Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Sechstes Buch.

Enthaltend den zweiten Theil der Regierung Peters des Starrköpfigen, sammt den ritterlichen Thaten am Delaware.

Erstes Kapitel

Mit dem kriegerischen Portrait des großen Peters und mit Erzählung der wichtigen Dienste des Generals Van Poffenburg beim Fort Casimir.

Bis hierher, edler und liebenswürdiger Leser, habe ich dir die Verwaltung des ritterlichen Stuyvesant gezeigt, wie sie sich unter dem milden Mondschein des Friedens oder vielmehr unter der unheimlichen Ruhe ängstlicher Erwartungen gestaltete; nun aber dröhnt der Kriegsdromete Schall, und in der Ferne wirbeln Trommeln drein; der grelle Schlag feindseliger Waffen spricht furchtbare Prophezeihung künftigen Jammers. Der kühne Held erhebt sich von dem Pfühl, aus goldnen Träumen und wollüstiger Ruhe, wo, in der süßen «Sänger-Zeit» des Friedens, er Labung fand nach tausend Quälereien. Nicht in der Schönheit holdem Schooße ruhend, webt er jetzt Kränze um der Liebsten Stirn, nicht schmücken Blumen jetzt sein schimmernd Schwerd, nicht durch die schönen langen Sommertage, spinnt liebekrank er Madrigale aus. Gereift zur Mannheit wirft er weg die Flöte, reißt sich das Feierkleid vom nerv'gen Nacken, und schnallt die üpp'gen Glieder ein in Stahl. Auf dunklem Haar, wo jüngst die Myrthe bebte, und Rosen buhlerisch geduftet, steht ein Strahlenhelm und Federnbaldachin; er greift zum hellen Schild, zur schweren Lanze, besteigt mit stolzer Hast ein schnaubend Roß, und brennt vor Ungeduld nach Ritterthaten.

Aber sachte, theurer Leser, ich möchte dich nicht verleiden, zu glauben, daß irgend ein preux chevalier, so häßlich mit Eisen umgeben, in der Stadt Neu-Amsterdam existirte. Es ist nur so eine poetische Redensart, und die einfache Thatsache war die, daß es dem ritterlichen Stuyvesant plötzlich einfiel, sein verrostetes Schwerd zu putzen, und sich zum Kampfspiel seines Herzens, zum Kriege zu rüsten.

Ich sehe ihn vor mir, wie er auf dem Familienportrait abgebildet ist, von allen Schrecknissen eines ächten holländischen Generals umstarrt, seinen Uniformrock von Berliner Blau, mit großen messingenen Knöpfen, die vom Gürtel bis zum Kinn reichten, köstlich ausgestattet: die breiten Rockschöße an den Ecken umgewendet und hinten feierlich auseinanderstehend, um den Spiegel der kostbaren schwefelfarbenen Pluderhosen zu zeigen, ein Gebrauch, der noch jetzt in den Armeen herrscht und sich von den alten Helden herschreibt, die es verachteten, sich von hinten zu decken. Das Gesicht sah vermöge eines schwarzen Schnurbartes sehr schrecklich und kriegerisch aus; das Haupthaar strotzte auf beiden Seiten mit steifpomadisirten Ohrlocken und stieg in einem Rattenschwanz bis zum Gürtel hinab; eine glänzende Halsbinde von schwarzem Leder stützte das Kinn und ein kleiner aber trotziger dreieckiger Hut, ritterlich und unternehmend auf das linke Auge gedrückt, krönte den Helden. So, das silberbeschlagene Bein voranstellend, um seine Position fester zu machen, in der rechten Hand ein Rohr mit goldnem Knopf, die Linke auf dem Griff des Schwerdes, und dazu eine Grausamkeit verkündende Runzel auf der Stirn, stellte er eine der gebieterischsten, grimmigstblickenden und kriegerischsten Figuren dar, die je auf der Leinwand paradirten. Wir wollen nun die Ursache dieser drohenden Gebehrden untersuchen.

Die eindrängerischen Schritte der Schweden im Süden des Delaware sind in der Chronik Wilhelms des Eigensinnigen erwähnt worden. Sie dauerten mit jener heroischen Hartnäckigkeit fort, welche der Eckstein des wahren Muthes ist. Die Schweden waren Christen, welche die Bibel auf ihre Art auslegten, und wenn sie den Nachbar auf den einen Backen geschlagen hatten, ihm auch auf den andern einen Streich versetzten, ob er ihn nun hinhielt oder nicht.

