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Als sie aber kam, sagte ich gar nichts. »Ah, da bist du ja!«
»Ja, da bin ich,« antwortete sie und zeigte die Zähne.
»Willst du nicht hereinkommen?«
Sie lugte neugierig durch die Türe.
»Nein, ach nein. Die Sonne scheint so schön!«
Da saß nun Rosseherre, die kleine Blume der Insel, auf dem Stein vor meiner Türe und arbeitete an einem dicken weißen Strumpf. Die Holzschuhe hingen an ihren Zehen, zuweilen strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie plapperte und ihr frischer, sechzehnjähriger Mund stand nicht einen Augenblick still.
Ich rauchte und sah ihren flinken braunen Händen mit den hellen Fingernägeln zu, und den Stricknadeln, die gegeneinanderschlugen wie ein Bündel von Masten verankerter Fischerboote bei unruhiger See.
Ein paar Schritte entfernt standen die beiden Hammel Rosseherres, schwarz wie Teufel. Der Wind spielte in ihrer Wolle. Stundenlang konnten sie ohne sich zu bewegen uns Wundertiere wie hypnotisiert anstarren und die helle Angst und Ehrfurcht blendete aus ihren schwarzgeschlitzten Bernsteinaugen. Zuweilen schnupperten sie mit ihren sanften süffisanten Kamelsschnauzen und wichen scheu zurück, denn sie fürchteten sich vor allem, dem Wind, den Insekten und selbst vor Dingen, die wir Menschen nicht sehen. Wenn Poupoul sich nur streckte oder gähnte, so rannten sie rasend vor Schrecken um ihren Pflock herum. Gewiß erschien er ihnen wie ein schrecklicher, haushoher Bär, der sie mit Haut und Haar verschlingen konnte, ohne im geringsten satt zu sein. Dann standen sie wieder auf ihren dünnen eleganten Beinchen, auf den Zehen sozusagen, und sahen uns ängstlich und neugierig an.
Auf dem Meere zog ein Dampfer. Winzige Flaggen kletterten an seinen Tauen in die Höhe, er sprach mit unserem Semaphor. Ich machte die Augen scharf und spähte hinaus: da ruderte ein Fischer verzweifelt in seinem kleinen Kahn um nicht zerschmettert zu werden. Nein, es war eine schwarze Klippe, nichts sonst, immer wieder konnte ich mich täuschen. Die Wogen wanderten vorüber, endlos, immer andere, immer die gleichen. Aus dem Meer hob sich eine weiße Tatze und schlug nach den Klippen.
Es war warm, die Insekten summten. In den letzten Tagen waren vor Sturmvilla kleine Blumen aufgeblüht, die ich noch nirgends gesehen hatte. Sie sahen aus wie winzige gedrehte Wachskerzen, rundherum liefen kleine Blüten, wächserne Glöckchen. Wir hatten es gut hier, und wie herrlich blau der Rauch meiner Pfeife war!
Rosseherre schwang ihre Holzschuhe an den Zehen und sang halblaut. Es klang wie das feine Weinen des Windes und zuweilen wie das Piepen der kleinen Vögel, die auf der Insel lebten und nur leise und schüchtern sangen, als sei es nicht der Mühe wert.
»Willst du mir nicht sagen, was du singst, Rosseherre?«
Rosseherre dachte lange nach, dann sang sie halblaut und rasch Strophe um Strophe, erst Bretonisch und dann Französisch. Sie zögerte: »O, das kann man nicht auf französisch sagen, es hört sich wie nichts an.«
»Was ist es?«
»Es ist ein Fischermädchen, das ins Kloster nach Quimper kommt. Der Fischer besucht sie und klopft ans Fenster. Mach auf, mach auf! sagt er, blick heraus. Du brauchst nur die Hand zu öffnen und ich lege einen Apfel und eine Birne hinein.«
Sie wußte ein kleines trauriges Lied, das sie oft sang, und ich vergaß es nicht wieder. Es braucht nur ein leiser Wind zu wehen und ich höre dieses Lied in den Ohren. Denn das Lied und der Wind, das ist ein und dasselbe. Ein Mädchen will einen Fischer heiraten, aber die Frauen sagen: Tu es nicht. Nichts als Kummer wirst du haben, Kind, dann stirbt er und du bist allein. – Vielleicht nicht, sagt sie und nimmt ihn. Der Fischer zieht fort nach St. Pierre zum Stockfischfang, auf viele Monate. Nun kommt eine Nacht, eijo, wie wild und dunkel sie ist! Plötzlich pocht es ans Fenster der Fischerfrau. Mach auf, ich bin’s, dein geliebter Mann. Sie öffnet das Fenster. Da steht er und auf der Hand trägt er sein Herz. Sie schreit und klagt und läuft zu den. Nachbarn: Mein geliebter Mann ist tot.
»Ist er auch wirklich tot gewesen, glaubst du?«
Rosseherre sah mich mit erstaunten Augen an. Sie antwortete gar nicht.
Am besten aber gefiel mir das Lied, das die Fischerfrauen ihren Kindern singen.
Sobald Rosseherre es begann, mußte ich lächeln.
Rosseherre sang:
Die Fischerfrau kocht den Brei und spricht: »Ach, könnt ich doch wissen, wo mein guter Mann ist. Ein Jahr lang hab ich nichts von ihm gehört.«
Der Gnom sitzt im Kamin und äfft ihr nach –
Aber Rosseherre sagte ja nicht »Gnom«, sie sagte Lutin und das klang ganz anders. Lutin, Lutin. Und die Stimme des Lutin sang sie ganz hoch und quiekend:
Der Lutin sitzt im Kamin und äfft ihr nach: »Ach, könnt ich doch wissen, wo mein guter Mann ist. Ein Jahr lang habe ich nichts gehört von ihm.«
Die Fischerfrau seufzt und spricht: »Ach, guter Mann, komm und hilf mir doch.«
Der Lutin äfft ihr nach: »Ach, guter Mann, komm und hilf mir doch.«
Die Fischerfrau spricht: »Ach, guter Mann, der Lutin sitzt im Kamin und äfft mir nach.«
Der Lutin äfft ihr nach: »Ach, guter Mann, der Lutin sitzt im Kamin und äfft mir nach.«
Die Fischerfrau spricht: »Lutin, Lutin, ich habe keine Furcht vor dir.«
Der Lutin äfft ihr nach: »Lutin, Lutin, ich habe keine Furcht vor dir.«
Die Fischerfrau spricht: »Ach, guter Mann, hilf mir doch, der Lutin hat mir einen schwarzen Stein in den Brei geworfen!«
Der Lutin äfft ihr nach: »Ach, guter Mann, hilf mir doch, der Lutin hat mir einen schwarzen Stein in den Brei geworfen!«
Schrill und spottend klang hier Rosseherres Stimme. Ich lachte.
»Ich möchte das kleine Lied bretonisch haben,« sagte ich, »willst du es mir aufschreiben?«
»Ja.«
»Komm herein.«
Rosseherre sah mich mit heiteren vielsagenden Augen an. Sie schüttelte das gelbe Haar. »Nein? Rosseherre, was du doch denkst!« Ich brachte ihr ein Stück Papier und sie beugte sich darüber und kritzelte: Rosse–herre.
»Aber das Lied?«
Rosseherre lachte. Sie konnte nicht schreiben.
Der Abend kam und Rosseherre pflöckte die Hammel ab.
Dann nahm sie den Strickstrumpf unter den Arm und lief. »Kenavo!«
»Kenavo!«
Die Bänder ihrer weißen Haube flatterten. Rasch und lieblich wie die Maus im Felde bist du, Rosseherre – – –