das gegen die Tyrannei, die man ausübt, wenn man auch über ihre Meinungen, über ihre Vorstellungen und über ihren Glauben sich eine Herrschaft anmaßt? Dennoch kam es auch so weit in Abyssinien. Daß dies das Werk der Priester war, versteht sich wohl von selber.

Bis jetzt habe ich von dem Religionswesen in Abyssinien noch gar nichts gesagt; hier ist der Ort dazu. In den ältesten Zeiten, das heißt, in den Zeiten, die unmittelbar auf die große Überschwemmung folgten, war der Gottesdienst der Abyssinier äußerst einfach; ihre Religion beruhete auf sehr dunklen Ideen vom göttlichen Wesen, und von Theologie und Priesterstande hatten sie das Glück nichts zu wissen.

Die Tradition von der Überschwemmung durchkreuzte ihre Traditionen über die Schöpfung der Welt und über das, was bis zu jener Überschwemmung in ihren Gegenden vorgefallen war. Indessen glaubten sie, daß die ganze Welt von einem einzigen unsichtbaren Wesen wäre geschaffen worden und noch im Gange erhalten werde; daß dies Wesen ehemals sich den Menschen sichtbar gezeigt hätte; sie wären ihm aber ungehorsam gewesen und hätten sich der Abgötterei ergeben; da wäre das Wesen erzürnt worden und hätte sie alle vertilgt, bis auf eine fromme Familie, durch welche nachher Abyssinien wieder wäre bevölkert worden.

Ihr Gottesdienst bestand nur in Verehrungsbezeugung und Huldigung gegen das unsichtbare höchste Wesen, dem sie ihre Unterwürfigkeit und ihren Gehorsam zu bezeugen suchten, um es zu bewegen, nie wieder eine so schreckliche Verwüstung auf dem Erdboden anzurichten. Die wenigen Zeremonien, deren sie sich bedienten, trugen noch das Gepräge des Schreckens, der durch die Überschwemmung damals in den Herzen derer, die sie erlebt hatten, war erzeugt worden. Sie gössen an gewissen Tagen Wasser in die Luft und heulten und klagten dabei; sie wuschen und badeten mit Feierlichkeiten ihre Kinder, wenn diese ein gewisses Alter erreicht hatten; sie warfen sich bei Aufgang und Untergange der Sonne zur Erde nieder, stießen Seufzer aus, wenn die Nacht heranbrach, und Freudentöne, wenn sie des Morgens, ohne Unfall zu erleben, erwacht waren.

Allen diesen Gebräuchen nun stand jeder Hausvater an der Spitze seiner Familie vor; nur an dem großen Versöhnungstage, wenn alle Familien sich vereinigten, um die oben beschriebne Libation vorzunehmen, präsidierte der Älteste unter ihnen oder, nachdem sie sich ein Oberhaupt gewählt hatten, dieses bei der großen Feierlichkeit. - Also noch einmal! sie hatten damals keine Priester.

Über das Wesen Gottes, über seine Ökonomie bei Schöpfung und Erhaltung der Welt, über den Zustand jenseits des Grabes nachzudenken, das fiel ihnen vielleicht nicht einmal ein; vielleicht glaubten sie auch, daß das Grübeln über Gegenstände, in denen die Vernunft doch nie sich Licht zu verschaffen vermag, Torheit wäre; vielleicht endlich ließ ihnen ein tätiges Leben, im Schweiße ihres Angesichts, auch nicht die Muße, sich mit Spekulationen abzugeben. - Also hatten sie auch keine Theologie, und was jeder in müßigen Stunden über solche Dinge denken und träumen wollte, das blieb ihm überlassen.

