Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Zweites Kapitel

Fortsetzung des vorigen

Soviel von meiner eignen werten Person bis zu der Katastrophe, die mich bewog, auf Reisen zu gehen! Jetzt muß ich von den übrigen Personen meiner Familie, besonders von meinem Herrn Vetter reden, dessen Schicksale mit den meinigen zusammenhängen.

Ich war nicht der einzige Sprößling des Noldmannschen Geschlechts, sondern hatte eine ältere Schwester, die, als ich noch ein Knabe von sechs Jahren war, mit dem Prediger Wurmbrand im Eisenachschen getraut wurde. Dieser Mann war reich und schon verheiratet gewesen. Mit der ersten Frau hatte er zehn Söhne erzeugt; meine Schwester beschenkte ihn mit dem eilften, den er, indem ihm der Erzvater Jakob im Kopfe steckte, Joseph taufte. Die Jungen sollten sämtlich Theologie studieren; das war denn so die geistliche Grille des Herrn Pastors; doch wurde sein Plan vereitelt. Zwei von den jungen Herren liefen aus der Schule weg und ließen sich zu Soldaten anwerben; einer wurde blödsinnig und deswegen in ein Hospital gesteckt; der vierte starb auf Universitäten, an der zurückgetriebnen Krätze; der fünfte ertrank auf der Reise, als er eben nach Ilefeld auf das Gymnasium ziehen wollte; einer wurde Landprediger und lebt noch; ein andrer ließ sich verleiten, mit den spanischen Luftspringern in die Welt hinein zu gehen und die hohen Herrschaften in den Frankfurter Messen durch seine Gaukeleien zu unterhalten; der achte verschwand auf einmal, nachdem er sich auf Schulen allerlei Ausschweifungen ergeben hatte, soll gegenwärtig Schauspieler sein und edle Heldenrollen spielen; der neunte, welcher Isaschar hieß, plagte seine Eltern so lange, bis sie einwilligten, daß er Bartscherer und Wundarzt würde (zwei Künste, die in Deutschland, wie jedermann weiß, zur Ehre der gesunden Vernunft in einem Stande vereinigt sind); Sebulon aber, als der zehnte Sohn, vollendete seine Studia, war ein wenig taub und kurzsichtig, wurde daher zum Informator gut genug befunden, in welcher Qualität er sich vielleicht noch jetzt herumtreibt. Der kleine Joseph, der wenig Jahre jünger als ich war, blieb am längsten in seines Vaters Hause und wurde also, wie sich das versteht, von Vater und Mutter verzogen. Gern hätten Seine Hochehrwürden noch einen kleinen Benjamin geliefert; allein so gut wurde es ihnen nicht; es blieb also Joseph Wurmbrand der Liebling der Eltern. Er war ein lebhafter Knabe, voll Mutwillen und unruhigen Geistes. Da die kleinen Tücken, die er ausübte, als Zeichen seines aufgeweckten Temperaments ausgelegt und seine Naturgaben bei jeder Gelegenheit zur Ungebühr erhoben wurden, so gewann der Junge bald eine große Meinung von seinem eignen Ich. Der Vater pflegte ihm oft in der Bilderbibel die Geschichte von Jakobs Söhnen aufzuschlagen. Wenn dann das naseweise Kind auf dem Holzschnitte den ägyptischen Finanzminister Joseph, mit königlichen Kleidern angetan, auf einem großen Stuhle sitzen sah, wie er seine Brüder, die als lumpige Juden vor ihm erscheinen und seine Füße küssen, von oben herab seiner Gnade versichert, so dachte der kleine Wurmbrand, es könne ihm auch wohl noch so gut werden; und dann kam es ihm im Schlafe vor, als wenn er dem Oberschenken und dem Schloßhauptmanne in Weimar ihre Träume ausgelegt hätte und dieser merkwürdige Umstand der durchlauchtigsten Herzogin Regentin wäre berichtet worden, da er dann einen Ruf bekommen, vor Ihrer Durchlaucht zu erscheinen, und der erhabenen Fürstin den Rat gegeben, zu rechter Zeit Magazine anzulegen, und wie er darauf stante pede zum Kammerpräsidenten wäre ernannt worden, wodurch er dann Gelegenheit erhalten hätte, seine ganze Familie zu hohen Ehren zu bringen, und was dergleichen Torheiten mehr waren.

