Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Einleitung

Es ist nun ein Jahr verflossen, seit mein Herr Vetter, der Advokat Benjamin Noldmann in Goslar, ehemaliger Baalomaal oder Gentilhomme de la Chambre am kaiserlichen Hofe in Gondar, seine »Geschichte der Aufklärung in Abyssinien« herausgab. Hätte er mich um Rat gefragt, so würde ich ihn davon abgemahnt haben, und ich erschrak nicht wenig, als mir das Buch zu Gesichte kam. Nicht daß ich glaubte, ein Gentilhomme de la Chambre dürfe nicht auch einmal ein historisch-philosophisch-politisches Werk herausgeben (hat doch der Gentilhomme ordinaire de la Chambre, Herr von Voltaire, deren viele in die Welt geschickt), allein ich kannte meinen Herrn Vetter zu gut, als daß ich nicht hätte ahnden sollen, er werde schwerlich unterlassen können, mit zuviel Feuer seine republikanischen Ketzereien auszukramen und andre ein wenig kühne Sätze einzumischen, die ihm leicht mißgedeutet und gefährliche Folgen für ihn haben könnten; denn da die beiden größten Mächte des Erdbodens, Dummheit und Bosheit, in allen Winkeln der Welt ihre Residenten und Agenten haben, welche jeden frei denkenden und frei redenden Mann als einen Aufrührer verdächtig machen, so ist es ein kitzliger Punkt, diesen sich bloßzustellen. Desfalls nun legte ich mich auf Kundschaft, um zu erfahren, welchen Eindruck jenes Buch auf das Publikum gemacht hätte; und da bestätigte sich denn wenigstens ein Teil dessen, was ich befürchtet hatte. Verschiedne geistliche Herrn fanden sich hauptsächlich dadurch beleidigt, daß darin von ihrem Stande und der edeln Dogmatik nicht mit der gehörigen Schonung wäre gesprochen worden; Edelleute meinten, Herr Noldmann möchte nur aus Neid sich gegen den erblichen Adel erklären, weil er selbst das Unglück hätte, von bürgerlicher Abkunft zu sein; Rechtsgelehrte sagten, Herr Noldmann müsse wohl ein schlechter Jurist sein, weil er mit Geringschätzung von der erhabensten und einträglichsten aller Wissenschaften redete; verschiedne Ärzte warfen ihm Undankbarkeit gegen die wohltätige und zuverlässige Heilkunde vor – kurz, wenn auch jeder heimlich alles so ziemlich der gesunden Vernunft gemäß fand, was mein Herr Vetter über Menschenrechte und bürgerliche Einrichtungen gesagt hatte, so ließ er doch das nicht gelten, was seinen besondern Stand anging. Nun nahm ich mir gleich damals vor, ein paar Bogen wenigstens zu Verteidigung der politischen Grundsätze des Herrn Noldmanns zu schreiben. Ich wollte darin ungefähr folgende Sätze ausführen: »In der ›Geschichte der Aufklärung von Abyssinien‹ sind Mißbräuche in den Staatsverfassungen gerügt, deren, mehr oder weniger, in jedem Lande angetroffen werden. Das Bild der Ausartung der bürgerlichen Gesellschaften und ihres Widerspruchs mit den ersten Zwecken des Sozietätsvertrags ist zwar mit sehr starken Farben ausgemalt, aber nicht, als hätte der Verfasser dadurch zu erkennen geben wollen, daß alle diese Mißbrauche in allen Staaten herrschend wären, sondern nur, um aufmerksam zu machen auf die fürchterlichen Folgen, die notwendig entstehn müssen, wenn man sich immer weiter von den ursprünglichen, heiligen Rechten der Natur entfernt, zu zeigen, wie tief der raffinierte Despotismus mit allen seinen Ressorts, an der Hand des Luxus und der Sittenlosigkeit, die Völker herabwürdigen kann; wie dann aber selbst seine schimmernde Blüte den Samen zu einer neuen Sprosse trägt, welche hervorschießt, bald ihn selbst unterdrückt und weit umher Wurzel faßt; wie die lange Zeit hindurch mißhandelten Völker, wenn ihr Elend und der Druck aufs höchste gestiegen sind und sie, bei einer andern Ordnung oder Unordnung der Dinge, nichts verlieren, aber vielleicht alles gewinnen können, die Augen öffnen, an der eignen Fackel des Despotismus, nämlich an der Aufklärung, welche die feinere Kultur herbeigeführt hat, ihr Licht anzünden und damit endlich ihren armseligen Zustand beleuchten; wie hierauf vergebens alle Mittel angewendet werden, den Stärkern, dessen Namen Legio heißt, wenn er es einsehn gelernt hat, daß er der Stärkere ist, wieder unter das Joch des schwächern Einzelnen zurückzubringen, und welche gewaltsame Umkehrungen, welche blutige Kämpfe alsdann da erfolgen müssen, wo, wenn alle umstürzen helfen, jeder auf seine eigne Weise und zu seinem eignem Vorteile wieder aufbauen will. Heißt das Aufruhr predigen, wenn man ein solches Bild entwirft, damit man die Regierer der Völker warne, es dahin nicht durch eigne Schuld kommen zu lassen? wenn man ihnen begreiflich macht, daß es jetzt grade noch Zeit ist, die Saiten herunterzustimmen, wenn sie nicht reißen sollen? Nie ist dem Herrn Noldmann eingefallen, den Reformator zu spielen und alle Staaten nach dem neuen Systeme seines abyssinischen Prinzen ummodeln zu wollen; aber ein Ideal wollte er aufstellen, von einer nach den Grundsätzen der reinsten Vernunft und natürlichen Billigkeit errichteten Verbindung der Menschen zu einem Staatskörper. Es kömmt hier nicht auf die Möglichkeit der Ausführung, der Erreichung eines solchen Ideals, sondern darauf kömmt es an, daß man, durch Betrachtung desselben, sich überzeuge, wie weit man sich von demselben entfernt hat, damit man, bei Gründung einer neuen Konstitution, einen Maßstab habe, wonach man bestimmen möge, welche Schritte man zurück tun muß, um dem Ideale nahezukommen. Über solche der ganzen Menschheit wichtige Gegenstände kann nie genug nachgedacht, gesagt und geschrieben werden. Übrigens kann man ein sehr ruhiger Bürger sein und dennoch manches in seinem Vaterlande anders wünschen, als es ist, sich auch darüber gelegentlich deutlich herauslassen. Man kann gegen Mißbräuche in dogmatischen und gottesdienstlichen Sachen eifern und dennoch nicht nur sehr warm für Religion sein, sondern auch, ohne Heuchelei, die kirchlichen Gebräuche mitmachen, weil sie nun einmal so eingeführt sind. Man kann wünschen, daß alle geheime Verbindungen aufgehoben würden, und dennoch die Freimaurerlogen, die nun einmal da sind, besuchen und darin Gutes wirken. Man kann behaupten, daß, wenn man einen neuen Staat zu errichten hätte, man in demselben keine Schauspiele dulden wollte, und dennoch in dem Staate, darin man lebt, sich des Schauspiels annehmen. Man kann mit Enthusiasmus die Glückseligkeit einer republikanischen Verfassung erheben und dennoch ein sehr gehorsamer Untertan seines Monarchen sein. Man kann die Torheiten und Tücken der Menschen rügen und dennoch die Menschen herzlich lieben und seine eignen Fehler nicht mißkennen – kurz, der philosophische Schriftsteller muß über alles räsonieren dürfen; Räsonnements sind aber weder Gesetze noch Glaubensartikel, noch Fehdebriefe.«