Indessen kamen lange nachher durch einen Zufall unter den Abyssiniern die Traditionen in Kurs, welche in den Geschichtsbüchern des jüdischen Volks enthalten sind. Dies geschahe in einer Periode, wo schon die Kultur weiter um sich gegriffen hatte und die Neugier zuweilen, von den täglichen Bedürfnissen ab, in das Gebiet der Phantasie einen Gang zu wagen Zeit gewann. Da faßten dann die in den Mosaischen Gedichten enthaltnen theologischen, theosophischen, theokratischen, kosmogonetischen und übrigen Begriffe von Gott, der Schöpfung und dem Weltgebäude in Abyssinien Wurzel, und es wurden auch einige der orientalischen Religionsgebräuche, unter ändern die Beschneidung, Opfer und dergleichen, dort eingeführt.

Als sich verschiedne Stände im Lande abzusondern begannen und jeder sich einer eignen Lebensart widmete, sich ein eignes Gewerbe ausschließlich wählte und nach und nach auch die Abyssinier an äußerm Prunk und an Feierlichkeiten Geschmack fanden, ordnete man mehr jährliche öffentliche Feste, Bußtage und, nach dem Beispiele der Israeliten, auch einen wöchentlichen, dem Gottesdienste und der Ruhe von Geschäften gewidmeten Sabbat an, bauete Tempel und ernannte einen Stamm, der, wie der Stamm Levi, den religiösen Zeremonien vorstehen, dem Volke vorbeten und die Opfer verrichten sollte. Da dieser Stamm, wie billig, vom Staate ernährt werden mußte, so wies man ihm einen Anteil an den Opfern an, verwilligte ihm den Zehnten von gewissen Feldern, beschenkte ihn auch wohl mit heimgefallnen Gütern. Zu bereichern suchten sich diese Leviten, wie alle Priester; allein sie durften doch ohne Beistimmung des Fürsten nichts an sich reißen. Geherrscht hätten sie gern, wie alle Priester; aber dazu fand sich noch keine Gelegenheit. Freilich suchten sie sich in den Ruf zu setzen, als seien sie in unmittelbarer Verbindung mit dem höchsten Wesen, gaben Wunder und Weissagungen vor, wollten zu Rate gezogen sein, wenn etwas Großes in dem Staate unternommen werden sollte; doch war ihr Kredit noch immer sehr eingeschränkt. Auf unnütze Spekulationen fielen sie auch, wie alle Müßiggänger; sie fingen an, die jüdischen heiligen Bücher auf mannigfaltige Weise zu kommentieren; allein sie zankten sich nur unter sich, und die Laien nahmen keinen Anteil an ihren theologischen Streitigkeiten. Da wurde zum Beispiel die große, wichtige Frage unter ihnen aufgeworfen, wieviel Sprossen die Himmelsleiter gehabt, welche Jakob im Traume gesehen hätte, ob es Engel weiblichen Geschlechts gäbe und dergleichen mehr; aber das Volk ging seinen Nahrungsgeschäften nach und ließ die Priester das unter sich verfechten.

Da alle diese Mittel, sich gelten zu machen, nicht anschlagen wollten, so erlauerten sie den Zeitpunkt, als grade ein schwacher, abergläubischer Fürst auf dem Throne saß, suchten diesem eine große Meinung von der Wirkung ihres Gebets und von ihrer Gabe, Wunder zu tun und zu weissagen, beizubringen und erlangten von ihm das Privilegium, Schulen anzulegen und Menschen, die zu nützlicher bürgerlichen Lebensart bestimmt waren, und überhaupt ohne Unterschied alle Bürger mit Gewalt in der Theologie zu unterrichten.

