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Der Tag ging ohne besondere Zwischenfälle zu Ende, und nachdem Heinrich sich in der Gaststube verabschiedet hatte, ging er, gefolgt von Pfeffer, in seine Mansarde. Doch er legte sich nicht ins Bett, sondern öffnete das Fenster, zog sich einen Stuhl heran und blickte, eine Zigarette rauchend, in die Nacht hinaus.
Es war etwas windig. Der Regen hatte aufgehört, und durch die treibenden Wolken sah der dunkle Nachthimmel. Vereinzelte Sterne blinkten dort oben für einen Augenblick auf, dann wurden sie wieder von Wolken verdeckt.
Pfeffer lag still zu Füßen seines Herrn, doch schlief er nicht, seine Ohren waren gespitzt. Herrchen ging nicht schlafen, er wartete offenbar, also wartete der Hund auch.
Nach und nach wurde der Himmel heller. Hinter den Wolken stieg der Mond herauf. Man sah ihn noch nicht, und doch drang sein Licht hernieder und ließ Häuser und Bäume aus dem Dunkel treten. So konnte Windholz den Hof überblicken. Links waren die Stallgebäude, sie lagen in tiefem Schatten, rechts ein umzäunter Obstgarten. Gegenüber dem Wohnhaus stand ein Wirtschaftsgebäude, eine Kombination von Scheune, Schweineküche und Getreidekammer. An der Seite zum Obstgarten hin klebte noch ein kleines Häuschen mit einem schräg abfallenden Dach und einer niedrigen Tür, zu der drei Stufen hinaufführten. Zwei Fenster waren zu erkennen.
Dort war die Gesindestube, wie Windholz wußte.
»Komm, mein Junge, es ist Zeit – –.«
Heinrich verließ die Kammer, und von Pfeffer gefolgt, stieg er leise die Treppe hinab. Im Hause schlief alles. Die Haustür knarrte, so vorsichtig Windholz auch die Klinke herabdrückte.
Neben der Treppe, die zur Haustür hinaufführte, wuchs eine Linde. In ihrem Schatten blieben der Mann und der Schnauzer stehen. Der Hund drehte seine Nase nach allen Seiten, und der Mann seine Augen. So standen sie etwa eine Minute lang, dann sagte Windholz: »Los!«, und beide rannten hinüber zu dem Gesindehäuschen. Zwei Stuben hatte es, in der einen schlief der alte Lembke, der Kutscher, die andere hatte Anton bewohnt. Heinrich drückte die Klinke herunter, die Tür ging auf. Leise wieder schließen – alte Leute haben manchmal einen sehr leichten Schlaf – die paar Schritte über die kleine fliesenbedeckte Diele – und nun wieder sachte die Klinke der rechten Tür niedergedrückt. Aber – die Stube war abgeschlossen. Das stand nicht im Programm. Vielleicht saß die Krampe, hinter der die Klinke einschnappt, nicht fest ...
Windholz stemmte die Schulter mit aller Gewalt gegen die Tür. Die Krampe saß wirklich in morschem Holz!
Das Eisen fiel klirrend zu Boden, Windholz stolperte in die vom Mond erhellte Stube, mit großem Lärm. Auch Pfeffer war in den Raum geglitten. Nun standen er und sein Herr bewegungslos, beide lauschten. Doch der alte Lembke gehörte glücklicherweise nicht zu denen, die leicht geweckt werden, sein Schlaf hätte noch ganz andere Geräusche überdauert, denn der Alte war taub.
Windholz brachte die Klinke wieder in Ordnung und nahm dann seinen Posten ein. Zwischen der Seitenwand des Schrankes und der Zimmerwand war ein Zwischenraum, so groß, daß gerade ein Mann Platz hatte. Dort stand Heinrich, zu dessen Füßen Pfeffer saß, wie ein Jäger auf dem Anstand. Das menschliche Wild, das er erwartete, sollte überrumpelt werden, und darum flüsterte Windholz seinem Hund eindringlich zu: »Ganz still, bis ich sage: Faß!«
Der Schnauzer spitzte die Ohren und richtete seine Augen unverwandt auf die vom Mondlicht erhellte Tür, er bewegte sich nicht. Die beiden, die da auf der Lauer lagen, standen im tiefen Schatten, selbst auf kurze Entfernung waren sie nicht zu sehen. Windholz war der Überzeugung, daß Anton kommen würde, um sich seine Papiere oder sonst Wichtiges zu holen, und das so bald wie möglich, denn er würde sicherlich danach trachten, recht schnell die Gegend zu verlassen.