Indessen ließen sich solche erhabne Gedanken nicht wohl mit seines Vaters Plane, ihn der Gottesgelahrtheit zu widmen, vereinigen; deswegen empfand er denn auch sehr wenig Neigung, diesen Stand zu wählen. Wenn der alte Pastor mit seinem Ideenschwunge nicht weiter hinauf konnte, als daß er in Gedanken seinen lieben Sohn auf dem Consistorio in Weimar sein examen rigorosum rühmlichst aushalten sah, indes der Alte hinter dem grünen Schirm auf jede Frage und Antwort lauerte und unter der Hand zu erfahren suchte, ob der hoffnungsvolle junge Kandidat bene oder valde bene zum Urteil erhalten habe, so flog Joseph mit seiner Phantasie viel höher. Er erblickte sich als Minister an der herzoglichen Tafel auf dem großen Schlosse (dessen prächtige Merkwürdigkeiten sowohl als die schönen Gärten, Lust- und Jagdschlösser sich der Herr Pastor nebst seiner Familie bei einer Reise nach Weimar einmal hatte zeigen lassen), sah sich da den herrlichen Pasteten und Fleischmassen gegenüber, woran die herzoglichen Mundköche ihre Kunst verschwendet hatten, und erlauerte den Augenblick, da er, durch irgendein Abenteuer in die Residenz geführt, dort einer vornehmen Dame Liebe einflößen, von ihr, nach vorhergegangener Mantel-Szene, auf die Wartenburg verwiesen werden und dort, durch Traumdeuterei, den Grund zu jener glänzenden Laufbahn legen würde.

Es war aber im Buche des Schicksals anders beschlossen. Sein Vater unterwies ihn selbst bis in das fünfzehnte Jahr, nach der damals allgemein üblichen alten Methode, und in der Tat war über seinen Fleiß nicht zu klagen. Dann wurde er nach Eisenach auf die Schule geschickt, wo er bei seinem Oheim, einem Kantor, im Hause wohnte. Hier geriet er mit andern wilden jungen Leuten in Verbindung; man wachte nicht sorgfältig genug über seine sittliche Aufführung; sein Kopf war voll von Erwartungen sonderbarer Abenteuer; es dauerte ihm zu lange, ehe sich eine Aussicht zeigte, die Träumereien seiner Kindheit realisiert zu sehen; es wurde nun immer ernstlicher davon geredet, daß er sich den theologischen Wissenschaften widmen sollte; das Ding gefiel ihm nicht; er geriet über einige Reisebeschreibungen, die ihm die Lust einflößten, fremde Länder zu sehen; er fing an zu glauben, Weimar sei wohl nicht der Ort, wo er die große Josephs-Rolle würde spielen können, und da ihn die Abenteuer nicht suchten, so beschloß er, sie aufzusuchen. In dieser Stimmung wurde er durch einen andern jungen Menschen bestärkt, der ihm den Plan entwerfen half, fortzulaufen und mit ihm auf gutes Glück in die weite Welt zu gehen. Hierzu kam, daß er ein wenig zu bekannt mit des Herrn Kantors Tochter geworden, woraus Folgen entstanden waren, die bald sichtbar werden mußten und die ihn in große Verlegenheit setzten. In diesem Punkte ahmte er also seinem ägyptischen Helden nicht nach, der sich bei Madam Potiphar ganz anders betragen hatte; allein das hielt ihn nicht ab zu glauben, er könne wenigstens im übrigen sein Vorbild erreichen. Er ging also fort, und um die Leser nicht mit einer weitläuftigen Beschreibung seiner Wanderschaften zu ermüden, will ich davon nur das Hauptsächlichste erzählen.

