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29. Kapitel

Reif lag auf jedem Gras, als Heinrich Windholz und sein Hund sich wieder auf den Weg machten. Begleitet von den guten Wünschen des alten Onkels und dem barschen Abschied der Schwester Regine, hatten sie das Haus verlassen.

Wie immer, wenn sie auf neue Fahrten und Abenteuer zogen, waren Herr und Hund in froher Laune. Schon lange hatte es Windholz nach einer ganz bestimmten Gegend gezogen, doch lag sie recht abseits, und so war er nie dorthin gekommen. Es handelte sich um eine Waldgegend, in der nur wenige kleine Dörfer lagen. Einzelne hatten nur sechs oder acht Häuser, und man erzählte Windholz, daß dort noch die Einfachheit aus Urgroßvaters Zeiten herrschte und die Einrichtungen der Häuser noch ganz unbeeinflußt von der Außenwelt geblieben wären. Der Weg war weit, und so kam der Musiker sehr bald in sein »Dauertempo«, wie er es nannte. Dieser etwas schwingende Schritt erschien wohl flott, aber nicht übermäßig schnell, und doch hatte noch nie jemand länger als eine Stunde mithalten können, wenn, was hin und wieder vorkam, Windholz Begleitung bekam.

Er selbst hielt diesen Schritt drei Stunden und länger aus, und für Pfeffer bedeutete er gar nichts, denn der Hund war unermüdlich wie ein trabender Wolf.

Um acht Uhr morgens hatten die beiden ihr Heim verlassen, und um elf Uhr machten sie die erste Pause. Es war ein später Altweibersommertag aus dem kalten Morgen geworden, und wenn auch überall schon das kahle Geäst durch das braunbunte Laub sah, so war es doch ein warmer stiller Tag, dem die Gewißheit der herannahenden Herbststürme einen besonderen Zauber gab.

Der Mann und der Schnauzer saßen oben auf einem Sandhang zwischen den bloßgelegten Wurzeln einer knorrigen Kiefer und frühstückten. Der zähe alte Baum stand noch in der Fülle seiner dunkelgrünen Nadeln, obwohl ihm der Boden in jedem Jahre mehr entschwand.

Die beiden hatten ihre Mahlzeit beendet, und Windholz stopfte sich die kurze Pfeife. Als die ersten Rauchschwaden zartblau zu den Ästen der Kiefer aufstiegen, sagte der Musikant zu dem Schnauzer: »Das sind deine Vorurteile, Pfeffer, mein Junge. Wir haben alles gemeinsam, wir beide, die Leiden und die Freuden. Aber an dieses eine Vergnügen willst du nicht ran«, und er blies dem Hund den Tabakrauch unter die Nase. Der nieste, rieb sich grunzend den Fang an seinen Läufen, dann legte er die Ohren an, wedelte mit dem Rutenstummel, und aus seiner Kehle drangen drollige Bell-, Jaul- und Knurrlaute des Protestes. Doch war es dem Hund anzumerken, daß er den Spaß seines Herrn wohl verstand.

Um ihm eine Freude zu machen, warf Windholz einen Kienapfel den Hang hinunter, und Pfeffer stürmte hinterher, so daß der Sand aufwirbelte. Dann kam er, Kapriolen machend, wieder zurück, umsprang Windholz, wobei er den Kienapfel, trotz des rutschenden Sandes, hochwarf, auffing, fallen ließ, wieder aufnahm und endlich vor seinen Herrn hinlegte, sich selbst den Ausdruck größten Angespanntseins gebend. Auf diese Weise forderte er Windholz auf, das Spiel von neuem zu beginnen. Der tat ihm den Gefallen wieder und wieder, bis das Vergnügen durch einen alten Mann unterbrochen wurde, der unten den schmalen Fußweg entlang eine Karre voll geflochtener Weidenkörbe schob. Der Alte war so krumm, knorrig und zäh wie die Kiefer, unter der Windholz saß. Jetzt setzte er die Karre nieder, fuhr sich mit der braunen, verarbeiteten Hand über die Stirn, wobei er den verwitterten Hut zurückschob. Seine Haare waren nur graumeliert, obwohl er sicherlich die Siebzig erreicht hatte.

