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Es war wieder einmal so weit, Windholz und sein Hund standen auf der kleinen Anhöhe, von der aus sie das Häuschen sehen konnten, das ihr Heim war. Es war ein klarer frischer Spätherbsttag. Der Musiker ging jetzt schneller, doch sein Hund lief ihm voraus. Er machte, wie immer, den Herold. Laut bellend kam er auf den Hof gestürzt, als ob er rufen wollte: »Wir sind da, wir sind wieder da!«
Da kam aus dem Hause ein anderer, kleinerer Hund, ein etwas groß geratener Rehpinscher. Die beiden sprangen sich entgegen, stiegen aneinander hoch, beleckten sich gegenseitig die Nasen, legten die Ohren an, verdrehten die Augen und zogen die Lefzen nach hinten. Mit einem Wort, zwei gute Freunde, die sich lange nicht gesehen hatten, begrüßten sich mit stürmischer Herzlichkeit. Dann ließen sie voneinander ab und jagten um den Hof. Immer im Kreise hetzten sie hintereinander her. Der Kleine wurde von dem Großen gejagt, doch immer, wenn der schnellere Pfeffer seinen kleinen Freund erreichte, schlug der einen Haken oder witschte unter dem anderen durch.
Inzwischen kam Frau Regine heraus. Freundlich wedelnd kam ihr Pfeffer entgegen, stieg auch einmal halb an ihr hoch, doch war er mehr freundlich und höflich als wirklich beglückt. Die Frau klopfte ihm zwei-, dreimal die Seite und begrüßte ihn mit ihrer etwas männlichen, groben Stimme. Aber obwohl der Pinscher, Flocki mit Namen, aufgeregt bellend um die Frau herumsprang, als wollte er sagen: »Freu dich doch, Pfeffer ist wieder da!«, blieb die Begrüßung von beiden Seiten nur im Rahmen der Höflichkeit, wie sie sich Hausgenossen schulden.
Jetzt war auch Windholz heran. Die Geschwister umarmten sich kurz. Der Bruder sagte: »Na, alter Dragoner, frisch und munter?«
Und die Schwester antwortete: »Danke, es geht, du alter Herumtreiber. Bei dir braucht man ja nicht zu fragen, Unkraut vergeht nicht.«
Heinrich hatte bei dem Schnellen Rundblick doch erspäht, daß ein neuer, hübsch grün gestrichener Zaun den Hof vom Garten trennte. Das freute ihn, denn er sah daran, daß Onkel Anton wieder nicht müßig gewesen war und einen Teil des zuletzt geschickten Geldes gut angewandt hatte.
»Geh man rauf, er sitzt oben und pusselt an einem neuen Käfig, der alte Vogelnarr!«
So die rauhe Regine. Beim Hinaufsteigen fiel es Heinrich auf, daß die Stiegen nicht mehr knarrten. Die Treppe war auch neu, die hatte er selber im vorigen Jahr mit Hilfe des Onkels gebaut, die hielt hundert Jahre und länger.
Als der Heimgekehrte die Klinke zum Mansardenstübchen des Alten herunterdrücken wollte, ging die Tür von innen auf, und der Onkel stand vor ihm. Sie schüttelten sich die Hand, beklopften sich, und der alte Herr sagte schmunzelnd: »Na – –?«
Das war alles, denn der Onkel Anton war wortkarg. Dann saßen die beiden in der kleinen gemütlichen Stube. Der Ofen brannte schon, und der unvermeidliche Bratapfel schmorte duftend obenauf. Ringsum an den Wänden hingen Vogelbauer mit Waldvögeln, andere hielt der Onkel nicht. Mitten auf dem Tisch stand ein besonders großes Vogelbauer, dem noch ein Teil der Holzleisten und die Drahtstäbe fehlten.
