Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Sechsundzwanzigstes, letztes Kapitel

Abreise der Europäer aus Abyssinien.

Seesturm.

Nur der Verfasser und sein Herr Vetter retten ihr Leben und lassen sich in Deutschland nieder.

Schluß

Ich gestehe, daß es meinem Herrn Vetter und mir ein bißchen wehe tat, ein Reich verlassen zu müssen, in welchem, nachdem wir so manche unangenehme und unruhige Szenen darin erlebt hatten, wir nun erst recht glückliche und heitre Tage zu sehen hofften; doch erwachte auch in unsern Herzen die Vaterlandsliebe, und das großmütige Versprechen des Prinzen, uns reichlich zu beschenken, eröffnete uns die frohe Aussicht, in Deutschland ohne Nahrungssorgen das Alter herbeikommen zu sehen. Dies Versprechen blieb nicht lange unerfüllt; wir bekamen, Herr Wurmbrand und ich, jeder an Golde und Diamanten für mehr als dreißigtausend Taler zugeteilt, welches uns in der Tat, nebst dem, was wir nun erspart hatten, zu reichen Leuten machte. Nach Verhältnis wurden auch unsre übrigen Landsleute sehr großmütig ausgestattet. Die Pädagogen hatten noch außerdem Gelegenheit gefunden, sich hübsche Kapitälchen zu sammeln, die Philosophen und Künstler hingegen waren hie und da, besonders in den Wirtshäusern, schuldig; der Prinz bezahlte aber auch diese Rückstände; der Tag unsrer Abreise wurde angesetzt und kam endlich herbei.

Mit Tränen in den Augen nahmen wir von unserm edeln Fürstensohne und seinem vortrefflichen Mentor Abschied und wünschten ihnen tausendfachen Segen zu ihrem großen Vorhaben; dann machten wir uns auf die Reise. Unsre Karawane war groß und ansehnlich; wir zogen längs dem Ufer des Nils fort. Für unsre Sicherheit und Gemächlichkeit war so sehr gesorgt, daß wir keine Art von Unbequemlichkeit fühlten und nichts entbehrten, was dazu dienen konnte, uns die kleinen unvermeidlichen Beschwerden eines so weiten Weges in diesen zum Teil unbewohnten Gegenden vergessen zu lassen. Übrigens hatten wir alles, was das Reisen angenehm machen kann, Gesundheit, einen bespickten Beutel und gute Gesellschaft. Unsre Unterhaltung war mannigfaltig; bald spielten uns ein Paar Tonkünstler auf ihren Instrumenten ein schönes Duetto und beseelten von ihren Kamelen herunter das stille Tal durch ihre Harmonien, bald verkürzten uns unsre gelehrten Gefährten die Zeit durch sokratische Gespräche, indes wir, um auszuruhen, unter Zelten gelagert die vollen Becher aus Hand in Hand ringsumher gehen ließen. Und wenn einmal eine kurze Frist hindurch alles schwieg, dann beschäftigten jeden für sich angenehme Plane für die Zukunft.

Auf diese Weise kamen wir glücklich in Kairo an und schickten unser Gefolge mit schriftlichen Zeugnissen unsrer wärmsten Dankbarkeit nach Gondar zurück.

Wir brauchten hier nicht lange auf Gelegenheit zu harren, nach Europa zu kommen. Ein genuesischer Schiffer, der außer dem fast ganz leer hätte zurücksegeln müssen, nahm uns sämtlich mit unsern sehr geringen Packereien (denn das mehrste davon bestand in Gold und Juwelen) an Bord.

Unsre Fahrt war anfangs sehr glücklich; wir hatten das schönste Wetter, bis wir schon von fern die reizenden italienischen Küsten erblicken konnten. Da aber erhob sich ein fürchterlicher Sturm, der mit jeder Viertelstunde zunahm. Die Leser erinnern sich vermutlich aus Reisebeschreibungen mancher Schilderung eines Seesturms; ich will sie also mit Ausmalung des unsrigen verschonen. Lange hatten wir in der schrecklichsten Gefahr geschwebt und alle unsre Kräfte erschöpft; zwei Masten waren gekappt; die wenigen Kanonen, und was noch etwa von schweren Gütern auf dem Schiffe gewesen, war über Bord geworfen worden, um die Last zu erleichtern und zu Verstopfung eines großen Lecks Anstalt machen zu können, den das Schiff, durch einen heftigen Stoß an einen Felsen, bekommen hatte – als auf einmal ein klägliches Geschrei, es sei Feuer im Raume, unser Elend aufs höchste trieb und einen großen Teil der Equipage zur Verzweiflung brachte. Nun rief jedermann, man solle die Schaluppe aussetzen, und so gefährlich dies Unternehmen war, so wurde es doch mit Gewalt ins Werk gesetzt. Kaum aber war dies geschehen, so drängte sich alles hinzu, um in dies kleine Fahrzeug zu springen und sein Leben zu retten. Wir sahen, mein Herr Vetter und ich, voraus, welchen kläglichen Ausgang dies nehmen würde, beschlossen daher, das Schiff nicht zu verlassen, und suchten auch unsre Gefährten von ihrem tollen Vorhaben abzuhalten, allein vergebens. Niemand verlor früher die Gegenwart des Geistes als unsre beiden Philosophen, und ihrem Beispiele folgten bald alle übrigen Deutschen; jeder ergriff sein Bündel und eilte hinunter in die Schaluppe. Allein die stürmische Bewegung des Meers legte diesem Vorhaben gewaltige Schwierigkeiten in den Weg. Verschiedne von denen, die diesen Sprung wagten, erreichten das Boot nicht, sondern wurden von den Wellen verschlungen, und die übrigen beschwerten das kleine Fahrzeug so, daß es vor unsern Augen untersank. – Und so waren denn von allen nach Abyssinien gereiseten Deutschen nur wir beide noch übrig, und auch uns umschwebte fast unvermeidliche Todesgefahr.

