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Heinrich Windholz saß auf einem gefällten Eichenstamm und spielte Ziehharmonika. Sein Blick war versunken in die einfache Schönheit der Umgebung, unbeschwert trieb er mit heiterem Ernst auf der Bahn seines Gefühls dahin.
Im Verlauf des Spiels wandelte sich sein Inneres, er erholte sich, und wenn seine Musik auch ohne Wirkung auf andere Hörer blieb, er selbst war wieder ausgeglichen, als er die Ziehharmonika in das Futteral zurücklegte. Die Nähe seines Hundes empfand er auch in solcher Stunde als angenehm.
Dort drüben, an der Reihe junger Erlen, die sich zu dem kleinen See hinzog, der eine ehemalige Lehmgrube war, schnürte schnürte = ging ein Fuchs. Wohl waren es dreihundert Meter, die zwischen dem Musikanten und dem Rotrock lagen, und doch wunderte sich Heinrich über die Ungeniertheit, mit der Reineke die ihm sicherlich ungewohnten Klänge ertrug. Er äugte nur einmal kurz herüber, dann hielt er weiter seinen Paß, ohne in eine, schnellere Gangart zu verfallen. Plötzlich war er verschwunden, ein Graben oder eine Senke hatte ihn aufgenommen.
Später liefen Herr und Hund an dem grasüberwachsenen Geleise entlang, auf dem früher die Loren gerollt waren, die den Lehm von der Grube zur Ziegelei gebracht hatten. Der Damm, auf dem die verrosteten Schienen liefen, war auf beiden Seiten von starken, alten Akazien und Birken flankiert, er selbst stand voller Gras und Blumen. Heckenrosen und Brombeeren bildeten zwischen den Stämmen Dickichte, in denen Rotkehlchen, Grasmücken und der Dorndreher zu Hause waren.
Das Ganze kennzeichnete der besondere Zauber solcher Orte, die einstmals menschlichen Einrichtungen gedient hatten, die aber allmählich von der Natur zurückgenommen und wieder ganz von ihrer Harmonie erfüllt sind.
Dort, wo ein Waldweg die Schienen kreuzte, begegnete Windholz einem jungen Menschen. Seine Kleidung war verwahrlost, und in seinem Gesicht, dessen Kinn und Wangen von Bartstoppeln bedeckt waren, lag der Ausdruck stumpfer Gedankenlosigkeit.
Pfeffer war im Augenblick nicht sichtbar, er schien zum Dorf vorausgelaufen zu sein, denn dort hatte er einen seiner liebsten Feinde, mit dem er sich jedesmal herumbiß, sowie sich eine Möglichkeit dazu bot.
Der junge Bursche schloß sich Heinrich ohne weiteres an, und als hätte er den Musikanten erst gestern das letzte Mal gesehen, forderte er ohne Übergang etwas zu rauchen.
Windholz, der seine Zigaretten lose in der linken Brusttasche trug, holte sie heraus, gab dem Menschen eine und steckte die anderen zurück. Er hatte aber zufällig einen Zwanzigmarkschein mit aus der Tasche gezogen und ihn nun in der rechten Tasche geborgen. Sein Begleiter, der einen Augenblick stehengeblieben war, um die Zigarette anzuzünden, lief redend neben Windholz her. Der konnte Aufdringlichkeiten gegenüber sehr abweisend sein, und so beschränkten sich seine Antworten auf ein Brummen, im Höchstfalle auf ja oder nein.
Alles an diesem Burschen war unharmonisch: die breiten, wuchtigen Schultern und der schlappe Gang, das unausgebildete, fast kindliche Gesicht und die tiefe Männerstimme – vor allem aber paßte sein Gepäck nicht zu einem Tippelbruder. Er trug weder Rucksack, Seitentasche noch Bündel, es fehlte sogar der derbe Stock, den solche Leute zu tragen pflegen. Ein kleines, mit hellem Papier sauber verpacktes und mit kräftiger Schnur versehenes Päckchen baumelte als einzige Habe in der rechten Hand des jungen Mannes.
Wenn er nicht von seiner Wanderschaft erzählt hätte, Heinrich würde geglaubt haben, er ginge von einem Dorf zum andern, um ein Geschenk zu überbringen.
Mit der Zeit mußte der Wanderbursche, oder was er sonst sein mochte, erkennen, daß er in dem Begleiter einen mehr als wortkargen Menschen gefunden hatte, und so ließ, zur Freude Heinrichs, der Strom der Worte nach, um bald ganz zu versiegen. Als der Tippelbruder jetzt auch etwas zurückblieb und nicht mehr neben, sondern schräg hinter Windholz ging, sagte der sich: Jetzt bist du ihn bald los. Um dem anderen das Zurückbleiben zu erleichtern, ging Heinrich schneller. Doch entgegen seiner Erwartung hielt der Fremde Schritt. Windholz kam gerade zu dem Entschluß, dem Menschen zu sagen, daß er ihn seiner Wege gehen lassen solle, als er mit dem Augenwinkel die schnelle Bewegung von etwas Hellem auffing. Er warf sich zur Seite, und hart an seiner Schulter vorbei sauste mit großer Kraft der sauber in Papier gewickelte Gegenstand zu Boden, wo er mit dumpfem Prall aufschlug.