Die Folgen davon sind leicht einzusehen. Der Geist des ganzen Volks wurde von dem graden Wege der gesunden Vernunft, die sich berechtigt glaubt, nichts als wahr annehmen zu dürfen, als wovon sie den Grund einsieht, auf Spitzfindigkeit, Sophismen und Aberglauben, von zweckmäßiger Tätigkeit auf unnütze Spekulationen geleitet, nicht nach Überzeugung, sondern nach Autorität zu urteilen, nach Autorität zu glauben und darnach zu handeln; das Herz wurde für warme, innige, einfältige Gottesverehrung unempfänglich gemacht und an Formeln, kalte Feierlichkeiten und mechanische Andächtelei gewöhnt; die schönsten Jugendjahre, wo es Zeit gewesen wäre, den Verstand aufzuklären und das Gedächtnis mit heilsamen Vorkenntnissen auszurüsten, wurden mit kaltem Wortkrame verschleudert; die Priester aber machten sich dem Volke wichtig und notwendig, erfüllten die Kinder mit blinder Verehrung des geistlichen Standes, schlichen sich in die Familien ein, mischten sich in allerlei Händel und bereicherten sich.

Als sich endlich die Könige in Abyssinien unabhängig machten, waren die Priester schon ein äußerst bedeutender Stand geworden, den man nicht vor den Kopf stoßen durfte. Sie fanden aber ihre Rechnung dabei, den Despotismus zu unterstützen; sie bewiesen dem Volke, daß der König ein Statthalter Gottes sei und unbedingten Gehorsam fordern könne. Sie erfanden ein Geschlechtsregister für die Familie des Monarchen, der man nun die erbliche Thronfolge zugesichert hatte, und ließen den großen Negus von dem jüdischen Könige Salomon und der Königin Saba abstammen.Man sehe Bruces »Reisen« nach. Für diese geistliche Unterstützung aber ließen sie sich denn auch von dem Despoten wichtige Privilegien einräumen; und seit dieser Zeit hielten sie es immer so, daß, je nachdem ein verständiger oder schwacher, ein ihnen ergebner oder nicht gut gegen sie gesinnter Regent auf dem Throne war, sie entweder gegen gute Bezahlung sich zu seinen Werkzeugen oder sich ihm furchtbar, entweder gemeinschaftliche Sache mit dem weltlichen Despotismus machten oder Meuterei erregten. – Wie es aber auch kam, so war immer das Volk das Opfer davon.

So stand es, als die christliche Religion oder vielmehr ein Mittelding zwischen ihr und der jüdischen, nämlich die koptische Religion in Abyssinien eingeführt wurde. Die einfache, so jedermann klare, für alle Stände unter den Menschen so heilsame, so verständliche, so weise, für Kopf und Herz gleich beruhigende Lehre des Erlösers der Welt fand in ihrer Reinigkeit keinen Eingang bei Menschen, die sich durch jene Albernheiten verschroben und verstimmt hatten. – Wie hätten auch die Priester da ihr Konto finden sollen, wo nichts auswendig zu lernen, nichts zu glauben war, als daß man, um Gott wohlgefällig zu sein, ihn über alles und seinen Nächsten wie sich selbst lieben müsse; wo keine andre Beweise für die Echtheit der Lehre gefordert wurden, als daß man an sich selber die Probe anstellen sollte, ob sie uns besser und ruhiger machte oder nicht?

Die koptische Religion hingegen war eine wahre Pfaffenreligion und vereinigte dabei alle Gebräuche der jüdischen und christlichen miteinander: Beschneidung und Taufe, Abendmahl und Konfirmation und Firmelung und Priesterweihe und Mönchsstand und Heiligendienst. – Und welch eine herrliche Menge mystischer Lehren, die auf die Sittlichkeit und auf die Ruhe im Leben und im Sterben gar keinen Einfluß hatten, worüber sich aber gewaltig disputieren und schwätzen ließ! Nun waren vierzehn Jahre, selbst für einen Laien, kaum hinlänglich, die Skizze dieses ganzen theologischen Systems in sein Gedächtnis zu propfen; und doch wurde das von jedem Abyssinier gefordert.

