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VIII

Alles traf so ein, wie ich es vorausgesehen hatte. An einem trüben Nachmittag trappelte es vor meiner Türe wie wenn ein junges Pferd vorbeigaloppierte, und als ich öffnete, sah ich ein Mädchen mit einer weißen Haube in der Heide stehen. Sie führte zwei schwarze Hammel am Strick. Ich sah bis hierher ihre Zähne, sie lachte. Der Wind flatterte in ihren Rücken, es schien, als werde sie zu mir hergeweht.

»Hier wohnst du?« rief sie zu mir herüber und der Wind verwehte ihre Stimme, daß sie fadendünn und fern klang.

»Ja, hier, hast du es nicht gewußt? Wohin gehst du?«

Rosseherre drehte sich und lachte. »Ich bringe meine Hammel nach Hause.«

»Was sagst du?«

»Meine Hammel bringe ich nach Hause!«

Ich ging näher.

»Wie ist es dir ergangen seit Kedrils Hochzeit? Nichts Neues?« Wir gingen Seite an Seite und kämpften uns gegen den Wind.

Rosseherre sah mich durch das Gitter ihrer wehenden gelben Haare an und lachte. »Yann hat mich vor Zorn geschüttelt. Weil ich mit dir tanzte.«

»Yann? Er sagte doch selbst, daß du mit mir tanzen sollst?«

»Aber weil du so mit mir getanzt hast.«

»So? Wie sollte ich denn sonst mit dir tanzen? Man tanzt immer so mit einem Mädchen.«

Das sah Rosseherre ein. »Yann ist immer bei schlechter Laune,« fuhr sie plappernd fort. »Er will, daß wir heiraten. Aber Jean Louis gibt nicht die Einwilligung dazu und ohne das geht es nicht. Ich bin noch zu jung, sagt Großvater.«

»Dir eilt es wohl nicht so sehr?«

Rosseherre schüttelte den Kopf. »O, nein! Wenn ich ihn einmal geheiratet habe, so wird er anfangen zu trinken und mich schlagen, das tun sie alle.«

»Nein. Yann hat ein gutes Herz.«

Rosseherre nickte. »Sein Herz ist gut, ja. Aber er ist ein Seemann, trotzdem.«

Rosseherre erzählte tausend Kleinigkeiten, die ich alle mit Vergnügen anhörte. Ihre hohe kindliche Stimme schwang auf und ab und der Wind verwehte sie. Die ganze Rosseherre flatterte wie eine Fahne. Bei jedem Schritt schlüpften ihre kleinen runden Fersen aus den Holzschuhen. Ihre Augen waren zusammengezogen und scharf gegen den Wind gerichtet, wie die Augen einer Möwe. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, wenn ihr die eiskalten Regentropfen ins Gesicht schlugen.

Wie die Erde so braun bist du, Rosseherre, deine Haare sind gelb wie die Heideblumen und sonst bist du gemacht aus Wind und Regen und Salz!

Wir gingen auf und ab über die öde Heide. Da und dort lagen verwitterte Steinblöcke und Haufen von aufgeschichtetem Tang. Nichts war zu hören als das klägliche Blöken der frierenden Hammel, die hier und da angepflöckt waren, und der schrille Schrei einer Möwe irgendwo. Eine hungrige schwarze Kuh stand am Wege und muhte melancholisch, als wir vorbeikamen. Sie war nicht größer als ein Kalb, eine Zwergin von einer Kuh. Keine der wenigen Kühe auf der Insel war größer. Auch die Tiere taten hier nur, was unbedingt nötig war; die Hühner legten winzige Taubeneier. Am Boden zitterten kleine kurzstielige Blumen. Der Wind ließ sie nicht in die Höhe wachsen. Da sie die Nordwinde fürchteten, so hatten sie sich nur an den südlichen Rändern der Erdwälle angesiedelt. Hier lagen sie auf dem Gesicht und froren. So oft wir aus einer Mulde herauskamen, sahen wir das düster rauchende Meer und die schäumenden Klippen. Der Norden der Insel war in eine Nebelbank eingehüllt, die langsam näherkroch.

Rosseherre wußte nichts mehr, und nun erzählte ich ihr alles, was mir da drunten auf dem Meeresgrund passiert war. Ich flocht eine Menge haarsträubender Abenteuer mit Haifischen und Polypen ein um ihrer Phantasie entgegenzukommen.

Plötzlich blieb Rosseherre, stehen und sah mich erschrocken an. Ihre Augen waren grün wie der Schaum im Meer. »Du hast Vater und Bruder gesehen?« unterbrach sie mich.

»Ich träumte das ja nur, Rosseherre.«

Rosseherres Blick flackerte und sie wurde rot. »Sie sind beide ertrunken,« sagte sie leise. Und sie deutete über die Heide und ihre Stirn zerknitterte sich feindselig. »Da draußen!« Eine Weile erschien sie mir merkwürdig und um vieles älter, dann aber schüttelte sie den Kopf und ging weiter. »Und was sagten sie?«

»Rosseherre ist hier. Sonst nichts.«

Rosseherre lächelte.

