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Die kleinern Fürsten Nubiens, deren Höfe ich im Vorbeigehen besuchte, waren nicht weniger originell in ihrer Art als jene großen; nur fehlte es ihnen an Macht, ihre Torheiten und Untugenden mit soviel Aufwande zu offenbaren. Größtenteils erregten sie bei mir nur Mitleid und Lächeln. Wo sie aber konnten und durften, da übten sie eine Tyrannei aus, die, wenigstens für einzelne Untertanen, ebenso fürchterlich als die des größten Despoten war.
Am auffallendsten war mir's, daß ich nicht einen dieser unbedeutenden Menschen sah, der nicht in seiner Residenz von zwanzig Häusern, in seinem Ländchen, das auf der Landkarte gänzlich bedeckt ist, wenn sich eine große Fliege daraufsetzt, sich so erhaben, so wichtig vorgekommen wäre als der Kaiser von China. Je kleiner ein solcher Gesalbter war, einen desto längern Titel gab er sich; ja, zwei von ihnen führten seit drei Jahren einen fürchterlichen Krieg miteinander, weil der eine sich unterfangen hatte, den Titel Herr des Sonnenscheins seinem durchlauchtigen Namen hinzuzufügen, da hingegen der andre behauptete, dies sei ein ausschließliches Recht seines Hauses.
Indessen hindert doch dieser Hochmut nicht, daß einer in des andern Dienste tritt und sich dafür jährlich eine Kleinigkeit bezahlen läßt, daß er die Farbe trägt, worin der Nachbar seine Sklaven kleidet, oder daß er eine goldene Kette umhängt, die ihm ein Fürst, der einige Hufen Landes mehr als er besitzt, geschenkt hat und worauf eingegraben steht, daß dies ein Zeichen von Verdienst sein solle.
An jedem dieser kleinen Höfe herrschten ein andrer Ton, andre Grillen, andre Liebhabereien, und das alles, leider! auf Unkosten der armen Untertanen. Der Fürst von Schankala hatte einen übertriebnen Sammlungsgeist. Ich mußte seine Kabinette besehen. An Messern und Scheren von aller Art, an Schuhen, Pantoffeln, Sandalen und dergleichen, und wie nur die Fußbekleidung heißen mag, die irgendein Volk des Erdbodens trägt, an Haarkämmen, Bürsten und ändern ähnlichen Kleinigkeiten besaß er einen solchen Schatz, daß er, zu Herbeischaffung dieser Dinge aus allen Teilen der Welt, sein Land mit ungeheuren Schulden belastet hatte.
Der Fürst von Goyam fand ein großes Vergnügen an chirurgischen Versuchen und ließ wöchentlich zweimal an einem seiner Untertanen eine Operation vornehmen; zum Beispiel ihm die Leber zur Hälfte aus dem Leibe schneiden, um zu sehen, wie lange man ohne Leber noch atmen könne. Dies war in der Tat sehr unterrichtend für junge Wundärzte; dabei war er so billig, wenn ein Mensch in einer solchen bei lebendigem Leibe vorgenommnen Sektion nicht starb, ihm ein kleines Jahrgeld auszusetzen, welches denn auch, wenn die Kassen nicht erschöpft waren, zuweilen wirklich ausgezahlt wurde.
In Gonga habe ich die prächtigsten Pferde, Kamele und Elefanten gesehen, die in Afrika gefunden werden können. Es ist wahr, daß diese Tiere so viel fraßen, daß darüber jährlich tausend Untertanen verhungern mußten; allein dagegen konnte sich auch kein Kaiser rühmen, einen solchen Schatz zu besitzen, und mehr Löwen, Hyänen, Affen aller Gattungen, Ratzen, Ibis und dergleichen sind nirgends anzutreffen als in der Menagerie zu Gonga. Ein Spottvogel sagte einst, der Hof von Gonga sei ein Hof voll Vieh und das sei doch ein angenehmer Anblick.
Der Fürst von Enam war ein großer Beförderer der schönen Künste. Alle Suppliken, welche ihm eingereicht wurden, mußten in Versen verfaßt sein; nicht anders als singend durfte ihm referiert werden. Sein oberster Paukenschläger und der Geheime Posaunenbläser, welche beide zugleich Sitz und Stimme im Ministerio hatten, bekamen jeder doppelt soviel Gehalt als der Justiz- und der Finanzminister.
