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XXVIII

Das Meer lockte mich. Ich sah es an und es winkte mir mit seinen tausend Händen. Ich wurde krank im Herzen, wenn ich die Dampfer draußen in hoher See sah – denn ich war nicht an Bord, hinaus!

Tag für Tag arbeitete ich draußen auf dem Meere. Wir fischten in dieser Zeit einen meterlangen, aalförmigen Fisch, congre, der sich in großen Tiefen aufhält. Die Leinen waren ordentliche Seile und so lang, daß sie das ganze Boot ausfüllten. Der Fisch aber war wie von Teufeln besessen und man mußte ihn augenblicklich abschlachten. Die Sonne röstete mich. Mein Gesicht, mein Nacken und meine Brust, meine Arme und Hände wurden kupferrot und an manchen Stellen schwarz wie Ruß und die Haut löste sich in großen Stücken ab. Meine Haare verfilzten und fielen aus, meine Augen entzündeten sich vom Salz, meine Stimme wurde rauh und heiser wie die der Fischer. Ich sprach auch dasselbe heulende Französisch der Bretonen, das selbst Franzosen schwer verstehen. Und, gehe in die Hölle, ich hatte es gelernt zu fluchen und die Faust zu ballen!

Wenn das Wetter schlecht war, so verständigte ich mich mit Jean Louis. Für eine Flasche eau de vie fährt der Meerkönig, wann du willst. Ganz allein zogen wir in unserem winzigen Boot hinaus, während die großen Langustiers an ihren Ketten rissen. Wir hatten stets Glück.

Das Meer sang und jubelte. Oft tobte es verführerisch in der Nacht vor meinem Hause und ich erwachte. Der Regen peitschte ans Fenster und der Wind schrie.

»Hallo! Pilot! Kedril! Hallo!«

»Was gibt es?«

»Ich möchte fahren, Pilot!«

»Fahren? Wohin? Jetzt?«

Ich lachte. »Ja, hinaus! Eine kleine Spritztour. Du sollst es ja nicht umsonst tun!«

Kedril steckte den Kopf durch das Guckfenster. »Hörst du das Meer? Wir kommen keine hundert Meter weit.«

»Ich biete dir zwanzig Franken. Zwei Seemeilen über die Bai hinaus!«

Kedril kam halb angekleidet heraus und klapperte ans Meer. Er hob mit einer plumpen Gebärde die Hände.

»Ich biete dir fünfzig Franken für eine Stunde!«

Kedril sah mich an und ging in sein Haus.

»Hallo! Pilot!«

Aber Kedril antwortete nicht mehr. Und ich sah mit heißen, trockenen Augen übers Meer.

In diesen Tagen sah ich einmal auch Rosseherre.

Eines Abends kam ich mit Jean Louis zurück und als wir anlegten, stand Rosseherre am Kai. Sie hatte einen kleinen runden Korb in der Hand und zeigte ihn Jean Louis.

»Crevetten!« Sie lachte. Sie sah mich nicht an, aber plötzlich wurde sie dunkelrot, denn sie fühlte meinen Blick.

»Hühü!« lachte Jean Louis und stieg aus.

Da wandte mir Rosseherre den Blick zu und sagte lächelnd und etwas scheu: »Wollen Sie Crevetten haben, monsieur

»Danke,« sagte ich kühl.

Da flammten Rosseherres Augen auf und sie schleuderte den Korb mit den Crevetten ins Wasser und lief fort.

»Hühü, was hat sie denn?« lachte Jean Louis täppisch.

In den folgenden Tagen ereigneten sich einige Dinge, die ich wenig beachtete und erst später verstand.

Einmal kam ich nach Hause und sah zu meiner Überraschung jemand unter der Türe stehen. Es war Noel, der Kaufmann. Ich kam näher und siehe da, der Maire erschien neben Noel in der Türe. Beide waren verlegen.

»Was gibt es?« sagte ich.

Noel sah den Maire an und der Maire sah Noel an.

»Wir sind bei Ihnen eingebrochen,« sagte Noel lächelnd.

