Adolph Freiherr Knigge
Der Traum des Herrn Brick
Adolph Freiherr Knigge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenter Abschnitt

Welche Art von Revolution in den Staatsverfassungen zu erwarten, zu befürchten oder zu hoffen sei

Man sage doch ja nicht, daß die französische Revolution das Feuer des Aufruhrs in allen Gegenden von Europa anblase, noch daß selbst die kühnsten und unvorsichtigsten Schriftsteller, welche den Rechten der Menschen und der Freiheit das Wort reden, ruhige Völker zu Empörungen verleiten! Ich werde mich bemühn, das Gegenteil solcher Behauptungen in diesem und den folgenden Abschnitten darzutun.

Ich meine hinlänglich bewiesen zu haben, daß alle europäische Staatsverfassungen von der Art, daß sie so, wie sie beschaffen sind, bei der jetzigen Stimmung des Zeitalters nicht dauern können. In Frankreich nun war das Übel am ärgsten, der Despotismus auf den höchsten Grad gestiegen; zugleich hatte die gegenwirkende Kultur in allen Ständen zugenommen, indes Armut und Elend das Volk zur Verzweiflung brachte. Frankreich war also der Teil des Geschwürs, der zu seiner ganzen Reife gelangt war und der daher zuerst aufbrechen oder durchgestochen werden mußte. Statt darüber zu jammern, sollten wir uns freuen, wir andern Europäer, daß nicht zuerst uns die Reihe getroffen, daß wir, wenn wir es nur recht anfangen, uns den Schmerz einer ähnlichen Operation ersparen und durch zerteilende Mittel die materia peccans fortschaffen können. Das Beispiel unsrer Nachbarn kann für Regenten und Volk heilsam werden. Jene mögen sich daran spiegeln und gewahr werden, was der große Haufen vermag, wenn man ihn aufs äußerste treibt, und wie wenig die alten Quacksalbereien gegen ein so eingewurzeltes Übel wirken; das Volk aber mag durch den Anblick aller Greuel der Anarchie bewogen werden, sich zu keinen übereilten Schritten verleiten zu lassen, nicht, ohne die äußerste Not, zu gewaltsamen Mitteln zu schreiten und einen leidlichen Zustand von konventioneller Ruhe und Glückseligkeit nicht gegen die Ungewissen Folgen einer gänzlichen Umstürzung auf das Spiel zu setzen!

Also ist es nicht die französische Revolution, welche den Ton von Unzufriedenheit unter den übrigen Völkern anstimmt, sondern umgekehrt, die allgemeine Unzufriedenheit ist zuerst in Frankreich ausgebrochen. Auch sind es nicht die Schriftsteller, die sogenannten Aufklärer und Apostel der Freiheit, nach denen Hoffmann, elenden und jämmerlichen Andenkens, mit Gassenkot wirft, diese Schriftsteller sind es nicht, welche Aufruhr erwecken; sondern die allgemeine Stimme des Volks ist es, die durch diese Schriftsteller redet. Noch nie haben Bücherschreiber große Weltbegebenheiten bewirkt, sondern die veränderte Ordnung der Dinge wirkt im Gegenteil auf den Geist der Bücherschreiber. Jeder fühlt dann dunkel das Bedürfnis zu reden, bis einer endlich den Mund öffnet. Und wäre er es nicht, so würde es ein andrer sein. – Es ist aber Wohltat, daß dergleichen zur Sprache komme und von allen Seiten beleuchtet werde, weil es noch Zeit ist. Geht die Tat vor dem Räsonnement her, so ist das Übel unendlich größer. Luther hat die Reformation bewirkt; aber was für eine Reformation? Eine solche, die nicht ausbleiben konnte, wovon das Bedürfnis in allen christlichen Staaten gefühlt wurde. Ohne dies allgemeine Bedürfnis würde sein Toben und Wirken ohne Nutzen und ohne Schaden geblieben sein. Man würde ihn wie einen Schwärmer behandelt und seinen Reformationsplan, zugleich mit jenes französischen Abts Vorschlägen zu einem ewigen Frieden, belächelt haben.