Heinrich stand und wartete. Warum er eigentlich diesen Gauner zur Strecke bringen wollte, das wußte er selbst nicht. Der Mensch ging ihn ja nichts an. Doch in der Nacht, als die gequälte Katze im Schornstein schrie, war ihm der Schreck bis ins Herz gefahren. Das ärgerte ihn. Auch die Gemütsrohheit dieses Wilddiebes empörte Windholz. Schließlich kam der Reiz hinzu, den eine so gefährliche Jagd ausübte. Der Wandermusiker war sich wohl bewußt, daß dieser Anton nicht einfach ja und amen sagen würde, wenn man ihn festnehmen wollte.
Die Überwindung des sicher nicht schwächlichen Kerls dachte sich Windholz folgendermaßen: In dem Moment, in dem der Mensch durch die Tür –
Die Tür!
Die Tür hatte er ja wieder verriegelt! Das ging ja nicht, da mußte er doch gleich mal – –
Da! Leise Schritte auf dem Flur. Es war zu spät, die Krampe herauszuziehen oder den Riegel zurückzudrücken.
Pfeffer knurrte leise. Sein Herr packte ihn am Nackenfell und griff fest zu. Der Hund legte einen Augenblick die Ohren an und wedelte kaum merklich mit der Rute; er hatte begriffen.
Jetzt wurde die Klinke herabgedrückt und an der Tür gerüttelt. Doch die Krampe hielt aus. Die Klinke hob sich wieder, die leisen Schritte entfernten sich.
Heinrich und Pfeffer blieben reglos. Gleich darauf verdunkelte sich das Fenster, er kam also von dort. Hände tasteten außen am Fensterrahmen, und siehe da, die eine Scheibe hatte ein Loch, ein Arm fuhr hindurch und öffnete, wenn auch mit Schwierigkeiten, den Riegel.
Das Fenster knarrte, eine massige Silhouette füllte den Rahmen, und im nächsten Augenblick sprang Anton, der in seine eigene Stube einbrach, auf den Fußboden. Windholz hatte die Absicht, ihn in seine Nähe zu lassen, um ihn in überraschendem Überfall überwältigen zu können. Doch kaum stand der Wilderer auf seinen Füßen, als Pfeffer, alle Befehle seines Herrn vergessend, sich plötzlich aus der Hand Heinrichs losriß und blitzschnell auf den Eindringling zuschoß. Ohne zu knurren oder zu bellen, fuhr der graue Hund aus der Dunkelheit in das ungewisse Licht des Mondes und prallte mit Anton zusammen. Mit voller Wucht flog er ihm an die Brust, so daß der Mensch mit einem rauhen Schrei stürzte. Pfeffer stand mit den Vorderfüßen auf der Brust des Wilddiebes und fletschte knurrend die Zähne, dicht am Halse des Überrumpelten.
Der lag, benommen von dem Fall und in Todesfurcht vor dem drohenden Gebiß, still und rührte sich nicht. Er wußte, keine noch so schnelle Bewegung seines Körpers oder seiner Glieder würde schnell genug sein, ihn zu befreien, denn die Entfernung von den schimmernden Zähnen bis zu seiner ungeschützten Kehle war nur ein paar Zentimeter. Rasch nutzte Windholz die Lage. Mit einem Lederriemen fesselte er dem Bebenden die Hände, gleichzeitig den Hund ermahnend, aufzupassen.
Als er den Überwältigten aufforderte, sich zu erheben, waren von dem Moment, da Pfeffer ansprang, bis jetzt kaum zwei Minuten vergangen. Eskortiert von den warnenden Worten Windholz' und den drohenden Zähnen Pfeffers, dessen Nase sich während des Weges keine Sekunde von den Beinen des Wilderers entfernte, wurde Anton zu dem Bauernhof hinübergebracht. Der Bauer hatte keinen so festen Schlaf wie der alte Lembke, Windholz brauchte nicht lange an die Scheibe zu klopfen, und der Wirt, nur mit Hemd und Hose bekleidet, kam heraus.
Er erkannte seinen Knecht trotz des ungenügenden Lichtes sofort. Einen kurzen, verwunderten Ausruf ließ er hören, dann gab er dem so plötzlich wieder Aufgetauchten eine fürchterliche Backpfeife und sagte nur: »Rüber zum Förster.«
Der trat angezogen vor die Tür, denn er war gerade dabei, auf die Frühpirsch zu gehen.
Auch hier fiel die Begrüßung für den Gefangenen nicht anders aus als drüben.
Der nun folgenden Auseinandersetzung wohnten Windholz und Pfeffer nicht mehr bei. Bezahlt hatte der Musiker schon am Abend vorher, gepackt war auch, und so brachen die beiden auf, denn munter waren sie, und in kühler Mondnacht läuft es sich am besten. Laut klang des Schnauzers frohes Bellen, als er unter den monddurchschienenen Bäumen seinem Herrn voranlief.