Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

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Fünftes Kapitel.

Wilhelm der Eigensinnige als Gesetzgeber, wie er sein Volk sehr aufgeklärt und unglücklich macht.

Charondas, der Gesetzgeber der Lokrer, befahl zur Erhaltung der alten Gesetze, wer ein neues Gesetz in Vorschlag bringe, solle es mit einem Strick um den Hals thun, damit man ihn, wenn es verworfen werde, sogleich daran aufhängen und hiermit allem Disput ein Ende machen könne.

So kam es, daß die Lokrer recht glücklich lebten und in der Geschichte kaum genannt werden, welches ihnen sehr zur Ehre gereicht, da nur die miserabeln Nationen in der Welt Aufsehen machen.

Wie glücklich wäre Wilhelm der Eigensinnige gewesen, hätte er sich bei seiner universellen Bildung diese weise Einrichtung gemerkt. Im Gegentheil aber war es sein Grundsatz, je mehr Gesetze, desto glücklicher der Staat; er wußte sich nichts besseres, als die Menschen mit Fußangeln und Selbstschüssen zu schrecken, und so kam es oft, daß die Unschuldigen in Fallen liefen, die Anderen gestellt waren. Gerichtshöfe und Advocaten die Fülle, Entscheidungen nach Gunst und Reichthum, das waren die Ergebnisse seiner umsichtsvollen Gesetzgebung.

Um diese Zeit schritt denn auch die Criminalrechtspflege weiter und es wurden ein für allemal Todesstrafen festgesetzt. Ein trefflicher Galgen ward an der Küste errichtet, und nicht weit davon ein anderer, höherer, der den des Haman gewiß beschämte. Die Strafe, welche hier vollzogen wurde, war eine scharfsinnige Erfindung unseres Kieft.

Der Verbrecher wurde nämlich nicht am Hals, sondern an dem sogenannten Schmachtriemen, an der Hüfte, aufgehangen und mußte eine Stunde lang, zur großen Erbauung aller Anwesenden, in der Luft rudern. Man glaubt nicht, wie herzlich der kleine Gouverneur lachte, wenn er herumlaufendes Gesindel und kecke Bettler beim H— gefaßt hatte und sie auf dieser Flugmaschine hin und her fliegen und komische Luftsprünge machen sah. Es kamen ihm dabei tausend Witze und schnakische Einfälle. Er nannte sie seine Schooßpudelchen, seine wilden Vögel, seine Hochfliegenden – seine Spann-Adler – seine Habichte – seine Vogelscheuchen und endlich seine Galgenvögel, welche Benennung dann allen nicht bloß mit solcher höheren Aussicht, sondern auch den mit höheren Einsichten begabten Leuten, die im Staate etwas werden, auf ewige Zeiten zu Gute kam. Diese Strafe soll zugleich ein Riemen-Exercitium abgegeben haben, wobei unsere Vorfahren ihre vielen Hosen gehörig anziehen lernten.

Dieses waren die wichtigen Verbesserungen, welche Kieft in der Criminal-Gesetzgebung vornahm. Sein Civil-Codex war jedoch nicht minder Gegenstand der Bewunderung, und leider erlauben die Gränzen dieses Werkes hierüber keine Ausführlichkeit. Besonders sorgte er für Leute, die das Gesetz auslegten und verwickelten, und für Rabulisten, welche der Republik bei den Ohren, sprichwörtlich zu reden, den Großvater zeigten. Diese und ähnliche Verbesserungen des vielseitigen Genies trugen zum Erwachen des Volksgeistes bei, und da der Volkshaufe in einer Stadt das ist, was die Seele in dem Körper, so gab es mancherlei unheilbringende Bewegungen, die sehr schlimm auf Neu-Amsterdam zurückwirkten, so daß in der Confusion viele gewundene, winkliche und infame Gassen und Alleen zum Vorschein kamen, welche die Hauptstadt verunzieren.

Aber das Schlimmste bei der Sache war, daß der Pöbel, den man seitdem das souveraine Volk nennt, gleich Bileams Esel, anfing, erleuchteter zu werden als sein Reiter, und ein wundersames Verlangen trug, sich selbst zu regieren. Dieß war die Folge von Kiefts griechischen Ideen über Volkserziehung, und es ging ihm immer so, wenn er einmal einen guten Gedanken gefaßt hatte, so stellte er sich sicher schief in der Ausführung. Hatte nun Kieft das Volk durch betriebsame Männer genugsam über das Staatswohl aufgeklärt, und es gefiel ihnen das Ding, so kamen sie oft zusammen, tranken tüchtig, benebelten sich im Tabacksdampf, wurden beim Anhören der Orakel erstaunlich weise und, wie überall, wo der Pöbel aufgeklärt wird, erstaunlich unzufrieden.

Da wurden denn jene Volksversammlungen geboren, die bis auf den heutigen Tag so wichtig geblieben sind. Da machten sich alle Müßiggänger und «geringe Standespersonen» auf, die um den Leib der Gesellschaft wie Lumpen hängen und von jedem Wind der Meinungen hinweggeblasen werden können. Schuhflicker verließen ihre Werkstätten und beeilten sich, Unterricht in der Staatswirthschaft zu ertheilen; Hufschmiede gingen von der Arbeit weg und ließen ihre Feuer ausgehen, um mit den Blasbälgen ihrer Lungen das Feuer der Factionen anzublasen; selbst Schneider, die Abschnitzel und Fleckchen der Menschheit, vergaßen ihr Maaß, um der Regierung das Maaß zu nehmen. Es fehlte nichts mehr, als ein halbes Dutzend Zeitungen und unerschrockene Redacteure, um die Erleuchtung zu vollenden und die ganze Provinz in Aufruhr zu setzen.

Diese Volksversammlungen fanden in einem beliebten Wirthshause statt. Solche Oerter sind die wahren Findelhäuser guter Gedanken und Gesinnungen, denn hier fehlt es nicht an jenen Lebensströmen, welche den Partheien Kraft und Muth geben müssen. Es wird uns überliefert, daß die alten Deutschen sich im Trunk über wichtige Sachen berathen, und erst wenn sie nüchtern gewesen, entschieden hätten. Der schlaue Pöbel von Amerika liebt nicht diese zweierlei Vernunft, er entschließt sich und handelt sogleich im Trunke, wobei eine Unsumme von ärgerlichen Betrachtungen hinwegfällt – und da ein Mann, wenn er betrunken ist, doppelt sieht, so ist damit bewiesen, daß er zweimal besser sieht, als sein nüchterner Nachbar.


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