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XXIII

Von Rosseherre sah ich all die Tage nichts. Und um die Wahrheit zu sagen, ich sehnte mich auch nicht nach ihr. Zu meinem größten Erstaunen machte ich die Entdeckung, daß eine Veränderung mit mir vorgegangen war. Mein Herz schlug in einem andern Takt, meine Gedanken hatten einen andern Kurs, genommen. Ich betrachtete die ganze Welt unter einem andern Winkel, mehr von der Seite, wenn ich so sagen darf. Die großen Stürme waren schuld daran. Sie hatten meine Seele blank- und glattgeschliffen und alles weggefegt. Wenn ich zurückblickte, so schüttelte ich voll Verwunderung den Kopf: wie viele Monate waren doch seit den großen Stürmen und dem Schiffbruch der »Indiana« vergangen? Alles lag weit dahinten, blaß und fern. Der Sturm hatte mich in Schwung gebracht und ich konstatierte mit großer Genugtuung, daß meine Seele mit all ihren Knoten dahinsegelte und die Dinge überholte. Ich blickte geradeaus: mochte kommen, was da wollte, es sollte mir willkommen sein – –

Jean Louis erzählte mir beim Fischen draußen, daß Rosseherre lache und schreie und einen der schwersten Anfälle von Gemütsstörung habe. Sie tat mir leid, sonst fühlte ich nichts. Dann erfuhr ich, daß es ihr um vieles besser gehe, das freute mich.

Ich dachte zuweilen an ihre verliebte Trunkenheit und die maßlose Leidenschaft, die in ihrem kleinen braunen Körper hauste – aber wenn du jetzt kommst, Rosseherre, so werde ich sagen: guten Tag und wie geht’s, sonst nichts. Ja, wenn die Königin von Honolulu kommt, von der man behauptet, daß sie alle Frauen an Liebreiz übertrifft, so werde ich sagen: guten Abend, gnädige Frau, und mein Pfeifenrohr ausblasen: fff –

Das war das Meer, nichts sonst. Ich habe Seeleute gekannt, die von heute auf morgen eine funkelnagelneue Seele bekamen und alles mit einer unverständlichen Naivität hinter sich ließen, Schulden, Versprechungen, Gewissensbisse – ja, nun verstand ich sie.

Meine Vergangenheit war wie weggeblasen und ich saß auf dem Strich zwischen Vergangenheit und Zukunft und freute mich.

Ich war nicht so töricht mir sofort wieder eine Vergangenheit anzuschaffen. Nein, ich genoß diesen wunderbaren Zustand, mit einem neugeborenen Herzen einherzugehen, in vollen Zügen. Ich lebte allein und der Herr sandte mir Erleuchtungen.

Ich legte bei den Klippen die Angel aus. Denn es hungerte uns fürchterlich, Poupoul und mich. Auf den Klippen gab es kleine Tümpel, die mit hohlem gelbem Eis bedeckt waren. Das war das Salz von den Stürmen. Hier außen hielten sich wenig Fische auf und oft mußte ich stundenlang warten, bis etwas anbiß. Da saß ich nun und das Meer schlug und die Gedanken wanderten in meinem Kopfe. Bum! In meinem Kopfe fiel ein Schuß: ah, ich war auf der Jagd in Nordgrönland und schoß Eisbären. Die Atemzüge des Meeres wurden schwächer, ich hörte es, auch wenn ich nicht darauf achtete. Die Riffe draußen wuchsen, sie schoben sich langsam aus dem Meer. Wie der Rachen eines Nilpferds, der sich allmählich aus dem Wasser hebt und Schlamm und Unrat triefen aus seinen Zahnstumpen, so hob sich das Gestade in die Höhe. Es rieselte wie im Frühling in den Wäldern. Überall stürzten schäumende Kaskaden ins Meer. Das Rieseln verstummte, es tropfte, es wurde ganz still. Die Welle schlepperte wie kleine Katzen und tändelte mit den Klippen.

Ebbe.