Diese und ähnliche Sätze wollte ich zu Verteidigung meines Herrn Vetters dem geneigten Leser an das Herz legen, als mir die Ankündigung einer periodischen Schrift vor Augen kam, die nun bald in Wien hervortreten wird und in welcher man die neumodischen Philosophen entlarven, abfertigen und das Publikum vor diesen abscheulichen Volksaufrührern warnen will. Nun läßt es sich gar nicht denken, daß, bei der Aufklärung und Denkfreiheit, welche jetzt im ganzen teutschen Reiche herrschen, einige niedrige, sklavische Schmeichler es wagen sollten, um für sich Pensionen und andre Vorteile zu erringen, dem politischen, theologischen und philosophischen Despotismus und der Verfinsterung das Wort zu reden, die guten Fürsten, die auf halbem Wege sind, ihren Völkern statt der eisernen, spröden Ketten der willkürlichen Gewalt die sanften und dauerhaften Bande der Gesetze, der Liebe und der Achtung anzulegen, mißtrauisch gegen die freimütigen, edeln Männer zu machen, die den Mut haben, ihnen, zu ihrem Heile, die Wahrheit zu sagen. Es läßt sich nicht denken, daß die Unternehmer jener periodischen Schrift boshafte Dummköpfe wären, welche sich verschworen hätten, jeden helldenkenden Mann, dessen Licht ihnen etwa zu sehr in die Augen schimmerte, bei dem Volke verdächtig zu machen, ihn zum Schweigen zu nötigen oder gar ihm Verfolgung im bürgerlichen Leben zuzuziehn. Es läßt sich nicht denken, daß namenlose, unberühmte Leute die Unverschämtheit haben würden, auf eigne Autorität, ein philosophisches Inquisitionsgericht anzulegen – nein, ich bin vielmehr überzeugt, daß die in Wien angekündigte Zeitschrift Männer zu Verfassern haben wird, die sich schon durch Schriften und Handlungen in den Ruf aufgeklärter, denkender, uneigennütziger und edler Eiferer für Wahrheit und Recht gesetzt, und daß diese den lobenswerten Zweck haben, echte philosophisch-politische Grundsätze zu entwickeln, diejenigen, welche sich ohne Kenntnis der Sache an Beurteilung großer Weltbegebenheiten wagen, gütlich zurechtzuweisen und durch Warnung und richtigen Volksunterricht den gefürchteten bösen Folgen vorzubeugen, welche unvorsichtig vorgetragne Sätze, von falschem Enthusiasmus irregeleiteter Schriftsteller, auf die allgemeine Stimmung haben könnten.

So wenigstens habe ich jene Ankündigung verstanden, und das hat mich bewogen, damit auch ich mein Scherflein zu dieser guten Absicht beitragen möchte, meinen ersten Plan, der nur auf Verteidigung des Herrn Benjamin Noldmanns ging, zu erweitern. Ich will nämlich in dieser Schrift die Frage abhandeln: ob 465 und in welchen Fällen den europäischen Staaten, bei der jetzigen, durch zunehmende Denk- und Preßfreiheit bewürkten Stimmung des Zeitalters, eine Staatsumwälzung bevorzustehn scheinen möchte? Und da wohl ohne Zweifel die französische Revolution jetzt den größten Einfluß auf diese Stimmung hat, indem sie so manche Feder und Zunge in Bewegung setzt, so will ich meine Frage also einkleiden: Welche Folgen haben wir von der französischen Revolution zu fürchten oder zu hoffen?


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