Um den Negus ganz für dies System und für den Priesterstand zu interessieren, bewogen ihn die Pfaffen, sich zum Diakonus weihen zu lassen. Seit dieser Zeit ist der Beherrscher von Abyssinien immer zugleich Diakonus, wird, wenn er die Regierung antritt, von jenen Kerln gesalbt und trägt einen Hauptschmuck, der halb Priestermütze, halb Krone ist. Nun sähe er sich auch als das Oberhaupt der Priesterschaft an; jetzt wurden die fruchtbarsten Felder, die fettesten Wiesen ein Eigentum der Pfaffen; es wurden Klöster gestiftet und reich dotiert, in welchen ein Haufen erzdummer Schurken sich bei frommen Müßiggange Schmerbäuche zeugten und dabei in Unzucht und Völlerei lebten. Auch Einsiedler, die das Volk für Wundertäter hielt, setzten sich in den Gebirgen von Waldubba fest. Alles dies begünstigte und beförderte der große Negus; dagegen aber sprachen ihn denn auch die Priester im Namen Gottes von allen vergangnen, jetzigen und künftigen Sünden los, predigten dem Volke unaufhörlich die Lehre von der Heiligkeit der königlichen Majestät und erhielten es in der Dummheit und Unwissenheit, so daß es nie den Gedanken wagte, sich der unmenschlichen Tyrannei zu widersetzen.

Um ihr Reich noch vollends zu befestigen, war es nötig, auch dafür zu sorgen, daß kein andrer als ein so frommer Monarch auf den abyssinischen Thron käme. Hierzu war das wirksamste Mittel, die Erziehung der Prinzen in ihre Hände zu spielen, welches ihnen auch so wohl gelang, daß in den letzten hundert Jahren nicht nur kein einziger Negus von andern als Pfaffenhänden ist gebildet worden, sondern auch, daß ihnen die Wahl überlassen blieb, welcher von den Prinzen zur Regierung kommen sollte, und daß die übrigen königlichen Kinder nach Waldubba in ihre Klöster verwiesen wurden. Dieser letzte Umstand war ihnen sehr nützlich. Die Prinzen bürgten ihnen als Geiseln für die beständige Dauer ihres Systems; denn starb die regierende Familie aus, so hatten sie im voraus dafür gesorgt, daß der Thronfolger, den man aus ihrem Kloster holen mußte, gewiß wenigstens ebenso dumm und ein ebenso großer Pfaffenfreund war als der jüngst Verstorbne; und wollte der König zuweilen Miene machen, als wenn er ihr Joch abschütteln möchte, so regten sie das Volk gegen ihn auf, indem sie dasselbe anhetzten, daß es das Kloster stürmen und einen von den frommen Prinzen zum Könige ausrufen mußte. Dann gab der Negus gute Worte, bat und flehete, daß die Priester den Aufruhr stillen möchten, und räumte ihnen neue Vorteile, neue Vorrechte ein.

Die gewaltige Übermacht nun, welche die Pfaffen in Abyssinien hatten, machte sie aber auch im höchsten Grade übermütig und schamlos. Ihr Hochmut, ihr geistlicher Stolz kannte keine Grenzen mehr; und wer sich nicht vor ihnen im Staube beugte, vielleicht gar einem ihrer eigennützigen Plane etwas in den Weg legte, der wurde mit seiner ganzen zeitlichen Glückseligkeit das Opfer davon. In alle Häuser schlichen sie sich als Ratgeber ein, verschafften sich das Vorrecht, sich die wichtigsten Geheimnisse anvertrauen lassen und, gegen jedermann verschwiegen, folglich auch mit Mädchen und Weibern Gespräche unter vier Augen halten zu dürfen, die weder der Ehemann noch der Vater zu unterbrechen wagte.

