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Als der Dauphin von Frankreich, der spätere Ludwig XVI., seine Hochzeit mit Marie Antoinette von Oesterreich, der Tochter Maria Theresias, feierte (1770), wurden in Paris während eines Feuerwerks im Menschengedränge 133 Personen todtgedrückt und 1100 bis 1200 in dem Grade verwundet oder verstümmelt, daß sie nachher starben. Man hielt dies für ein böses Omen, und es hat sich auch bewahrheitet. Man hatte die Du Barry vom Hofe entfernen wollen, als die neue Dauphine anlangte; sie blieb aber und wurde huldvoll begrüßt – wußte ja die arglose junge Frau nicht, wen sie vor sich hatte! Am 9. Mai 1774 wurde das junge Paar durch den grausigen Tod des Großvaters König und Königin; sie knieten nieder und baten um Gottes Schutz, da sie viel zu jung auf den Thron kämen (er war erst zwanzig, sie ein Jahr jünger). Sehr schlimm war es, daß die Königin, die nie deutsch gewesen und ganz französisch erzogen war und sich völlig als Französin fühlte, also auch eine Neigung zur Intrigue um so mehr faßte, als sie sich über den König, wenn auch nicht an Bildung, doch an Energie überlegen fand, – sich schon früh in Dinge mischte, die sie nichts angingen. Sie warf sich zur Beschützerin des in politischer und moralischer Beziehung arg kompromittirten Botschafters in London, Grafen Guines, auf und setzte gegen den Willen des Königs dessen Beförderung zum Herzog und die Entlassung der ihm feindlichen Minister Turgot und Malesherbes durch, nicht aber die Einsperrung des ersteren und die Entlassung von Vergennes, dagegen die Verbannung des ehemaligen Ministers Aiguillon, und suchte den gestürzten Choiseul wieder empor zu bringen. Sie rühmte sich dessen in Briefen nach Wien; aber ihr ebenso politisch skrupelloser, wie persönlich trefflicher Bruder, Kaiser Joseph II., hielt ihr eine derbe Strafpredigt über ihre Intriguen und ihr unangemessenes Verhalten, zeigte ihr, daß sie der Kenntnisse entbehre, um sich mit Politik zu beschäftigen, und prophezeite ihr, daß sie das Unglück ihres Lebens herbeiführen werde. Wie recht hatte er! Auch ihre Mutter sandte ihr beständig gute Lehren über ihr Verhalten. Und dennoch war beides in den Wind gesprochen! Als Joseph sie in Versailles besuchte, nannte er sie einen windigen Kopf, der den ganzen Tag von Vergnügen zu Vergnügen flattere, was sie von allem ihr so nöthigen Nachdenken abhalte; sie erfülle, schrieb er, weder die Pflichten der Frau, noch der Königin, tyrannisire und vernachlässige zugleich den König. Hinter dieser Klage lag aber lediglich die Besorgniß, daß die Königin die von ihr geforderte Unterstützung der Habsburgischen Politik in Frankreich nicht nach Wunsch leisten könnte. Er brachte sie dahin, ihre Mission besser zu führen; sie unterlag jedoch, dank der gewandteren Diplomatie Friedrichs des Großen, der Oesterreichs Absichten auf Baiern hintertrieb (und damit das heutige, deutsche Reich möglich gemacht hat). Der König von Frankreich war diesmal gegenüber seiner schönen Tyrannin fest gewesen.
Auch in der inneren Lage Frankreichs gewann damals eine Frau nicht geringen Einfluß. Es war die Gattin des neuen Finanzministers, der an Turgots Stelle trat, Frau Susanne Necker, geb. Curchod aus Lausanne in der Schweiz, wo sie durch Bildung und Schönheit großes Aufsehen erregt und viele Verehrer gefesselt hatte, unter ihnen den englischen Historiker Gibbon, der aber ihre Liebe täuschte. Als Gesellschafterin nach Paris gekommen, heirathete sie 1764 ihren reichen Landsmann (Genfer) Necker. Ihr prachtvolles Heim wurde eine Fortsetzung der schöngeistigen Salons; man sah hier Voltaire, Diderot, d'Alembert, Grimm, St. Lambert, Marmontel u. s. w., und Frau Necker protegirte die Werke dieser Schöngeister und zeichnete ihre geistreichen Einfälle auf; sie beförderte die Popularität und befestigte die Stellung ihres Mannes.