Joseph Wurmbrand erlebte, was jedem leichtsinnigen Knaben begegnen muß, der, ohne zu wissen wohin und ohne alle Erfahrung, in die Welt hinein läuft. Daß man wohl tue, sich mit Gelde zu versehen und einen bestimmten Plan zu entwerfen, bevor man einen solchen Schritt wagt, daran hatte der junge Herr sowenig wie sein Reisegefährte gedacht. Einige Tage lag es ihnen nur am Herzen, ihre Tritte zu beschleunigen, weil sie fürchteten, man möchte ihnen nachsetzen. In dieser Zeit nun waren sie bis an die preußische Grenze gekommen, fühlten sich aber so ermüdet und, da sie indes fast gar nichts genossen hatten, einer guten Mahlzeit so bedürftig, daß sie sich entschlossen, hier haltzumachen, sich mit Speise und Schlaf zu erquicken und inter pocula miteinander zu beratschlagen, wohin nun eigentlich die Reise gehen sollte. Ein einsam liegendes Wirtshaus ladete sie eines Abends ein, hier Quartier zu nehmen. Sie fanden darin, außer dem dicken einäugigen Gastwirte und seinem buckligen Weibe, noch zwei große, starke Kerl um den Tisch herum sitzen, die zuvorkommend freundlich gegen sie waren und mit denen sie bald in allerlei vertrauliche Gespräche gerieten. Dabei ließen sie sich zu essen und zu trinken geben. Die beiden Fremden nötigten sie, ein paar Gläser Wein mit ihnen auszuleeren, wobei unsre jungen Abenteurer treuherzig genug waren, ihre Geschichte zu erzählen, nämlich: wie sie, um sich dem Schulzwange und dem ewigen Einerlei einer sitzenden Lebensart zu entziehen, sich mit der Absicht auf den Weg gemacht hätten, die Welt zu sehen, und daß es nun ihr Plan sei, nach Holland zu reisen und dort, weil sie doch im Schreiben und andern nützlichen Kenntnissen erfahren wären, sich zu bemühen, auf einem Schiffe, das zu einer großen Reise bestimmt wäre, als Schreiber oder dergleichen angesetzt zu werden. Die übrige Gesellschaft lobte diesen Entschluß, und weil es indes spät geworden war und die beiden jungen Leute sich ungewöhnlich schläfrig fühlten, so wurde Anstalt zu einer Streue gemacht, auf welcher Joseph mit seinem Gefährten und bald nachher auch ihre neue Bekannte Platz nahmen.

Es war schon heller Tag, als mein Herr Vetter von seinem festen Schlafe erwachte; er rief seinem Freunde, aber niemand antwortete; er stand auf, fragte den Wirt und die Wirtin, wo denn die andern wären, und bekam zur Antwort, daß sie das nicht wüßten. Schon vor Tage habe einer von ihnen die Magd geweckt, habe die Zeche für sie alle bezahlt und sei weitergereiset; vermutlich sei der junge Mensch mit den beiden Männern gegangen. Sowenig dies nun mein Herr Vetter begreifen konnte, so blieb ihm doch nichts übrig, als sich in Geduld zu fassen. Vergebens wartete er bis zum Mittage auf die Zurückkunft seines Freundes; er erschien nicht, und Joseph mußte sich entschließen, einsam seine Reise fortzusetzen. Er ließ sich den nächsten Weg, der auf die holländische Heerstraße führte, beschreiben, nahm sein Bündelchen und ging fort.

Unterwegens gesellte sich ein Mann zu ihm, mit dem er bald eine Unterredung anfing und dem er den ihn betroffenen Unfall klagte. Der Mann schien großen Anteil an der Sache zu nehmen und erklärte ihm zugleich, wie es damit zugegangen wäre. Er sagte ihm, dies Wirtshaus sei eine Herberge für preußische Werber und die beiden gestrigen Gäste seien dergleichen gewesen; er wisse auch recht wohl, wie es diese Herrn machten. Sehr wahrscheinlich hätten sie ihm und seinem Freunde einen Schlaftrunk in den Wein geschüttet, dann in der Nacht den jungen Menschen von der Streue aufgenommen, auf einen Wagen gelegt und wären mit ihm nach Magdeburg gefahren. Dies war auch in der Tat also geschehen, und was meinen Vetter von einem gleichen Schicksale gerettet hatte, war der Umstand gewesen, daß er nicht sehr ansehnlich von Figur ist, dahingegen der andre ein schlanker, hübscher Pursche war. Der ehrliche Mann beschloß seine Rede mit der ziemlich bekannten Anmerkung, daß es allerorten böse Leute gebe und daß ein junger Mensch sich auf Reisen sehr in acht nehmen müßte.

