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In der Diele des Oberförsters stand gleich neben der Tür ein Kleider- und Schirmständer, dessen Haken, wie man es häufig in Försterwohnungen findet, aus den Enden von Hirschgeweihen hergestellt waren. Da lehnten die Jagdstöcke, hingen mehrere Jagdhüte, ein Lodenmantel, zwei Rucksäcke und das Lederzeug nebst Leinen und Halsbändern für Duro und die beiden Teckel. Dort hingen auch zwei Halsbänder, die jedem, der sie zufällig sah, durch ihre ungewöhnlichen Ausmaße auffielen. Sie schienen doppelt so groß und stark wie die Duros, waren drei Finger breit und mit dicken Messingknöpfen beschlagen.
Manchmal, wenn Duro an ihnen vorbeiging, hob er den Kopf und schnupperte zu ihnen hinauf. Seine Rückenhaare sträubten sich ein wenig, und ein leiser, knurrender Laut drang aus seiner Kehle. Es war die Erinnerung an ein Erlebnis mit den Trägern dieser Halsbänder, die Duro heute noch in Erregung versetzte, obwohl er hur Zuschauer gewesen war.
Die Geschichte der beiden Hunde, denen diese Halsbänder gepaßt hatten, war folgende:
Es war beim ersten Morgengrauen im Herbst, der Nebel hob sich vom Fließ und breitete sich über die Wiesen aus, da bewegten sich jenseits des Baches, in den weißen Schleiern, zwei dunkle Flecke.
Sie näherten sich einander, entfernten sich und blieben stehen, als sie den Bach erreicht hatten. Nun verschwanden sie, um aber bald wieder aufzutauchen. Der alte Mann, der drüben von den Weiden Ruten schnitt, erkannte sie als Hunde, die jetzt, einer hinter dem anderen hertrottend, dem Walde zuliefen. Der Alte stellte sich hinter den Weidenstamm und verhielt sich ganz ruhig. Der Wind stand von den Hunden zu ihm herüber, so witterten sie ihn nicht, als sie auf kaum zwanzig Schritte an dem alten Korbflechter, der sich hier unerlaubterweise sein Material holte, vorüberzogen.
Es war gerade hell genug, daß der Alte sie genau erkennen konnte. Richtige Gewaltköter waren es, Deutsche Doggen. Das eine Tier, offenbar die Hündin, war etwas leichter als das andere gebaut, aber beide waren gleich in der Farbe, braun und schwarz gestromt.
Der Korbflechter kannte das Paar, es gehörte einem Gastwirt auf einem der Nachbardörfer und war als gefährlich bekannt. Jetzt kehrten sie offensichtlich von nächtlicher Raubfahrt heim. »Es ist Unfug, diese Sitte«, dachte der Alte, als die beiden Doggen zu seiner Erleichterung im Walde verschwanden, »am Tage liegen sie an der Kette, und nachts läßt man die gemeingefährlichen Biester frei umherlaufen.«
Die beiden Hunde trotteten gemächlich durch den Wald dem Hof ihres Herrn zu. Der Gastwirt stand nicht so früh auf. Wenn er auf dem Hof erschien, lagen Cäsar und Senta schon lange in der Sonne, und selbst wenn er von dem nächtlichen Treiben der beiden Hunde Kenntnis gehabt hätte, es würde ihn nicht berührt haben. So brauchten die Doggen nicht wie andere wildernde Hunde, die des Morgens ihrem Hof zustrebten, scheu heimwärts zu schleichen, sondern gingen in vollkommener Ruhe und im Bewußtsein ihrer Größe und Stärke nach Hause.
Sie waren schwerfällig, denn sie hatten sich am Wildbret einer hochbeschlagenen Ricke vollgefressen, die sie gemeinsam gehetzt und gerissen hatten.