Der unumschränkte Beherrscher des kleinen Landes Ghedm ließ prächtige Paläste errichten und herrliche Gärten anlegen. Seine Schlösser, mit allen ihren Nebengebäuden, hatten einen solchen Umfang, daß seine sämtlichen Untertanen darin hätten wohnen können. Es wäre fast zu wünschen gewesen, daß er sie dazu hätte einrichten lassen; denn die armen Leute konnten es doch in ihren verfallnen Hütten nicht aushalten, sondern wanderten haufenweise aus, um sich den herumziehenden Nomaden zuzugesellen.
In Damot war die Gelehrsamkeit zu Hause; der Fürst beschäftigte sich mit spekulativen Wissenschaften. Für diesen Herrn war es wirklich schade, daß ihm seine Studien nicht Muße ließen, sich der Landesregierung anzunehmen; es fehlte ihm gar nicht an Fähigkeiten dazu. Nun aber war alles in den Händen seines General- Ober-Land-und-Feld-Sonnenschirm-Trägers, der sein Liebling war und von dem man nun freilich nicht ohne Grund behauptete, daß ihm nicht anders als durch Bestechung beizukommen wäre.
Da das Ländchen Contisch durch seine Armut und seine Lage gegen alle feindliche Angriffe gesichert ist und der Landesherr doch wünschte, seine Untertanen möchten einige Kenntnis vom Kriegswesen erlangen, wozu ihm schon in seiner Kindheit sein Hofmeister, der, man weiß nicht recht warum, ein alter Soldat aus Abyssinien war, große Neigung erweckt hatte, so teilte er seine sämtlichen Untertanen in Regimenter ein, belegte alle übrige Stände mit einer Art von Schimpfe und wird dadurch den Zweck erreichen, daß, wenn nun bald niemand mehr im Lande die Felder bauet, er ein wohlgeübtes Heer hat, an dessen Spitze er die blühenden Fluren seiner Nachbaren erobern kann.
Das ist eine treue Schilderung der Höfe, die ich in Nubien, als Gesandter des Königs von Abyssinien, besucht habe! Doch muß man keineswegs glauben, es herrschten in dem großen, zum Teil noch gänzlich unbekannten Afrika nicht auch edle, weise Könige und Königinnen, Fürsten und Fürstinnen; vielmehr habe ich deren, besonders in dem mittägigen Teile, einige in der Nähe und Entfernung zu bewundern Gelegenheit gehabt, die von ihren Völkern verehrt, geliebt und deren Namen wie die Namen Adolph, August, Carl, Catharina, Christian, Ernst, Franz, Franziske, Friedrich, Georg, Gustav, Joseph, Leopold, Ludwig, Maximilian, Peter, Stanislaus, Victor, Wilhelm, Wolfgang und andre uns in Europa so teure, heilige Namen mit Segen genannt werden; allein es liegt außer meinem Gesichtskreise, von diesen hier zu reden, und sie sind über das Lob eines armen, unbedeutenden Schriftstellers, wie ich bin, erhaben. - Wahre Größe kann nur im stillen bewundert, angestaunt, mit warmen Herzen gefühlt, aber sie muß und will nicht gelobt werden.
Es gibt auch kleine Freistaaten in Nubien; allein sie sind es mehrenteils nur dem Namen nach, sind Oligarchen-Regierungen, wo man statt eines Tyrannen deren zehne hat, von denen sowie von ihren Weibern, Kindern und Kreaturen man abhängen, kriechen, schmeicheln und sich krümmen muß, wenn man sein Glück machen will, insofern man nicht zu den herrschenden Pinselfamilien gehört - Tyrannen, ohne Erziehung, ohne Ehrgefühl, die nur darauf denken, sich und ihre Vettern zu bereichern, die nicht, wie in Monarchien, durch irgendeinen äußern Sporn zu großen Taten getrieben werden, weder durch die Stimme des Rufs noch durch die Feder des Geschichtschreibers, sondern die, ohne Verantwortung und Scheu, alles Böse tun können, weil man voraussetzen darf, es sei durch die Mehrheit der Stimmen also entschieden, und die selten Reiz haben, etwas Gutes zu bewirken, weil sie die Ehre doch teilen müssen; die, wenn sie auch dies Gute ernstlich und uneigennützig wünschen, unendliche Schwierigkeiten finden, es durchzusetzen, weil die Zahl der Edlern immer die kleinere Zahl ist, der größere Haufen aber teils aus Schelmen, teils aus unbedeutenden Menschen besteht, die nicht zu erwärmen sind und sich leichter von Schurken und Schleichern als von graden, edlen Männern stimmen lassen. Da läßt man denn kein eminentes Genie emporkommen, sondern macht es dem Volke verdächtig; da heißt Eifer für das Gute - Empörungsgeist, Bekämpfung schädlicher Mißbräuche und Vorurteile - Neuerungssucht und Ketzerei; da heißt der Mann, der die Schliche der heuchlerischen Bosheit aufdeckt und der ernsthaften Dummheit die Larve abreißt - ein Satiriker, ein gefährlicher Friedensstörer. - Oh! wer würde nicht lieber einem gekrönten Pinsel gehorchen, der doch nicht unsterblich ist und endlich einmal einem bessern Menschen Platz macht, als das Joch von unzähligen solchen Geschöpfen tragen, die nie aussterben?
