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Nein, Rosseherre war nicht gut auf mich zu sprechen. Auch Yann sagte es mir, als er am andern Tag zu mir kam. Tiens, tiens, wie böse sie auf dich ist!
Am Morgen war ich draußen gewesen und hatte einen schweren, dicken Fisch gefangen, eine fette Kafferntante. Toll vor Wut hatte sie mich angefunkelt, als ich sie aus dem Wasser zog. Nun aber lag sie da und die Schuppen flogen. Meine Kafferntante war ein gefräßiger Klumpen mit dummen goldenen Glotzaugen und hämischen fahlen Negerlippen, zwischen denen die spitzen porzellanweißen Zähne grinsten. Hinten am Rachen hatte sie ein zweites Gebiß, ein Reibeisen aus flachen Zähnen. Ihr fetter Wanst war von einem schleimigen, dicken Netz überzogen, das schildkrotfarben und morchelähnlich war und ihr erlaubte, getrost drunten in den Tangwäldern zu stehen ohne gesehen zu werden. Hatte ich jemals etwas ähnliches an Habgier, Gefräßigkeit und Gemeinheit gesehen? O, jawohl: Menschen! Oft sah ich gleich ein ganzes Dutzend porträtähnlicher Exemplare beisammen. Hätte ich euch hier – unter meinen entblößten Armen und blutigen Händen, es wäre mir ein Vergnügen –
Da kam Yann. Er schleppte einen großen irdenen Topf, und das bedeutete, daß wir eine seiner berühmten bretonischen Suppen kochen würden.
Yann war in vorzüglicher Stimmung und ich sah ihm sofort an, daß etwas besonderes vorgefallen sein mußte.
Nachdem er mir ein Kompliment gemacht hatte über die schwere Kafferntante, griff er in die Brusttasche: »Willst du etwas sehen, he?«
»Was gibt es?«
»Nun, willst du etwas sehen?« wiederholte Yann und blitzte mich mit den hellblauen Augen an.
»Laß sehen!« erwiderte ich neugierig.
Yann ließ den Rand eines großen Briefes erscheinen. Er zupfte daran und die Ecken von Banknoten wurden sichtbar. Eins, zwei, drei – fünfhundert Franken!
Ich riß die Augen auf und starrte Yann an.
Dann zog Yann den Brief heraus und überreichte mir mit einer großartigen Geste das Schreiben.
Es war von der englischen Gesellschaft, der die »Indiana« gehört hatte.
»Jeder meiner Matrosen hat hundert Franken erhalten!« sagte Yann. »He, wie höflich sie schreiben, wie? Und sieh das Kuvert an: es ist mit Leinwand ausgeschlagen, hast du je solch ein Kuvert gesehen?«
Ich sah das Kuvert von außen und innen an. » Nom de pipe!« sagte ich.
Yann richtete sich stolz auf und sandte einen kühnen Blick übers Meer. »Es ist wie ein Geschenk vom Himmel. Pro Kopf über sechzig Franken! Ja, was kann ich jetzt tun?« Und Yann sah mir in die Augen. »Jetzt kann ich tun, was ich will, siehst du!«
Über Nacht war er reich geworden.
»Wenn du nun Geld brauchst,« fügte Yann hinzu, »du brauchst nur ein Wort zu reden« – und er hielt mir zwei-, drei-, vierhundert Franken hin – »du bist mein Freund und kannst soviel haben wie du willst.«
Yann war doch ein prächtiger Bursche!
Dann stürzte er sich in die Arbeit. Er warf den Kittel weg, rückte die Mütze ins Genick und stülpte die geschwärzten Hemdärmel auf. In dem Topf befanden sich Kartoffeln, Gemüse, Kraut und Rüben, ein Klumpen graues Fett, grease bretonne, eine Flasche Kognak und ein rundes Paket. Er wusch, schabte, schnitt, machte Feuer an. Da der irdene Topf einen Sprung hatte, holte er rasch Erde, knetete sie und verschmierte den Riß, eins, zwei –
Dann öffnete er das sorgfältig verschnürte, runde Paket. »Und hier ist ein kleines Andenken, mein Freund!« sagte er.
Es war eine Teekanne aus weißem Porzellan mit billiger Goldverzierung.