Allein das war ihnen noch nicht genug. Wer vierzehn Jugendjahre in ihren Schulen verschleuderte, konnte denn doch die übrige Zeit seines Lebens anwenden, die schiefen Begriffe wiederum aus seinem Kopfe herauszuarbeiten, die er dort aufgesammelt hatte; und wenn er dann der Klerisei die schuldigen Gebühren entrichtete und gegen keines ihrer Privilegien Eingriffe wagte, so mußten sie ihn wohl in Ruhe lassen. - So blieb es aber nicht; es kam darauf an, auch ein Mittel zu finden, mit einigem Schein des Rechts offensive gegen ruhige Bürger verfahren zu können, und das Mittel mußte den Pfaffen die herrliche Erfindung der Orthodoxie darreichen. Die Überzeugung des Verstandes ist, wie bekannt, ein Ding, das durchaus nicht in unsrer Gewalt steht. Sehr unwillkürlich sind die Eindrücke, welche die äußern Gegenstände auf uns machen, sehr unwillkürlich die Vorstellungen, die in uns erzeugt werden. Selbst bei solchen praktischen Sätzen, auf welchen gewisse Handlungen beruhen, ist das höchste, was derjenige, welcher mir Gesetze vorschreibt, von mir verlangen kann, daß ich jene Handlungen so begehe, wie er sie mir vorschreibt. Aber noch obendrein zu fordern, daß ich den Gründen, warum er sie mir vorschreibt, meinen vollkommenen Beifall geben soll, das ist Tyrannei! Vollends aber bei bloß theoretischen oder gar spekulativen Sätzen, die gar keinen Einfluß auf Handlungen haben, meine Vernunft in einen fremden Schraubestock zwängen zu sollen; wer das fordert, der will die Menschen unter die Tiere erniedrigen, das kann - nur ein Priester wollen! Und dennoch wagten die Pfaffen in Abyssinien, unter der Regierung eines erzfrommen Negus, auch diesen Eingriff in die Rechte der Menschheit. Man machte damit den Anfang, zu befehlen, daß, da die Sätze der Theologie und dasjenige, was in den Schulen von dem Wesen des unsichtbaren Gottes, von Schöpfung der Welt und dergleichen vorgetragen würde, unzählige Menschen überzeugte und glücklich und ruhig machte, so solle sich keiner unterstehen, Zweifel gegen diese Lehren vorzutragen.

Schon dies Gesetz empörte die Weisern im Volke. Man sagte, eine Lehre, die keine Prüfung und Beleuchtung verstatte, müsse jedem sehr verdächtig vorkommen; es sei möglich, daß jemand, der bis dahin bei dem Glauben an diese Lehren ruhig gewesen sei, doch noch ruhiger werden würde, wenn er andre Sätze annähme, wozu man ihm nun aber den Weg versperrte; die Überzeugung solcher Leute, die von jedem sophistischen Zweifel in ihrem Systeme irregemacht würden, sei gar nichts, sei nicht mehr wert als der Unglaube eines solchen; und endlich sei es ja doch möglich, daß Menschen irren könnten, daß man durch Zweifeln und Streiten auf den Grund besserer Wahrheiten käme, welches offenbarer Gewinst für die Menschheit sei. – Indessen gehorchte man der Verordnung und – schwieg.

Damit aber war den Pfaffen noch immer nicht geholfen. Bald fing man an, auch zu befehlen, was die Menschen glauben sollten. Es wurde ein eigenes Gericht niedergesetzt, welchem sogar der König selbst in Glaubenssachen sich unterwarf. Dies Gericht hatte das Recht, jeden vorladen zu lassen und ihn zu befragen, ob er dies oder jenes glaube oder nicht. War der Mann kein Heuchler, sondern gestand offenherzig, er könne dies oder jenes nicht glauben, wolle aber gern still dazu schweigen, so half ihm das nichts, sondern er wurde, seines Unglaubens wegen, mit willkürlicher, ja, zuweilen mit Todesstrafe belegt.

Darauf erschien ein Befehl, daß auch kein Fremder, der im Lande sich niederlassen wollte oder schon sich niedergelassen hätte, darin geduldet werden sollte, er habe denn vorher seine alten Irrtümer abgeschworen und den Glauben der Abyssinier angenommen. Man nannte dies aber: die Religion des Landes annehmen, denn nun waren Religion, Theologie und Gottesdienst schon gleichbedeutende Dinge geworden.