Schon am folgenden Morgen hatte Joseph Gelegenheit, die Wahrheit und Wichtigkeit dieser Bemerkung zu fühlen; denn nachdem er mit seinem neuen Bekannten in einem kleinen Städtchen übernachtet hatte und nun weiter seiner Straße ziehen wollte, fand sich's, daß der Fremde vorausgegangen war und, teils um ihn von der Last zu befreien, gar zu schwer tragen zu müssen, teils um seine Lehre von der Vorsichtigkeit auf Reisen ihm anschaulicher zu machen, sein Bündel mitgenommen hatte.

Das war denn ein harter Schlag für meinen armen Herrn Vetter; denn das Päcklein enthielt seine besten Sachen an Wäsche, silbernen Schnallen und dergleichen, und nun hatte er, außer der Kleidung, die er auf dem Leibe trug, und einem halben Taler barer Münze, nichts im Vermögen, das ihm hätte die Mittel verschaffen können, Holland zu erreichen. Er schritt also, traurig und unentschlossen, was er anfangen wollte, weiter. Indessen machte er es hier wie die mehrsten Menschen; denn er nahm sich jetzt, da es zu spät war und er nichts mehr zu verlieren hatte, vor, künftig behutsamer zu sein.

Der halbe Taler, der Josephs ganzen Reichtum ausmachte, war nun auch bald ausgegeben, und so blieb ihm denn, nach einigem Kampfe zwischen seinem hungrigen Magen und dem Ehrgeize, nichts übrig, als mitleidige Menschen um einen Zehrpfennig anzusprechen. In dieser Lage wünschte er wohl freilich zuweilen, daß irgendeine reiche Madam Potiphar ihn in Versuchung führen möchte; allein so gut wurde es ihm nicht; doch bettelte er sich, mit ziemlichem Anstande und Erfolge, noch einige Tage lang weiter.

Ich habe vorhin gesagt, daß der jetzige Herr Notarius Wurmbrand, von dem hier die Rede ist, keine vorzüglich schöne Leibesgestalt besäße. Hierdurch habe ich aber keineswegs eine nachteilige Schilderung von meinem Herrn Vetter entwerfen wollen. – Im Gegenteil! er hat gewiß keine ganz gemeine Notariatsphysiognomie, und was ich jetzt erzählen will, wird dies beweisen. Als er nämlich auf dieser Wanderschaft einen westfälischen Edelmann um eine kleine Gabe ansprach, gefiel diesem Herrn seine Gesichtsbildung so vorzüglich, daß er ihm den Antrag tat, ihn als Lakaien zu sich zu nehmen. Des armen Josephs Erwartungen von seinem künftigen Schicksale waren nun schon durch die ersten Widerwärtigkeiten ziemlich herabgespannt, und so besann er sich denn nicht lange, ob er ein so gütiges Anerbieten annehmen sollte oder nicht.

Unter den westfälischen Edelleuten, sowie überhaupt unter der deutschen auf ihren Gütern wohnenden Noblesse, gibt es, wie bekannt, ungemein viel feine, gebildete und gelehrte Männer. Sie nützen die glückliche Muße des Landlebens zu Ausbildung ihres Geistes, und da sie sehr wohl fühlen, daß ein bloßer Stammbaum noch nicht beweiset, daß der Abkömmling von sechzehn adelig gebornen Personen ein edler Mann und kein Tölpel sei, so suchen sie sich wirkliche Vorzüge des Geistes und Herzens zu erwerben und, durch Beförderung einer weisen Aufklärung und durch väterliche Sorgfalt für die ärmern Landleute, ihren Mitmenschen wahrhaftig nützlich zu werden. Ja, in der Tat, so sind die deutschen Edelleute, und ich kann es nicht begreifen, wie manche Menschen das Gegenteil behaupten können. – Ein solcher Mann war denn auch der Kavalier, der meinen Herrn Vetter zu sich nahm. Er besaß eine große Büchersammlung, in vergoldetes Leder gebunden und mit seinem Wappen geziert, und da er fand, daß Joseph nicht ohne Kenntnisse und nicht ohne gute Anlagen zu weitrer Ausbildung derselben war, so verstattete er ihm den freien Gebrauch dieser Bibliothek, ließ ihn auch nicht lange die Livree tragen, sondern nützte ihn, als eine Art von Schreiber, zu Führung seines Briefwechsels und zu andern Geschäften.