Die Möwen schwirrten und schrillten. Ströme von süßlichem Duft stiegen aus dem bloßgelegten Schoß des Meeres empor. Ich ging hinunter, denn ich mußte mitten im mütterlichen Geruch des Meeres stehen. Die schwül dampfenden Klippen waren bedeckt mit harten gerippten Muscheln und purpurnen, gallertartigen Knollen, die zitterten, wenn man sie berührte. Viele verschwanden unter schleimigen Helmbüschen, und unter meinem Fuß quietschten meterlange fleischige Palmblätter und hohle Knollen. Kleine grüne Tümpel lagen zwischen den Steinen. Wie liliputanische Märchengärten sahen sie aus. In der Mitte wuchs eine schlanke Palme und darunter stand ein winziger Fisch, der Herr des Gartens. Plötzlich zuckte es drinnen, der Fisch stand nicht mehr unter der Palme, er war in die dunkeln Lorbeerboskette am Rande entflohen. Auf dem gelben Sandwege des Gartens lag ein vergessener kleiner roter Hut mit grünen Fransen; auf einmal begann der rote Hut zu steigen, die Fransen atmeten ein und aus. Eine kleine Muschel ruderte von einer Grotte zur andern. Nein, der kleine Fisch war nicht der einzige Bewohner dieses Märchengartens, er war trächtig von Leben.

Eine Handvoll von diesem Schlamm auf einen öden Planeten geworfen, Poupoul – und wir kommen wieder heraus wir zwei, ganz so wie wir hier stehen, und die Zunge hängt dir genau so aus dem Maul.

Die Möwen schossen aufgeregt dahin, kleine Fische im Schnabel, die Seesterne schrumpften in der Sonne und verfärbten sich und bekamen brennende Flecken, das Moosgespinst auf den großen porösen Steinschwämmen trocknete dampfend und wurde weiß wie Asche. Der Geruch des Meeres wurde so süß und betäubend, daß er Übelkeit erregte.

Die Welle tänzelte heran, spielte zwischen den Steinen und legte sich zu meinen Füßen nieder, gehorsam wie ein Hund. Aber die nächste Welle schoß gegen meine Schuhe und zischte böse. Ich mußte zurück. Die Klippen sanken wieder langsam ins Meer hinab. Die Kaskaden begannen abermals zu rieseln. Draußen stieg ein weißer Korallenbaum auf, drehte sich und stürzte in sich zusammen. Die Woge schoß heran, wand sich zornig zwischen den Blöcken, gurgelte, zischte und leckte nach all den trockenen Stellen. Das Meer kam zurück. Es donnerte und stürzte sich an den Klippen in die Höhe, und der Wind trieb das Spritzwasser über die Heide. Flut.

Glühend rot sank die Sonne an diesen Tagen ins Meer, immer an der gleichen Stelle.

So ging es viele Tage lang.

Yann machte mir einen Besuch in Sturmvilla und wir feierten Versöhnung. Worüber stritten wir eigentlich? sagten wir beide und sahen einander gerührt an. Dann gingen wir auf die Jagd. Denn Yann hatte seine Büchse mitgebracht, ein zerbrochenes Zündnadelgewehr, das mit Drähten zusammengebunden war. (Es stammte von seinem Urgroßvater, général unter Napoléon premier.) Wie er damit schießen konnte, war mir ein Rätsel, aber er schoß damit. Er glühte vor Jagdeifer und schoß auf Möwen, Meerschwalben, Hammel, auf alles, was lebte. Über die Heide zogen Rauchschwaden, es roch nach Pulver wie nach einer Schlacht, die Hammel rannten wie irrsinnig im Kreise. Und doch war Yann der ungefährlichste Jäger, den es gab. Er traf nie etwas, Gott weiß wohin die Kugeln flogen. Dann kam es ihm in den Sinn, Champignons zu suchen. Hoho, er wußte wohl, wo sie zu finden seien. Und richtig, da waren sie. Wir brieten sie in einem Topf, bis alle unsere Champignons in einen Fingerhut gingen, aßen, schnalzten mit der Zunge und wanden uns zwei Tage in den furchtbarsten Krämpfen. Yann konnte es nicht fassen. » Tiens!« sagte er, »im vorigen Jahre waren es doch Champignons?«

Wir legten ein Netz aus in der Bai und saßen unterdessen halb nackt auf dem heißen Deck des Arbeiters und unterhielten uns über lenkbare Luftschiffe, während Yann eifrig an einem Strumpf strickte.

»He!« sagte Yann, »wollen wir nicht heute abend eine kleine Entdeckungsreise unternehmen? Jetzt im Sommer sind sie alle ganz toll.«

Merci. Ich hatte keine Lust.


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