Marie Antoinette gebar 1778 eine durch ihr Unglück bekannt gewordene Tochter und 1781 einen Sohn, der früh starb und 1785 einen ebenfalls unglücklichen Nachfolger erhielt. Aber ihr Dämon umgab sie fortwährend mit schlimmen Einflüssen, unter denen besonders die der Herzogin von Polignac, der Erzieherin ihrer Kinder, und des Grafen von Artois, ihres Schwagers (später Karl X.), unheilvoll waren. Umsonst waren die Mahnungen ihres Berathers, des Abbé Vermond; sie empfing sogar die Prinzeß Guémenée-Rohan, die von ihrem Manne getrennt lebte, und deren Buhlen, den Herzog von Coigny. Von der Polignac und ihrer Familie wurde sie schamlos ausgebeutet, und war selbst so unvorsichtig, daß sie auf ihrer Schloßbühne auftrat und nächtliche Spaziergänge unternahm. So bedurfte es nur noch der bekannten und berüchtigten Halsbandgeschichte, um ihren Ruf unheilbar zu untergraben. Wie sehr dies dazu beitrug, während der Revolution den Haß gegen den Hof immer emsiger zu schüren, weiß jeder Kenner der Geschichte jener Kette welterschütternder Ereignisse, während deren auch »Weiber zu Hyänen wurden und mit Entsetzen Scherz trieben«.
Die Revolution war hereingebrochen, die Flucht der königlichen Familie war vereitelt; vielmehr als gegen den König richtete sich gegen seine Gattin, die »Oesterreicherin«, die Wuth des revolutionären Theils der Franzosen, unter welchem je länger je mehr das Bürgerthum einem Gesindel ohne Seelenwerth wich. Mehr als der immer noch patriotische Ludwig, trotzte sie, die Fremde, der »Canaille«, in deren Treiben sie keinen Sinn fand; denn sie verstand keine andere Regierung als den Absolutismus.
Ihr Gegenbild war Marie Johanna Roland, geb. Phlipon (geb. 1754), seit 1780 die Gattin jenes Ministers, der »im Rathe des Königs die Geschäfte der Anarchie besorgte«. W. Oncken, das Zeitalter der Revolution u. s. w., Berlin 1884, I. S. 437 f. Sie war schön, geistreich, gebildet, aber überspannt, unbedingt überzeugt von der Unfehlbarkeit dessen, was man »Volk« nannte, was aber sie und ihr Mann nicht kannten. Sie besuchte den Jakobinerklub und die Nationalversammlung und hielt einen republikanischen Salon, wurde jedoch nach und nach übersättigt und angeekelt von dem Geschwätz und der Planlosigkeit jener »Freiheitshelden«, die ihr Haus besuchten. Sie schrieb aber selbst am 10. Juni 1792 an den König einen Brief voll unverständiger Drohungen, weil er Dekrete nicht genehmigt, die ihn entwürdigten. Ein Jahr darauf bereute sie im Kerker und auf dem Schafott umsonst ihre Irrungen.
Je näher die Königin ihrem tragischen Ende kam, um so ernster, gesetzter, ihrer verlorenen Stellung würdiger wurde sie, desto achtunggebietender wurde die Haltung der im Unglück veredelten und geläuterten, von der Meute der den Namen des Volkes schändenden Sansculotten umsonst angekläfften Dulderin. Sie mußte am 3. September den Kopf ihrer Freundin, der Prinzeß Lamballe, auf eine Pike gesteckt, vor ihr Gefängniß tragen sehen und den Tod des Königs unter der Guillotine überleben. Im Tode ging ihr auch die Jeanne d'Arc der Revolution, die herrliche Charlotte Corday, 24 jährig, welche das Ungethüm Marat beseitigt hatte, voran. Der Prozeß der Königin war das Niederträchtigste, was sich denken ließ, eine Reihe bewußter Lügen und namenloser Roheiten. Man zwang ihren kindlichen Sohn zur Unterzeichnung einer unnatürlichen Beschuldigung gegen die Mutter, deren wackere Antwort hierauf bekannt ist. Sie starb am 16. Oktober unter dem Jubel des Janhagels, ruhig und würdig. Ihr folgten die Girondisten, der elende Herzog von Orleans, Frau Roland u. a., und am 9. Dezember fiel der Kopf der schändlichen Dubarry, die sich wie ein wildes Thier gegen ihre Hinrichtung (wohl die verdienteste der Schreckenszeit) wehrte! Weniger ist Marie Antoinette selbst, als vielmehr eine schuldlose Anhängerschaft der Prinzipien, aus denen ihr Untergang erfolgte, von ihrer harten Schwester, der Königin Karoline von Neapel, gerächt worden, die sich nicht scheute, die berückende Gewalt der Schönheit einer gewesenen Dienstmagd und Dirne, der späteren Lady Hamilton (Emma Harte, † 1815), über den Seehelden Nelson zu ihren wilden Zielen zu verwenden.