Ich richtete mich auf. »Sie sehen mich überrascht, mein Herr!« sagte ich.

Wieder tauschten die Biedermänner Blicke.

»Die Wahrheit zu sagen,« begann der Maire, »es lief eine Anzeige bei der Mairie ein. Man hat behauptet, du seist ein Spion, der die Insel auskundschaftet.«

Ich lachte laut auf. »Ich bezahle auf der Stelle tausend Franken,« sagte ich, »wenn ihr einen Strich oder eine geschriebene Zeile bei mir findet!«

»Nun ja, wir taten unsere Pflicht!« Und die begossenen Pudel gingen.

Ein paar Tage später bemerkte ich, daß kein Wasser in der Tonne war. Es hatte in den Nächten heftig geregnet, aber im Faß war kein Tropfen Wasser. Ich untersuchte die Tonne, ja, sie war leck. Am untern Rand war eine Daube beschädigt. Poupoul beschnupperte einen Stein, der neben der Tonne lag. Aber das fiel mir erst später auf.

Ich dachte an nichts.

Es kamen trübe und mutlose Tage. Sie sahen aus wie die Gesichter Verzweifelter, die dahingehen ohne Ziel und zuweilen stehen bleiben um sich auf etwas zu besinnen, was ihr kranker Kopf längst vergessen hat.

Das Meer warf sich stöhnend hin und her. All die irrenden Wellen – sie waren Menschen, Tausende und Tausende von Menschen, die dahin gehen und dorthin und untergehen und niemand hat gesehen, wann und wo. Nicht so! Laß den Sturm kommen, den gewaltigen, denn herrlich ist ein wilder Tod. –

Die Fischer fuhren nicht hinaus. Auch Jean Louis nicht. Ich konnte mit harten Talern in der Tasche klimpern, der Meerkönig blieb taub.

»Ich habe Furcht!« heulte er.

»Wenn du schon Furcht hast, Meerkönig –!«

Ich strich über die Insel, eine Falte in der Stirn und lauschte auf das Toben des Meeres. Als stände ich in der Mitte eines Wasserfalls, so klang es. Der Himmel war voller Schmutz und Unrat und trübe Wolkenfetzen hingen senkrecht aus ihm herab und schleiften über Insel und Meer. Die Falte in meiner Stirn wurde tiefer. Ich ging nicht nach Creach. Nein. Yvonne – ich hatte keine törichten Gedanken im Herzen. So kam ich nach Stiff in die Markonistation.

Tagelang arbeitete ich hier, so eifrig, als sollte ich bald eine entscheidende Prüfung ablegen. Wir sprachen mit grünem Feuer und Ozon zu den Unsichtbaren, wie Geister sich unterhalten. Wie es roch! Wie in den Wäldern meiner Heimat nach Regengüssen.

Herr Boucher handhabte den Drücker und die grünen Blitze sprangen zwischen den blanken Konduktoren und schnarrten und knatterten, zuweilen war der Dampfer, mit dem wir sprachen, ganz nahe und wir konnten seine Rauchfahne am Horizont sehen. Oft aber waren sie fern. »Geben Sie uns bitte Ihren Punkt!« Trr–trr–tack–tack–trr– das war sein Punkt. Gott stehe uns bei, wo war er? Er war noch westlich von den Azoren. Wir arbeiteten geduldig und ruhig. Manchmal mußten wir eine Frage dutzendmal depeschieren, bis wir verstanden wurden. Seit zwei Tagen suchten wir uns mit einem Dampfer zu verständigen, an dessen Bord sich Mr. William Finch befand. »Ihr Koffer folgt mit dem nächsten Schiff.« Trr–trr– »Ihr Koffer folgt mit dem –« Immer, wenn Herr Boucher eine freie Viertelstunde hatte, jagte er diese Depesche in die Luft. Zuweilen wurde die Verbindung plötzlich durch Gott weiß was unterbrochen und erst Stunden später hörte man uns wieder. All die kleinen Worte, die durch die Luft schwirrten! Wir sandten täglich einige Säcke Küsse übers Meer. Wir waren diejenigen, die Herrn Schmidt, Edgar Schmidt, tausend Seemeilen entfernt, in einen Freudentaumel versetzten, da wir ihm mitteilten, daß seine Frau Anna mit den Kindern im Hotel de Commerce in Cherbourg ihn erwarte. Er sitzt im Rauchsalon, dieselbe zerlesene Nummer der Fliegenden Blätter in der Hand, und sieht gelangweilt durch das kleine Fenster, wie die Reling sanft steigt und fällt, der Streifen Meer wird schmal, breit, seit Wochen schrumpft und wächst dieser Streifen: Herr Schmidt, Herr Schmidt! Siehst du, wie es ihn trifft? Zum Teufel, mein Hut! Trr–tack–tack– wie rasch er gewesen ist! »Bin gesund und wohlauf.« Sonst fiel ihm in der Eile nichts ein.