Ohne untersuchen zu müssen, begriff Windholz, daß ein Stein in dem Geschenkpaket verborgen war, um als heimtückische Waffe gebraucht zu werden, wenn es lohnend erschien.
»Der Zwanzigmarkschein, den der Kerl gesehen hat –«, fuhr es Heinrich noch durch den Kopf, dann warf er sich herum und erreichte den Totschläger mit einem Sprung. Er ergriff ihn an den Rockaufschlägen, ließ sich selbst auf den Rücken fallen und zog den Burschen über sich. Die gekreuzten Hände Windholz' zogen dem Menschen den Kragen im Würgegriff zu, zugleich umschlang er mit den Beinen den Leib des anderen. Eisern preßten die durch unermüdliches Wandern trainierten Schenkel Windholz' die Hüften seines Feindes in der Nierengegend, die Füße verschränkten sich, und so entstand eine Zangenwirkung, die dem Gefesselten einen Schrei entlockt hätte, wenn ihn der drosselnde Kragengriff nicht daran gehindert hätte. So konnte er nur röcheln und, wenn auch vergeblich, versuchen, sich zu befreien. Als er blau wurde und seine Gegenwehr nachließ, gab ihn Windholz frei.
Wieder einmal war er froh, sich vor Jahren etwas Jiu-Jitsu angeeignet zu haben.
Als der sehr mitgenommene Mensch, dessen verbrecherischer Überfall ihm so schlecht bekommen war, im Walde verschwand, machte sich Heinrich Vorwürfe, daß er ihn nicht der Polizei übergab. Doch ob die ihn bessern würde?
Vielleicht half die schmerzhafte Abfuhr, die er sich geholt hatte, mehr zur Umkehr des Burschen als eine lange, verbitternde Freiheitsstrafe.
Nachdem Windholz seine Kleidung in Ordnung gebracht hatte, setzte er seinen Weg fort, wobei er sich wunderte, wo denn sein Pfeffer geblieben wäre. Doch da kam er gerade um die Biegung des Schienenweges.
Wedelnd näherte er sich seinem Herrn, aber wie sah er aus!
Voller Staub und in Unordnung war sein Fell, auf dem einen Hinterlauf lahmte er und eines seiner Ohren blutete. Windholz mußte lachen, als ihm klar wurde, daß sein Hund nur deshalb während der Gefahr nicht an seiner Seite gewesen war, weil er, genau wie sein Herr, einen Kampf mit seinesgleichen zu bestehen hatte.
Wer, wie Windholz, alle Tage den Zufälligkeiten der Landstraße ausgesetzt ist, wem jeder Tag allerlei Probleme bringt, der braucht, selbst wenn er das Wandern liebt, Atempausen.
Nach dem Überfall folgte Heinrich einer Regung der Wandermüdigkeit und bog rechts vom Wege ab, um der Einladung des Oberförsters Folge zu leisten, der ihn ja gebeten hatte, auf ein paar Tage sein Gast zu sein.
Gegen Abend waren Heinrich und Pfeffer in Buchenhain. Man nahm sie gut auf, und auch Duro machte keine Umstände, sondern kam dem Schnauzer wedelnd entgegen.
Nach dem Abendessen saßen der Oberförster und seine Frau mit ihrem Gast bei einem Glas Glühwein. Es war auch noch ein junger Förster dabei, der, nach dem Urteil seines Vorgesetzten, ein Meister im Fang von Raubwild war. In der Unterhaltung stach er nicht hervor, doch zeichnete ihn das Talent eines guten Zuhörers aus.
Der junge Forstmensch hielt neben einem kurzhaarigen Vorstehhund mehrere Scotchterrier, die er zur Nachsuche und zur Arbeit an Fuchs und Dachs brauchte und mit deren Leistungen er sehr zufrieden war. Einen der kleinen rauhbautzigen Kerle hatte er mitgebracht. Es war anfänglich nicht ganz einfach gewesen, den gedrungenen, schwarzgrau gestromten kleinen Kerl daran zu hindern, sich auf Duro und Pfeffer zu stürzen, doch war er klug genug, bald einzusehen, daß er sich der Hausordnung fügen müsse, wenn er den Abend nicht auf dem Korridor verbringen wollte.
Jetzt lag er auf dem Schoß seines Herrn, und seine dunklen Augen folgten den Bewegungen der beiden großen Hunde. Wehe, wenn einer zufällig in die Nähe seines Herrn kam, dann knurrte der Schotte tief und drohend auf, und das Weiße seiner Augen wurde sichtbar, denn »Jonny« war ein Stänker.