Printz, ihr Gouverneur, war gestorben oder abberufen worden, und ihm folgte Jan Rising, ein riesenhafter Schwede, der, wenn er nicht krumme Beine und abgesetzte Glieder gehabt, zum Modell für einen Herkules hätte dienen können. Er war nicht weniger habsüchtig als mächtig und eben so listig als gierig, so daß nicht zu zweifeln war, wenn er vier bis fünfhundert Jahre früher gelebt hätte, wäre er einer von jenen gottlosen Riesen geworden, die ein grausames Vergnügen daran fanden, unglückliche Dämchen in die Tasche zu stecken, sie mit in der Welt herumzutragen und in verzauberte Schlösser einzusperren, ohne Toilette, Weißzeug und andre Lebensbedürfnisse. Wegen dieser Gewaltthaten fielen sie unter dem Rächerarm der Ritter, die alle solche Schurken über sechs Fuß Länge erschlugen, ohne Zweifel die Ursache, warum die großen Leute ausgingen und die Nachwelt immer kleinere Menschen zu sehen bekommt.

Kaum trat Gouverneur Rising in seine Stelle, als er auch das wichtige Fort Casimir ins Auge nahm und die edle Entschließung faßte, davon Besitz zu ergreifen. Um aber kein Blutvergießen zu verursachen, und einer langweiligen Belagerung zuvorzukommen, nahm er zu dem dienlicheren Mittel des Verraths seine Zuflucht.

Unter dem Vorwande, dem General von Poffenburg einen Besuch zu machen, segelte er mit großem Pomp den Delaware hinauf, entfaltete seine Flagge mit den gehörigen Ceremonien und beehrte das Fort mit einem königlichen Gruß, ehe er Anker warf. Das ungewohnte Donnern weckte den holländischen Veteran auf, der treu auf seinem Posten ein Schläfchen machte, und da ihm der Lunten ausgegangen war, das Compliment mit Feuer aus der Pfeife eines Nachbars, das er auf die rostige Muskete schüttete, erwiederte. Die Kanonen des Forts würden jenen Gruß auch sogleich erwiedert haben, wenn sie nicht außer Stand und die Vorräthe erschöpft gewesen wären, welches bei den Forts gewöhnlich der Fall ist und bei dem Bestand von zwei Jahren und den viel wichtigeren Beschäftigungen des Generals von Poffenburg ganz natürlich war.

Rising, sehr glücklich über die höfliche Antwort auf seinen Gruß, wiederholte ihn, denn er wußte wohl, daß diese Ceremonien dem Commandanten als eine Huldigung seiner Größe erschien. Er landete darauf mit Gepränge, von einem Gefolge von dreißig Mann begleitet, welches dazumal schon etwas Großes war.

Diese Zahl der Gäste hätte Verdacht erwecken müssen, wenn nicht General Poffenburg so von sich eingenommen gewesen wäre, daß er außer diesen Gedanken keinen andern aufkommen ließ und das Gefolge als ein großes Compliment für sich aufnahm – so stehen sich oft große Männer selbst im Licht und verfinstern die Gestalt ihres eignen Schatten.

Van Poffenburg war nun in einiger Verlegenheit, diese Artigkeit und Respectsbezeugung zu erwiedern. Die Hauptwache wurde ins Gewehr gerufen und Waffen und Kleidungsstücke (ein volles halbes Dutzend von letzteren) vertheilt. Ein langer dürrer Kerl kam in einem Rock für einen kleinen Mann daher, die Schöße reichten ihm kaum über den Gürtel herab, die Knöpfe davon standen ihm auf den Schultern und die Ermel gingen etwas über die Ellbogen, so daß die dürren Arme wie lange Spaten hervorschauten, und da der Rock zu knapp war, um zusammenzupassen, so wurde er mit Schnüren von rothen wollnen Strumpfbändern schließend gemacht. Ein andrer hatte einen alten dreieckigen Hut mit einem Busch von Hahnenfedern nach hinten auf dem Kopf sitzen; einem dritten hingen zerrissene Kamaschen um die Knöchel; ein vierter, kurz und entenbeinig, hatte ein Paar fürchterliche Hosen von dem Gouverneur an, die er mit der einen Hand hielt, während die andere das Gewehr faßte. Die übrigen waren in ähnlicher Verfassung, bis auf drei lästerliche Lumpenkerls, die keine Röcke und nur anderthalb Hosen hatten und daher nach dem schwarzen Loch detaschirt wurden, um sie den Blicken zu entziehen.