Hier lebte Herr Wurmbrand zwei Jahre lang, fand Gelegenheit, bei dem Prediger des Orts Unterricht in einigen Sprachen und Wissenschaften zu erlangen, befestigte sich aber, besonders durch Lesung vieler Reisebeschreibungen, immer mehr in dem Vorsatze, ferne Länder und Völker kennenzulernen.

Einstens erhielt der Edelmann Besuch von einem Professor aus Frankfurt an der Oder, der sehr stark in orientalischen Sprachen war. Dieser lernte meinen Vetter kennen, gewann ihn lieb und tat dem gnädigen Herrn den Vorschlag, er möchte ihm den jungen Menschen überlassen, indem er für seine weitern Studien und für sein Fortkommen zu sorgen versprach. Der Herr Professor hatte großen Einfluß an Höfen, den er auf edlere Art nützte als wohl mancher andrer Professor der Philologie, den ich kenne. Der Edelmann willigte ein, und Joseph reisete mit dem Professor nach Frankfurt.

Drei Jahre brachte Herr Wurmbrand bei diesem Gelehrten hin, war sein Amanuensis, schrieb das, was dieser drucken ließ, ins reine, übernahm die Korrekturen, gab sich ein wenig mit Rezensieren ab, studierte aber und las dabei fleißig, was nicht jeder Rezensent tut, hörte indessen nicht auf, seinen Wohltäter zu bitten, er möchte ihn doch irgendeinem vornehmen Herrn, der eine weite Reise vorhätte, als Gesellschafter empfehlen, wozu man, wie billig ist, gern Leute wählt, die sich auf orientalische Sprachen gelegt haben.

So standen die Sachen, als ein pommerscher Edelmann, welcher Deutscher Ordensritter war, sich eine Zeitlang in der dortigen Gegend aufhielt und sich an verschiedne Personen mit dem Anliegen wendete, sie möchten ihm doch einen geschickten Sekretär verschaffen; da dann mein Vetter, durch Vorsprache seines Beschützers, diese Stelle erhielt.

Den in diesen Dingen etwa unwissenden Lesern dient zur Nachricht, daß der Deutsche Orden ein für die Menschheit sehr nützliches Institut ist. Der Hauptgegenstand der Bemühungen desselben bleibt, seitdem seine Bestimmung am Heiligen Grabe wegfällt, die Ausrottung der Erbfeinde der Christenheit, der vermaledeieten Türken. Es wäre wohl zu wünschen, daß andre, der Welt ebenso nützliche Unternehmungen, zum Beispiel: die Erziehung der Jugend, die Beförderung der Wissenschaften, die Aufmunterung unterdrückter Talente, die Minderung der Not und Armut, der Sturz des Fürstendespotismus und der Ungerechtigkeit, die Beschützung der unterdrückten Hülflosen, die Ermunterung des echten Verdienstes und dergleichen, den Hauptzweck ebenso reicher und mächtiger Gesellschaften ausmachen möchten – doch vielleicht erleben wir auch das noch. Obgleich nun der Deutsche Orden mit der menschenfreundlichen Absicht, die Ungläubigen zu vertilgen, in den letztern fünfhundert Jahren nicht sehr weit fortgerückt ist, so muß doch jeder Ritter drei Feldzüge gegen die Türken tun, das heißt, er muß drei verschiedne Kampagnen hindurch bei irgendeiner Armee, die gegen den Erbfeind in Bewegung ist, sich aufhalten und sich's im Hauptquartiere wohl sein lassen. Der Orden hat auch Priester, die aber den Türken keinen Abbruch tun und, nach Priesterweise, statt gegen sie zu fechten, sie nur anathematisieren. Um Deutscher Ritter zu werden und Anspruch auf reiche Kommentureien machen zu dürfen, muß man das Gelübde der Armut und auch die des Gehorsams und der Keuschheit, welche auf ebensolche Weise in Erfüllung gebracht werden, eidlich ablegen. Ein strenger Beweis von sechzehn echten Ahnen beurkundet die Würdigkeit, in den Orden aufgenommen zu werden, welches mit kirchlichen Zeremonien geschieht, die, besonders einem Protestanten, gar sonderbar mitzumachen vorkommen müßten, wenn die Menschen nicht einmal daran gewöhnt wären, Spielereien Feierlichkeiten zu nennen und das Alte ehrwürdig zu finden, wenn auch gar kein Sinn darin liegt.

