Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Worin das goldne Alter der Regierung Wouter's Van Twiller beschrieben wird.
Von dem berühmten Wouter Van Twiller und seinen einzigen Tugenden, seiner unaussprechlichen Weisheit und dem Erstaunen des Volkes darüber.
Traurig ist das Amt des Historikers, wenn er als ein Fremdling im Lande seiner Väter wandert, mit keinem weinenden Weibe, mit keinen hülfsbedürftigen Kindern gesegnet ist – armer Knickerbocker, ungekannt gehst du durch die Straßen und mußt dir von den fremden Eindrängern, die dich im Getümmel der Handelswelt umringen, manchen Rippenstoß gefallen lassen, ohne zu murren, – unglücklicher Dietrich, der du mit Hochmuth von der Schwelle gestoßen wirst, wo deine Vorfahren einst so glücklich den Scepter schwangen!
Doch der Historiker soll über den Menschen die Oberhand behalten, und die süßen Erinnerungen der Patriarchenzeit sollen mich auch nicht weich machen – aber ach, nie kehren sie zurück – nie werden wieder die holden Tage der Einfalt und Behaglichkeit über der lieblichen Manna-Insel ruhen!
Wouter (oder Walter) Van Twiller stammte von einer langen Reihe von holländischen Burgermeistern ab, die nach einander ihr Leben im sanften Dusel verschwelgt und auf der Rathsbank in Rotterdam fett geworden waren. Sie betrugen sich so eigenthümlich weise, daß man von ihnen nie etwas hörte, welches der Ehrgeiz aller weisen Magistratspersonen und Herrscher seyn sollte.
Sein Zuname Twiller soll aus dem Wort Twyster oder Zweifler entstanden seyn, eine Benennung, die sehr bezeichnend ist. Denn obgleich er so verschlossen war wie eine AusterNach einer Note des in der Einleitung erwähnten Schulmeisters that Kaimes den Ausspruch: daß die Menschen durch Unthätigkeit in Austern ausarten. , und so nachdenkend, daß er selten anders als in einsilbigen Tönen sprach, so that er doch über zweifelhafte Punkte gar seinen Verstand nicht auf. Dieses kam nach der Erklärung seiner Anhänger von der Größe seiner Ideen, die es nicht erlaubten, sie in dem Hirnkasten umzuwenden und von zwei Seiten zu betrachten, woher es denn kam, daß er immer in Zweifel lebte.
Es gibt zwei entgegengesetzte Wege, wodurch man sich berühmt machen kann, der eine, daß man sehr viel spricht und wenig denkt, und der andre, daß man sich den Mund verstopft und gar nichts denkt. In dem letzteren Fall befindet sich die Eule, einer der dümmsten Vögel der Erde, der aber von der gescheuten Welt der Weisheitsvogel genannt wird. Dies ist eine ganz zufällige Bemerkung, welche ich nicht um alles in der Welt auf den Gouverneur van Twiller bezogen haben will. Im Gegentheil, er war ein sehr weiser Niederländer, denn er sagte nie etwas Dummes, und war so ernsthaft, daß man ihn in seinem langen glücklichen Leben nie lachen, auch nicht einmal lächeln sah. Doch wurde nie eine Sache in Vorschlag gebracht, worüber die gewöhnlichen, mit kurzem Gedärm behafteten Sterblichen auf den ersten Blick entscheiden, wo der berühmte Wouter nicht mit einem bedeutend geheimnißvollen Blick den fähigen Kopf geschüttelt, fünf Minuten mit doppelter Ernsthaftigkeit geraucht und dann sehr weise bemerkt hätte, «daß er Zweifel über die Sache habe.»
Die Gestalt dieses berühmten Mannes war so regelmäßig geformt, wie ein niederländischer Bildhauer sich nur ein Bild der Größe und Majestät entwerfen kann. Er war genau fünf Fuß sechs Zoll hoch und sechs Fuß fünf Zoll breit. Sein Kopf war völlig rund und so ungeheuer dick, daß die gütige Mutter Natur, trotz aller Erfindungsgabe, nicht im Stande war, einen Hals für ihn zu finden; sie machte sich daher die Sache leicht und setzte ihn grade auf die Schultern. Sein Leib war ein längliches Viereck, und nach dem Boden zu besonders umfänglich, welches die Vorsehung wohlweislich so einrichtete, da sie merkte, daß er ein Mann von stiller Gemüthsart und der vergeblichen Arbeit des Gehens abhold war. Die Beine, wiewohl äußerst kurz, waren sehr kräftig für das schwere Gewicht, so daß er, wenn er sich aufrichtete, einem wohlconditionirten Bierkübel mit zweien Stollen nicht wenig ähnlich sah. Sein Gesicht, der untrügliche Spiegel seines Geistes, bot eine weite Fläche dar, ganz ohne jene Furchen und Winkel, welche die menschlichen Züge unter dem schönen Namen «Ausdruck» entstellen. Ein kleines graues Augenpaar blinkte schwach in der Mitte, wie zwei Sterne letzter Größe an einem nebligen Nachthimmel, und seine fetten Backen, die von Allem, was in den Mund einging, Zoll genommen zu haben schienen, waren wunderlich dunkelroth gefleckt und gestreift, ungefähr wie ein recht kernhafter brauner Mad-Apfel.
