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30. Kapitel

Die Gaststube war in dichten Tabaknebel gehüllt, als Windholz und Pfeffer das kleine Dachstübchen aufsuchten, das man ihm angewiesen hatte.

Als er sich in dem alten knarrenden Holzbett ausstreckte, mußte Heinrich lächeln. Sein Wirt, ein sonst tüchtiger und aufgeweckter Bauer, hatte ihm empfohlen, doch lieber in der Scheune zu nächtigen, weil es in der Dachkammer spuke. Es war ja merkwürdig, daß selbst so intelligente Landwirte wie dieser den alten heidnischen Aberglauben nicht aus den Knochen bekamen. So hatte ihm der Mann ein paar Beispiele gegeben, die er als Beweis für das Vorhandensein übernatürlicher Kräfte und ihrer Auswirkungen betrachtete.

Es waren eines Tages zwei Zigeunerweiber gekommen, und seine Frau ließ sich, obwohl er verboten hatte, Zigeuner auf den Hof zu lassen, von der einen wahrsagen und gab den Weibern ein paar Eier dafür. Der Bauer war dazugekommen und hatte die Zigeunerinnen mit harten Worten vom Hof gewiesen. Im Laufe der nächsten Woche erkrankte der Fuchs, ein gutes, selbstgezogenes Pferd, schwer an Kolik, und eine Kuh, die kurz vor dem Kalben war, mußte notgeschlachtet werden, weil sie einen Fremdkörper aufgenommen hatte. Damit war es für den Landmann erwiesen, daß die Zigeunerin einen Fluch ausgesprochen hatte.

Aus der Zeit seines Vaters wußte der Wirt ein noch krasseres Beispiel von Hexerei zu berichten. Dem Alten genügte der Kuhstall nicht mehr, er ließ einen neuen größeren bauen. Doch obwohl dieser Stall trockener und heller als der alte war, starb darin das Vieh, ohne daß einer hätte sagen können, woran und warum. Die Kühe verkalbten, Seuchen brachen aus, und jegliches Mißgeschick, das einen Viehbestand treffen kann, trat ein. Endlich ließ der Vater über der Tür ein paar Steine herausschlagen, und siehe da, es fand sich ein Hohlraum, in dem ein kleiner Menschenknochen lag. Das ist aber von je ein Trick übelgesinnter Nachbarn, um einem Viehbestand Unheil zu bringen, dessen Besitzer man schädigen will. Einer der Handwerker hatte, wahrscheinlich bestochen, den Knochen eingemauert.

Von solchen, meist gar nicht zu kontrollierenden Geschichten wissen die Bauern viel zu erzählen.

Windholz sann darüber nach, wie wenig sich dieser tiefeingewurzelte Aberglauben mit der Frömmigkeit vieler Bauern verträgt. Er kannte so manchen Landmann, der felsenfest an Spuk und bösen Blick glaubte und der trotzdem Kirchgang und Bibel sehr ernst nahm.

Pfeffer war längst eingeschlafen, und auch sein Herr glitt gerade vom Denken ins Träumen hinüber, als beide zugleich emporfuhren.

Gedämpft und doch erschreckend deutlich waren plötzlich langgezogene Wehlaute zu hören. Ein wildes Kreischen, das sowohl tierisch als menschlich klang, wurde zu jämmerlichem Greinen und erstarb in einem Wimmern. Es klang, als kämen die schaurigen Töne aus der Ecke am Fußende des Bettes durch die Mauer.

Pfeffer stand in der Mitte des kleinen, vom Mondlicht nur schwach erhellten Raumes. Der Hund bewegte sich nicht, seine Rückenhaare waren gesträubt, seine Ohren gespitzt, und aus seiner Kehle drang leises Knurren.

Windholz saß aufgerichtet im Bett und wartete, gleichsam erstarrt, auf eine Wiederholung des eben Gehörten. Er war bis in die Seele erschrocken, und alles das, was er gestern von dem Spuk gehört und mit einem Lächeln abgetan hatte, kehrte jetzt zurück. Eine alle Kräfte lähmende Furcht, eine üble, demoralisierende Angst erfüllte den Mann, der sonst so gut beisammen war. Mit angehaltenem Atem lauschte er. Jetzt – Kratzen und Schürfen, ein dumpfes Poltern, und gleich darauf wieder ein entsetzliches Kreischen wie von einem gemarterten Kind. Da begann der Schnauzer wie ein Rasender zu bellen und in der Kammer hin und her zu schießen. Er fuhr unter das Bett, sprang gegen die Tür, steckte den Fang unter den Schrank, um schließlich in der Ecke, aus der der Spuk zu kommen schien, anhaltend und wütend zu bellen. Mit dieser durchaus vernünftigen Reaktion des Hundes war auch Windholz' geflohener Geist wieder in den Körper zurückgekehrt. Seine Hände tasteten nach Leuchter und Streichholz, und kaum wurde Licht, hatte er schon Hose und Jacke an und riß die Tür auf, um den Hund herauszulassen. Der war im Augenblick an der Bodentür, die aber nicht offen war. Heinrich riß sie auf, und beide, der Hund voran, stürmten die steilen Treppen hinauf. Windholz blieb hinter Pfeffer zurück, denn er mußte das Licht mit der Hand vor dem Ausgehen schützen. Nachdem der Schnauzer ein paarmal auf dem Boden hin und her gefahren war, stürmte er zu einer Leiter, deren Ende in der Dunkelheit verborgen blieb, denn die oberen Sprossen ragten durch ein zurückgeschlagenes Dachfenster ins Freie. Zu Pfeffers besonderen Geschicklichkeiten gehörte das Erklettern jeder selbst steil gestellten Leiter. Die Vorderpfoten einhängend und die hinteren aufsetzend, war er, hopp, hopp, hopp, sehr schnell oben auf dem Dach. Windholz folgte ihm voller Angst, denn er fürchtete, daß der Hund abstürzen würde.