Dann nahm Herr Boucher den Stahlbügel mit der Hörmuschel über die Glatze und lauschte auf das Ticken und schrieb die Worte nieder. Wir konnten alles hören, was Lizard den großen Amerikadampfern telegraphierte, die jeden Tag eine Zeitung drucken. Auf diese Weise waren wir von allem unterrichtet, was die Welt beschäftigte, ja wir erhielten die Neuigkeiten sogar früher als die Zeitungsleser. Die Könige da drüben räusperten sich in ihren verrosteten Rüstungen und wir hörten es. Wir hörten das große Feuer prasseln, das in den Wäldern Südrußlands wütete. Wir hörten den Lärm der Börse, die Papiere fielen, o, pfui Teufel!

Herr Boucher schrieb und ich übersetzte – denn ich fungierte hier als Übersetzer. Herr Boucher las zwar fließend die Klassiker der großen Sprachen, von der Umgangssprache aber verstand er kein Wort.

Es war sehr still bei uns. Die Drähte unserer Empfangsmaste schwangen und klirrten und der Wind schleifte über die öde Heide. Drei unserer kleinen Ratten, die in der Station hausten (es waren siebzehn), spielten vor der Türe. Das Meer aber wusch. Sobald es dunkel wurde, erbleichte die Heide wie im Mondlicht, zweimal, dann brannte sie einmal rot wie glühendes Moos. Das war das Feuer von Stiff. Wenn Herr Boucher hinaus ging um Luft zu schöpfen, so sah er zweimal wie ein kalkweißes Gespenst aus und dann verwandelte er sich in einen roten Dämon.

Trr–trr–tack–tack – Herr Boucher saß und schrieb die Worte nieder. Es war ein schwaches Echo der großen Trommel Europa, das zu uns herüberdrang.

Schluß. Lizard hatte nichts mehr zu sagen.

Spät in der Nacht kam ich nach Hause. Noch im Traum telegraphierte ich. Children all well. Much love. Grace. Die Funken knatterten. Und der Empfänger tickte: Am 21. 36° 12′ 44° 8′ 10″ zwei Eisberge gesichtet. Pennsylvania. Da schlug Poupoul an. »Schweig doch!« sagte ich. Poupoul leckte mir die Hand und winselte. Dann hörte ich ihn an der Türe schnuppern. Ich schlief wieder. Gleich darauf weckte mich Poupoul abermals. Er schlug laut und zornig an.

Ich lauschte.

Draußen knisterte und raschelte es. Es war mir, als röche ich Rauch. In diesem Augenblick donnerte es und ein Gewitterregen ging prasselnd nieder.

»Es regnet ja nur, Poupoul!« sagte ich. »Schlafe, alter Schwede!«

Aber am andern Morgen sah ich, daß der Holzstoß vor meiner Türe zum Teil verbrannt war. Die Wand des Hauses war geschwärzt von Rauch. Wäre der Gewitterregen nicht zur rechten Zeit niedergegangen, so stände Sturmvilla wohl nicht mehr.

Ich schüttelte den Kopf. »Solche Leute gibt es hier, sie gönnen dir nicht einmal das Holz!« sagte ich und spie aus.


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