Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

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Drittes Kapitel

Der Verfasser erlebt unangenehme Schicksale in Goslar und reiset zu seinem Herrn Vetter nach Abyssinien

Ich habe vorhin erzählt, daß ich nebst meiner Mutter eine kleine Wohnung in Goslar bezog, um dort mit ihr, so gut es gehen wollte, zu leben; allein neue Widerwärtigkeiten trafen mich ohne Unterlaß. Im ersten Jahre wollte es mit meiner Praxis gar nicht fort. Bei den kleinen Zwistigkeiten unter den Bürgern, Bauern und Bergleuten war wenig Geld zu verdienen; ich verstand die eigentliche Advokatenkunst nicht, klare Sachen dunkel zu machen, friedliebende Leute vom Vergleiche abzuhalten, wenig Sachen mit viel Worten zu sagen und dann meine Schriften nicht nach der Wichtigkeit der Arbeit, sondern nach der Anzahl der unnütz vollgeschriebnen Bogen mir bezahlen zu lassen; ich nahm von armen Leuten kein Geld, und reichre wendeten sich nicht an mich, sondern an irgendeinen alten Advokaten, der schon, durch vieljährigen Besitz, sich das Recht erworben hatte, ein Organ der Schikane zu sein und dasjenige in seinen Beutel zu spielen, worüber sich zwei andre Leute zankten. Zu Anfange des andern Jahrs geriet endlich ein etwas wichtigrer Prozeß in meine Hände, allein ich mußte in dieser Sache nach Wetzlar appellieren - das hieß denn, in gewissem Sinne, für die Ewigkeit arbeiten, brachte aber kein Geld ein. Der Reichskammergerichtsassessor, in dessen Hände die Akten fielen, legte sie zu den übrigen hundertundfunfzig Prozessen, aus denen er Relationen schuldig war; und jetzt, nach fünfundzwanzig Jahren, da ich dieses schreibe, werden sie noch wohl an demselben Platze liegen, wenn die Parteien nicht etwa Mittel gefunden haben, durch Sollizitieren einige Beschleunigung auf Unkosten andrer, vielleicht noch ängstlicher nach Recht und Gerechtigkeit Seufzenden, zu bewirken.

Es ging also sehr schlecht mit meiner Einnahme, und die Ausgaben hingegen vermehrten sich, da meine Mutter erkrankte und nach dreimonatlichem Leiden starb. Ich mußte unser kleines Kapitälchen angreifen und war in der Tat in der traurigsten Lage, als ich von meinem Herrn Vetter den obenerwähnten Brief erhielt, dessen Inhalt ungefähr folgender war: Er sei, nach mancherlei erlebten Schicksalen, nach Abyssinien geraten und habe jetzt die Ehre, daselbst erster Staatsminister des Königs oder großen Negus zu sein, den wir irrigerweise den Priester Johannes nennten. Dieser Monarch nun beglücke ihn mit seiner vorzüglichen Gunst, habe auf seinen Rat verschiedne gute Einrichtungen, nach dem Muster der europäischen Staaten, in seinem weitläuftigen Reiche gemacht und wünsche, noch mehr Europäer dahin zu ziehen, auch Bücher, Maschinen und andre Dinge, wovon das Verzeichnis hiebei erfolge, aus unserm Vaterlande zu erhalten. Er, der Herr Minister, habe diese Gelegenheit, mich glücklich zu machen, nicht entwischen lassen wollen, da ich von den Personen seiner Familie der einzige Mann sei, von dem er glaubte, er könne ihn in seinem großen Vorhaben unterstützen. – Mein Herr Vetter bat mich daher, mich auf die Reise nach Afrika zu machen, schrieb mir den Weg vor, den ich nehmen sollte, schickte mir die nötigen Adressen für die verschiednen Handlungsplätze nebst den Anweisungen, wo ich das Geld zur Reise und zu Anschaffung der Bücher und andern Sachen, die ich mitbringen sollte, heben könnte, versicherte mich der besten Aufnahme, seiner hohen Protektion und versprach mir ein glänzendes Glück, das meine Erwartungen weit übertreffen würde. Übrigens kam mir die Auswahl der Bücher, welche ich anschaffen sollte, sonderbar genug vor; ich werde in der Folge wohl noch etwas darüber zu sagen haben, wenn ich von dem Grade der Aufklärung rede, zu welchem ich den Hof des großen Negus durch meines Herrn Vetters Bemühungen erhoben fand.

Der Vorschlag, den mir Joseph Wurmbrand tat, hatte in meinen dürftigen Umständen viel Anlockendes. Ich bekenne zwar, daß es meinen Stolz ein wenig empörte, die bessern Aussichten, welche mir derselbe eröffnete, weniger meinen eignen Verdiensten als der Vetterschaft des Herrn Ministers zu danken zu haben. Der Nepotismus war mir stets ein Greuel gewesen; allein die Not wurde bei mir dringender. Die Begierde, fremde Länder zu sehen, war denn auch noch immer bei mir sehr lebhaft geblieben, und obgleich mein Vetter ein wenig aus einem hochtrabenden Tone von der Wohltat sprach, die er mir zu erweisen dachte, so war es doch auch sehr bemerklich, daß er meiner zu Ausführung seiner dortigen Pläne bedurfte, und es blieb mir ja noch die Erwartung übrig, daß ich selbst mich vielleicht bei dem Könige durch eigne Geschicklichkeit in Gunst setzen könnte, besonders im juristischen Fache, wenn es mit der Aufklärung in Abyssinien schon so weit sollte gekommen sein, daß man dort Prozesse führte.