Yann stand mit gespreizten Beinen und sah mich vielsagend an. »Nun?«
»Nun, sie ist hübsch.«
Yann lachte höhnisch und betrachtete die Teekanne mit spöttischen Blicken. »Das ist sie,« sagte er, »das ist die berühmte Teekanne von der ‚Charlotte‘! Und diese meineidigen Hunde schworen seinerzeit, ich hätte eine silberne Teekanne mit Goldeinlage gestohlen! Haha, was sagst du dazu?«
Ich sah Yann an und lachte.
»Nun, willst du sie, diese silberne Kanne?« fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Yann, merci. Ich will nichts besitzen, was man nicht in die Tasche stecken kann, verstehst du?«
» Bien!« Yann nahm die Kanne und warf sie in weitem Bogen in die Klippen, wo sie zerschellte. » Au revoir!«
Darauf zog er eine Uhr aus der Hosentasche. »Drei Uhr,« sagte er nebenhin, »um acht ist die Suppe fertig.« Ich aber sah die Uhr kaum an und so hielt sie mir Yann dicht unter die Nase. »Ja, genau drei Uhr!« Da fiel mir die Uhr auf. Sie war aus Gold und hatte einen Springdeckel, so etwas! Diese Uhr war dreihundert Franken wert und das Geschenk eines Pariser Bekannten.
Ich staunte und schüttelte den Kopf. Yann ließ mich ins Werk hineinsehen, wo es tickte und schwang.
Dann zeigte er mir, daß er die Hosentasche mit Putzwolle ausgestopft hatte, damit die Uhr nicht beschädigt werde.
»Warum hast du dir denn von dem Pariser Freunde nicht lieber Schiffsinstrumente schenken lassen, Yann?« fragte ich arglistig, nachdem ich mich von meiner Verblüffung erholt hatte.
Yann zog das Augenlid mit dem Zeigefinger herab. »Eh!« rief er aus. »Warum? Wie kann ein Mensch so dumm fragen? Man hätte behauptet, ich habe die Schiffsinstrumente von der ‚Charlotte‘ gestohlen.«
Die Uhr war gut. Yann hatte keinen schlechten Tausch gemacht!
Ich mußte lachen: Yann, Yann, wie soll man klug aus dir werden? Wie oft hast du mir jene Geschichte von der »Charlotte« erzählt, da sie dich so frech verleumdeten, und ich hatte Mitleid mit dir! Wie oft standen deine treuen Kinderaugen voller Tränen und lachtest du höhnische Triller: Ich, ein Dieb? Ich?
Hahaha! Yanns Seele war derartig mit Ehrlichkeit imprägniert, daß sie den Verdacht des Diebstahls entsetzt zurückwies. Nie, nie würde Yann glauben, daß er gestohlen hatte, selbst mit der Kanne vor Augen und der goldenen Uhr in der Tasche nicht, niemals, er war zu ehrlich dazu.
Unsere Suppe mußte fünf Stunden über langsamem Feuer kochen, und so hatten wir Zeit ein wenig zu plaudern. Wir saßen vor dem Hause auf dem Boden und Yann goß aus der Flasche ein, die er – ein reicher Mann – mitgebracht hatte.
Plötzlich lachte er laut heraus. »Was in aller Welt hast du denn Rosseherre getan?« rief er aus. » Tiens, tiens, wie wütend sie auf dich ist.«
»Nichts habe ich ihr getan.«
»O, sie ist nicht gut auf dich zu sprechen, mein Freund!« fuhr Yann fort. »Du hast ein Auge auf Yvonne Amorik geworfen – sie ist Rosseherres beste Freundin gewesen, trotzdem – wer kennt sich mit diesen Frauenzimmern aus! Hast du Yvonne nicht eine Kette geschenkt? Hoho, ist es so? Und was glaubst du, was Rosseherre mich fragte? Hehe – was glaubst du?«
»Nun?«
»Sie fragte mich, ob ich dich töten könnte.«
»Hallo!«
»Ja, haha, so verrückt sind diese Weiber, wenn sie eifersüchtig sind.«
»Und, Yann, was hast du ihr geantwortet?«
»Ja, habe ich gesagt, warum nicht? Ich wollte sie bei guter Laune haben.«
Ich pfiff durch die Zähne und lachte.