So anregend das Gespräch zwischen Menschen war, die das gleiche Interessengebiet hatten, so nahmen die beiden jüngeren Männer doch auf das Alter des Gastgebers Rücksicht und baten nach einiger Zeit darum, ihr Lager aufsuchen zu dürfen. Der Förster schwang sich aufs Rad, nachdem er seinen Jonny im Rucksack verstaut hatte, und gondelte seiner einsam im Wald gelegenen Försterei zu, während sich Windholz vom Hausherrn in das ihm zugewiesene Stübchen führen ließ. Heinrich lag schon im Bett, Pfeffer auf einer bunten Flickendecke, als der Musiker einen sehr alten Jahrgang einer Jagdzeitung auf seinem Nachttisch bemerkte. Er blätterte etwas in den vergilbten Seiten, dabei rutschte ein dicker Brief heraus, der ihm durch seine verblaßte Schrift auffiel. Er trug das Datum 3. 2. 1901 und war, obwohl eng beschrieben, doch sehr umfangreich.
Solche alten, längst vergessenen Episteln reizen die Neugier dessen, dem sie zufällig in die Hand fallen, und so konnte auch Windholz nicht widerstehen, einen Blick auf den Anfang des Briefes zu werfen.
»Mein lieber alter Ferdinand!
Sergej Michailowitsch, unser Großfürst, ist verreist, und so haben wir von der Jägerei endlich etwas Ruhe.
Solche Ruhe haben wir uns redlich verdient, denn seit dem Herbst war kaum ein Tag, an dem nicht gehetzt wurde, so daß selbst ich, der glaubte, vom Jagen nie genug bekommen zu können, mir ein paar Tage der Muße sehr herbeisehnte. Nun, da dieser Wunsch in Erfüllung gegangen ist, schreibe ich Dir, meinem guten Bruder, den schon lange überfälligen Brief. Entschuldige, wenn er diesmal sehr lang wird.
Ich selbst bin gesund, und der Großfürst knausert nicht. Soviel von mir.
Was nun die Jagd mit dem Barsoi anbelangt, so will ich Dir heute genauesten, umfassenden Bericht zukommen lassen, weiß ich doch, wie sehr Du mir selbst im Interesse für alles Jagdwesen gleichst. Wir haben jetzt 120 Barsois, die Welpen nicht mitgerechnet. – – –«
Obwohl Windholz sich bewußt geworden war, daß er einen Brief las, der nicht für ihn bestimmt war, so unterbrach er seine Lektüre doch nur für ein paar Augenblicke. Die Schilderung der Hetzjagd mit den russischen Windhunden schien Windholz zu interessant, als daß er den Brief hätte beiseite legen wollen. Heinrich vertiefte sich also aufs neue in die Schilderung, die ihm einen Einblick in ihm unbekannte Formen der Jagd gab.
»Unsere Meuten sind nach Farben zusammengestellt. Schwarze und schwarz-weiße, rote und rot-weiße, graue und grau-weiße. Wir sind mit den Lehrlingen zwanzig Mann von der Jägerei. Popoff, ein rotbärtiger Riese, mit dem sich gut arbeiten läßt, ist der Rüdemeister, zwei der anderen und ich sind ihm unterstellte Zwingermeister.
Die ganze Zwingeranlage ist ein kleines Dorf für sich. Die Unterkünfte für die Hunde sind hell und geräumig, die Ausläufe entsprechend.
Popoff bewohnt ein Häuschen allein, wir drei Zwingermeister gemeinschaftlich ein größeres, und auch die anderen sind ihrem Range entsprechend untergebracht. Die Koppelführer haben jeder ihr Zimmer, die Jungens je zwei eines.
Popoff und meine beiden Kollegen sind verheiratet. Dadurch haben sie vor mir ledigem Kerl manches in der Lebenshaltung voraus. Sie werden zu Hause bekocht und betan, während ich alter Wolf in der Gemeinschaftsküche esse.
Soviel von den Menschen. Doch ich gehe sicherlich nicht fehl, wenn ich voraussetze, daß Dich die Hunde weit mehr interessieren.
Ich habe die roten und rot-weißen zu betreuen. Dies ist zahlenmäßig die stärkste Meute, und es sind auch die beiden stärksten Rüden unter diesen Hunden.
Iwan, der einfarbig rote Rüde, steht an Schönheit und Größe allen Hunden des Gutes voran. Ein wahrer Goliath. Doch leider ist er bei weitem nicht der schnellste, und die Schnelligkeit macht erst den Barsoi. Das Schnellste von allem, was bei uns auf vier Pfoten läuft, ist Sascha, eine graue Hündin. Sie ist für einen Barsoi nur mittelgroß, und wir haben Hunde, die auf der kurzen Strecke schneller sind als sie. Wenn aber das Rennen über mehrere Kilometer geht, dann ist dieser Hündin, was die Schnelligkeit anbelangt, kein anderer Hund, auch kein Hase und kein Wolf gewachsen.
Sie ist so schnell wie ein Whippet, und das will für einen russischen Windhund allerhand sagen, denn der sehr viel kleinere englische Whippet ist bekanntlich die schnellste aller Hunderassen. Da Sascha grau ist, habe ich sie nicht in meiner Meute – schade, doch unter den roten und rot-weißen sind auch ein paar Diamanten.
Gestern haben wir Hasen gehetzt. Es gab mehrere gute Rennen zu sehen. Eine schwarz-weiße Koppel zeigte die beste Arbeit.
