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23. Kapitel

Es war eine stürmische Nacht. Schwere Wolken trieben am Mond vorbei, und vom Laub der alten Kopfweiden, die den Feldweg säumten, fielen Tropfenschauer, denn es hatte erst vor kurzem aufgehört zu regnen. Auf dem schmalen Fuß- oder Radfahrweg, der neben der weichen Fahrstraße einherlief, tauchte im ungewissen Licht der Nacht ein Wesen auf. Es war ein untermittelgroßer Hund, der, den Kopf etwas gesenkt, herantrottete. Jetzt blieb er stehen und äugte zurück. Nach kurzer Zeit holte ein Mann den Hund ein, worauf das Tier wieder vorauslief. Dieses Vorauslaufen, Warten und Wiedervorauslaufen wiederholte sich in regelmäßiger Folge, und auf diese Weise sicherte Pfeffer den nächtlichen Weg für seinen Herrn, Heinrich Windholz. Beide, Herr und Hund, waren müde. Ein langer Marsch lag hinter ihnen, sie strebten einem Dorf im Bruch zu, in dem Windholz eine Herberge wußte.

Zeichnung: Hans Hyan

Sie waren beide gute Läufer. Der Mann hätte mit einem Indianer um die Wette gehen können, so ausdauernd war er, und der Schnauzer machte dadurch, daß er um seinen Herrn herumschweifte, den Weg dreimal. Windholz sprach ab und zu mit seinem Hunde. Versprach ihm warmes Abendbrot, fragte ihn, ob er glaube, daß es noch weit sei, oder nannte ihn auch nur mit drolligen Namen wie »alter Heuschober«, wegen seiner grauen Struppigkeit, oder »Herr Wachtmeister«, wobei er auf den Bart des Stallschnauzers anspielte.

Der Hund antwortete mit einem kürzen Wedeln der Stummelrute und legte auf einen Augenblick die Ohren an. So unterhielten sich die beiden, und der ermüdende Weg verging ihnen schneller. Dann tauchte hinter einer Steigung des Weges die mächtige Kuppel der uralten Wendenlinde auf. Schwarz und wogend bewegte sich ihre Silhouette im Wind, und die gewaltigen Äste knarrten.

Der Baum stand vor einem Wirtshaus, dem Ziel Windholz'. Er freute sich immer, wenn er den alten Fachwerkbau mit der niedrigen, aber breiten grünen Tür sah. Heute war es zu dunkel, um viel zu erkennen, auch war der Wanderer zu müde. Er bemerkte nur den Lichtschein, der freundlich die Fenster erhellte, und den Lärm, der aus der Wirtsstube drang.

Über den dunklen, backsteinbelegten Vorraum tastete sich der späte Gast, fand die altmodische Klinke und trat ein. An ihm vorbei schob sich Pfeffer in die Gaststube.

Im Qualm und in der lauten Unterhaltung der Gäste stand Windholz schon am Schanktisch, ehe man seiner recht gewahr wurde. Dann aber wurde er mit lärmender Vertraulichkeit begrüßt. Es war den Bauern anzumerken, daß sie sich freuten, »Knautschenheinrich«, wie Windholz weit und breit genannt wurde, wiederzusehen.

Daß man nie wissen konnte, wann er auftauchte, war einer der Reize seiner Person.

»Dein ollet großet Riechorgan hat woll wieder rechtzeitig Wind gekriegt, mein Junge?«

So begrüßte der Wirt seinen Gast.

»Wieso, Vater Linde?«

»Weil morgen Walters Frieda, die Tochter von dem dicksten Bauern hier, Polterabend hat. Der Alte hat schon nach dir gefragt. Na, und du bist doch sicher wieder in der Brenne, was, Heinrich?«

»Nich mal, ich habe gestern in Finkental gespielt, da war Tanz. Ich kam ganz zufällig hin und habe sehr gut eingenommen. Aber wenn die Frieda morgen Hochzeit macht, um so besser. Geld kann man immer gebrauchen, denn du weißt ja, Vater Linde, mein Häuschen in Christophswalde ist noch nicht in Schuß, mein Vater war ja in seinen letzten Jahren 'n bißchen eigen, und so ist vieles nicht rechtzeitig gemacht worden.«

»Ja, ja, wenn 'n Haus erst mal vernachlässigt ist, dann kostet's Geld. Aber nu mal, was willste haben, Bier und Korn, oder 'n Grog – –?«

Windholz nahm den Grog, setzte sich auf seinen Platz in der Ecke an den großen Tisch, da wo die Bank die hübsche Kurve machte. Der junge Bauernsohn, der den Platz innehatte, machte ihm unaufgefordert Platz. Windholz versprach ihm dafür morgen beim Polterabend einen Tanz nach Wahl.