Und nun, liebe Leser, muß ich Sie, ehe ich dies Kapitel schließe, fragen, ob Sie, bei der Schilderung des Despotismus in Nubien, nicht mit mir Ihr Schicksal gesegnet haben, das Sie in Europa hat geboren werden lassen, wo wir dergleichen Tyranneien nicht kennen, wo die Rechte der Menschheit heiliggehalten werden und die echte Philosophie Regenten und Volk über ihre gegenseitigen Pflichten aufgeklärt hat? Aber auch in Nubien wird es einst dahin kommen, daß man diese Rechte und Pflichten näher beleuchtet. Dann wird man es laut und kühn sagen: es ist gegen die Ordnung der Natur, daß Millionen bessere Menschen, ohne Wahl, ohne Übereinstimmung, grade dem Schwächsten, dem Elendesten unter ihnen gehorchen; gegen die Ordnung der Natur, daß nicht das Gesetz, sondern die Willkür eines einzigen Tod und Leben, Eigentum, Ehre und Schande frei und gleich geborner Menschen bestimmen soll, daß ein Knabe, ein Blödsinniger, ein Bösewicht an der Spitze großer, edler, gesunder und weiser Männer stehen und diese zum Spielwerke seiner Grillen und Torheiten machen soll; gegen die Ordnung der Natur, daß es vom blinden Ungefähr abhängen soll, ob der, welcher in ein Hospital oder Waisenhaus gehörte, auf einem Fürstenthrone sitzen und mit Ländern und Völkern Possen treiben soll; gegen die Ordnung der Natur, daß man Menschen und Provinzen und Recht über Leben und Tod erben kann. Wir wollen gern gehorchen, aber nur den Gesetzen, denen wir uns freiwillig unterworfen haben, nicht der Willkür, und einer soll an unsrer Spitze stehen und über Haltung der Gesetze wachen; aber dieser eine soll ein weiser und guter Mann und, wäre er auch nicht der Beste und Weiseste unter uns, wenigstens nicht der allgemein anerkannt Schwächste und Schlechteste sein. Unsre Fürsten sollen es erfahren, daß alles, was sie besitzen und verwalten, unser Eigentum ist; daß ihr Amt, ihr Stand nur von unsrer Übereinkunft und Beistimmung abhängt; daß erst der geringste arbeitsame Bürger unter uns Brot haben muß, ehe an den Hofschranzen und Tagedieb die Reihe kömmt, ehe aus dem öffentlichen Schatze dem Müßiggänger Pasteten und Braten gekauft und Geiger und Pfeifer und Buhlerinnen besoldet werden. Und wenn das unsre Fürsten einsehen, anerkennen und darnach handeln, dann wollen wir sie in Ehren halten und nicht absetzen, wollen ihnen ihr Leben süß und leicht machen, wollen ihnen, für ihre Arbeit und Sorgfalt, Gemächlichkeit und erlaubte Freuden des Lebens und Wohlstand zusichern und dafür sorgen, daß ihre Kinder nach diesen Grundsätzen erzogen und würdig werden, nach ihnen an unsrer Spitze zu stehen. Und wenn sie tot sind, wollen wir das Andenken des guten, tätigen, väterlichen Wohltäters segnen, der für viele gelebt und seine Kräfte dem allgemeinen Besten gewidmet hat.
Ich hoffe, daß man bald aus diesem Tone auch in Nubien reden wird; und welch ein glückliches Reich, glücklich wie unser Europa, wird dann Nubien werden!
Nach dieser Ausschweifung kehre ich zu der Geschichte meiner Reise zurück, womit ich ein neues Kapitel anfangen will.