Auch über sechzig Füchse sind in diesem Herbst und Winter durch die Hunde erbeutet worden, darunter der hellste Mehlfuchs, den ich bisher gesehen habe.
Kurz bevor der Großfürst abfuhr, hatten wir ein paar Wolfsjagden. Die letzte wird mir immer unvergeßlich bleiben.
Ich habe unter meinen Hunden einen tiefroten Rüden, um den in der letzten Zeit viel Aufregung war.
Der Hund ist im Mai vor einem Jahr gewölft worden, und noch bevor er ein halbes Jahr alt war, schwor ich auf ihn.
Dann wurde er sehr krank, und ich mußte mir große Mühe geben, ihn am Leben zu erhalten. Infolge der Krankheit entwickelte sich der Hund nur zögernd, so daß es, als er ein Dreiviertel jähr alt war, den Anschein hatte, als würde er niemals das Maß an Größe und Kraft erreichen, das ein Barsoi haben muß.
Der Großfürst, der den Hund einmal in meiner Begleitung sah, riet mir, ihn zu verschenken oder zu erschießen, denn er mag es nicht, daß schwächliche Hunde bei seiner Meute stehen.
Nun bat ich den Herrn meinerseits, mir den Rüden zum Geschenk zu machen, was er dann auch widerwillig unter der Bedingung tat, daß ich den Hund möglichst wenig in Erscheinung treten lassen solle. Ich hatte mit ›Casmir‹ mancherlei Anstände.
Die Kollegen glaubten, mich verspotten zu müssen, denn ihrer Meinung nach hätten andere Hunde meiner Aufzucht es weit eher verdient, bevorzugt zu werden. Ich ließ sie reden. Du weißt ja, lieber Ferdinand, ich war immer ein Hundenarr, aber auch immer sehr anspruchsvoll, was das Wesen und die Intelligenz der Hunde anbelangt, mit denen ich ständig umzugehen hatte. Casmir war in allem der Hund, den man sich als ständigen Begleiter wünscht: ruhig, klug und sehr anhänglich.
Nachdem er ein Jahr alt geworden war, entwickelte er sich dank meiner ganz besonderen Pflege doch noch zur vollen Kraft und Schönheit. Schon wurden die Hundefachleute um mich herum kleinlaut, denn sie hatten an diesen Erfolg nicht mehr geglaubt.
Da, eines Morgens, ich stand mit Casmir hinter den Zwingern auf einer Wiese, kam Popoff, unser Chef, auf mich zu.
›Na‹, sprach er mich an, ›Ihr Casmir hat sich ja leidlich rausgemacht, und gehören tut er ja Ihnen nun auch. Hat übrigens 'ne wundervolle Farbe, der Hund. Aber, wie die Engländer sagen: Ein guter Hund kann keine schlechte Farbe haben – – so möchte ich sagen, Ihr schlechter Hund kann keine wirklich gute Farbe haben.‹
Ich war recht ärgerlich und wollte wissen, wieso dieser Hund schlecht sein sollte. Mir schien der Rüdemeister getrübt in seinem Urteil. Die Menschen sind ja selten ganz aufrichtig. Doch ich mußte mich bald überzeugen, daß Popoff ehrlich von dem überzeugt war, was er mir nun auseinandersetzte.
›Sehen Sie denn nicht, daß dieser Hund niemals ein Klasserenner sein wird, weil er die Maße nicht mitbringt, welche die Voraussetzung dafür sind?‹
Damit griff Popoff, der, nebenbei gesagt, ein besserer Kenner der Rasse ist als der Großfürst selber, in die Tasche, holte einen kleinen, silbernen Zollstock heraus, und meinen Casmir, der auch willig Gehorsam leistete, heranrufend, nahm er die Maße des Hundes.
Es gibt, was die Höhen- und Längenverhältnisse eines Barsois betrifft, feststehende Regeln, unumstößliche Gesetze, die, tausendfach erprobt, zur Norm geworden sind.
Danach müssen Länge und Höhe eines Hundes ein ganz bestimmtes Verhältnis haben, die Winkelung der Vorder- und Hinterhand ist ebenfalls festgelegt, und je näher ein Hund der aufgestellten Norm kommt, desto wahrscheinlicher sind seine Siegesaussichten im Rennen.
Popoff bewies mir, daß die Maße Casmirs in keiner Weise dem vom Russischen Windhundklub aufgestellten Standard entsprachen.
›Dieser Hund kann gar nicht konkurrieren. Der holt weder Hase noch Wolf, nicht mal einen Fuchs holt er ein!‹
So sprach Popoff. Ich war doch ziemlich niedergeschmettert. Sollte wirklich gerade dieser Hund, der so gute Eigenschaften hatte und mir so ans Herz gewachsen war, in der Hauptleistung der Barsois versagen?
Dabei, wenn man ihn so ansah, war der Hund harmonisch, besonders die starke Muskulatur fiel auf. Das sagte ich, wenn auch recht eingeschüchtert, dem Rüdemeister.