»Wat dust du denn da oben?« rief er mit einer rauhen, aber nicht unangenehmen Stimme zu Windholz hinauf.

»Ich kann nicht mehr laufen, und da warte ich auf einen mit einer Karre, der mich mitnimmt.«

»Ja, dat glöb ich. Der mit der Karre ist all da, aber mitnahm dut er bloß Grafens und Barone. Aberst, wie is dat, hest du noch ne kleene Piep voll Tabak da? Meine Piep hebb ick woll mit, aberst keen Krut nich, dat is alle, und Geld soll's erst wedder geben.«

Windholz nickte, kam den Hang herunter und hielt dem Alten den Tabaksbeutel hin. Der stopfte sich umständlich und sachkundig eine halblange Pfeife, deren schön gemaserter Kopf Windholz auffiel. Als er wissen wollte, woher der Alte die schöne Pfeife hätte, meinte der, aus Holland hätte er sie sich mitgebracht, als er noch Flößer war.

Zeichnung: Hans Hyan

So kamen die beiden Männer ins Erzählen. Der Alte hatte Länder und Menschen gesehen, und auf seine originelle Art wußte er davon zu berichten. Das Leinwandfutteral mit der Ziehharmonika, das oben an der Kiefer hing, hatte er auch bald erspäht und wollte gern mal hören, ob so 'n junger Kerl von heute was könne. Windholz ließ sich nicht lange bitten, kletterte wieder nach oben, half der Getreuen aus ihrem Mantel und fing an. Der Alte saß unten auf seinen Körben, rauchte und hörte zu. Er schien sehr ernst und aufmerksam.

Windholz hatte, angeregt durch das Alter und die knorrige Eigenart des Korbflechters, ein sehr altes, fast vergessenes Lied gewählt. Als er geendet hatte, schwieg sein Zuhörer noch eine kleine Weile, dann sagte er: »Du kannst es. Aber wo hest du gerade dat Lied her, mein Junge, dat is doch noch aus Urgroßmutters Nähkasten. Du bist mir am Ende so 'n Sammler von die ollen Dinger, wat?«

Als Windholz bejahte, meinte der Alte: »Denn kennst du ja ok gewiß dat annere Lied – –«

»Was für 'n anderes Lied, Vadder?«

»Na, dat, wat dazugehört, dat hier hat der Kierl gesungen, nu dat anner, dat, wat dat Mächen singt.«

Windholz' Ohren waren gespitzt. Hier fand er unverhofft etwas, wonach er jahrelang gesucht hatte; wenn der alte Mann es nur singen könnte.

Der kletterte jetzt den Sandhang hoch, nahm dem verblüfften Windholz die Ziehharmonika aus den Händen und sagte: »Dat wier ja doll, wenn 'n oller Schiffer keen Schifferklavier spielen kunn.« Und schon begann er. Erst ein altmodisches, aber sehr kunstvoll gesetztes Vorspiel, und dann das Lied. Es war dieselbe Melodie, nur der Refrain klang anders. Aber der Text, den der Alte sehr sicher, in tiefem Baß, dem das Alter wenig hatte anhaben können, vortrug, war genau die Antwort auf das Lied, das Windholz gesungen hatte. Gesang und Spiel klangen wunderlich herüber aus einer vergangenen Zeit, aber beides war sehr gekonnt, wenn auch etwas schwerfällig.

Windholz war zu einem jener Zwiegesänge gekommen, wie sie in der »guten alten Zeit« von den Burschen und Mädchen abends unter der Dorflinde oder im Winter in der Spinnstube gesungen wurden. Windholz' Onkel hatte dem Neffen das Lied beigebracht, das die jungen Männer sangen, und gesagt, es gäbe noch das Gegenstück dazu, doch wer weiß, welcher alte Mensch das noch könne. Nun sang, drolligerweise im tiefen Baß, der alte Korbflechter die launige, spöttische Antwort des umworbenen Mädchens. Er mußte sie noch zweimal singen, dann hatte Windholz sie im Ohr.

Während sie zusammen die zweite Pfeife rauchten, erzählte der Korbflechter aus seiner Jugend.