Der Ritter, welcher den Herrn Wurmbrand zu sich nahm, war in der Jugend ein wenig zu kavaliersmäßig erzogen worden; man hatte vergessen, ihn das Schreiben und Lesen gehörig zu lehren, und mein Herr Vetter war ihm also ein sehr nützlicher Mann zu Führung seines Briefwechsels. Da sich sonst keine Gelegenheit fand, wider die Türken zu Felde zu ziehen, so beschloß er, nach Malta zu reisen und mit den Galeeren, die jahraus, jahrein von dort aus auf die Kinder Muhameds Jagd machen, gegen die Ungläubigen zu kreuzen.

Gleich bei der ersten Expedition dieser Art, wenig Wochen nach ihrer Ankunft auf der Insel (mein Vetter wich seinem Herrn nicht von der Seite), hatten sie das Unglück, einem barbarischen Seeräuber in die Hände zu fallen, der sich, ohne großen Widerstand, ihres Fahrzeugs bemächtigte und die ganze Equipage zu Gefangnen machte. Der Ritter schaffte in wenig Monaten ein ansehnliches Lösegeld herbei und wollte auch seinen Sekretär loskaufen, allein der Korsar hatte den Herrn Wurmbrand so liebgewonnen, daß er ihn durchaus nicht wollte fahrenlassen. Hierzu trug nicht wenig meines Herrn Vetters Kenntnis der orientalischen Sprachen bei. Der Seeräuber war übrigens ein Mann von Kopf und von menschenfreundlichem Herzen. Er hielt und behandelte seinen Sklaven so wohl, daß dieser oft in Versuchung geriet zu glauben, man könne in der türkischen Gefangenschaft fast ebensoviel Freiheitsgefühl schmecken als in den Diensten manches alten Edelmanns in Deutschland. Ali Muski (so hieß der Korsar) war ein deutscher Renegat, der, nachdem er in Europa lange genug von kleinen und großen Despoten, Schelmen und Pinseln war herumgehudelt worden, sein Glück zur See versucht hatte. Sein Schicksal hatte ihn nach Tripoli geführt; er war einem billigdenkenden Manne in die Hände gefallen, hatte den Vorteil gehabt, diesem einst das Leben zu retten; wurde aus Erkenntlichkeit in Freiheit gesetzt; hielt es für vernünftig, den Gottesdienst des Landes anzunehmen, und bekam von seinem ehemaligen Herrn einen Vorschuß, womit er anfing Handel zu treiben und Fahrzeuge auszurüsten. Die Vorsehung begünstigte sein Unternehmen; er wurde reich; eigne Erfahrungen hatten ihn Mitleiden mit fremdem Kummer gelehrt; er behandelte seine Sklaven mit Milde und Schonung, hatte Sinn für fremden Wert und Dankbarkeit für erwiesene Dienste.

Ali Muski hatte ein wichtiges Geschäft in Kairo zu besorgen; dies trug er meinem Vetter auf, der es zu seiner Zufriedenheit ausrichtete und zum Preise seiner Bemühung die Freiheit erhielt.