Alles kam jetzt auf Gegenwart des Geistes an, und diese fehlte dem größten Teile des Schiffsvolks, das noch obendrein betrunken war, indem es sich, in der Verzweiflung und allgemeinen Verwirrung, der Branntweinsfässer bemächtigt und diese fast ganz ausgeleert hatte. Selbst das Feuer war auf diese Weise entstanden, indem ein Matrose einem noch angefüllten Fasse mit dem Lichte zu nahe gekommen war und den Branntwein angesteckt hatte. Unser Schiffskapitän, ein entschloßner Mann, traf die besten Anstalten zum Löschen und war so glücklich, in kurzer Zeit seinen Zweck zu erreichen. Indes strengten auch wir unsre letzten Kräfte an und versammelten bald einige Matrosen um uns (denn nun hatte die dringende Not alle wieder nüchtern gemacht), mit denen wir ohne Unterlaß pumpten, bis es endlich auch dem Schiffszimmermann gelang, den Leck zu finden und notdürftig zu verstopfen.

Um die Hoffnung zu unsrer Rettung zu erhöhen, fing auch der Sturm an, sich allmählich zu legen; und bald sahen wir über uns den heitersten Himmel und um uns her die ruhige Spiegelfläche des besänftigten Meers – ja, wir hatten die Freude, durch unsre Gläser von fern die genuesische Küste zu erblicken. Diese glücklichen Umstände belebten eines jeden Mut wieder. Man flickte noch einen kleinen Mast zusammen, brachte das Segelwerk ein wenig in Ordnung, und so erreichten wir bald den Hafen. Wir dankten, gewiß sehr inbrünstig, Gott für unsre Rettung, widmeten unsern verlornen Gefährten eine Träne und eilten, unsre Reise zu Lande fortzusetzen, nachdem wir zuvor europäische Kleidung angelegt hatten.

Unser Plan war, durch den obern Teil von Italien über die Alpen, durch Österreich, Bayern, Schwaben, Franken und Sachsen zu gehen; mein Herr Vetter machte mir einige Hoffnung, an meiner Seite den Rest seines Lebens in meiner lieben Vaterstadt Goslar hinzubringen; und so begaben wir uns dann getrost auf den Weg. Was für Empfindungen aber unsre Seelen durchströmten, als wir zuerst den Fuß auf deutschen Boden setzten – oh! wer könnte es unternehmen wollen, das zu beschreiben?

Wir waren, ohne alle Unfälle, bis Bopfingen gekommen, als meinen armen Vetter eine Krankheit befiel, die ihn nötigte, vier Wochen lang das Bette zu hüten. Gefährlich war diese Krankheit nicht, aber beschwerlich und schmerzhaft, denn sie bestand in gichtischen Zufällen. Ich wich selten von seinem Bette, und wir verkürzten uns mehrenteils die Zeit durch Rückerinnerungen an die erlebten außerordentlichen Vorfälle, durch Gespräche über Abyssinien, und waren oft so stolz, uns zu schmeicheln, wir hätten doch auch, durch Beförderung der Aufklärung, unser Scherflein zu der erwünschten Revolution beigetragen, die jetzt diesem Reiche bevorstünde.

Wir hatten uns in Bopfingen in einem Gasthofe niedergelassen, in welchem die Wirtin die Witwe eines Notarius und noch in ihren besten Jahren war. Die gute Frau bezeugte meinem Herrn Vetter in seiner Krankheit ungewöhnlich viel zärtliche Sorgfalt und Aufmerksamkeit, und dies stimmte, wie ich bald merkte, sein Herz zum Vorteile der artigen Witwe. Eines Morgens nun, als ich zu ihm in das Zimmer trat, begann folgendes Gespräch unter uns:

Wurmbrand: Sagt mir doch, mein lieber Vetter, habt Ihr nie Lust gehabt zu heiraten?