Von Krieg und Hungersnöten wußte er zu berichten. Gewohnheiten, die man nicht mehr kannte, holte er aus seiner Erinnerung herauf, und immer wieder klang, als der Grundton, die märkische Armut durch alle seine Erzählungen. So sprach er von dem Verdienst in seiner Jugend.

»Wir waren elf Kinder, un dat Essen waren Kartoffeln un dicke Milch. Dat trockene Brot war all knapp, wenn der Monat halb um war, und wir kleinen Dinger mußten arbeten, kaum dat wir krauchen konnten. Ick hatte mich all früh uff dat Körbeflechten utgericht, un als ick denn so fufzehn, sechzehn Joar war, da war uns Vadder und och uns Mudder dot. 'n Sticka dreie, viere von de ganz Kleinen waren och dot, mine beeden öllern Brieder warn bein Bauern, un ick un min öllste Schwester, wir mußten dat Kroppzeug über Wasser holl'n.

'n paar kunn'n ok schon zufassen, un Land war ja ok man bloß 'n bits.

Zwee Zicken un eene Käue, dat war alles, wat wir hadden. Mit den Borch hadden wir immer Pech, dat muß an 'n Stall gelegen hebben. 'n paar Hiner hadden wir och.

Ick war nu mit dat Körbeflechten utgefüllt. Wenn ick dann een ganzen Monat gerackst hadde, denn packt ick mir die Kumpkarre voll, so wie heute, un denn ging dat furs durch die olle Sandheede, denn Wege warn da nich, un dat war 'n höllschet Stück Arbet un jing von morjens bis abends, denn war ick in de Stadt.

Ja, un denn blieb ick bi een in de Scheune, der nahm mir dat Korbzeugs ab, und denn gab er mir mit Ach und Krach eenen Daler, det war denn der Lohn für eenen Monat Arbet.«

Sie sprachen noch lange. Dann wies der Alte Windholz den kürzesten Weg nach Kaza, dem nächstgelegenen Walddörfchen, und mit einem kargen Gruß faßte er die Griffe seiner Karre und schob krumm, aber zäh auf dem Waldweg davon.

Zeichnung: Hans Hyan

Am Nachmittag dieses Tages erreichten Herr und Hund das Walddörfchen. Die kleinen, strohgedeckten Häuser waren Lehmfachwerkbauten, und es standen nur neun Höfe am Ufer des Sees. An allen Häusern und Scheunen hingen Reusen oder Netze, und wirklich war es der See, der den wenigen Familien den größten Teil des Verdienstes gab. Er war die Erweiterung eines Nebenarmes eines bedeutenden Flusses und recht fischreich. Zwischen Seeufer und Wald lagen gute Wiesen, die das Winterheu für die Kühe und Ziegen gaben. Auf den kargen Äckern wuchsen nur Kartoffeln und Roggen, und wenn die sechsunddreißig Einwohner dieses Walddorfes noch so fleißig waren, Kaza blieb eine der ärmsten Gemeinden des Kreises.

Die beiden Wanderer fanden schnell die Schenke des Ortes und traten in die kühle, dunkle Gaststube. Es war, als wenn dies Haus von der vorwärtsstürmenden Zeit vergessen worden wäre. Alte, wurmstichige Bauernstühle und Tische, braun und blank von der Zeit, standen auf den knarrenden und ausgetretenen Dielen, die ungestrichen waren. In den Ecken und Ritzen lag etwas Sand, denn hier streute man noch alle Sonnabende frischen Sand auf den Fußboden.

Hinter dem Schanktisch saß eine sehr alte Frau in einem geflochtenen Ohrenstuhl. Die Katze mit dem schwarzrot gemischten Fell, die hinter ihr auf der Stuhllehne saß und schnurrte, erhob sich beim Eintritt Pfeffers, machte einen Buckel und sträubte ihre Haare. Doch der Schnauzer ignorierte sie, er war kein Katzenfeind.

»Sind alle bei de Kartoffeln, un ick kann nich aus 'n Stuhl, nimm dir man alleene 'n Glas Bier – –«, so antwortete die Neunzigjährige auf Heinrichs Gruß. Der bediente den Hahn ohne Umstände, und nachdem er den Schaum kunstgerecht abgestrichen hatte, setzte er sich auf die Bank an der Theke und unterhielt sich mit der Alten. Ihre Augen waren fast erblindet, das Gehör nur noch leidlich, der Kopf jedoch klar. Sie war schon über zehn Jahre an den Stuhl gefesselt, weil ihre Beine sie nicht mehr trugen. So strickte sie denn alle Tage und ließ ihre Gedanken rückwärts wandern.