Auch Yann lachte. Er lachte mit der heiteren Sicherheit eines Liebhabers, dessen Rivale endgültig ungefährlich geworden ist. »Ich habe ihr sogar versprochen dich zu töten,« sagte er, »dann wurde sie demütig und gefügig wie ein kleiner Hund!« Yann brach ab und zog mit erstaunter Miene einen Ring zwischen den Gräsern hervor. »He, was ist das?«
»Hier ist der andere, unter dem Stein,« antwortete ich, »sie hat mir die Ringe zurückgebracht.«
Yann steckte die Ringe in die Tasche. Er schüttelte ärgerlich den Kopf. »So ein verrücktes Frauenzimmer, he! Ich werde ihr die Ringe geben, wenn sie vernünftiger geworden ist.«
»Also, du hast ihr versprochen –?«
»Ja!« sagte Yann lachend. »O, sie war so verrückt, sie verweigerte sich mir – sie machte eine Bedingung daraus, hahaha – aber sie hat mir keinen Termin gesetzt – das hat sie vergessen. Ich gebe dir noch viele Jahre Zeit, mein Freund! Keine Eile!«
Dann sprachen wir von etwas anderem und Rosseherres Name wurde nicht mehr erwähnt.
Die Suppe war fertig. Yann schnalzte mit der Zunge, solch eine Suppe! Er schlürfte voller Entzücken die beiden Augen meiner Kafferntante. Wir saßen und schmausten, wir drei, Yann, Poupoul und ich. Die Türe stand offen, und draußen dröhnte das Meer.
Eine Stunde lang fuhren wir mit den Löffeln in den Topf hinein, bis wir uns nicht mehr regen konnten. Der Topf aber war noch lange nicht leer, wir aßen stets zwei, drei Tage daran. Dann setzten wir uns vor der Türe in die Heide und tauchten.
»Spiele ein kleines Lied,« sagte Yann, »gerade jetzt, wo es dunkelt –«
Ich spielte. Aber während ich die kleine Flöte schwang, schielte ich zu Yann hin: da saß er, die fünfhundert Franken in der Hand und sah hinaus aufs Meer und träumte.
Es wurde Nacht und wir gingen ins Haus zurück um ein Gläschen zu trinken.
Yann breitete seine Banknoten aus, er ließ unendlich oft den Springdeckel der Uhr springen. Er strahlte vor Glückseligkeit. Ein wenig später aber legte er die Uhr unter den Holzschuh und trat ein wenig darauf um zu sehen, was die Uhr aushalte. Knax, das Glas sprang. Aber deshalb ist die Uhr doch noch nicht kaputt, wie, hahaha! Er nahm die Banknoten, machte eine Kugel daraus und ließ sie von Poupoul apportieren. Dieses Geld, pfui, man sollte es einem Hund zum Fressen geben, man sollte es ins Feuer werfen!
Yann führte einige seiner Kunststücke vor. Er holte eine Münze aus einem Teller voll Wasser, ohne sich auch nur die Fingerspitzen zu netzen. Das vollführte dieser Tausendsasa vermittels heißer Luft in einem Weinglas.
Er schüttete sich Kognak in die Kehle und erzählte von der Seeschlange, die er in der Südsee gesehen hatte. Dabei entblößte er den Arm, spitzte die Hand zu und bewegte sie im Gelenk; genau so reckte sich die Seeschlange aus den Fluten und sagte: Guten Morgen, Yann aus Roskoff! Und in den Molukken gab es ein Meer, das schwer wie Blei war; fuhr ein Schiff hindurch, so blieb das Kielwasser eine ganze Woche lang stehen.
Haha! O Yann!
Es war tief in der Nacht, als wir uns trennten. Yann glättete die Scheine und zählte sie zweimal – ob er nichts vergessen habe, immer noch suchte er mit den Augen auf dem Boden. Er war eine einfache Natur und konnte es deshalb nicht unterlassen mich dutzendmal seiner ewigen Freundschaft zu versichern.
»Wegen eines verrückten Frauenzimmers werden wir uns nicht verfeinden!« sagte er und sah mich mit Tränen in den Augen an. »Wie?«
»Das fehlte noch, Yann!«
Yann preßte mir die Hand.
»Noch eines, Yann. Ist es wahr, daß Yvonne es mit allen Matrosen hält und mit sechzehn Jahren ein Kind hatte?«
» Tiens!« lachte Yann. »Wie kann jemand solch eine Lüge ersinnen!«