So trotteten sie durch den morgenstillen Wald, als wäre es ihr eigener. Ein Tier, vor dem sie sich hätten in acht nehmen müssen, gab es nicht, und die Menschen? Respekt vor Menschen hatten sie auch nicht. Ihren Herrn, den Gastwirt, liebte die Hündin und folgte ihm aufs Wort. Der Rüde liebte ihn wohl auch, jedenfalls gehorchte er ihm und erkannte ihn als seinen Herrn an. Doch als er einmal ein kaltes Huhn vom Büfett genommen hatte und ihn sein Herr dafür mit der Hundepeitsche schlug, hatte er sich knurrend und die Zähne fletschend dagegen empört. Der Wirt mußte mit der Züchtigung aufhören, er empfand seitdem eine mit Furcht gemischte Scheu vor seinem Hunde, und es gelang ihm nicht immer, das Gefühl zu verbergen.
Der Doggenrüde fühlte das bald, und seitdem war er wie ein König, der sich, seiner Stärke voll bewußt, vor niemand beugte.
Als die Hunde an diesem Morgen die frische Fährte eines Wildes kreuzten, schnüffelten beide darin und untersuchten sie eingehend. Doch von dem weiten Weg und der anstrengenden Hatz ermüdet, dazu mit übervollem Magen und mehr als gesättigt, ließen sie die Fährte und zogen weiter in Richtung ihres Zuhause.
Der Rüde und die Hündin verständigten sich über alles. Mit einer Bewegung, einem Blick oder der Andeutung eines Bellautes teilten sie sich mit, was sie einander sagen wollten. Karg und schroff waren beide im Wesen, doch es verband sie trotz der scheinbaren Gleichgültigkeit eine starke Zuneigung, die sich nur selten durch ein kleines Rutenwedeln oder ein Schnuppern dem menschlichen Auge verriet.
Zweifellos waren die Mitteilungsmöglichkeiten dieses Hundepaares vielfältiger und weit feiner, als sie selbst von Menschen, die gut beobachteten, wahrgenommen wurden, denn die feineren Sinne der Tiere und ihre unversehrten Instinkte bedürfen nicht so grober Verständigungsmittel, wie viele Menschen sie bei den Tieren voraussetzen.
Die beiden Hunde hatten eben eine Schonung umschlagen und waren im Begriff, den Wald, der hier an die Feldmark stieß, zu verlassen, als sie einen Mann langsam, die Augen suchend auf den Boden gerichtet, auf sich zukommen sahen. Es war ein Pilzsucher, der die frühe Morgenstunde benutzen wollte, um ein Pilzgericht zu sammeln.
Mit gespitzten Ohren blieben die Doggen stehen. Es regte sich ein heftiges Gefühl in ihnen, sie empfanden, genau wie jeder Wilderer, das Verbotene dessen, was sie getan hatten. Sie waren ganz mit sich allein gewesen, und nun tauchte plötzlich ein Mensch auf, der auf sie zukam.
Der Mann, schmächtig, ein Schneidermeister aus der Nähe, sah ein paar Grünlinge, bückte sich, brach die Pilze aus dem Erdboden und warf sie, während er sich wieder aufrichtete, in den Korb. Da sah er die regungslos vor ihm stehenden riesigen Hunde.
Er erschrak bis ins Herz. Ganz blaß wurde er, als er ein bebendes »Na, artig – –« rief.
Aber Cäsar kam knurrend näher. Tief und drohend klang es, und der Mann, der noch nicht mal einen Stock bei sich hatte, zog sich langsam an eine Kiefer zurück, gegen deren Stamm er sich lehnte.
Der Bedrohte hatte von dem ziemlich starken Baum Rückendeckung, und dadurch etwas gefaßter, rief er die Hunde hart und laut an. Doch die Angst, die er empfand, zitterte in seiner Stimme. Der Rüde, der sich vor keiner Stimme gefürchtet hätte, und sei es die eines Bären, nahm den Mann wütend an, und die Hündin folgte unverzüglich seinem Beispiel.
Die bösen, schweren Köpfe dicht vor sich, die von feuchten Lefzen überhangenen Gebisse in drohender Nähe, fing der in rasender Angst mit dem Pilzkorb um sich schlagende Mann laut an zu schreien. Er traf Senta mit dem Korb auf die Nase, worauf die Hündin, bisher nur von Cäsar mitgerissen, in Wut geriet und in plötzlichem Ansprung nach dem schlagenden Arm schnappte. Die Hand des Unterarms erhielt eine böse Schramme, und der Ärmel riß bis zum Ellenbogen auf.