Er gab mir recht, doch an der Gesetzmäßigkeit einer solchen lebendigen Laufmaschine, meinte der Fachmann, ist nicht zu rütteln.
›Wenn der Hund aber harmonisch in seinen Verhältnissen erscheint, dann ist er vielleicht nach einer anderen Gesetzmäßigkeit als der üblichen gewachsen‹, entgegnete ich.
Da lachte Popoff sein dröhnendes Lachen, daß sein roter Bart auf der mächtigen Brust tanzte. Er schlug mir mit seiner Bärenpranke auf die Schulter und sagte: ›Recht so, man soll das, was man liebt, verteidigen. Er ist ja auch kein übler Hund, im Herbst ist er anderthalb Jahre alt, dann werden wir sehen.‹ Noch immer in seiner lauten, aber gutmütigen Art lachend, verließ er mich, denn er mußte zu einer tiefschwarzen Hündin, die am Tage vorher geworfen hatte.
Ich rief meinen Casmir und ging mit ihm in die Steppe.«
*
Windholz bemerkte, daß sein Stearinlicht dem Ende nahe war. Es war zwar spät genug, um einzuschlafen, doch er wollte nun wissen, wie sich Casmir entwickelt hatte. So ging er an seinen Rucksack und entnahm ihm ein neues Licht. Pfeffer sah verwundert auf, denn es war sonst nicht die Art seines Herrn, so lange bei Kerzenschein wachzuliegen. Der Schnauzer konnte ja nicht wissen, daß sein Herr die Geschichte eines Hundes verfolgte.
Bevor er wieder zu dem langen Brief des deutschen Jägers in Rußland griff, stopfte sich Heinrich seine Pfeife, entzündete sie bedachtsam an der Kerze und vertiefte sich von neuem in den Brief des Zwingermeisters auf dem Besitz des russischen Großfürsten.
»Der noch so junge Hund umsprang mich in munteren Sprüngen. Ich spornte ihn auch dazu an, denn die Worte Popoffs gingen mir unablässig im Kopf herum und beunruhigten mich sehr. Zwar hatte ich Casmir schon mehrfach laufen sehen, und dabei war mir jedesmal die mühelose Art aufgefallen, mit der sich dieser Hund bewegte. Doch ich hatte ihn immer nur kurze Strecken laufen lassen, denn ich wollte ihn, der erst im letzten Vierteljahr zu Kräften gekommen war, schonen.
Nun ist ein Barsoi, der nicht ganz offenbare Fehler im Bau, an den Läufen oder Pfoten zeigt, gemessen an anderen Rassen immer schnell. Ob er wirklich hohen oder gar höchsten Anforderungen genügt, zeigt er erst beim Wettbewerb mit seinesgleichen, und auch dann nur, wenn mehrere oder wenigstens zwei Barsois über etliche Kilometer laufen. Heute war es mir nun darum zu tun, einen Hasen herauszustoßen, um zu sehen, wie sich mein Casmir zeigen würde. Eine Viertelstunde etwa war ich über die Steppe gegangen, als Lampe herausrutschte.
Casmir, der gerade in anderer Richtung gelaufen war, sah den Hasen nicht sogleich. Als er seiner dann ansichtig wurde, stutzte er. Natürlich war Löffelmann nun schon ein großes Stück vorauf. Casmir, von mir angefeuert, machte eine Reihe langer Sätze, stoppte, äugte zu mir zurück und lief erst dann wieder hinter dem Hasen her, als ich ihn, etwas ärgerlich im Ton, dazu aufforderte.
Du siehst wohl schon aus dem Geschilderten, was das für eine Hasenhetze gewesen sein kann.
Casmir kam dann auch bald unverrichteterdinge zurück. Er umwedelte mich täppisch-verlegen, da er den Grund zu meinem Ärger offenbar nicht begriff.
Ich kann wohl sagen, ich war sehr enttäuscht. Was das Laufen anbelangt, hatte der Hund nicht annähernd das aus sich herausgeholt, was in ihm war. Doch der gänzliche Mangel an wirklicher Passion, das war es, was meiner Vorliebe für Casmir einen argen Stoß versetzte. Wenn ein Barsoi einen laufenden Hasen zu Gesicht bekommt, dann muß der Teufel in ihn fahren. Er muß lossausen, daß er wie ein Strich über die Erde fegt.
Von alledem nichts bei meinem Casmir. Ob er rennen konnte, das blieb nach wie vor unklar, das hatte er nicht gezeigt. Die Passion aber, die ja der Motor für den Hetzhund ist, besaß er ganz offenbar nicht.
Ich ging nach Hause, verrichtete mein Tagewerk, arbeitete mit den Hunden, Jagden wurden abgehalten, aber ich konnte die Enttäuschung über meinen Casmir nicht verwinden.
Doch änderte dies alles nichts an den Gewohnheiten, die sich zwischen mir und dem Hunde herausgebildet hatten. Er blieb nach wie vor mein treuer Begleiter, und seine jugendliche Lebhaftigkeit war aufs glücklichste verbunden mit gehaltenem Wesen und Würde.