Oben ging augenblicklich die Kerze aus, und Windholz sah für kurze Zeit nichts. Dafür hörte er die schnell enteilenden Pfoten seines Hundes, was bei der steilen Bauart des Daches sehr merkwürdig war. Es blieb dem Herrn des Schnauzers wenig Zeit zu Betrachtungen. Er hörte einen Mann kurz und wütend aufschreien und das erstickte Knurren Pfeffers, der offenbar gefaßt hatte.

Allmählich hatten sich Heinrichs Augen an das schwache Licht gewöhnt, und er sah nun eines jener Laufbretter, wie sie an den Dächern entlang zu den Schornsteinen führen. Es war ihm klar, wodurch es dem Schnauzer möglich wurde, hier oben zu rennen. Schnell war Heinrich auf dem Brett, und sich links am Dache haltend, kam er rasch vorwärts.

Tretend und mit unterdrückter, wutzischender Stimme fluchend, wehrte sich ein Mann gegen den grimmig angreifenden Pfeffer. Dazwischen schrie der Kerl leise auf, doch so oft der Hund auch faßte und so groß der Schmerz sein mochte, der Mensch wollte nicht zu laut werden. Als nun Windholz geduckt und elastisch auf die Gruppe zukam, machte der Kerl kurz kehrt, lief, unbekümmert um den ihn verfolgenden, ständig schnappenden Hund, nach der anderen Seite des Daches und sprang – Windholz traute seinen Augen nicht – ins Dunkle. Ein Rauschen und Brechen von Ästen kündigte an, daß er in einen Baum gesprungen war, der beim Hause stand. Ein Schmerzenslaut verriet, daß die Sache nicht ganz glatt gegangen war.

Pfeffer aber war nun einmal in Fahrt. Im Augenblick trugen ihn seine schnellen Läufe an das Ende des Brettes, und ohne einen Moment zu zögern, sprang der wütende Schnauzer in die dunkel sich wölbende Kuppel des Baumes. Wieder das Rauschen von Blättern und Knacken von Geäst, und unmittelbar darauf das Bellen des offenbar unversehrt gebliebenen Hundes, das sich rasch entfernte. Auch Windholz hatte Feuer gefangen. Doch sprang er deshalb noch nicht in nachtdunkle Bäume. Er machte kehrt und wollte so schnell als möglich über die Treppe nach unten. Aber als er an dem Schornstein vorbeikam, blieb er mit einem Ruck stehen.

Zeichnung: Hans Hyan

Wieder, diesmal aus der Tiefe des Schornsteins, erklangen jene gräßlichen Schmerzenstöne, die Herrn und Hund aus dem Schlaf gerissen hatten. Als sich Windholz über den schwarzgähnenden Schacht beugte, stieß er gegen einen Knüppel, der schräg über Eck oben auf dem Schornstein lag. Er nahm ihn auf und fühlte ein Gewicht, das an einer Schnur hing.

Langsam zog Heinrich die Schnur hoch. Zuerst spürte er nur das pendelnde Gewicht, doch dann drang aus der Tiefe ein jämmerliches Greinen und Wimmern herauf. Zwar lief ein Gruseln über Windholz' Rücken, aber er hievte trotzdem schneller an. Zerzaust, rußig, vor Angst von Sinnen und ganz ermattet, kam eine grauweiße Katze zum Vorschein, die, den Strick fest um den Leib geknotet, als Klabautermann hatte dienen müssen.

Sie dachte nicht ans Kratzen, als Windholz die vor Angst Fauchende von dem Strick befreite, sondern strebte mit aller Kraft von ihrem Erlöser fort. Kaum fühlte sie sich frei, als sie auch schon an der schrägen Ziegelfläche aufwärts fuhr und über den Dachfirst nach der anderen Seite verschwand.

Windholz setzte die unterbrochene Verfolgung seines Hundes fort. Unten im Flur rannte er mit dem Hausherrn zusammen, der durch den Lärm aus dem Schlaf gerissen worden war. Doch Heinrich hielt sich nicht auf und ließ den Fragenden zurück, als er in den Hof lief, um seinen Hund zu suchen und ihm möglicherweise beizustehen. Er fand Pfeffer schnell, denn dem Hund war es nicht gelungen, über die Mauer zu springen, die den Hof einfriedete, der Katzenquäler aber war mit Hilfe einer Bohnenstange darüber hinweggekommen, wenn auch ein Fetzen seiner Hose zeigte, daß Pfeffer ihm bis zuletzt arg zugesetzt hatte.

Dem ersten Impuls, den Hund aus dem Hof zu lassen, folgte der Musiker nicht, da er Angst um seinen vierbeinigen Freund hatte.

Warum aber unternahm der Kerl solche waghalsigen Sachen? Nur um eine Katze zu quälen? Es mußte ihm daran liegen, das Haus, wenigstens im Oberstock, als »Spukhaus« gelten zu lassen.

Windholz berichtete dem Bauern kurz das Geschehene, dann pfiff er dem Hund und legte sich wieder hin, um zu schlafen.


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