Heinrich staunte über das Gedächtnis der Alten. Sie erinnerte sich an die Geschehnisse ihrer frühesten Kindheit und brachte alles in guten Zusammenhang. Die Jahre hatten sie gelehrt, was wirklich notwendig ist und was ebensogut auch anders sein konnte. Erstaunlich war nur, daß sie auch in solchen Verhältnissen Wert und Unwert zu erkennen wußte, die ihr ganz fern lagen.

Nachdem sie einige Fragen an Windholz gerichtet hatte, die eigentlich nur äußerliche Dinge berührten, erkannte sie, wer Windholz war, besser als er selbst. »Du bist immer auf der Suche nach dem Glück, mein Junge, aber was Besseres als das Suchen wirst du nie finden – –.«

Doch obwohl ihr aufs Nützliche gerichteter Bauernverstand einen Mann, den sie so beurteilte, als nutzlos betrachtete, war sie zu diesem Menschen freundlich, von dessen Art sie in ihrem langen Leben noch keinen gesehen hatte, denn sie fühlte den menschlichen Wert Heinrich Windholz' und begriff wohl auch, daß er einer von denen war, die den anderen helfen, die endlose Reihe grauer Tage mit einer hellen Stunde zu unterbrechen.

Als sich die alte Frau soweit über ihren Gast klar geworden war, verstummte sie. Doch Windholz blieb nicht lange auf sich selbst angewiesen, denn ein Mann in Jägerkleidung betrat die Schenke. Er war ein hagerer Mensch von über Mittelgröße. In seinem markanten Gesicht fielen die scharfen, blauen Augen auf. Der Jäger legte zwei Finger an den Hut, der ebenso staubig war wie sein übriger Anzug, nickte der Altmutter kurz, doch nicht unfreundlich zu und schenkte sich ohne viel Umstände ein Glas Bier ein.

Aus den Worten, die der Mann mit der Alten sprach, hörte Heinrich, daß er der Förster des hiesigen Reviers sei. Nachdem er wiederholt einen kurzen, prüfenden Blick auf den Wandermusiker geworfen hatte, beschloß Windholz, der das Mißtrauen der Förster allen Fremden gegenüber kannte, den früher oder später doch unvermeidlichen Fragen des Grünrocks zuvorzukommen: »Herr Förster, ich bin zu Hause Tischler und unterwegs Musikant. Irgendwelche Attentate auf Hoch- oder Niederwild habe ich nie begangen, geboren bin ich in Christophswalde am 3. Mai 1902.«

Der Förster blieb ernst, nur in seinen Augenwinkeln zuckte es, als er sagte: »Na, und Ihr Schnauzer da, interessiert sich der auch nicht für Wild, obwohl Sie ihn doch sicherlich nie anleinen?«

»Nein, Tiere lassen ihn kühl, ob es sich um Wild oder um Haustiere handelt. Nur Hunde können ihn aus der Ruhe bringen.«

Von diesem Augenblick an war es, als träte gleichsam aus dem Förster heraus ein anderer Mensch auf Windholz zu. Das Interesse für den Musikanten trat vollkommen hinter das für den Hund zurück. Der Mann von der grünen Farbe schätzte nichts so hoch wie einen guten Hund oder eine gute Hundegeschichte. Er selber hatte immer einige Gebrauchshunde und Teckel in Arbeit, und so wortkarg er im allgemeinen auch war, das Thema »Hund« löste ihm die Zunge. Der beste Jagdhund, den er jemals hatte, so berichtete er Windholz, verdankte einem eigenartigen Zufall sein Leben. Der Besitzer der Mutter dieses Hundes, ein Müller, war auch Jäger. Er hatte einen jungen Hund aus einem vorherigen Wurf aufgezogen. Es waren vierzehn Welpen in diesem Wurf gefallen, und da keine Aussicht bestand, die Junghunde loszuwerden, hatte der Müller dreizehn Welpen ertränkt. Da der Vaterhund dem Nachbarn gehörte, warf die Hündin nach einem Dreivierteljahr wieder, und abermals die ungewöhnlich hohe Zahl von vierzehn Welpen. Diesmal wurden alle vierzehn ertränkt. Doch am nächsten Tag hörte der rauhe Herr dieser fruchtbaren Hündin das unverkennbare Winseln eines jungen Hundes aus der mit viel Stroh versehenen Hütte.