Den anderen Barsois gegenüber war er liebenswürdig und verträglich. Ich hatte mich schon halb und halb damit abgefunden, in ihm nur den vierbeinigen Freund und Begleiter zu sehen, als ich eine kleine Überraschung mit ihm erlebte.
Popoff bevorzugte einen reinschwarzen Barsoi. Der war selbst für einen Hund dieser Rasse groß. Alle Merkmale eines hochedlen russischen Windhundes vereinigte er und war auch tatsächlich ein vorzüglicher Renner und sehr passioniert. Seine Qualitäten zeigte er nicht nur bei der Hatz auf Hase und Fuchs, sondern auch am Wolf. Doch bei all diesen Vorzügen hatte er einen Fehler, insofern er ein schlimmer Raufer war.
Eines Morgens begegnete ich Popoff, in dessen Begleitung sich dieser Rüde befand. Wie immer, lief mir Casmir voraus. Wir bogen gerade um ein Gebüsch, als sich die Hunde plötzlich gegenüberstanden.
Casmir lief arglos auf den Schwarzen zu, der ihn steif in seiner düsteren Schönheit erwartete. Dann, ohne jeden Übergang, stürzte er sich auf den jungen Hund.
Feuerrot der eine, lackschwarz der andere, bildeten sie im Handumdrehen einen kontrastreichen Wirbel, nur hatte »Black« zu offensichtlich die Oberhand, als daß ich mich über das eindrucksvolle Bild der kämpfenden Windhunde hätte freuen können.
Popoff sah eine Beißerei ganz gern, er meinte, ein guter Hund müsse hin und wieder raufen. Ich selbst denke ähnlich, doch hier schien mir der Kampf zu ungleich, und so wollte ich dazwischengehen. Auch Popoff machte Miene, die Hunde zu trennen, denn sein Black schien gerade endgültig die Oberhand zu gewinnen, und bei dem Alligatorenrachen eines Barsois kann das leicht tödliche Folgen für den Unterlegenen haben. Ich selbst war so daran gewöhnt, meinen Casmir in dieser oder jener Weise abfallen zu sehen, daß ich auch hier nichts anderes erwarten konnte, als für ihn eintreten zu müssen.
In diesem Augenblick größter Gefahr entfaltete sich mein Roter plötzlich in überraschender Weise. Als wenn mit einem Male ein Funke gezündet hätte und dieser noch junge, sanfte und ruhige Hund in einen Teufel verwandelt worden wäre – so schien es uns, die wir zusahen.
Mit einer Kraft, die ich nur seiner für einen Hund dieser Rasse merkwürdig stark ausgebildeten Muskulatur zuschreiben kann, gelang es Casmir, sich zu befreien. In wenigen Sekunden war das Kampfbild völlig verändert. Ein bestialischer Ingrimm und eine Schnelligkeit sondersgleichen zeigte Casmir, und ehe einer bis zehn hätte zählen können, mußten wir den Schwarzen, den Matador in vielen Raufereien, retten, denn Casmir hatte den Griff an der Kehle gefunden. Die tobenden, riesigen Hunde, ich den roten, Popoff den schwarzen, an ihren Halsbändern haltend, konnten wir beide nur staunen. Ich muß ja sagen, ich freute mich. Welcher Hundefreund ist nicht stolz, wenn sein Hund einem anderen überlegen ist?
Popoff war im ersten Augenblick etwas gekränkt, aber dann zollte er dem noch so jungen Casmir seine Anerkennung, denn Black war noch von keinem Hunde besiegt worden.
Nach diesem Erlebnis sah ich meinen Hund mit anderen Augen an, da wir ja alle dazu neigen, aus dem einen Vorzug auch das Vorhandensein anderer herzuleiten, die noch durch nichts bewiesen sind.
Casmir war von diesem Tage an wohl etwas selbstbewußter, doch sonst derselbe ruhige, freundliche Kerl geblieben, der er vorher gewesen war. Er zeigte Hunden gegenüber ebensowenig Rauflust wie früher und blieb liebenswürdig-zurückhaltend.
So vergingen ein paar Monate, und der Herbst kam heran. Alles bei uns bereitete sich auf die große Zeit der Hetzjagden vor. Man stellte die Koppeln zusammen. Es wurden immer zwei Hunde an einem Riemen geführt. Sie schliefen und fraßen zusammen, sie wurden miteinander abgerichtet, und sie sollten gemeinsam jagen.
Auch Casmir hatte ich einen sehr vielversprechenden rot-weißen Rüden zugesellt. Dieser Hund hieß ›Pascholl‹, war sehr schön und im übrigen ein Halbbruder Casmirs. Die beiden vertrugen sich glänzend, und doch mußte ich die Koppel trennen, denn Casmir zeigte sich als völlig unbrauchbar, sobald er gemeinsam mit einem anderen Hund lernen und arbeiten sollte.
Wieder einmal hatte mich der Hund enttäuscht, dem ich meine Zuneigung geschenkt hatte, ohne recht sagen zu können, warum ich immer noch glaubte, eines Tages besondere Leistungen gerade von Casmir erwarten zu dürfen.