Zwei schöne junge Frauen, die Gattinnen von Danton und Desmoulins, befanden sich unter den letzten Schlachtopfern der Schreckenszeit. Das Ende des Tollhäuslers Robespierre (der nie gewußt hat, was er eigentlich wollte) in der Krise des Thermidor stürzte die Jakobiner noch nicht, aber es nahm ihnen den Muth des Mordens. Dem gesellte sich auch bald die Reaktion gegen die Pöbelherrschaft bei. Das jüngere Geschlecht, im Kriege gestählt, brachte aus den Feldzügen den Haß gegen das Blutvergießen im Frieden mit, warf, mit Ausdauer kämpfend, das Jakobinerthum nieder und rächte die Opfer der Schreckenszeit. Die ganze anständige Frauenwelt sympathisirte, erleichtert aufathmend, mit dieser Richtung; sie wurde wieder zu einer Macht. Die Salons lebten wieder auf. Schöne Frauen leiteten sie, beherrschten die Theater, die Promenaden, fanden sich in den Bibliotheken, hielten Bälle in der ehemaligen Tracht der Opfer des Schreckens ab und erfanden die lose, lüsterne, halb antike Kleidung jener Zeit. Ein lebenslustiges Frankreich that sich auf. Madame Recamier, schön wie eine Göttin, Madame Tallien, Notre Dame du Thermidor genannt, die Retterin vieler Opfer des Schreckens, die Baronin von Staël-Holstein, Neckers Tochter, Josephine Tascher de la Pagerie, die Witwe des guillotinirten Generals Beauharnais, das waren die leuchtenden Sterne einer neuen Zeit, die nicht nach einer abstrakten Freiheit, sondern nach den greifbaren Idealen: Genuß und Macht strebte und damit nicht weniger Unheil über die Welt gebracht hat, als die Schreckenszeit; nur traten an die Stelle des Fallbeils der Säbel und die Kanone und an die des Greveplatzes und der Noyaden das Schlachtfeld im Auslande! Doch wandelten jene Sterne verschiedene Bahnen. Josephine wurde die Genossin des Völkerschlächters, – die Staël seine erbitterte Feindin und die Heroine einer neuen Litteraturepoche.
Um sein Emporkömmlings-Regiment zu legitimiren, brach Napoleon nicht nur unter nichtigen und heuchlerischen Vorwänden das Band der Liebe, das ihn mit Josephine verknüpfte, sondern auch ihr Herz. Aber das Volk hing der Verstoßenen, die ihr Schicksal duldend trug, an, wie es den Machthaber, dessen ersten Sturz sie nicht lange überlebte, haßte und fürchtete und sich nur von seinen Erfolgen blenden ließ. Ihre Nachfolgerin Marie Louise, die Tochter des letzten römischen Kaisers deutscher Nation, ist nicht glücklich geworden und hat sich nach dem Sturze des Imperators mit dem Grafen Neipperg zu trösten gesucht. Die Nemesis aber hat dem Sohne der zweiten Ehe den Weg zum Throne gesperrt.
So viel Germaine de Staël (1766-1817) zu leiden hatte, so sehr hat ihr Ruhm sie entschädigt, und es war ihr die Genugthuung vorbehalten, eine liberale Schule heranzuziehen, welche das restaurirte alte Régime stürzte, freilich aber wieder neueren Ideen erlag.