Als seine Soldaten auf diese Weise ritterlich in Reihe und Glied standen und die, welche keine Flinten hatten, mit Spaten und Hacken schulterten, und Jedem anbefohlen ward, die Hemdzipfel [zu] verbergen und die Stiefel in die Höhe zu ziehen, so that General Van Poffenburg, wie weiland More von Morehall, einen heftigen Zug schäumenden Biers, stellte sich an ihre Spitze, befahl die Zugbrücke hinüberzuschlagen, die aus tannenen Bohlen bestand, und trat aus seiner Veste hervor. Es begann zwischen den Anführern ein Complimentiren, welches aller Beschreibung spottet; sie ließen die gegenüberstehenden Truppen alle möglichen Manoeuvres durchmachen, schultern und präsentiren, wobei die Führer zum Kommen und zum Gehen salutirten – die Trommeln wurden gerührt, die Pfeifen quikten, die Fahnen wehten – sie schwenkten links, sie schwenkten rechts, sie schwenkten ganz um – sie marschirten mit Rotten rechts, mit Rotten links – in ganzen Compagnieen, halben Compagnieen, zwei Mann hoch und einzeln – im Geschwindschritt, im Paradeschritt, und in gar keinem Schritt. Nachdem alles erschöpft war, was in der Tactik gelehrt wird, und was noch nie gelehrt worden war, kam's endlich zwischen den Commandeurs und ihren Truppen zu einem «Auf der Stelle ruht!»wobei sich alles verschnaufte und völlig erschöpft war. Noch nie führten zwei mannhafte Landsturms-Anführer oder zwei flunkernde Theaterhelden ihre entenbeinigen, schwerfüßigen Myrmidonen so energisch und zu ihrer eignen Zufriedenheit wie hier.

Nach Beendigung dieser Complimente begleitete General Van Poffenburg seinen erlauchten Gast mit großen Ceremonieen in das Fort und zu allen Werken, zeigte ihm die Hornwerke, Kronwerke, Halbmonde und verschiedne andre Außenwerke, oder vielmehr die Stellen, wo sie stehen sollten, wenn es ihm gefallen hätte, und erklärte ihm, daß es eine Festung ersten Ranges – im Embryo sey. Dann wurde Generalrevue über die Garnison gehalten, welche mit dem schönen Schauspiel schloß, daß die drei unglücklichen Lumpenkerls aus dem schwarzen Loch geholt wurden und sich zum Beweis der strengen Disciplin mußten überlegen lassen.

Der pfiffige Rising stellte sich im höchsten Grade verwundert über die Ordnung und Mannszucht, machte aber im Stillen seine Bemerkungen, blinkte seinen Gefährten zu und diese stießen einer den andern an und lachten nach Herzenslust – in den Ermel.

Nachdem die Inspection, Revue und Execution vorüber waren, ging es an ein Bankettiren, wo sich der General Van Poffenburg erst recht als ein Held zeigte, denn er ließ hier mehr Todte auf dem Feld, als sonst in seinem ganzen Leben. Es existiren noch mehrere Bülletins von solchen unblutigen Affairen, wo er sich auszeichnete und wo die Zahl der Ochsen, Schweine, Hämmel, Kohlköpfe, Kartoffeln, Bierfässer, Pfeifen, Zuckerhüte, verschlungenen Messer und Gabeln &c. allen Glauben übersteigt und seit den Tagen Pantagruels nicht erhört worden ist, so daß in kurzer Zeit Poffenburg mit seiner Armee in einem feindlichen Lande es zum Hungertod unter den Einwohnern gebracht hätte.

Ich wünschte, meine Leser könnten den wackern Poffenburg sehen, wie er, gleich dem großen Weintrinker Alexander, von Kriegern umgeben, schmaus'te und dabei erzählte von Heldenthaten und gräßlichen Dingen. Brachte er aber etwas vor, was nur im mindesten einem Witz ähnlich sah, so schlug Rising mit seiner nervigen Faust auf den Tisch, daß die Gläser tanzten, warf sich in seinem Stuhl zurück und schwur aufs fürchterlichste und unter riesenhaftem Gelächter, daß es der beste Witz sey, den er in seinem Leben gehört habe. Es war ein unsäglicher Lärm im Hause, und General Van Poffenburg sprach der Flasche so lustig zu, daß er in weniger als vier Stunden mit seiner ganzen Garnison, die nicht hinter ihm zurückblieb, schwer getroffen hinsank und vom süßen Lallen in tiefen Schlaf verfiel.

Kaum trat diese Krisis ein, als der listige Rising und seine Schweden, die sich wohlweislich nüchtern gehalten hatten, sich über ihre Wirthe hermachten, sie knebelten, und von dem Fort im Namen der Königin Christina förmlich Besitz nahmen. – Sie ließen alle holländische Soldaten, die sich vom Rausch erholen konnten, den Eid der Treue schwören; Rising ordnete das Festungswesen, setzte seinen vertrauten Freund Suen Scuts, einen langen, mumienartigen schwedischen Wassertrinker zum Commandanten und rückte dann mit der holländischen Garnison als seinen Gefangenen aus; ihr Commandant glich, als er sich die Augen auswischte, nicht wenig einem zappelnden Fisch oder ungnädigen Meeresungeheuer, das auf dem trocknen Land nach Wasser schnappt.

Die Garnison wurde darum wegtransportirt, damit Stuyvesant nicht von der Ueberrumpelung Nachricht erhalte, denn der schlaue Rising fürchtete sehr die Rache dieses ritterlichen Anführers, dessen Name die Nachbarschaft nicht weniger in Schrecken setzte, als der unbezwingliche Scanderbeg seine räudigen Feinde, die Türken.


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