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Mit diesem Überfall auf das Pferd hatte Duro nichts zu tun, er lag auf einem anderen Hof. Aber ein paar Wochen später erlebte er etwas, das noch weit schlimmer hätte ausgehen können.
Eines Morgens war Glatteis. Frau Horn trug zwei schwere Eimer über den Hof und mußte dicht an der Pumpe vorbei, in deren näherem Umkreis der Boden stark vereist war. Frau Horn glitt aus, und da sie schwer und etwas unbeholfen war, fiel sie der Länge nach hin. Ehe sie wieder aufkam, waren die Hunde über ihr. Auf ihr gellendes Geschrei stürzte Horn mit der Peitsche in der Hand heraus. Er war mit seinen langen Beinen rasch zur Stelle und konnte schon vorher mit seiner hellen, durchdringenden Stimme, vor der die Hunde großen Respekt hatten, die Übeltäter einschüchtern.
So kam die Frau mit einem zerrissenen Rock, einigen blauen Flecken vom Sturz und einem leichten Biß an der Schulter davon.
Duro hatte sich nicht beteiligt. Wenn es Hundeart wäre, er hätte wohl mit dem Kopf geschüttelt. So hielt er sich nur abseits, und in seinem Bewußtsein verstärkte sich der üble Eindruck, den er von seiner Umgebung gewonnen hatte.
Aber schon der nächste Morgen brachte wieder einmal die so ersehnte Abwechslung, Horn fuhr zur Jagd und nahm Duro mit.
Ein frischer, klarer Tag war es, und der Jagdhund ahnte nicht, daß sein Glück noch weit größer werden sollte, als es ihm die Freuden der Jagd geben konnten.
Am See, wo ein schmaler Wiesenstreifen am braunrötlichen Röhricht entlangführte, ließ Horn den Hund auf Hasen und Fasanen suchen. Flott, aber doch gründlich stöberte der Rauhhaar im Röhricht, das im Zwei-bis-Drei-Meter-Gürtel auf trockenem Boden stand, ehe es im Wasser wuchs. Die Flinte im Arm, ging Horn auf dem Wiesenstreifen in gleicher Höhe mit dem Hund. Hin und wieder ermunterte er Duro mit halblautem Zuruf, mehr um mit ihm in Kontakt zu bleiben, als weil er wirklich glaubte, ermahnen zu müssen. Den Hund konnte er nicht sehen, wohl aber bemerkte er das Schwanken der Rohrwipfel.
Ganz plötzlich hörte die Bewegung auf, der Hund stand vor. Jetzt erzitterten ein paar Rohrwedel, doch die Bewegung setzte sich nicht fort, es blieben die gleichen Halme. Duro stand immer noch, nur seine Rute wedelte. Horn wollte ihn schon auffordern einzuspringen, da stand mit viel Geräusch ein Fasan auf. Die Doppelflinte flog an die Wange, aber der Schuß fiel nicht. Horn setzte wieder ab, es war eine Henne, und Hennen wollte er schonen.
Er sah dem davonstreichenden Vogel nach, als ihm auffiel, daß der Hund sich immer noch nicht rührte. Also aufgepaßt!
Da – wieder das harte, pladdernde Geräusch, als der zweite Fasan, diesmal ein Hahn, aufstieg. Der Jäger ließ ihn erst hochkommen und, seines Schusses sicher, ein Stück fortstreichen, um ihn nicht zu sehr zu zerschießen. Als er endlich abdrückte, machte es »klick« – ein Versager. Als Horn zum zweiten Male das Ziel gefaßt hatte, war der Fasan schon zu weit, um beschossen werden zu können. So strich er gesund ab.
Gegen versagende Patronen und ähnliches jagdliches Mißgeschick ist auch ein Meister der Flinte nicht gefeit. Duro hatte etwa zehn Minuten lang weitergestöbert, als er einen Fuchs herausdrückte, der auf einer der im dichten Rohr stehenden Kaupen gelegen hatte. So ein Fuchs wartet aber nicht, wie es der Hase im allgemeinen tut, bis der Schütze heran ist, sondern er wird früher hoch. Dieser verließ gut fünfzig Meter von Horn entfernt die Deckung und wurde in flottem Tempo, über die freie Fläche auf den Wald zu, flüchtig.
Es war für den Schrotschuß zu weit, doch Horn verließ sich darauf, daß seine Flinte mit dem linken Lauf weiter schoß als mit dem rechten, da sie links enger zur Mündung hin wurde. So wagte er den Schuß trotz der zu großen Entfernung. Wirklich zeichnete der Fuchs. Er knickte hinten zusammen, fuhr herum und schnappte nach dem Hinterlauf. Der gleich hinterhergesandte Schuß aus dem rechten Rohr blieb bei der zu großen Entfernung nicht nur wirkungslos, er ließ auch den Fuchs in so großem Tempo flüchtig werden, wie man es bei einem kranken Stück Wild nicht hätte glauben sollen.
Duro nahm die Verfolgung auf, aber es war ein beträchtlicher Abstand zwischen Fuchs und Hund, als beide den Blicken Horns entschwanden.
Vor dem Rauhbart fegte der laufkranke Fuchs über den Nadelboden dahin. Es war ein feuerroter, starker Fuchsrüde, dessen Schwanzspitze, die Blume, schneeweiß war. Reineke wußte, daß er um sein Leben rannte und daß es galt, den nicht allzu fernen Bau zu erreichen. Mit noch immer unverminderter Schnelligkeit, trotz des im Gelenk von einem Schrotkorn getroffenen Hinterlaufes, raste der Fuchs um eine Waldlichtung herum, die mit Rohr und Buschwerk bestanden war, und in deren Mitte, wie er wußte, Wasser stand. Dort wäre er nicht so schnell vorangekommen, wie er mußte.