Nun erwachte in Josephs Kopfe der Gedanke, in diesen Weltgegenden die Rolle zu spielen, von welcher er in seinen Kinderjahren so schön geträumt hatte. Er fand, daß unter den Menschen, welche wir Räuber und Barbaren nennen, wohl ebensoviel Treue und Glauben herrschen als in unsern sogenannten verfeinerten bürgerlichen Verbindungen; er beschloß also, in Afrika zu bleiben, wo man ihn wenigstens nicht zwang, Gandidatus Theologiae zu werden. Er kleidete sich nach Landessitte, und was die Religion betraf, so war der Renegat billig genug, von ihm nicht zu fordern, daß er seinem Beispiele folgen sollte. Ali Muski versicherte ihn, daß, wenn er sich nur enthielte, gegen die herrschenden Meinungen und Gebräuche zu eifern, so könnte er ungestört bei seinem Luthertume bleiben.

Jetzt kam es nur darauf an, einen Plan für die Zukunft zu entwerfen. Handel zu treiben, wozu ihm Ali Muski gern Geld vorgestreckt haben würde, war seine Sache nicht; und der Gedanke, in einem von den unzähligen großen afrikanischen Reichen eine wichtige Rolle zu spielen, blieb immer herrschend bei ihm, zu welchem Endzwecke er denn die koptische Sprache und die von Tigre oder Geez und die amharische fleißig studierte. – Im Arabischen war er schon geschickt.

Indessen fügte es sich, daß er bald noch eine Reise nach Kairo, in Geschäften seines ehemaligen Gebieters, zu machen hatte. Er traf dort einige Abyssinier an, die ihm so viel Gutes von ihrem Vaterlande sagten, daß er, nachdem er vorher in Tripoli Ali Muski Rechenschaft von seinen Verhandlungen gegeben hatte, sich entschloß, nach Gondar zu gehen und dort sein Glück zu versuchen. Da er, der Kleidung und Sprache nach, völlig wie ein Muselman aussah, so hatte er auf der Reise nichts zu fürchten; allein sein Wohltäter erwies ihm noch die Großmut, dafür zu sorgen, daß es ihm nicht an Gelde oder vielmehr an wollnem Zeuge fehlte, welches in Abyssinien statt der Silbermünze gebraucht wird, und daß der Bassa von Ägypten ihm eine Bedeckung von Sklaven und so dringende Empfehlungsschreiben an die Nayben oder Statthalter an der Grenze mitgab, daß mein Herr Vetter in der Tat in jenen unbekannten Ländern allerorten so freundlich aufgenommen und bewirtet wurde als ein junger Gelehrter in Deutschland, der, um die schönen Franzbände der öffentlichen Bibliotheken und die Studierzimmer der Bücherschreiber zu beäugeln, versehen mit einem Firman oder mit einem Hirtenbriefe von irgendeinem Stimmführer in der Literatur, seine Wanderschaft mit dem Postwagen von Zürich bis Kiel oder von Wien bis Bonn antritt.

Da indessen die Türken vom festen Lande Abyssiniens vertrieben sind, so war es nötig, gleich bei seiner Ankunft in Adova, der Hauptstadt von Tigre, für einen koptischen Christen zu gelten. Übrigens versah er sich mit einigen einfachen Arzeneimitteln und gab sich für einen Medikus aus, welches, so unwissend er auch in dieser Wissenschaft war, in den dortigen Gegenden, wo die Heilkunde eben keine große Fortschritte gemacht hatte, durch Hülfe der den europäischen Scharlatanen abgelernten Windbeuteleien sehr leicht auszuführen war.

Auf diese Weise kam er glücklich nach Gondar, der Residenz des Königs von Abyssinien, wurde dem Monarchen vorgestellt, hatte das Glück, demselben einige Würmer abzutreiben und ihn, durch Gebrauch einer Merkurialsalbe, von dem Aussatze zu befreien - zwei der gewöhnlichsten Krankheiten in diesen afrikanischen Ländern, die aber unter unsern europäischen Fürsten noch nicht eingeführt sind –, und kam durch diese Kur zu hohen Ehren.

In seinem Glücke nun erinnerte er sich seiner Verwandten in Deutschland, und ich bekam im Jahre 1766 einen Brief von ihm, wovon ich im folgenden Kapitel Rechenschaft geben werde.


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