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Der Todesengel.

An eines Jünglings Lager trat der Tod,
Ein Engel, dessen Augen Nacht durchdringen;
Im Hauche seiner lindbewegten Schwingen
Entrann der Sterbende der letzten Not,
Zum letzten Male noch mit matten Augen
Des holden Mondes Silberlicht zu saugen.

Auf dieses Lebens Scheide angelangt,
Wo wir die Ewigkeit erkennend schauen,
Sah er den schönen Engel ohne Grauen,
Vor dessen Namen sonst der Jugend bangt,
Und sprach zu ihm mit fast erloschner Stimme,
Nicht wehrend feinem schmerzlich bittren Grimme:

»Ich fühle, nichts entzieht mich deiner Hand;
Kaum trat ich über dieses Lebens Schwelle,
Rufst du mich mächtig ab von einer Stelle,
An die mich Liebe, Pflicht und Hoffnung band.
Für künft'ge Ernte wähnt' ich noch zu säen;
Du kommst, als wär' es Herbst, mich wegzumähen.

Ich lasse unvollendet hinter mir,
Was alles ich verschwenderisch gesonnen,
Im Jugendstolz mit läss'ger Hand begonnen;
Vergeblich war mein kurzes Dasein hier.
Nicht ahnte mir, der der Natur vertraute,
Daß ich für nieerlebte Zukunft baute.

Nicht müßig, glaube mir, war dieses Herz;
Es schuf sich stürmisch weltengroße Pläne.
Wär's nicht um dich, mich hätte, wie ich wähne,
Mein Bildnis überlebt in Stein und Erz.
Wo ich im Traum zu herrschen mich vermessen,
Scheid' ich als Schatten, ruhmlos, schnell vergessen.

Den straffen Arm, die Stirne glatt und zart,
Nahm ich als Wechsel auf ein langes Leben,
Von makellosen Händen mir gegeben.
Doch find' ich mich betrogen und genarrt:
Trug war des jungen Leibes Kraftgeberde,
Er wandelt kläglich sich zu Staub und Erde.

Führ' mich vor jenes ewige Gericht,
Wo Willkür Urteil spricht und blindes Wählen;
In meinem Buche wird das Haben fehlen,
Doch fürchte ich meinen starren Gläub'ger nicht:
Er gönnte meiner Saat nicht Zeit zu grünen,
Noch reifrer Einsicht, junge Schuld zu sühnen.«

Der Engel sprach – sein Wort war wie Gesang –
»Ich pflanzte dich als Keim vor zwanzig Jahren;
Da konnt' ich schon dein Schicksal offenbaren,
Das aus dir selber wie das Blatt entsprang,
Dem Farbe und Gestalt in winz'gen Trieben
Des Samenkorns von Anfang vorgeschrieben.

Dir ward das Leben wie ein reiches Lehn,
Du wurdest stolz und nahmst es für ein Eigen;
Doch heute dürft' ich deinen Fragen schweigen
Und deinem Vorwurf keine Rede stehn.
Entzog ich milde doch dem zarten Kinde
Des Zukunftwissens graus'ges Angebinde.

Hast du nach jener Ewigkeit gefragt,
Die mit unmeßbar grenzenlosem Fluge
Vorherging deinem ersten Atemzuge?
Daß dir ein erster Morgen je getagt,
Verbürgte nicht dies Räthsel zur Genüge,
Daß einst auch eine letzte Stunde schlüge?

Der Hoffnung, Jugendschuld durch späte Reue
Hinwegzutilgen, muß der Mensch entraten;
Kein Gott zählt gute oder böse Thaten.
Die letzte Stunde bleibt der ersten treu,
Es bleibt der Greis was er als Kind gewesen;
Denn von sich selbst mag keiner je genesen.

Das Jenseit kennt die Menschensatzung nicht,
Die sich zerlegt das ein'ge Weltgefüge
Und an ihr Bruchstück Zwang und Schuld und Rüge
In unfreiwill'ger, schwerer Kette flicht.
Nicht gehst du hin, du scheidest vom Gerichte
Zu aller Zwietracht ew'gem Gleichgewichte.«

Der Engel schwieg. Des Jünglings Auge brach,
Des Erdenlichtes Quelle zuzuschließen.
Der Frieden, den der Engel ihm verhießen,
Warf seinen Schatten still in das Gemach.
Das Haus erfüllte sich mit lauter Klage,
Und draußen wich die Nacht dem frohen Tage.

*


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