»Wird wohl 'n Heckbauer, Onkel?«
»Hm!«
»Für was für Vögel denn?«
»Zeisige!«
»Na, ich denke, die pflanzen sich in der Gefangenschaft nicht fort?«
»Tun se doch, manchmal.«
In der Weise ging die Unterhaltung weiter. Der Alte war freundlich, und oft lächelte er bei der Arbeit seinem Neffen zu, aber Sprechen war nicht seine Sache. Heinrich kannte den Alten. Wenn der auch nicht gern redete, so war er doch der einzige, der den wandernden Musiker verstand, das hatte er oft bewiesen, wenn er sich bei den Debatten mit Regine und anderen Menschen im Dorf auf die Seite des Neffen stellte.
Auch der Onkel lebte seinen Neigungen. Er liebte die Vögel und kannte sie alle. Er wußte, wie sie lebten, kannte die Orte, an denen sie anzutreffen waren, und hatte auch im Winter das geeignete Futter für sie bereit.
An den Wänden hingen nicht nur die Körnerfresser, wie Zeisig, Stieglitz, Hänfling, Dompfaff, Kernbeißer und Kreuzschnabel, sondern auch neben den oft in Käfigen gehaltenen Weichfressern, wie Rotkehlchen, Amsel und Singdrossel, ganz besondere Sachen.
Da waren zuerst die verschiedenen Grasmücken. Vor allen die beliebteste, die Mönchsgrasmücke, oder wie man auch sagt: die Schwarzplatte. Dann die Gartengrasmücke, auch ein feiner Sänger, die kleine Zaungrasmücke, und endlich die etwas schwierig zu haltende Dorngrasmücke.
Doch waren das noch nicht die kostbarsten Zimmergenossen. Der drolligste und nächst dem Goldhähnchen auch kleinste einheimische Weichfresser, der Zaunkönig, gedieh bei dem alten Onkel ganz vorzüglich. »Grot Jochen« gilt als sehr schwer im Käfig zu halten, doch hier war er munter und frech und sang mit seiner unverhältnismäßig kräftigen Stimme mit den anderen Vögeln um die Wette. Noch aparter als die genannten war das Blaukehlchen. In der vollen Pracht seines prächtig blauen Brustfleckes mit der goldbraunen Säumung widerlegte dieser feine Vogel die Behauptung, er wäre nicht im Bauer zu halten. Noch ein in seinen zarten braunen Tönungen vornehmer und doch unscheinbarer Vogel war da. Sein großes dunkles Auge, die edlen Linien und die feinen Ständer sagten dem Kenner, wen er da vor sich habe – die Nachtigall!
Auch sie hielt sich bei dem Alten schon das zweite Jahr in bester Form, und ausgerechnet vormittags zwischen halb elf und elf Uhr sang sie ihr wundervolles Lied. Heinrich sah sie sich alle aufmerksam an, die Lieblinge seines Onkels. Auch er hätte sich Vögel gehalten, wenn er zu Hause gelebt hätte.
Doch jetzt geschah etwas sehr Merkwürdiges und Reizvolles. Der Bratapfel hatte den Grad erreicht, an dem diese Gabe des Winters anfängt zu zischen und zu singen. Die hellen ziehenden Töne hatten kaum begonnen, als das Rotkehlchen mit seinem feinen Gesang einfiel. Sofort schloß sich der Zaunkönig an, die Zeisige, der Stieglitz und der Hänfling waren die nächsten, und ehe man hätte bis zehn zählen können, fielen sämtliche Singvögel in den Chor ein. Als die Grasmücken mit ihren starken, melodischen Tönen dem Gesang die Fülle und Kraft gegeben hatten, da schlug auf einmal voll und tief, als die letzte, die Nachtigall.
Dann hörten, einer nach dem anderen, die Sänger wieder auf, nur ein Zeisig konnte es nicht lassen, da er nun schon dabei war; er sang noch, als der Bratapfel von den beiden Männern geteilt und aufgegessen war.