Wollt ihr aber wissen, welche Schriftsteller das Volk zum Aufrühre reizen könnten? Solche Skribler, solche Schmeichler wie HoffmannDoch dieser unwissende Schwätzer, welcher Professor des teutschen Stils ist und keine Seite ohne grammatikalische Fehler schreiben kann, der mit beispielloser Frechheit sich rühmt, der Kaiser sei Mitarbeiter an seinem albernen Journale – der wird nun wohl von seinen langöhrichten Mitbrüdern am wenigsten Nachteil stiften. und seinesgleichen, die sind es, welche, indem sie gegen die gesunde Vernunft und den freien Untersuchungsgeist zu Felde ziehen, jedem bessern Manne, der noch gern geschwiegen hätte, den Mund öffnen. Sie mißleiten und verblenden schwache Fürsten, die sonst im Begriffe sind, über ihre mißliche Lage erleuchtet zu werden, erbittern durch leidenschaftliche Grobheit und machen jede Sache verdächtig, die solcher verächtlichen Verteidiger bedarf.

»Aber was für Beruf«, fragt der Furchtsame, »was für Beruf habt ihr Schriftsteller, euch in diese Händel zu mischen? Was gehen euch die Regierungen der Welt an? Wandelt doch euren Gang in Frieden fort und schreibet über ...« – Nun? worüber? Über was für Gegenstände, wenn man nicht über die schreiben soll, die der ganzen Menschheit interessant und wichtig sind? Hat nicht jeder Bürger im Staate Beruf, sich in Angelegenheiten zu mischen, wovon die Wohlfahrt aller abhängt? Und wenn dein eignes Haus nicht brennt, folgt daraus, daß du deinen Nachbar nicht warnen dürfest vor Unvorsichtigkeit mit Feuer und Licht? – Wahrlich! eine schöne Lehre! Also, wenn Millionen über die Mißhandlungen eines einzelnen seufzen, so soll keiner das Recht haben, die allgemeinen Klagen vor den Richtstuhl zu bringen? »Ja, vor den Richtstuhl.« – Und vor welchen? Etwa vor den Richtstuhl derjenigen, die selbst die Beklagten sind? – Nein! Vor den Richtstuhl des Publikums, des gesamten Volks! Dahin gehören solche Klagen, und diese Publizität allein ist das sicherste Mittel, heimlichen Meutereien und den Einwirkungen im Finstern schleichender Rotten vorzubeugen.

»Aber man darf gewisse Wahrheiten ebensowenig laut predigen, als man kleinen Kindern Messer und Scheren in die Hand geben darf.« – Wer hat euch das glauben gemacht? Echte Wahrheiten können unbrauchbare Werkzeuge für Unmündige, aber nie, in keines Menschen Hand, gefährliche Waffen sein. Das Gegenteil haben von jeher nur solche Leute behauptet, die ihren schändlichen Vorteil bei der Verfinsterung finden. Schade um die elende Glückseligkeit, die auf Lügen und Vorurteilen beruht! Täuschung – selige Täuschung! Das ist eine Dichterphrasis und mag beim Liebeln und Empfindeln gar angenehme Dienste tun; aber wo es heilige Menschenrechte und zeitliche und ewige Glückseligkeit gilt, da hat kein Mensch, kein Engel das Recht, uns zu täuschen.