Ich: Ei nun, mein lieber Vetter! Jeder hat seine schwachen Augenblicke, und wenn dann eine gute Mahlzeit und ein Glas voll alten Weins –

Wurmbrand: Ihr versteht mich unrecht; ich meine, ob Ihr nie daran gedacht habt, zur Pflege in Eurem Alter und überhaupt zur Annehmlichkeit des Lebens, Euch eine Gefährtin zuzugesellen.

Ich: Damit ich nachher doppelte Lasten zu tragen hätte? Nein! Dazu habe ich nie Lust gehabt, tadle aber niemand, der diesen Schritt tut, und auch Euch nicht, mein Bester, der Ihr, wie ich merke, im Begriff seid, so ein Stückchen zu wagen. Ich will Euch die Mühe ersparen, mir Eure Absichten mit allen den Bewegungsgründen vorzutragen. Mir gefällt die Frau; auch hat sie Vermögen; Ihr fügt das Eurige hinzu; die Gastwirtschaft wird aufgegeben und Ihr lebt hier als Privatmann von Euren schönen Renten. – Das alles finde ich recht gut und wohl ausgedacht.

Wurmbrand (mich umarmend): Nun! so hebt Ihr mir doch einen schweren Stein vom Herzen; ich dachte schon, Ihr würdet die Sache nicht billigen. Aber nun tritt noch ein gar kurioser Umstand ein; die gute Frau will nämlich durchaus, weil ihr erster Mann Notarius gewesen, auch jetzt niemand heiraten als einen solchen, der diesen Titel führt. Nun wäre der freilich leicht zu erhalten; aber wenn man denn wieder bedenkt: in Gondar erster Minister und hier Notarius. – Doch was ist am Ende aller eitler Glanz, alle Titelsucht?

Ich: So gefallt Ihr mir, Herr Vetter! Die Hand her! Ihr werdet Notarius und ich, der ehemalige Baalomaal, ziehe wieder nach Goslar, lebe dort als Advokat und führe nur für Arme und Unterdrückte Prozesse.

Wurmbrand: Nein! Ihr müßt bei mir bleiben; ich kann den Gedanken nicht ertragen, mich wieder von Euch trennen zu sollen.

Ich: Das kann nicht geschehen, daß ich bei Euch bleibe. Meine liebe Vaterstadt muß ich wiedersehen; ich will da begraben werden, wo meine Augen zum erstenmal das Licht des Tages erblickt haben; aber was hindert uns, uns von Zeit zu Zeit zu besuchen und Monate miteinander hinzubringen?

Mein Herr Vetter fuhr fort, mich zu bitten; allein ich weigerte mich standhaft. Am folgenden Tage gingen wir zusammen (denn er war nun so weit wieder hergestellt, daß er ausgehen durfte) zu meinem Comes Palatinus, woselbst er sich, gegen die Gebühr, zum Notarius umschaffen ließ und, zum Andenken an seine vorigen Begebenheiten, in sein Notariatssiegel einen Afrikaner in abyssinischer Kleidung stechen ließ, mit der Unterschrift: Olim meminisse juvabit. Hierauf blieb ich noch vierzehn Tage lang bei ihm, binnen welcher Zeit seine Hochzeit ohne großen Aufwand vollzogen wurde. Gleich hernach trennte ich mich von ihm. Seit dieser Zeit sind nun anderthalb Jahre verflossen. Wir stehen im fortgesetzten Briefwechsel miteinander; seine Frau hat ihn mit einem jungen Sohne beschenkt, und ich denke ihn im nächsten Frühjahre zu besuchen.

Im Junius 1789 kam ich hierher nach Goslar; mein Herz pochte vor Freude, als ich die alten Türme zuerst wieder erblickte. Meine Mitbürger, und selbst der hochweise Magistrat, nahmen mich sehr liebreich auf, besonders als sie hörten, daß ich ein hübsches Vermögen mitgebracht hätte. Ich wurde in der ersten Zeit täglich in irgendein Haus zu Gaste geladen und mußte dann gewaltig viel von Afrika erzählen. Die gar zu lästigen Frager verwies ich auf dieses mein Werk, an welchem ich damals schon anfing zu arbeiten.

In der Herbstmesse des vorigen Jahrs reisete ich nach Leipzig und verkaufte dort ziemlich teuer meine Diamanten an polnische Juden. Den größten Teil meines Vermögens habe ich zu Ankauf meines kleinen Guts, eine Meile von hier entlegen, verwendet. Dort bringe ich die angenehmsten Monate des Jahrs hin. Im Winter ziehe ich nach Goslar, wo ich ein Haus gekauft habe. Ich advoziere nicht für Geld; wendet sich aber ein armer Mann an mich, so diene ich ihm, wie es Christenpflicht ist.

Dies Büchelchen wird nun in der Ostermesse erscheinen, und ich kann wohl sagen, ich freue mich darauf, denn ich habe noch nie etwas drucken lassen, und ich meine, es stünde doch manches darin, was man nicht alle Tage zu hören bekömmt. Übrigens empfehle ich mich dem geneigten Leser ergebenst.

Geschrieben in Goslar im Dezember 1790


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