Jetzt hatten die Pfaffen freie Hand, ihre Privatsache gegen die besten Menschen auszuüben; denn wenn sie gern jemand auf die Seite schaffen wollten, der ihnen im Wege war oder ihnen sein Weib nicht preisgeben mochte, so brachten sie falsche Zeugen gegen ihn auf, die aussagen mußten, er habe gegen die Religion oder deren Priester geredet. (Denn sie machten ihre Sache zur Sache Gottes.) Seine Verteidigung, ja, sein Widerruf half nichts, und er wurde auf grausame Weise hingerichtet.

Jeder Druck, jeder Zwang reizt zum Widerstande. Vorher war es keinem Laien eingefallen, sehr eigensinnig für oder gegen die Glaubenslehren eingenommen zu sein; jetzt fanden sich eine Menge Irrgläubiger, Sektierer, Freigeister und von der andern Seite blinde Fanatiker. Die Dogmatik und Orthodoxie also waren es in Abyssinien, wie in allen übrigen Ländern, welche Unglauben und Aberglauben erzeugten. Diese verschiednen Sekten aber haßten und verfolgten sich auf das schrecklichste im bürgerlichen Leben. – Und so wurde denn auch da die heilige, zum Wohl der Welt den Menschen gegebene, Frieden und Bruderliebe predigende Religion die reichste Quelle des Zwistes, der Verfolgung und unnennbaren Elends unter ihnen.

Doch nicht genug daran; in ihrem Schoße fand auch der heuchlerische Bösewicht Mittel, alle Bubenstücke zu begehen und dennoch für einen frommen, rechtschaffnen Mann zu gelten. Da nun das Wesen der Religion in blindem Glauben, in Werkheiligkeit, gottesdienstlichen Gebräuchen, Verehrung und Bereicherung der Priester und Unterwürfigkeit gegen sie beruhete, so sahen diese nicht nur dem Scheinheiligen, bei allen seinen heimlichen und öffentlichen Lastern und Verbrechen, durch die Finger, sondern der Andächtler wußte sich auch von dem abergläubischen Volke durch verstellte Demut und Gottesfurcht Ehrerbietung zu erzwingen. Leute hingegen, die an den Glaubenslehren zweifelten, schüttelten nicht selten, da in dem Religionsunterrichte, den sie genossen hatten, alle sittliche Pflichten aus den Glaubenslehren waren herbeigeleitet worden, sobald ihr Glauben an diese wankte, zugleich die reine, hier auf Erden ewig wahre Moral von sich. - Auf diese Weise untergrub also auch die Theologie die moralische Glückseligkeit der Menschen.

Die Folgen dieses Priesterunwesens wurden noch abscheulicher, als endlich gar die Pfaffen unter sich selber in Uneinigkeit gerieten. Dies geschahe zuerst bei einer sonderbaren Veranlassung. Es hatte nämlich ein Pfaffe in Sire, einer Stadt, die noch größer ist als die ehemalige Residenz Axum, sich unterstanden, in der Schule, die er hielt, zu sagen, man dürfe die Geschichte von Elias' Wagen nicht wörtlich verstehen; jedermann wisse, daß es nicht möglich sei, mit einem Wagen durch die Luft zu kutschieren, und ein feuriger Wagen sei nun gar etwas, wobei ein ehrlicher Mann, der sich daraufsetzte, seine fleischernen Hinterteile in große Gefahr bringen würde; die ganze Geschichte sei also so zu verstehen, daß ein starkes Gewitter das Vehikulum gewesen sei, dessen sich Gott bedient habe, den Propheten aus der Welt zu nehmen. – Kaum war das Gerücht von dieser fürchterlichen Ketzerei den Mitgliedern des Glaubenskollegium in Axum zu Ohren gekommen, so wurde der irrgläubige Priester vorgeladen, verhört und ihm zugemutet, öffentlich zu widerrufen. Er war ein Mann von Grundsätzen und – widerrief nicht. Man ließ ihm drei Wochen Zeit, die erfordert wurden, die nötigen Anstalten zu seiner feierlichen Exekution zu machen, und als er da sein Wort nicht zurücknahm, wurde er mit großer Pracht, in Gegenwart des Hofs und vieler tausend Zuschauer, auf dem Markte in Axum am Spieße gebraten.

