Washington Irving
Humoristische Geschichte von New-York
Washington Irving

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Worin die wahre Art, Handel zu treiben, vorkommt – auch das wundersame Verschwinden einer großen Hauptstadt im Nebel – und die Biographie gewisser Helden von Communipaw.

Nachdem ich der kindlichen Pflicht der Dankbarkeit genügt, welche New-York seiner Mutter-Colonie Communipaw schuldig ist, und getreu beschrieben, wie es jetzt aussieht, kehre ich mit Beruhigung zu seiner früheren Geschichte zurück. Die Mannschaft der Goede Vrouw war bald durch frische Einfuhr von Holland verstärkt und die Niederlassung gedieh zusehens. Die benachbarten Indianer gewöhnten sich bald an die wunderlichen Töne der holländischen Sprache und ein lebhafter Verkehr trat ein. Die Indianer waren langem Sprechen, die Holländer langem Schweigen ergeben; in dieser Hinsicht paßten sie ganz zu einander. Die Häuptlinge hielten große Reden über den dicken Ochsen, den Wabasch und den großen Geist, wobei die andern sehr aufmerksam zuhörten, ihre Pfeifen rauchten und Yah Mynheer grunzten – worüber die armen Wilden sehr entzückt waren. Sie unterrichteten die Ansiedler in der besten Art den Taback zu gewinnen und zu rauchen, und diese lehrten sie auf gut holländisch trinken – wie nicht minder die Kunst, Handel zu treiben.

Bald entspann sich ein lebhafter Tausch mit Pelzwerken; die niederländischen Handelsleute waren sehr gewissenhaft; sie handelten nach dem Gewicht und setzten ein für allemal fest, daß die Hand eines Holländers für ein Pfund, sein Fuß für zwei Pfund gelten sollten. Die schlichten Indianer waren oft erstaunt über das große Mißverhältniß zwischen der Masse und dem Gewicht; legten sie einen noch so großen Pack Pelze in die eine Wagschale, und der Holländer legte seine Hand oder seinen Fuß in die andere, so fuhr immer der Pelz in die Höhe, und niemals wog auf dem Markt von Communipaw ein Pack Pelz mehr als zwei Pfund.

Dieses ist sehr seltsam, aber ich habe es von meinem Urgroßvater, der sich zu großer Bedeutung in der Colonie emporschwang, denn er erhielt das Amt als Wagmeister, wegen der ungewöhnlichen Schwere seines Fußes.

Nun gewannen die holländischen Besitzungen in der neuen Welt ein recht gutes Ansehen und man nannte sie die Neuen-Niederlande, obwohl die Gegenden rauh und bergig, die des Mutterlandes aber eben und sumpfig waren. Um diese Zeit wurde die Ruhe der holländischen Colonisten etwas erschüttert. Im Jahr 1614 besuchte der englische Capitain Sir Samuel Argal von Virginien aus die holländischen Niederlassungen und nahm von ihnen im Namen der Krone England Besitz, welchem sich die Colonisten, da sie keinen Widerstand leisten konnten, für den Augenblick als bescheidene und vernünftige Leute unterwarfen.

Der ritterliche Argal scheint die Niederlassung von Communipaw gar nicht belästigt zu haben; im Gegentheil erzählt man, als sein Schiff zuerst erschien, habe die würdigen Bürger ein solcher panischer Schrecken ergriffen, daß sie mit erstaunenswerther Heftigkeit ihre Pfeifen geraucht, und in Kurzem eine Wolke gebildet, die in Verbindung mit den umgebenden Waldungen und Sümpfen, ihr geliebtes Dorf ganz verschleierte, so daß der fürchterliche Eroberer nicht merkte, daß in dem Schlamm, unter den pestilenzialischen Dünsten, eine saubere kleine holländische Colonie heimlich verborgen lag. Zum Andenken an diese rettende Verschleierung setzten die Bewohner das Rauchen unaufhörlich fort, bis auf diesen Tag, und dieß soll denn auch die Ursache des mächtigen Nebels seyn, der oft über Communipaw an ganz heiteren Nachmittagen hängt.

