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Im letzten Licht des Tages stand Heinrich Windholz und rief nach seinem Hund. Drüben, auf dem schon winterlich kahlen Acker, war Pfeffer hinter einem kleinen Köter her, und alles Pfeifen und Schreien seines Herrn blieb umsonst, denn wie der Wandermusiker richtig vermutete, das kleine, buntgefleckte, glatte Tier mit Löffelohren und Ringelrute war eine heiße Hündin.
Am Rande der Schonung, dort drüben, spielten die beiden Hunde noch ein Weilchen, dann verschwanden sie in den Kusseln.
In solchem Falle hat es keinen Sinn, hinter Hunden herzulaufen, man holt sie doch nicht ein. Windholz wußte das, und so setzte er sich denn an den Feldrain, steckte seine Pfeife an und wartete. Geduld hatte er, und es war zwischen Herrn und Hund längst eine stille Vereinbarung getroffen worden: in den Fällen, da es sich um die Liebe handelte, aufeinander Rücksicht zu nehmen.
Allmählich war es dunkel geworden, die Sterne standen am Himmel, und Windholz saß immer noch und wartete. Da stimmte etwas nicht. Pfeffer war der einzige Freier gewesen, und nun waren zweieinhalb Stunden vergangen.
Heinrich erhob sich und ging hinüber zu der Schonung. Er hatte für seinen Hund einen bestimmten Pfiff, doch so oft er ihn jetzt ertönen ließ, es antwortete ihm nur das Schweigen des nahen Kiefernwaldes.
Er ging durch die Bauernheide bis zum Seeufer hinunter und dann am See entlang zum Dorf. Er suchte in allen Straßen und Winkeln der vom heraufkommenden Mond hell erleuchteten Ortschaft und ging dann den Feldweg entlang, wieder bis zu der Stelle, an der er den Schnauzer verloren hatte, aber es war alles umsonst. Da suchte er den nächsten Heuschober auf, schob sich ein und schloß die Augen mit dem Entschluß, am nächsten Morgen nach dem Besitzer der kleinen, bunten Bastardhündin zu fragen, um auf diesem Wege wieder zu seinem Hunde zu kommen.
*
Nicht weit entfernt von Pfeffer und der kleinen Hündin stand ein Mann zwischen den Stämmen. Jetzt trat er aus dem Schatten und rief die Hündin in einer fremden Sprache. Er war schlecht gekleidet, mittelgroß und seine Gesichtshaut dunkel, die Haare schwarz.
Wenn Pfeffer nicht so sehr mit der Hündin beschäftigt gewesen wäre, hätte er diesen Mann angeknurrt, denn Zigeuner mochte er nicht leiden.
Der Fremde nahm keine Notiz von dem Schnauzer, aber als die Hündin auf ihren Herrn zulief, näherte sich auch Pfeffer dem Manne. Der Schnauzer wurde immer zudringlicher, und im Kreise um den Zigeuner herum trieb er die kokettierende und doch abwehrende Kleine.
Da plötzlich flog eine lange, dünne Schlange durch die Luft, sie schnellte nach dem Kopf Pfeffers, legte sich blitzschnell und geschmeidig um seinen Hals und schloß sich würgend.
Der Schnauzer war gefangen. Ein Hund, der in der Schlinge gefangen ist, hat nur eine Möglichkeit, sich zu befreien, er muß die Spannung der Schlinge verhindern, und das kann er nur, wenn er den, der ihn gefangen hat, angreift.
So spürte Pfeffer kaum den unerträglich würgenden Griff der Schlinge, als er auch, nach dem ersten Augenblick lähmender Furcht, auf den Zigeuner losging. Aber der war auf alles vorbereitet. Ein kurzer Knüppel traf Pfeifer über das Nasenbein, so daß er taumelte.
Schwach und benommen, ließ er sich nun mitzerren, denn ihm war übel, und das Blut sauste ihm in den Ohren.
Es ging eine halbe Stunde durch den Sand der Heide, dann senkte sich der Boden zu einem kleinen Waldsee, der von Erlen und Birken umstanden war. Dort, auf einer Wiese zwischen Wald und See, lag die Zigeunergesellschaft. Zwei Wohnwagen mit ein paar kleinen Pferden, ein Bär, zwei Affen und ein alter schottischer Schäferhund, ein Collie, das war, abgesehen von den Männern, Frauen und Kindern, die kleine, ärmliche Welt, der nun auch Pfeffer angehören sollte.
Vorläufig band man ihn an ein Wagenrad und überließ ihn sich selbst.