Ich erschien nun in meiner besten Kleidung, die, im Vorbeigehen zu sagen, in einem leberfarbenen Rocke mit gelben Knöpfen und einer blauen Weste mit Silber bestand, vor dem Magistrate in Goslar und hielt eine lange Rede, in welcher ich feierlich meinem Bürgerrechte entsagte und den hochweisen Herrn anzeigte, daß ich meine Vaterstadt auf immer verlassen würde. Der hohe Magistrat schien dies als eine sehr unwichtige Sache anzusehen, und einige von den Gliedern desselben verwiesen es mir, daß ich mit dieser feierlichen Anzeige einer so unbedeutenden Begebenheit ihre Aufmerksamkeit gespannt und sie von der Mittagstafel abgehalten hätte. »Und wo geht denn die Reise hin?« fragte der regierende Bürgermeister. Da erzählte ich denn, daß ich von dem Könige in Abyssinien, durch seinen Minister, der mein Herr Vetter wäre, sei eingeladen worden, dorthin zu ziehen und ein wenig an dem Aufklärungswesen mitzuarbeiten. Weil nun die Herren vom Magistrate nicht sehr erfahren in der Geographie waren und in den Zeitungen nie etwas von einem solchen Könige gelesen hatten, so hielten sie meine Erzählung für eine Fabel, glaubten, ich wollte sie zum besten haben oder sei närrisch geworden, und gaben mir deswegen die ernstliche Weisung, sie mit meinen Torheiten zu verschonen. Allein nach einem paar Tagen erschienen in Goslar zwei ägyptische Kaufleute, welche meinem Herrn Vetter versprochen hatten, mich abzuholen. Sie waren von einigen teils schwarzen, teils braungelben Sklaven begleitet und erregten unter dem Pöbel gewaltigen Auflauf.

Nun sahen die Herren vom Rate wohl, daß es mit der Einladung nach Abyssinien seine gute Richtigkeit hatte, und dies versetzte das ganze Publikum in Goslar in eine sehr verschiedne Stimmung. Einige, die bisher den armen Advokaten Noldmann nicht der geringsten Aufmerksamkeit gewürdigt hatten und die zu der Klasse von Menschen gehörten, welche jedes fremde Glück beneiden, sie mögen selbst darauf Anspruch machen wollen oder nicht, erlaubten sich hämische und spöttische Bemerkungen über diesen Vorfall, bemüheten sich, mich auf alle Weise zu verkleinern und mein Vorhaben lächerlich zu machen. Andre, aus denen das Häuflein der in allen großen und kleinen Staaten zu findenden Unzufriednen bestand, denen die Regierung nichts recht machen kann, suchten, sowenig sie auch von mir und meinen Verdiensten wußten, diese Gelegenheit zu nützen, um laut darüber zu schreien, daß der Magistrat, welcher es, wie sie sagten, zur Schande der Republik Goslar, immer also mache, hier nun wiederum einen geschickten und fähigen Mann, den ein großer König mit offnen Armen aufnehme, aus dem Lande gehen ließe. Die Andächtigen und Schwachen an Geist, von der Geistlichkeit gestimmt, verfehlten nicht, bei dieser Veranlassung ihren Eifer für die Religion zu zeigen, indem sie riefen, es sei ein Greuel, daß ein christlich geborner Einwohner in Goslar sein Vaterland und die Gemeine verließe, um bei verdammten Heiden, Türken und Mohren zu leben und sein Seelenheil zu verscherzen. Der größte Teil des Magistrats aber wollte gern die Ehre, welche mir widerfuhr, auf die Stadt lenken. Man beschloß, mir aufzutragen, dem Könige von Abyssinien, im Namen der Reichsstadt, zu danken für die Ehre, welche er einem ihrer Bürger erwiese, Seine Majestät um ferneres gutes Vernehmen mit der Republik Goslar und, bei etwa entstehendem Kriege, um Schutz und Beistand zu bitten. Ich hatte Mühe zu verhindern, daß man mir nicht, zum Geschenke für den König, einige Krüge des besten Goslarschen Bieres mitgab; und acht Tage nachher las man in der Braunschweigschen Zeitung einen Artikel des Inhalts: Es habe Seine Majestät der König von Abyssinien die Freie Reichsstadt Goslar durch eine eigne Deputation ersuchen lassen, ihm aus ihren Mitteln einen geschickten Rechtsgelehrten zu senden, der das dortige Justizwesen auf einen soliden Fuß bringen sollte, und habe der hochweise Magistrat, um diesem königlichen Verlangen ein Gnüge zu leisten, den Advokaten Herrn Benjamin Noldmann dahin abgehen lassen.

Ich machte mich indessen mit meinen Reisegefährten auf den Weg und will nun über den Verfolg meiner Begebenheiten in den nachstehenden Kapiteln Bericht erstatten.


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