»Allein habe ich nicht selbst gesagt, daß der größte Teil des Menschengeschlechts in allen Zeitaltern unmündig und der Täuschung unterworfen bleiben werde?« – Ja, werde, leider! werde; aber nicht solle, nicht müsse. Gibt denn das uns das Befugnis, ihn mutwilligerweise zu betrügen, ihm sein Eigentum an Wahrheit und Weisheit zu schmälern? Wer hat uns zu Vormündern auf ewige Zeiten von gewissen Volksklassen gemacht, ohne Unterschied, ob unter diesen nicht vielleicht Menschen sind, deren Verstandskräfte die unsrigen weit übertreffen? Noch einmal! unmündig und schwach bleibt freilich der größte Teil aller Lebendigen; aber dieser Teil besteht nicht grade aus Bauern. Das wäre ja erschrecklich, wenn ein ganzer Stand, und zwar der nützlichste im Staate, verurteilt sein sollte, ewig dumm und unwissend zu bleiben; und es ist töricht, zu sagen, man werde an ihm zum Wohltäter, wenn man ihn in einer Täuschung erhält, bei welcher er sich so übel befindet.

Allein nicht nur ist keine Befugnis, es ist auch keine Möglichkeit da, die Aufklärung zurückzuhalten; und wenn sie nun einmal, ohne unser Gebet, ihre Fortschritte macht, so ist es die Pflicht derer, die über so wichtige Gegenstände reiflicher nachgedacht haben, ihren Mitbürgern den Leitfaden zu beßrer Anordnung ihrer Gedanken zu geben – das ist wahrer Schriftstellerberuf. Auf diese Weise kann der Gelehrte, wenn er das Bedürfnis seines Zeitalters richtig kennt, sehr nützlich werden. Schaden stiften kann er, wenn das, was er sagt, wirklich echte Wahrheit ist, nie. Kömmt diese Wahrheit zur Unzeit, das heißt: kalkuliert er das Bedürfnis unrichtig, so wird sie nicht erkannt, nicht verstanden, zieht ihm vielleicht Verfolgung zu; aber Unglück kann der nie stiften, der echte Wahrheit geltend macht. Sehr viel mehr Unglück stiftet halbe Aufklärung, Verworrenheit in Begriffen. Und jetzt leben wir in einem Zeitalter, das sehr viel Licht verträgt, in welchem man gewisse Wahrheiten nicht zu oft sagen kann. Alle Klassen der Bürger lesen, lesen Geschichtsbücher, lesen Zeitungen; sie erfahren dann, daß Tristan l'Hermite mehr als viertausend unschuldige Menschen, unter Ludwig des Eilften Regierung, in der Bastille umkommen ließ; sie erfahren, daß nun die Bastille nicht mehr ist, daß das Volk sie, und mit ihr den Despotismus, zerstört hat. Sie sehen also, daß man so etwas tun kann; sie lesen auch, daß viele behaupten, man dürfe so etwas tun; sie fangen auch wohl an zu ahnden, man habe von jeher sich angemaßt, alles tun zu dürfen, was man tun konnte – und so ist denn freilich leicht abzusehn, daß auch sie so etwas tun werden, wenn sie wollen.

Hier ist also kein andres Mittel, als den Willen zu lenken und die Vernunft, welche den Willen regiert, zu überzeugen. Jenes ist in der Regenten Hand, dieses ein Geschäft der Schriftsteller. Wenn die Regierungen ihre Pflichten so treu erfüllen und dabei solche zu dem Zeitalter passende Mittel wählen, daß die Bürger im Staate sich glücklich fühlen, so entsteht kein Mißvergnügen, kein Bedürfnis, folglich auch kein Willen, die Ordnung der Dinge zu verändern. Und wenn dann die Schriftsteller die echten Grundsätze entwickeln, worauf die Rechte aller Menschen und ihre Verbindlichkeiten gegeneinander beruhen, die Vorteile der bürgerlichen Gesellschaft und die daraus entstehenden Pflichten, die Notwendigkeit einer gewissen Ordnung und der Unterwürfigkeit gegen die Gesetze, wenn sie dies mit Freimütigkeit und Klarheit tun, so wird das auf alle Stände gesegneten Einfluß haben; die Regenten werden die Unvermeidlichkeit einer Veränderung in ihren Systemen erkennen und zweckmäßige Mittel wählen, allen Klagen abzuhelfen; das Volk aber wird vorsichtig werden und sich zu keinen tumultuarischen Schritten verleiten lassen.


 << zurück weiter >>