Nach längerem Suchen fand er den bisher übersehenen fünfzehnten (!) Welpen dieses besonders hohen Wurfes. Den kleinen Rüden nun auch noch umzubringen, fand der Müller doch nicht das Herz, und so blieb das Brauntigerchen am Leben. Es entwickelte sich sehr gut, und als der Kleine ein halbes Jahr alt war, übernahm ihn der Förster. Er sollte es nie bereuen, denn der Hund wurde glänzend in seinen Leistungen.

Von manchem seiner Hunde berichtete der Jäger. Aber auch Windholz mußte viel von den Taten und Künsten seines Pfeffer erzählen. Nach und nach hatte sich die Gaststube gefüllt. Einer der älteren Bauern erzählte nun auch eine Hundegeschichte. Er war als kleiner Junge bei dieser Tragikomödie Augenzeuge gewesen.

In dem Dorf, in dem sich die Sache abgespielt hatte, lebte eine junge Frau, die in ihrem Aussehen stark von den übrigen Damen des Ortes abstach. Dunkle Haare und Augen und eine immer zur Heiterkeit aufgelegte Natur, das alles ließ deutlich die italienische Herkunft erkennen, die auch tatsächlich nachweisbar war. Obwohl der südländische Großvater schon seit Jahrzehnten auf dem Dorfkirchhof lag, galt sein Enkelkind immer noch als »Zugereiste«. Infolgedessen hatte sie schon in der Schule den Spitznamen »Zigeuner« erhalten und manche Kränkung erfahren. Jetzt war sie verheiratet, hatte zwei Kinder und einen tüchtigen Mann, und nur noch selten wagte es jemand, sie zu necken.

Nur eine mit ihr gleichaltrige junge Frau war es, die dafür sorgte, daß der Ekelname nicht völlig in Vergessenheit geriet. Sie konnte es nicht verwinden, daß ihr ehemaliger Bräutigam jetzt der Mann der »Zugereisten« war. Daran, daß sie selbst an diesem Wechsel der Dinge nicht ganz unschuldig war, erinnerte sie sich weniger deutlich.

Am gehässigsten zeigte sich das junge Weib, wenn sie die erfolgreiche und darum so verhaßte Rivalin auf dem Felde traf. Ihre Acker grenzten aneinander, und sowie die junge Frau auftauchte, begann von drüben ein wüstes Schimpfbombardement. Je mehr Menschen in Hörweite waren, je tiefer schöpfte die Blonde aus dem vollen.

Die Dunkle begegnete dem stets mit einem Achselzucken, wenn es auch in ihr kochte. Sie fühlte sich ihrer Feindin auf dem Gebiete des Schimpfens nicht gewachsen, auch hatte sie mit Genugtuung bemerkt, daß das absolute Nichtreagieren die andere in rasende Wut versetzte.

Jedoch eines Tages traf eine Gemeinheit härter als sonst, und die so lange geduldig Gewesene erwiderte etwas von »gekränkter Eifersucht«. Das empfand die Blonde, als hätte man sie in eine schlecht verheilte Wunde gestochen, Sie ergriff die Kartoffelhacke und kam, die Holzpantinen von den Füßen schleudernd, in großen Sätzen über den Acker herangesprungen.

Das Weib hatte sich seit Jahr und Tag so sehr in ihren Haß hineingesteigert, um so mehr da sie die Lacher fast immer auf ihrer Seite gehabt hatte, daß die erste Erwiderung von Seiten der »Schwarzen« einen Orkan der Wut in ihr auslöste. So bot sie mit verzerrtem Gesicht und bleckenden Zähnen einen Anblick, der der Angegriffenen das Herz stillestehen ließ.