Aber nicht lange, denn die Zigeunerkinder kamen bald heran, um ihn näher in Augenschein zu nehmen. Das hieß, sie stießen ihn mit Stöcken und schlugen ihn mit einer langen Rute. Wehrlos, wie er war, konnte Pfeffer nur wütend bellen und vergebliche Ausfälle machen, die nur so weit reichten wie die Strippe, an der er festgebunden war.
Ein energischer, kurzer Ruf eines der Männer ließ die Kinder mit ihrer Quälerei aufhören und sich zurückziehen. Es war das Haupt der Familie, dessen Wort Gesetz war.
Als der Abend kam, meldete sich bei dem Schnauzer der Hunger, doch niemand brachte ihm etwas. Die Nacht verging trübselig. Pfeffer dachte an seinen Herrn und sann auf Befreiung. Man hatte ihm aber, bevor es dunkel wurde, statt der Schnur eine Kette umgelegt, und die konnte er nicht durchbeißen.
Am Morgen wurde Pfeffer rauh unter dem Wagen hervorgezogen. Auf Wiese und See lag noch der Nebel, und am Himmel stand zarte Röte, als Pfeffer zwar kein Frühstück, wohl aber seine erste Lektion erhielt. Der Zigeuner, der ihn gefangen hatte, ging mit Pfeffer auf die Wiese hinaus und sagte mit seiner rauhen Stimme: »Setz dich!«
Doch der Hund stemmte sich gegen den Zug der Leine, knurrte tief, und seine überbuschten Augen glühten vor Haß. Der Zigeuner riß an der Leine und sagte wieder: »Setz dich!«
Es war vergeblich. Der braune Mann hatte Windholz auf der Dorfaue mit Pfeffer arbeiten sehen, und er wußte, daß es vor allem darauf ankam, daß zuerst einmal dem einfachsten Befehl Folge geleistet würde, damit man darauf weiterbauen könne. Aber so einfach das schien, es war nicht zu erreichen. Schließlich riß dem neuen Herrn des unseligen Hundes die Geduld, und er schlug hart und unbarmherzig mit einer dicken Weidenrute zu.
Gurgelnd und schnappend tobte Pfeffer, um sich zu befreien, doch vergeblich. Nach der Prügelei versuchte der Zigeuner es aufs neue – ohne jeden Erfolg. Da begriff der Hundedieb, daß er einen Charakter vor sich habe, und er beschloß, sich danach zu richten. Das hieß, er wollte den Schnauzer hungern lassen.
So lange würde dies »struppige Aas« nichts zu fressen bekommen, bis er Pfötchen geben würde. Nach einer Woche war Pfeffer nur noch Haut und Knochen. Er hatte während dieser Zeit buchstäblich nichts gefressen. Seine Augen glühten wie die des Wolfes während eines Hungerwinters, als der Zigeuner einen neuerlichen Versuch unternahm. Was Gewalt nicht vermochte, der Hunger erreichte es.
Eine kurze Leine, ein Stück hartes Brot und die neuerliche Aufforderung: »Setz dich!« bewirkten, daß Pfeffer sich setzte. Der Zigeuner grinste. Er wiederholte die Übung mehrere Male, dann ging er zum Wagen und fütterte »seinen« Hund.
Nach dem Fressen ließ er sich sogar herbei, den Schnauzer zu streicheln, aber ein abgründig böses Knurren ließ ihn erkennen, daß dieser Hund sich wohl unterworfen habe, daß jedoch zum Vertrauen des Schnauzers noch ein sehr weiter Weg sei.
*
Windholz hatte an jenem Morgen lange vor dem Heuschober gesessen, die Pfeife trübselig im Mund, und stoßweise flogen kleine Rauchwolken in den kühlen Morgen.
Heinrich sah noch recht morgenruppig aus, Heuhalme hingen ihm an Kragen und Haar, und der feste Mund unter der großen Nase war recht bitter. Die Falte zwischen den grauen Augen war tiefer als sonst, der Verlust Pfeffers hatte den Musiker schwer getroffen.
Schließlich riß er sich hoch aus den trüben Gedanken, denn er hatte gelernt, daß ein Entschluß mehr zur Überwindung einer Schwierigkeit beiträgt als viele Stunden fruchtloser Grübelei.
Er war bald im Dorf und erkundigte sich im Krug nach der kleinen Hündin. Aber obwohl er sie genau beschrieb, der Wirt hatte nie ein Tier dieser Art gesehen.
