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Am nächsten Sonntag nach dem Kirchgang traf ich sie wieder bei Noel. Sie kaufte Wolle ein für Amoriks Strümpfe und die Wahl unter all den bunten Strängen wurde ihr schwer. Endlich entschied sie sich für himbeerfarbene. Dann wühlte sie in allerlei Kram und zog eine schmale Spitze hervor.
»O, wie hübsch sie ist. Für die Haube!«
»Ein halbes Meter. Zehn Sou!«
»O!« Yvonne warf die Spitze auf den Ladentisch. »Was denkst du, so reich bin ich nicht!«
»Gib mir die Spitze,« sagte ich und legte zehn Sou hin. Da aber fühlte ich, daß mich jemand ansah, und ich wandte mich um: Rosseherre stand hinter uns. Mit ihren gelben Haaren, den schmalen Wangen und vielen Sommersprossen, welk sah sie aus trotz ihrer Jugend – »Guten Tag, Rosseherre« – aber sie war schon gegangen.
»Nun, Yvonne, willst du die Spitze haben?«
»Nein, ach nein!« Aber als ich sie recht hübsch bat, nahm sie doch das kleine Geschenk an.
Ich ging nach Creach. Es wurde Abend. Kahl und nüchtern stand der Leuchtturm inmitten der kleinen Hütten in der Heide. Jemand ging oben auf der Galerie und pfiff, und das Pfeifen klang klar wider in der dünnen Luft.
»Guten Abend, Yvonne!« Yvonne stand am Fenster und helle Lichter glänzten auf ihren braunen Wangen. »Ein schöner Abend? Wie warm der Wind ist! Willst du nicht ein wenig herauskommen zu mir?« Yvonne trat zurück und ihr Gesicht wurde ganz dunkel. Ihre Zähne blinkten matt. Gewiß knisterten ihre pechschwarzen Haare, wenn man sie anfaßte. Yvonne lächelte und schüttelte den Kopf.
Da rief man mir. »Vater ruft dir!«
Amorik beugte sich oben über die Galerie und winkte. Ich stieg die Schneckentreppe hinauf in den hallenden Schlot. Amorik, der Einäugige, nahm die Tücher von den Scheiben und die untergehende Sonne zersprang in den Linsen und Segmenten dieses blitzenden kristallenen Spielzeugs zu tausend farbigen Feuern. Gleißende blaue und gelbe Dolchbüschel stachen nach mir, scharfe rote und grüne Sicheln zerschnitten mir die Augen. Die Insel unter uns war schon dunkel und die Klippen schwarz. Drüben an der fernen Küste zuckte ein Feuer empor – immer als ob es sich strecke – irgendein eisernes Gespenst, das in der Brandung stand und sein Auge rollte. Die Kerze knisterte, der Lichtbogen sprang über, Amorik schaltete den Apparat ein, und das glitzernde Spielzeug begann sich geräuschlos zu drehen und schleuderte seine vier Strahlengarben über unsere Köpfe hinweg übers Meer hinaus. Man konnte nicht hineinsehen ohne zu erblinden. Nun blinzelte und funkelte an der Küste ein Dutzend weißer, roter und grüner Feuer, der Schmuck der großen Kokotte Frankreich blitzte in der Nacht.
Amorik saß auf einem kleinen Schemel und sein linkes Auge wachte. Wo hast du dein Auge verloren, grauer Amorik? He, der Wind kam und blies und sagte: ich bin der Wind, und blies es dir aus der Höhle? Nein, während eines Sturmes war ihm eine Segelsparre ins Auge gefallen.
Mit seinem feinen Lächeln saß Amorik da und sein Gesicht war gesättigt mit der Güte jener Menschen, die einsam in der stillen Nacht wachen und schweigen. Und wo konnte man einsamer sein, als unter der gleißenden Mühle?
Ich trat auf die Galerie. Der Nachtwind legte mir die Kleider glatt an den Körper und zerrte an meinen Augenlidern. An den Scheiben tanzten große Falter und Myriaden von Milben und bohrten sich wollüstig ins Licht. Wie rotierende weißglühende Fontänen schossen die Strahlengarben in die Finsternis empor und hinaus, dreißig Seemeilen weit und mehr. Die Insel war vollkommen schwarz, mattschwarz, und glänzendschwarz war das Meer und bewegte sich.
Ein grüner Funke wanderte nach Norden. Sie wußten, das ist Creach, in vier Stunden sind wir im Kanal, in zwanzig, in fünfzig Stunden zu Hause. Noch nach fünf Stunden würden sie uns sehen.
Wir wachten und wechselten dann und wann ein kurzes Wort. Amorik hatte es längst verlernt zu reden.
Im Falle Nebel kommt, werden wir den kleinen Hebel öffnen und die komprimierte Luft wird im Schalltrichter brüllen. Aber es kam kein Nebel, die Nacht war übersät mit Sternen.
»Nun, gute Nacht, Amorik.«
»Du gehst?«
»Ja, ich bin müde.«
»Bist du noch wach, Yvonne, so tief in der Nacht?«
Yvonne stand im dunkeln Fenster und lächelte. Sie wußte alles und doch war sie ein junges Mädchen.
»Komm heraus, Yvonne. Nicht? Yvonne, so reich mir doch die Hand heraus. Kenavo, Yvonne!«
»Kenavo!« flüsterte sie.
»Yvonne, mache nochmals auf!«
»Ja?«
Ich nahm die kleine silberne Kette aus der Tasche und warf sie ins Fenster. Ich hörte wie sie auffiel. Ich sagte nichts und ging.