»Sonst sagten sie nichts?«

»Nein.«

Und ich erzählte, daß sie alle im Kreise standen und heulten, und was ich mit ihr tat. Da sah mich Rosseherre mit großen, verwunderten, lachenden Augen an und brach in ein lautes, kindliches Gelächter aus. »Solch ein Traum – hahaha! – wie kann ein Mensch nur so etwas träumen.«

»Ja, was sagst du dazu, Rosseherre?« rief ich aus und lachte ebenfalls und legte den Arm um ihr Mieder. »Ist das nicht eine närrische Sache gewesen?«

Rosseherre sah sich um und suchte zu entschlüpfen. »Wenn es jemand sieht!«

»Was tut es?«

Sie sah mich erstaunt an. »Yann wird dich töten?«

»Haha!« Ich lachte. »Was tut es?« Ich war ganz trunken von ihrer Nähe. Durch das Mieder fühlte ich die Wärme ihres Körpers und ihre kleinen zarten Rippen. Ihre Haare wehten mir ins Gesicht. Auf ihrer braunen Wange lag ein Regentropfen und fing zu rieseln an. Gerade auf diesen rieselnden Regentropfen küßte ich sie. Ihre Wange war kalt wie Eis.

»O, wie böse du bist!« rief Rosseherre aus, rot im Gesicht.

»Was soll ich tun, da du mir gefällst, Rosseherre?«

Sie lachte und kämpfte sich tapfer durch den Wind vorwärts.

»Du hast auch Jeanette geküßt.«

»Jeanette? Die schwarze Jeanette?«

»Ja, sie hat es erzählt. Und man sagt, daß du Martina besuchst und einmal hat man dich nachts in Stiff gesehen, vor dem Hause der Witwe Bec –«

Da hatte ich es. Mein Leumund war nicht der beste.

»Hahaha, Rosseherre, Rosseherre, was die Leute doch alles zusammenlügen! Sonst hat man nichts gesagt, wie?«

Die Nebelbank war dicht vor uns. Sie kroch auf gekräuselten Rädern von Rauch über die Heide. Im Augenblick waren wir eingehüllt. Der Strick in Rosseherres Hand wurde unsichtbar und die kleinen Hammel trippelten grau und verwaschen hinter uns her. Rauch klebte in ihrer Wolle.

Plötzlich erschütterte ein furchtbarer Ton die Luft und wir erbebten. Es klang, als ob ein haushoher eherner Stier brüllte. Sein Atem riß ein Loch in den Raum, eine Röhre, durch die das Brüllen wie eine große grollende Kugel hinaus übers Meer rollte, ferne, immer ferner. Dann erhob der eherne Stier aufs neue sein Gebrüll und der Boden zitterte.

»Nun sieht uns niemand mehr, Rosseherre!« sagte ich und küßte ihre eisige Wange, und ihre feuchten Haare kamen mir zwischen die Lippen.

Rosseherre sträubte sich nicht mehr. Aber sie lachte, als fände sie es lächerlich, daß ich sie küßte.

»Wenn dir meine Ringe gefallen, Rosseherre,« sagte ich, »so sollst du sie haben. Komme zu mir, dann bringe ich sie dir heraus, du brauchst nicht ins Haus zu treten.«

»Weshalb aber willst du mir die Ringe schenken?« fragte Rosseherre.

»Weil du die Schönste der Insel bist!«

»Hahaha!«

»Wirst du kommen?«

Rosseherre sah mich an. »Weshalb soll ich denn nicht kommen?« sagte sie verwundert. »Aber du darfst dich nicht mehr mit Jeanette abgeben, hörst du? Ich hasse sie. Und Yann darf es nicht wissen!«

»Nie wird Yann etwas erfahren.«

»Nun, adieu!« Rosseherre lief. Doch nach ein paar Schritten blieb sie wieder stehen. » Dis-donc!« rief sie durch den Nebel. »Kannst du mir zwei Sou leihen?«

Ich lieh ihr zwei Sou. –

Die ganze Nacht hindurch brüllte das Nebelhorn von Creach. Alle drei Minuten erschütterte sein Gebrüll zweimal nacheinander mein Haus. Und in den Pausen war es so beängstigend still, als lausche alles, das Meer, die Klippen. Und auch da draußen auf den Schiffen lauschten sie; sie neigten sich über die Brücke, machten die Ohren scharf und zählten die Minuten ab und ihre Herzen klopften.

Ich saß vor meinem kleinen Feuer, rauchte die Pfeife und dachte daran, was ich Rosseherre sagen würde, wenn sie käme.

»Höre Rosseherre, kleine süße Madonna,« wollte ich sagen, »nimm Platz, ich habe all die Zeit auf dich gewartet und mein Herz ist voller Freude dich zu sehen« –

Ich lauschte. Ein Dampfer tutete. Ganz fern. Er tutete ängstlich und eingeschüchtert, als ob er sich vorsichtig Schritt um Schritt vorwärts taste. Der Nebel quoll wie Rauch durch die Ritzen der Türe. Ich legte Holz aufs Feuer.

»Das ist ja alles Unsinn!« sagte ich laut. »Ich werde ganz anders mit ihr reden. So, wie man mit einem Fischermädchen spricht, basta!«


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