Doch ich vergaß zu sagen, daß Casmir in der Zwischenzeit noch einmal überrascht hatte.
Der Zufall fügte es, daß mein Hund mit einer gleichfalls roten Hündin, die älter als er und anerkannt schnell war, um die Wette lief.
Ich hatte die Hündin und Casmir mit hinausgenommen, die Hündin stieß einen Hasen heraus und hatte, wie man so sagte, den jungen Hund mitgenommen. Wie der Sturmwind jagte die Hündin hinter Lampe her. Ich selbst, immer wieder leidenschaftlich erregt bei solcher Jagd, war mit meinen Augen ganz bei der Hündin und ihrem Wild, als mir plötzlich bewußt wurde, daß Casmir dicht hinter der Hündin lief.
Wie war das möglich?
Der Hund hatte ja die Maße nicht, und die Hündin gehörte zu den schnellster Hunden der ganzen Zucht.
Mein Erstaunen wuchs, als ich beide Hunde dicht hinter dem Hasen sah, nachdem die Jagd in weitem Bogen wieder auf mich zukam.
Dann schlug der Hase den ersten Haken, die Hunde schossen weit über ihr Ziel hinaus, holten ihn wieder ein, Löffelmann schlug wieder einen Haken, doch dann, beim dritten Male, faßte ihn die Hündin. Dem Hasen blieb kaum Zeit zur Klage, so schnell würgte ihn die routinierte Jägerin. Doch mein Casmir, der mich so freudig überrascht hatte, war am Schluß lau. Es war, als wenn ihn das Erbeuten des Wildes nur halb anging. Er machte nur einen schwachen Versuch, sich zu beteiligen, doch als ihm die Hündin zuvorkam, ließ er es geschehen. Mit gemischten Gefühlen ging ich nach Hause. Jetzt plötzlich zeigte sich, daß Casmir schnell und ausdauernd war, aber die Jagdpassion mangelte ihm nach wie vor.
Immerhin gab ich Popoff Bericht. Er wollte mir nicht glauben, doch wurde er bei nächster Gelegenheit selbst Zeuge von der Schnelligkeit Casmirs, und mit der Bemerkung, daß nun alle Regeln auf den Kopf gestellt seien, gab er sich geschlagen. Es war also doch so, wie ich schon einmal vermutet hatte, Casmir war so etwas wie eine ›Mutation‹, das heißt ein Versuch zu einem neuen Entwurf der Natur. So als wenn die Natur probieren wollte, ob sie das, was sie bisher immer auf jenem Wege erreicht hatte, nämlich den leistungsfähigen Hetzhund höchster Qualität, nicht auch einmal auf einem anderen erreichen könne.
Solche von der Natur zögernd eingeschlagenen Wege verlieren sich in den meisten Fällen bald wieder im Nichts. Doch manchmal erweist sich der neue Typ als der geeignetere und verdrängt mit der Zeit den bisherigen.
Jedenfalls konnte Casmir besser laufen als die meisten anderen Barsois.
Bei den Jagden nun war der rote, immer schöner gewordene Hund mein ständiger Begleiter. Er begann selbst verwöhnten Jagdgästen aufzufallen, und ich kann ohne Übertreibung sagen, er gehört heute zu den drei schönsten Hunden des ganzen Gutes. Und doch leistete er bei den Hetzen wenig.
Als nun der Winter gekommen war, begannen die Jagden auf den Wolf. Wenn mein Hund schon bei Hase und Fuchs ein Versager war, so kannst Du Dir denken, wie wenig ich von ihm bei der Wolfshetze erwartete. Die Tatsachen gaben mir recht, wenn auch in anderer Weise, als ich dachte. Ich koppelte Casmir mit einem auf der Wolfshetze sehr erprobten Rüden, und entgegen aller Voraussicht fuhr mein Hund wie ein Ungewitter los, kaum daß er des Wolfes ansichtig geworden war. Sein rot-weißer Partner konnte nur mit Mühe hinter ihm bleiben. Beide Hunde holten rasch auf, und schon dachten wir, sie würden den Wolf gemeinsam erreichen, als ich durch mein Glas sah, wie Casmir ein wenig in seiner Schnelligkeit nachließ und, als er dadurch mit dem anderen Rüden Schulter an Schulter lief, plötzlich nach seinem Partner schnappte. Der biß zurück, und im nächsten Augenblick war die schönste Beißerei zwischen den Hunden im Gange, die den Wolf hätten fangen sollen. Überflüssig zu sagen, daß Isegrim entkam.
Ein paar Tage später wiederholte sich derselbe Vorgang, so daß ich Casmir mit einem anderen Rüden koppelte. Auch hier dasselbe Resultat. Nun riet mir Popoff, es mit einer Hündin zu versuchen. Eine sehr starke rot-weiße wurde ausgesucht, und was niemand für möglich gehalten hätte, Casmir griff, kurz bevor sie beide den Wolf eingeholt haften, die Hündin genau so an, wie er es bei den Rüden getan hatte.