Auch andere Dorfbewohner, die Windholz später auf der Straße fragte, konnten ihm keinerlei Auskunft geben. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als die ganze Gegend nach seinem Hund abzuklappern. Das warf alle Dispositionen des Musikers über den Haufen, doch es war ihm gleichgültig, solange er Pfeffer nicht wiederhatte, blieb alles andere liegen. Vorerst kehrte Heinrich an den Ort zurück, an dem er seinen Hund das letzte Mal gesehen hatte. Von dort aus betrat er den Wald, um sich nun bei der Suche ganz auf seinen Instinkt und das Glück zu verlassen.
*
Einen Tag, nachdem Pfeffer klein beigegeben hatte, brachen die Zigeuner auf, und Pfeffer, der hinten an den Wagen gekettet war, mußte mit.
Traurig und wie verloren trottete der Schnauzer die endlose Landstraße entlang. Er war verzweifelt, denn er wußte, daß er sich mit jedem Schritt immer mehr von seinem Herrn entfernte. Neben ihm humpelte der Collie. Altersschwach und von Reißen geplagt, bewegte sich der einstmals sehr schöne Hund mühsam vorwärts. Er lief frei neben Pfeffer her, denn obwohl auch er einmal gestohlen worden war, lief er den Zigeunern nicht fort. Zu viele Jahre lebte der feine Rassehund in dieser niederdrückenden Umgebung, als daß er noch Freiheitsgedanken hätte haben können. Doch fühlte er sich zu dem Schnauzer hingezogen, unter dessen äußerer Resignation er den ungebrochenen Sinn des hochstehenden Hundes spürte.
Es fing an zu regnen, und so wurde dieser erste Wandertag Pfeffers mit den Zigeunern zu einer sehr traurigen Angelegenheit. Sie verstanden sich gut, der schottische Schäferhund und der Schnauzer.
Hinter dem ersten Wagen watschelte, gleichfalls angekettet, der Bär. Es war ein dürftiges Weibchen mit hellbraunem, an mehreren Stellen abgeschabtem Fell. Die kleinen Äuglein schielten unsäglich traurig aus den Winkeln, als wären sie ständig auf der Hut vor etwas Bösem. Der Pelz wabbelte und schlotterte um die kleine Bärin, sie war genau so schlecht ernährt wie alle anderen Tiere der Truppe. Die beiden Affen, ein Rhesus und ein Javaaffe, saßen in einem engen Käfig, der unter einem der Wagen hing, so wurden sie wenigstens nicht naß. Aus einem Fenster des Wagens sah die kleine Hündin, die an Pfeffers Unheil schuld war. Der Pferdchen waren fünf. Eins war noch ein Füllen, es lief frei neben den Wagen her, machte mitunter Kapriolen, hielt sich aber meistens in der Nähe seiner Mutter, die im Geschirr ging. Alle Pferde gehörten einer kleinen, zierlichen Art an und waren schwarz-weiß oder braun-weiß gescheckt. Sie sahen aus wie Kreuzungen von Shetland-Ponys und Panjepferden und hatten zu ihrem Glück die Zähigkeit und Genügsamkeit der letzteren geerbt.
Aus den Wagen blickten zwei Männer und eine alte Frau, die eine Pfeife rauchte. Zwei halbwüchsige Burschen und ein junges Mädchen, das ebenso schlampig wie schön war, hielten sich verborgen, und die Kleinen, zwei schwarzlockige Rangen mit den großen, dunklen Augen ihrer Rasse, sahen bald zum Fenster, bald zur Tür heraus. Im Wagen saß noch eine Frau in mittleren Jahren. Ihre Hand lag auf einem Korb, der an Strippen von der Decke herabhing und in dem ein ganz kleines Kind eben angefangen hatte, gewaltig zu schreien.
Das waren die Lebewesen, zu denen Pfeffer jetzt gehörte. Sie ließen ihn jedoch samt und sonders kalt, und er wünschte sie alle zur Hölle. Ganz besonders den, den er als seinen Herrn und Meister zu betrachten hatte. Er hatte ihn am Morgen, zur stillen Genugtuung des Collies, in die Hand gebissen, es war aber kein gutes Geschäft gewesen, denn der Zigeuner hatte ihn mit Stock und Füßen unbarmherzig bearbeitet.
Pfeffer spürte beim Laufen schmerzlich die Schwellungen, und Trübsal und Haß stritten sich in ihm um die Oberhand. Aber er hätte nicht ein so zäher Bursche sein müssen, wenn nicht trotz allem immer wieder der Gedanke an Befreiung und Flucht in ihm aufgeblitzt wäre. Vorläufig jedoch war er an die Zigeunerkarre gekettet. Der Regen rann, die Knochen schmerzten, und die Straße dehnte sich endlos.