Ihre zweite Verbannung war eine Folge des Zornes, den der Gewaltige empfand, weil sie Deutschland gerecht zu werden wagte. Hier, im alten Reiche, verband sich mit der tiefsten politischen Erniedrigung der Zeit nach die höchste Entfaltung der philosophischen und dichterischen Geistesgaben. So wenig die Frauenwelt an der Philosophie Antheil nahm, so sehr hat sie auf dem Felde der Poesie sich geltend gemacht. Ja, man darf sagen, während die klassische Schule das männliche Element hervortreten ließ und das weibliche zu kräftigen suchte, hat die romantische Schule das Weib auf den Thron gehoben und ihr Möglichstes gethan, die Männerwelt zu verweichlichen. Goethes Mutter, Elisabeth Textor, die »Frau Rath«, zeigte jenes klassische Gegentheil der Verweichlichung des Charakters schon vor der Glanzzeit ihres Sohnes. Die weiblichen Wesen, welche diesen außerordentlichen Genius umgaben, lehnten sich an seine Größe wie Planeten an die Sonne, ohne einen Einfluß auf sein Wirken anzustreben. Die sanfte, verlassene Friederike Brion, die feurige Frau von Stein, die durch Werther verewigte Lotte, Ottiliens Urbild Minna Herzlieb und wie sie alle heißen, sind, abgesehen von einer Christiane Vulpius, nur Stationen aus dem Wege zum Ruhme des Einzigen, der die Schwäche des Weibes auf rührende Weise in Gretchen personifizirt hat, aber auch dessen Stärke in Klärchen und Iphigenie und deren Steigerung zu dämonischer Macht in Adelheid von Walldorf zur Geltung brachte. Größer als der Einfluß von Goethes Freundinnen auf ihn ist derjenige Charlottens von Kalb auf Schiller. Wie eine Muse stand ihm auch Karoline von Lengefeld zur Seite, während ihre Schwester Lotte sein liebendes Weib wurde. In Schillers Werken wiegen in denen der Jugend die passiven, in denen des reiferen Alters die kräftigeren Frauen vor. Amalie und Louise sind Beispiele jener, während diese: Thekla, Jeanne d'Arc, Maria Stuart, die Fürstin von Messina, die Stauffacherin, den Anbruch einer ernsten Zeit verrathen. In dieser, welche unter dem Drucke des Auslandes still und geräuschlos eine bessere Zukunft vorbereitete, glänzt das herrliche Bild der edeln Dulderin Königin Louise, der Stammmutter des neuen deutschen Kaiserhauses, deren Geist weihend über der glorreichen Erhebung Deutschlands gegen seine Bedrücker schwebte, in welcher einer Eleonore Prohaska das Schwert führte und gleich dem Mädchen von Saragossa in Spanien Heldenmuth bewies.
Einen krassen Abstand gegen diese edlen Gestalten bildet die zweifelhafte Gesellschaft der romantischen Schule am Wechsel der Jahrhunderte, in welcher Henriette Herz, Dorothea Mendelssohn, später Friedrich Schlegels und Rahel Levin, Varnhagens Frau, die freie Liebe pflogen und durch sie zur Frömmigkeit hindurchgingen, und aus welcher das elende Machwerk Schlegels, die Lucinde hervorsproßte, von der sich selbst ein Schleiermacher blenden ließ.
Ganz vereinzelt ragt aus der früheren in diese Periode herüber die meist in Rom lebende Malerin Angelika Kauffmann aus Chur (geb. 1741, gest. 1807).