Unsere hochherzigen Vorfahren brauchten sechs volle Monate, um wieder zu Athem zu kommen; dann beriefen sie einen Heilsausschuß, um über den Zustand der Provinz zu rauchen. Nach sechs Monaten reiflicher Ueberlegung, wo ungefähr fünfhundert Worte und unendlich viel mehr Taback zum Besten gegeben wurde, beschloß man eine Entdeckungsfahrt mit Canots zu machen, ob irgend ein sicherer Ort zu einer Colonie zu finden wäre.

Vier Männer erhielten den Oberbefehl, es waren die Mynheers Oloffe van Kortlandt, Abraham Hardenbroek, Jacobus Van Zandt und Winant Ten-Broek. Sie waren zwar früher in Holland gänzlich unbekannte Leute, aber es ging ihnen hierin nur wie den Propheten, und da die Sitte des Alterthums, daß obscure Helden sich bescheiden von Göttern ableiten, nicht mehr gilt, so wäre ich warlich mit meinen Heerführern in Verlegenheit, gäben nicht ihre Namen einige Anleitung zu ihrer Biographie.

Van Kortlandt war einer jener peripatetischen Philosophen, welche die Vorsehung für ihren Unterhalt besteuern und ein freies unbelastetes Besitzthum in der Sonne haben, wie Diogenes. Seine Kleidung war, seinen Vermögensumständen gemäß, stark mit Franzen eingefaßt, sein Helm war das Fragment eines Hutes in der Gestalt eines Zuckerhutes, und er trieb die Verachtung gegen die Mode so weit, daß man behauptet, er habe die Rudera seines Hemdes, das wie ein Schnupftuch hinten aus den zerrissenen Beinkleidern heraussah, nie waschen lassen, außer durch den milden Regen des Himmels. So sah man ihn oft sich mit einer Heerde von Philosophen am Mittage am großen Canal in Amsterdam sonnen. Wie der Adel in Europa nannte er sich Kortlandt (frei übersetzt: Herr von Habenichts) von den Landgütern, die im Monde lagen.

Bei dem Namen des zweiten Helden müssen wir doch wieder die Mythologie etwas zu Hülfe nehmen. Er hieß Van Zandt oder frei übersetzt vom Koth. Er war wie Triptolemus, Themis, die Cyklopen und die Titanen, ein Sohn der Erde. Diese heidnische Vermuthung erhält ihre Bestätigung in seiner athletischen Gestalt, denn er war ein langer, dürrer Kerl, gegen sechs Fuß hoch, mit einem erstaunlich harten Kopf. Er theilt mit unsern angesehensten, reichsten Leuten den gesegneten Ursprung – vom Mist.

Von dem dritten Helden ist nur eine schwache Andeutung auf die Nachwelt gekommen, wornach er ein hartnäckiges, eigensinniges, dickes, lärmendes, kleines Kerlchen war und gewöhnlich bocklederne Hosen trug; man hieß ihn vertraulich Harden-Broeck oder Zäh-Hosen.

Zehn-Hosen machte die Zahl der Abenteurer voll. Der Name «Ten-Broeck» konnte auf die Vermuthung leiten, als ob er die Sitte eingeführt, zehn Paar Hosen anzuziehen. Aber eine bessere Conjectur ist, daß Ten ein verdorbenes Tin oder Thin, dünn, ist, woher man schließt, daß er ein armer Teufel gewesen, der grade nicht die besten Beinkleider gehabt, und den man auch für den Verfasser jener wahrhaft philosophischen Stanze hält:

«So laßt und denn, Brüder, um Schätze nicht losen,
Hinweg mit dem Filistertand;
Ein fröhlicher Sinn und ein dünnes Paar Hosen
Geh'n frisch über Meer und Land!»

Diese übernatürliche Gabe war in seinem Dorfe eben so hoch geschätzt, wie bei den erleuchtetsten Nationen des Alterthums. Aehnlich dem klugen Ulysses, war er allemal besser mit dem Schlafen, als mit dem Wachen berathen, woher er denn auch den Namen Oloffe der Träumer erhielt.

Nach geschehener Auswahl der Mannschaft, sowie nach dringender Ermahnung an alle, ihr Haus zu bestellen, rüstete Oloff sich mit seinen Gefährten zur Reise.


 << zurück weiter >>