Duro nutzte diese Situation, er durchquerte rücksichtslos Busch und Wasser, und wenn er auch nicht ganz so schnell wie auf ebener Erde vorwärtskam, so war er doch eher drüben, als der Fuchs die Lichtung umschlagen hatte, die zum Unglück auf dem Wege zu seinem Malepartus lag. Der arme Rotrock, der den Hund hinter sich glaubte, sah ihn auf einmal vor sich, er mußte kehrtmachen, und so war ihm der Weg zum rettenden Bau abgeschnitten.
Mit weit offenem Fang und zusammengekniffenen Sehern rannte der Fuchs. Der Verfolger hatte durch seinen Trick den Abstand sehr verringert und holte langsam weiter auf. Seine Nase sagte dem Hund deutlich, daß der Fuchs krank sei. Einen gesunden Fuchs hätte Duro nicht verfolgt, da er keine Aussicht gehabt hätte, ihn zu fangen. So strengte sich der Hund noch mehr an, da er des Erfolges immer sicherer wurde.
In »Reinke Rotfoß« war nach der ersten Verzweiflung eine neue Hoffnung erwacht. Die große Kiefernschonung mußte er erreichen, dort würde er den Köter abschütteln können, denn die Kusseln waren jung und standen sehr dicht. Hinter der Schonung aber stieg ein Hang mit Jungholz an, und dort war ein alter verlassener Bau, in den würde sich der Rote retten können. Ein tiefer Graben wäre dem Fuchs beinahe zum Verhängnis geworden. Nur knapp entging er den Zähnen des Brauntigers. Dann kamen für den ständig kränker werdenden Gejagten schreckliche fünfzig Meter. Die Kräfte ließen nach, Herz und Lungen arbeiteten quälend, und der Hund hechelte dicht hinter ihm. Er erreichte mit Aufbietung der letzten Reserven den Schonungsrand, und nun wurde der Fuchs länger und der Hund kürzer. Die ineinanderverschränkten Zweige der jungen Kiefern hinderten den kleinen Fuchs weit weniger als den großen Hund. Rauschend schoß die wilde Jagd durch die Stämmchen der Schonung. Der Jagdhund hatte große Mühe, am Fuchs zu bleiben, denn allzu niedrig über der Erde standen die Zweige, und die Kräfte wurden nun auch bei Duro knapp.
Der Rote bot alles auf. In seinen Gehören brauste und vor seinen Sehern flimmerte es; ihm war die Kehle zugeschnürt, und die Läufe arbeiteten nur noch mechanisch. Doch da vorn schimmerte es hell durch die Kusseln. So sehr befeuerte ihn die Gewißheit der nahen Rettung, daß er trotz aller Erschöpfung seine Schnelligkeit erhöhte. Immer noch hörte er die trommelnden Läufe und das Hecheln des grausamen Jägers, doch nicht mehr unmittelbar hinter sich, denn der Hund verlor in der Schonung ständig an Boden.
Jetzt schoß der Fuchs ins Freie. Ein kurzes Stück durch Stangenholz und dann den leicht ansteigenden Hang empor. Da oben am Fuß der alten Kiefer war die Einfahrt zu der rettenden Röhre.
Die letzten drei Meter ging es steil bergan. Mit fliegenden Flanken arbeitete sich Reineke empor. Inzwischen hatte auch Duro die Schonung verlassen und jagte den Hang hinan. Jetzt erreichte der Fuchs die Röhre, doch – ihre Einfahrt war verändert. Hier war von Menschen gegraben worden. Ungefähr anderthalb Meter tief war die Röhre freigelegt, so daß sie wie ein Graben offen war. In dieser Rinne fuhr der Rote entlang, dann verschwand er in der Erde.
Er verschwand nicht ... Nur zur Hälfte konnte er einfahren, dann stieß er hart mit dem Kopf auf ein Reisigbündel, durch das die Einfahrt verstopft war. Ein Jäger hatte auf Dachs oder Fuchs gegraben, drei Röhren verstopft, und vor die vierte, offen gebliebene, seinen Begleiter mit der Flinte gestellt. Das wurde jetzt dem Roten zum Verhängnis. Ehe er noch den Graben verlassen konnte, war der Hund über ihm.
Keckernd vor Wut und Angst drückte sich der Fuchs tief zwischen die Wände des Grabens. Sein blendend weißes Gebiß starrte nach oben, und als jetzt Duro den ersten Ausfall machte, schlugen die Zähne des in die Enge Getriebenen hart aufeinander. Schnell sprang Duro auf die andere Seite. Doch er machte nur den Ansatz dazu, und kaum wandte sich der Fuchs nach dort, um den Angriff, den er von dieser Seite erwartete, parieren zu können, da fuhr der Rauhbart hernieder, nutzte die Sekunde und packte den Roten von der Seite im Genick. Da half kein Wehren mehr. Duro schüttelte wie ein Rasender, und in wenigen Sekunden war der Fuchs gewürgt. Ihm hatte alles nichts genützt, an diesem Gegner war er gescheitert.
Duro lag hechelnd mit erhobenem Kopf, vor sich den verendeten Fuchs. Der völlig erschöpfte Hund sammelte neue Kräfte.