Diese Hatz sah der Großfürst mit an. Er rief mich zu sich und sagte nach ein paar einleitenden Worten: ›Ihr Hund ist entweder ein Mistvieh oder ein Solofänger.‹
Nun, lieber Ferdinand, muß ich Dir kurz erklären, was ein Solofänger ist.
Der Wolf wird mit zwei oder drei Koppeln, die man sich ablösen läßt und die an verschiedenen Stellen eingesetzt werden, gehetzt. Das zuletzt laufende Paar fängt den Wolf, überwältigt ihn und deckt ihn, was heißen will, es hält ihn, ohne ihn abzuwürgen, nieder, bis ein von einem sehr guten Traber gezogener, leichter Schlitten heran ist. Von diesem springen zwei Jäger ab, eilen zu der Gruppe der den Wolf am Boden haltenden Barsois, fesseln den Wolf in ein starkes Netz und bringen ihn so als lebende Beute nach Hause.
Ein Solofänger ist nun eine von den ganz seltenen Erscheinungen unter russischen Windhunden, die imstande ist, das, was sonst zwei Barsois leisten, allein zu vollbringen.
Ein Solofänger!
Mein Herz schlug höher. Sollte Casmir einer von denen sein, die den Ruhm unserer Zucht befestigen?
Du kannst Dir wohl meine innere Erregung vorstellen. Casmir noch einmal in der Koppel laufen zu lassen, war zwecklos. Ich mußte ihn allein an den Wolf bringen, selbst auf die Gefahr hin, daß ich meinen Hund verlieren würde. Immer noch unschlüssig, ließ ich die nächsten Tage verstreichen. Doch dann wurde ich zum Großfürsten gerufen, der mir ankündigte, daß ich mich mit meinem Hund für den nächsten Tag bereit zu halten hätte, er selbst wollte mit Popoff auf dem Schlitten mit dem Netz parat sein, während ich Casmir führen sollte. Nun war es entschieden, und ich bereitete mich vor. Der nächste Morgen sah uns auf der weiten, weißen Fläche.
Ein paar junge, noch unfertige Rüden der grau-weißen Meute, geführt von einem der Jäger, begleiteten uns. Sie sollten den Wolf erst etwas beschäftigen, das heißt ermüden, damit Casmir nicht völlig außer Atem war, wenn er den Wolf eingeholt hatte und angriff.
Nach einiger Zeit wurde ein Wolf gesichtet. Die Grauweißen gingen los, ein herrliches Paar. Sie liefen sehr ausgeglichen, blieben dicht beieinander, und doch holten sie nur langsam auf. Es war offenbar ein starker, voll ausgewachsener Wolf, den sie hetzten. Es zeigte sich, daß der Wolf den jungen Hunden überlegen war, denn nach einer Viertelstunde fielen die Hunde ab. Die Jagd hatte sich meinem Standort genähert, und im richtigen Moment schnallte ich Casmir.
Los schoß der herrliche rote Hund über den Schnee. Wer das nicht gesehen hat, wenn ein starker, edler Barsoi sein Wild jagt, dem fehlt noch etwas.
Casmir holte auf. Ständig rückte er an den Wolf heran, und ohne sich um sie zu kümmern, ging er an den abgekämpften Genossen in voller Fahrt vorbei.
Zäh und eisern rannte der Wolf, doch waren seine Kräfte nicht mehr frisch. Immer näher rückte sein Verfolger, und dann, nach einer letzten, verzweifelten Anstrengung des Wolfes, holte ihn der Hund ein. Jetzt war der entsprechende Moment da, nun hieß es für Casmir: siegen oder untergehen.
Einen rot und grauen, kämpfenden, sich wälzenden Knäuel zeigte mir mein Glas. Eins war schon klar, Casmir wich nicht zurück, wie mir der Großfürst, Popoff und alle anderen Jäger vorausgesagt hatten. Der Hund hatte endlich seine Aufgabe gefunden, und die würde er lösen oder auf dem Platze bleiben.
Als nach einer gewissen Zeit, mir schien sie eine Ewigkeit, der Schlitten bei Casmir und dem Wolf war, da hatte mein Barsoi den Grauen bezwungen. Gedeckt hatte er ihn nicht, dazu fehlte ihm noch die Routine, aber gewürgt hatte er den Feind. Als Solofänger den Wolf zu decken, ohne ihn abzuwürgen, das wird Casmir auch noch lernen.
Für diesmal waren alle, vom Großfürsten angefangen, begeistert. Ein Barsoi von eineinhalb Jahren, der allein einen vollentwickelten Wolf fängt und würgt, das ist schon eine Sache. Alle gratulierten mir und anerkannten meinen festen Glauben daran, daß sich dieser Hund schließlich zu besonderer Leistung durchsetzen würde.«
Mit der Versicherung treuer Zuneigung für den Bruder im fernen Deutschland schloß der Brief.
Windholz löschte das Licht, nachdem er das Schreiben wieder in das Buch zurückgelegt hatte. Im Einschlafen dachte er darüber nach, wie stark doch das Band zwischen Mann und Hund sein kann. Er freute sich, daß er selbst auch einen so braven Hund mit festem Kern hatte, wie dieser Casmir es war.