»Vater Linde, hast du meinen Pfeffer gesehen?«

»Ja, der is längst in der Küche.«

»Na, da ist er ja gut aufgehoben, bei deiner Frau darf er machen, was er will. Übrigens, was bekomme ich denn zu essen?«

»Is unterwegs, Heinrich, wirst schon zufrieden sein.«

Tatsächlich kamen nach kurzer Zeit Bratkartoffeln und Rührei mit Schinken. Es wäre für eine »Doppelte Portion« sehr reichlich gewesen, aber Windholz schaffte es.

Der Wirt meinte: »Weißte, wenn ich dich immer so ansehe, nischt wie Knochen und Sehnen, und Bauch nich soviel wie 'ne Faust – dabei vertilgste einen Berg Essen – wo bleibt das bei dir?«

»Auf den Landstraßen und Feldwegen, Vater Linde.«

Die Bauern lachten, und der Wirt sagte: »Ja, du bist der reine Windhund, wegen dem Appetit und auch was das Rennen anbelangt. Aber nu sage mal, wird dir das denn nich allmählich über, das Rumgerenne bei jedem Wetter, und denn die Unsicherheit mit dem Verdienst? Du hast doch nun 'n Zuhause, und tischlern haste doch gelernt und sogar, wie ich gehört habe, sehr gut. Setz dich doch endlich auf deinen jeehrten Hintern und dischlere, kannst ja dann Sonnabends immer noch spielen. Du bist nu um de Vierzig, noch kannste heiraten, soja noch 'ne Junge, aber lange nich mehr – –!«

Windholz hörte ruhig zu und lächelte seinen alten Freund an. Was ihn trieb, sich durch die Landschaft. zu musizieren, das würde er dem alten, immer seßhaft gewesenen Mann nicht erklären können. Ganz verstand er es selbst nicht. Er war im höchsten Maße Stimmungsmensch, und so mancher Abend, an dem er gespielt hatte, war ihm zu Abenteuer und Romantik geworden. Ihm war die Phantasie Wirklichkeit, und die Wirklichkeit sah er nicht so real, wie die anderen Menschen es taten. Wie sollte er dem Gastwirt und den Bauern begreiflich machen, daß ein Leben wie das ihre das Beste in ihm töten würde?

Vor ihm, hinter einer bunten, heiteren Landschaft, war Nebel. Und sein Weg führte durch das farbige Bild des Lebens auf dies Undurchsichtige zu ...

Wie oft gab er, wenn er auf seiner Ziehharmonika spielte, alles her, was er an Gefühl in sich hatte! Und dann sah er sein Publikum an. Einfache, meistens gute Menschen, die aber durch viele harte Arbeit, die sie jahraus, jahrein leisten mußten, stumpf geworden waren. Und er sah, daß nur ein verschwindend kleiner Teil der Gabe, die er verschenkte, auf fruchtbaren Boden fiel. Knautschenheinrich nannten sie ihn, und freuten sich, wenn er kam, weil er besser spielte als andere Musikanten. Er gehörte zu den seltenen Menschen, hinter deren Begabung eine reiche Natur lebte, die wohl geeignet war, die Hörer zu ändern und zu bessern, wenn nur nicht die Ohren, die hätten hören sollen, seit Generationen für edle Töne verschlossen gewesen wären.

In der Stadt aber, wo es aufnahmefähigere Menschen gegeben hätte, konnte Windholz weder leben noch spielen, denn er war von der Natur, als der nie versiegenden Quelle tiefer Eindrücke, abhängig. So schüttelte der wandernde Musiker nur den Kopf, als ihm der Wirt riet, sein Leben anders einzurichten. Wenn er gekonnt hätte, er hätte es getan.


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