Die junge Frau stand und starrte dem Unheil entgegen, das da in Gestalt einer Rasenden mit geschwungener Eisenhacke auf sie losstürzte. So hätte sie gestanden und sich den Schädel einschlagen lassen, wenn ihr »Prinz« nicht eingegriffen hätte.

Prinz, der schon nicht mehr junge Schäferhund, hatte sich bei den Gehässigkeiten der bösen Nachbarin stets aufmerksam, aber ruhig verhalten. Jetzt, das begriff er sofort, wurde es Ernst. Prinz verlor keine Zeit. Er war gerade drüben auf der anderen Seite des Kartoffelschlages mit Mäusefangen beschäftigt, und als er nun heransauste, kam er schräg von hinten, und die Verfolgte ahnte nicht, daß sie vom Jäger zum Gejagten geworden war.

Es trennten sie nur noch zwei bis drei Meter von der noch immer reglos Dastehenden, als ihr Rock von hinten gepackt wurde und im nächsten Augenblick der Länge nach aufgerissen war.

Die Hacke entfiel ihr, als sie mit einem Schrei herumfuhr. Da jedoch der Hund den Rock festgehalten hatte, löste er sich ganz von seiner Trägerin, und diese stand nun im Unterrock. Sie schrie entsetzt auf und wandte sich zur Flucht. Aber da sprang Prinz von hinten an ihr hoch, faßte die Bluse, so daß sie den ganzen Rücken hinunter aufriß. Die nun laut heulende Frau rannte um ihr Leben. Der Hund aber kniff sie nur leicht, denn es lag gar nicht in seiner Absicht zu beißen, er hatte es, aus irgendeinem Gedanken oder Gefühl heraus, auf ihre Kleider abgesehen. Nach zwei weiteren Sprüngen des Tieres lagen die Reste der Bluse am Boden, und das Opfer war nur noch mit dem Unterkleid angetan. Von nah und fern erscholl das Hohngelächter der Hölle, richtiger die Freudenschreie der Bauern, die alle die Hände sinken ließen, um dies einzigartige Schauspiel zu betrachten.

Zeichnung: Hans Hyan

Jetzt kam der Höhepunkt. Mit einem kräftigen Ruck riß Prinz einen großen Triangel aus dem Unterkleid, so daß der dicke Hintern der Dorfschönen unverhüllt zutage trat.

Da erscholl ein so rasendes Beifallsgebrüll von Seiten der Zuschauer, wie es sich irgendein Schauspieler, gleichgültig auf welcher Bühne der Welt, nur wünschen konnte. Die Bauern hatten so oft über die scharfe Zunge dieser jungen Frauensperson gelacht, warum sollten sie nicht auch mal über ihre Kehrseite lachen ...

Die Unglückliche kam nicht zehn Meter weiter, als sie buchstäblich nichts mehr am Körper hatte. Splitternackt war sie, als der Hund endlich von ihr abließ.

Das wurde ein Heimweg, wie ihn in diesem Dorf wohl noch niemand angetreten hatte. Es wäre eine lange Liste, wollte man alle Zurufe, jedes Lachen und Grinsen aufzeichnen, dem die junge Eva ausgesetzt war, ehe sie das Haus ihrer Mutter erreichte.

Auf dem Feldweg begegneten ihr nur wenige, aber das letzte Stück Weges durch das Dorf war das reine Spießrutenlaufen. Aus jedem Fenster und über jeden Zaun, so schien es ihr, feixten und johlten die Nachbarn, groß und klein. Da endlich riß sie die Tür zu der Küche ihrer Mutter auf und patschte heulend und vor Wut schreiend herein. Sie stürzte auf die Alte zu und warf sich an die Brust, an der sie so manches Jahr nicht gelegen hatte. Von Schluchzen unterbrochen, erzählte sie das Notwendigste.

Die Mutter aber, die schon angefangen hatte, sie zu trösten und zu fragen, vernahm kaum den Hergang des Dramas, in dem ihre Tochter eine so wesentliche Rolle gespielt hatte, als sie sie mit Schlägen und wüstem Schimpfen überschüttete. Die Mama ergriff zu diesem Zweck ein kräftiges Holzscheit und schlug ihre Tochter braun und blau, denn sie kränkte sich gewaltig über die Schande, die ihrem Hause vor dem ganzen Dorf angetan worden war.


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