Im selben Augenblick sprang von der anderen Seite Cäsar an, doch ein wohlgezielter Tritt des verzweifelten Schneiders warf ihn noch einmal zurück.
Dieser Mensch der Zivilisation, der mitten im europäischen Kulturwald plötzlich ohne jede Vorbereitung zwei mächtigen Raubtieren gegenüberstand, die ihn zerreißen wollten, schrie in langgezogenen gellenden Tönen um Hilfe. Er hatte sich für einen Augenblick Luft geschafft, denn diese hellen, schneidenden Töne aus einer Menschenbrust kannten die Doggen noch nicht.
Nur der Schreck vor den bisher nie gehörten Lauten ließ die beiden Tigerdoggen einen Moment innehalten.
Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen schrie der Mann immer wieder um Hilfe, aber jetzt griffen die Hunde aufs neue an.
Da gab sich der arme Mensch verloren. Er schrie, trat und fuchtelte mit dem Korb und verstummte. Ein plötzlicher Ruf: »Halt, werd't ihr woll!« riß die Hunde herum.
Der Pilzsammler, eben hoch vom unmittelbaren Tode bedroht, sah die Doggen kehrtmachen und mit gesenkten Köpfen und wutverzerrten Masken auf einen weißbärtigen Mann zustürzen, der dunkel gegen die Helligkeit zwischen den Bäumen an der Waldkante stand.
Der Schneider, von Grauen noch ganz gefangen, so daß ihm Arme und Unterkiefer herabhingen, sah neben dem Mann einen graubraunen Jagdhund an der Leine, zitternd vor Erregung, aber scheinbar ohne Furcht, den heranstürmenden Riesenhunden entgegensehen.
Jetzt riß der Mann ein Gewehr an den Kopf: »Halt, ihr Bestien!!« schrie er, und als die Hunde sich nicht einschüchtern ließen, fiel der Schuß. Der Rüde verlor die Gewalt über die Vorderläufe, sein Kopf schlug hart auf den Boden, und der mächtige Hund fiel auf die Seite. Alle vier Gliedmaßen scharrten die Erde, der Fang, weit aufgerissen, würgte nach Luft, und die Rute peitschte wild den Stamm einer Kiefer.
Die Hündin fuhr herum, als wolle sie sich zur Flucht wenden, aber mit weitausgreifender Bewegung der Vorderläufe machte sie eine Schwenkung, um scheinbar aufs neue anzugreifen. Doch in der Nähe des verendenden Rüden lief sie um diesen herum, die Rückenhaare gesträubt, knurrend, bellend und heulend zugleich, sie begriff, was geschehen war, und in ihr stritten sich lähmendes Entsetzen und rasende Wut.
So fuhr sie mit völlig entstelltem Ausdruck hin und her, gestoßen und gezogen von Gefühlsgewalten, die aus ihr, dem von Menschen erzüchteten Rassehund, in wenigen Sekunden ein Geschöpf der Urwildnis, ein Stück kämpfendes Leben machten.
In diesem Augenblick brach aus dem Rachen des sterbenden Doggenrüden ein so grauenvoller, würgender Laut, daß die Hündin, befreit von ihrer Furcht, nur noch mörderische Wut empfand und mit heulendem Bellen den Jäger annahm.
Da dröhnte der zweite Schuß, und die Dogge, die in voller Fahrt von der Schrotgarbe getroffen wurde, überschlug sich in einem grausig-schönen Salto, ehe sie dumpf aufschlagend zur Erde fiel. Sie starb schneller als der inzwischen verendete Rüde, und der Oberförster und Duro traten an das gestreckte Räuberpaar heran.
Der Schneider gehörte nicht zu jenen, die nach erwiesener Wohltat sich verflüchtigen, er ging zu seinem Retter und fand nicht Worte des Dankes genug für die Hilfe aus so großer Not. Auch später noch, wenn er den Oberförster sah, versäumte er nie, daran zu erinnern, daß er ohne ihn wohl damals seine letzte Hose zugeschnitten gehabt hätte.