Seine Lebensart war so regelmäßig wie seine Figur. Viermal des Tags aß er, jedesmal eine Stunde; das Rauchen und Zweifeln kostete ihm acht Stunden, und die übrigen zwölf Stunden schlief er. So war Wouter Van Twiller beschaffen; als ein wahrer Philosoph hatte er sich nie um die Sorgen und Verkehrtheiten der Welt bekümmert. Er hatte Jahre lang gelebt, ohne darauf neugierig zu werden, ob die Sonne sich um die Erde, oder die Erde um die Sonne drehe; er hatte fast ein halbes Jahrhundert lang dem Rauch seiner Pfeife zugesehen, wie er sich nach der Decke kräuselte, ohne auf den Gedanken zu kommen, warum denn dieser Rauch sich über und nicht unter die ihn umgebende Luft erhob.
Im Rathe präsidirte er mit großer Salbung und Feierlichkeit. Er saß in einem schönen großen Sessel von Eichenholz aus dem berühmten Haag, die Armlehnen und Füße mit riesenhaften Adlersklauen. Als Scepter schwang er eine große türkische Pfeife mit Jasmin und Bernstein verziert, die dem Statthalter von Holland beim Abschluß eines Tractats mit einer der kleinen Mächte der Berberei überreicht worden war. – Da saß er denn in seinem stattlichen Stuhl, rauchte die prächtige Pfeife, bewegte sein rechtes Knie und richtete die Augen oft stundenlang auf einen kleinen Kupferstich von Amsterdam, der in einem schwarzen Rahmen ihm gegenüber an der Rathswand hing. Ja, wenn es eine Berathung von besonderer Länge und Schwierigkeit war, soll er die Augen ganz zugedrückt haben, oft auf zwei Stunden, um sich nicht durch Außendinge zerstreuen zu lassen. Dann gab sich die innere Bewegung seines Geistes durch gewisse regelmäßige Gurgeltöne kund, welche seine Bewunderer lediglich für das Getöse des Kampfes seiner Gedanken und Zweifel erklärten.
Van Twiller war nicht allein der erste, sondern auch der beste Gouverneur dieser Provinz – nie wurde unter ihm ein Verbrecher bestraft, welches gewiß ein Zeichen milder Regierung ist.
Bei dem Beginn seiner Laufbahn zeichnete sich dieses treffliche Oberhaupt durch ein Exempel von einer scharfsinnigen Entscheidung aus, welches sehr merkwürdig und von großen Folgen war. Er war nämlich am Morgen nach seiner Besitzergreifung gerade beim Frühstück und hatte eine merkwürdig große irdene Schüssel mit Milch und indianischem Pudding vor sich, als einer Namens Wandle Schoonhoven zu ihm kam und sich bitter über einen Namens Barent Bleecker beklagte, der sich böswilligerweise geweigert, Gegenrechnung zu stellen, nachdem er die des Wandle größer als die seinige befunden. Der Gouverneur Van Twiller war, wie ich bereits bemerkt habe, ein Mann von wenig Worten und gleichfalls ein tödtlicher Feind von vielen Schreibereien – eben so auch von der Unterbrechung im Frühstück. Er hörte den Kläger aufmerksam an, grunzte ein wenig, so wie er einen Löffel mit Pudding in den Mund steckte – entweder aus Behagen an der Mahlzeit, oder um anzudeuten, daß er die Erzählung verstanden habe; dann rief er den Gerichtsdiener, zog aus seiner Hosentasche ein großes Sackmesser, um es dem Beklagten als Vorladung zu präsentiren, und seine Tabacksbüchse dazu, als Auftrag der Vollziehung.
Diese sumarische Procedur war in jener einfältigen Zeit so wirksam, wie der Siegelring des großen Harun al Raschid unter den Gläubigen. Beide Partheien brachten ihre Bücher, und sie waren gewiß so schwer zu entziffern wie ein egyptischer Obelisk. Aber der weise Wouter nahm eins nach dem andern, wog sie in der Hand, zählte wohlbedacht die Blätter und fiel sogleich in einen großen Zweifel, indem er eine halbe Stunde rauchte, ohne ein Wort zu sprechen; endlich legte er den Finger an die Nase, schloß ein wenig die Augen, mit der Miene eines, der eben einen schlauen Gedanken beim Schopfe erwischt, zog langsam die Pfeife aus dem Mund, puffte eine Wolke Taback aus, und erkannte nun mit wunderbarer Gravität zu Recht – «nachdem sich die Blätter der Bücher gleich befunden und das Gewicht nicht minder, so hat der Gerichtshof endlich entschieden, daß die Rechnungen sich gegen einander aufheben – weßhalb beide Partheien einander zu quittiren, und der Gerichtsdiener die Kosten zu bezahlen hat.»
Diese sogleich bekannte Entscheidung verbreitete einen unendlichen Jubel durch Neu-Amsterdam, denn das Volk merkte hieran wohl, daß es einen weisen und gerechten Magistrat habe. Die glücklichste Folge aber war die, daß während seiner ganzen Verwaltung kein Proceß mehr entstand und die Gerichtsdiener-Stelle ganz in Verfall gerieth. Noch eine Merkwürdigkeit ist hierbei zu erwähnen, die nämlich, daß dieser Fall der einzige in dem Leben des berühmten Wouter war, wo es bei ihm zu einer Entscheidung kam.