Ich, Benjamin Noldmann, muß bei dieser Gelegenheit meine Schwäche bekennen, wenn es anders eine Schwäche ist. Ich würde mich, eines bloß theoretischen Satzes wegen, gewiß nicht braten lassen, sondern augenblicklich widerrufen, glaube auch, der Schöpfer, welcher mir das Leben gegeben hat, womit ich kein Spielwerk treiben darf, würde mir's zur großen Sünde anrechnen, wenn ich, aus Eigensinn und um meine Überzeugung öffentlich dartun zu dürfen, mir auch nur ein Glied verstümmeln ließe. Durch mich wird daher nie die Feierlichkeit eines Autodafé vermehrt werden.

Wer hatte bis dahin sich um die Konstruktion jenes Wagens bekümmert? Jetzt wurde des Propheten Kalesche der Gegenstand des allgemeinen Interesse. – Eine Lehre, für die ein Mann sein Leben läßt, muß doch wohl wahr und von der höchsten Wichtigkeit sein. – Ehe ein Jahr verging, war die Sekte derer, die öffentlich erklärten, sie könnten und würden nie glauben, daß man mit einem feurigen Wagen zum Himmel fahren könnte, zu mehr als tausend angewachsen. Man ergriff eine Menge von ihnen; einige widerriefen bei den schrecklichen Martern, womit man sie peinigte; die Hartnäckigsten versiegelten ihre Lehre mit dem Märtyrertode; aber je mehr Anti-Kaleschianer gefoltert, gespießt, gebraten, gekreuzigt, geschunden, gesteinigt und ihrer Augen beraubt wurdenAlle diese Strafen sind noch jetzt in Abyssinien üblich, wie uns Bruce erzählt., desto zahlreicher wurde diese Sekte, die endlich anfing, sich eine eigne kirchliche Verfassung zu errichten, sich Oberhäupter und eigne Priester zu wählen und sich der Obrigkeit zu widersetzen, die ihre Anführer gefangennehmen wollte.

Nun war es Zeit, die Kriegsvölker gegen diese Rotte anrücken zu lassen; allein die Ketzer hatten dies vorausgesehen, sich bewaffnet und mit einer der nubischen Völkerschaften verbunden. Da fing denn ein blutiger Religionskrieg an, und Elias' Wagen kostete tausend arbeitsamen Bürgern das Leben.

Mit abwechselndem Glücke wurde dieser einländische Krieg eine lange Reihe von Jahren hindurch geführt. In einem Feldzuge wurde die schöne Stadt Axum von Grund aus zerstört (noch jetzt sieht man nur die Rudera davon); der große Negus mußte fliehen und bauete die neue Residenz Gondar. Im folgenden Jahre war der Nachteil auf der Seite der Ketzer; und so ging es fort; zuweilen siegte die eine, dann die andre Partei; Ströme von Blut flossen, und die schönsten Provinzen wurden in Wüsteneien verwandelt. Zuweilen schloß man einen Frieden mit den Ketzern, der aber, wie sich das von Priestern nicht anders erwarten läßt, jedesmal von seiten der Orthodoxen treulos gebrochen wurde. Das Ende von diesem allen aber war, daß zuletzt, der fortdauernden Bedrückungen und Verfolgungen müde, mehr als hunderttausend fleißige und geschickte Untertanen, die nicht glauben konnten, daß man in einem Räderfuhrwerke durch die Lüfte fahren könne, zum Lande hinaus wanderten und sich in Nubien festsetzten, wo sie geduldet wurden, Handel und Manufakturen in Flor brachten und sich als ruhige Bürger betrugen.


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