Eine »Restauration« war bereits diejenige Napoleons, welcher nach den staats- und kirchenfeindlichen Stürmen der Revolution den Absolutismus und die in Frankreich aufgelöste katholische Kirche wieder herstellte. Weiter konnte er, der Legitimität entbehrend, nicht gehen; das fernere Rückschreiten wurde von seinen Besiegern besorgt. Mit ihren Verschwörungen gegen die Völker von Aachen bis Verona ging ein widerliches Kokettiren mit der Religion, ohne wahres Gefühl für diese, Hand in Hand, und schöne Sünderinnen traten nach ihrer »Bekehrung« als Prophetinnen auf. Eine solche war Juliane von Krüdener, geb. v. Vietinghoff aus Riga (geb. 1766, gest. 1824), welche als Witwe eines russischen Diplomaten seit 1806 auf Reisen ging und nach dem Sturze Napoleons ihren schwärmerischen Kaiser Alexander bestrickte und ihn zu dem Gedanken der »heiligen Allianz« begeisterte, die später zum blutigen Zerrbild wurde. Des Herrn Laune ging jedoch vorüber; die Krüdener begab sich unter das Volk, zog besonders in Süddeutschland und der Schweiz als »Frau Hergöttin« herum, bekehrte Sünder, that angebliche Wunder, sandte Apostel aus und zog einen Schweif von Landstreichern, Bettlern, Kranken u. s. w. nach sich. Nachdem sie polizeilich ausgewiesen worden, hatte ihr Treiben in der Schweiz ein schauerliches Nachspiel. Eine junge Fanatikerin, die es ihr gleichthun wollte, Margarethe Peter zu Wildensbuch im Kanton Zürich, ließ sich 1823 von dem Kreise ihrer wahnwitzigen Verehrer auf gräßliche Weise kreuzigen; die Thäter erhielten Gefängnißstrafen und das Petersche Haus wurde niedergerissen.
Auch ohne frömmelnden Anstrich feierte in der sonst so heuchlerischen Periode der Restauration die Frivolität ganz offene Orgien. Einer der heftigsten Feinde freiheitlicher Entwickelung, Georg IV., früher Regent für seinen blödsinnigen Vater, seit 1820 König des britischen Reiches, trat mit seinem Minister Castlereagh die Rechte des Volkes und mit seinen lüderlichen Spießgesellen und Mätressen die Forderungen der Sitte mit Füßen, und hatte dabei die Stirne, seine seit 1794 vermählte Gattin, Karoline von Braunschweig (geb. 1768, † 1821), von der er getrennt lebte und die sich in Italien allerdings Blößen gegeben hatte, als sie zur Krönung zurückkehrte, von dieser auszuschließen und einen skandalösen Prozeß gegen sie zu führen, der ihr Leben zerstörte. Sie wurde von ihrem Volke ebenso gefeiert und verehrt, wie ihr Gemahl gehaßt und verachtet.
War auch ihre Unschuld nicht über allen Zweifel erhaben so spielte eine um so traurigere Rolle die Angehörige der wiederhergestellten, eben aufs neue vertriebenen Königsfamilie Bourbon, die Herzogin Karoline von Berri, Tochter Franz I. von Sicilien, 1820 Witwe des ermordeten Sohnes Karls X. und Mutter des Prätendenten Heinrich (V.), geb. 1798, † 1870. In der Absicht, die Regierung Ludwig Philipps zu stürzen, begab sie sich 1832 nach der Vendée, wurde aber von ihrem Vertrauten Deutz, einem bekehrten Juden, verrathen und gefangen gesetzt. Als sie dann im Schlosse Blaye einer Tochter das Leben gab, als deren Vater sie einen sicilischen Marchese nannte, schien sie keinen Grund zu Besorgnissen mehr zu bieten und wurde entlassen; seitdem war auch der Stern der Bourbons untergegangen. –
Ziemlich fruchtbar, wenn auch nicht fruchtreich für spätere Zeiten war die Arbeit deutscher Schriftstellerinnen während der Restaurationszeit und der nächstfolgenden Jahre. Rahel Levin, die wir bereits genannt, in ihrer späteren Zeit wohlthätig wirkend, hinterließ ihrem Gatten, dem schreibseligen Varnhagen von Ense, eine gedankenreiche, aber inhaltarme Briefsammlung – Bettina von Arnim, geb. Brentano (1785-1859), die Priesterin oder Sibylle der romantischen Schule, in späterer Zeit aber von dieser abgefallen, schrieb phantasiereicher als die Männer jener Schule und setzte ihrer Bewunderung Goethes ein Denkmal in einem erdichteten Briefwechsel mit ihm. Mit ihr innig verknüpft ist die schon vor dieser Periode trotz ihrer Frömmigkeit (1806) aus unglücklicher Liebe mit Selbstmord endende Karoline von Günderode.
Nach diesen »schönen Seelen«, wie sie, aber auch die früher (S. 358 f.) erwähnten Romantikerinnen bezeichnet wurden, sehen wir eine Reihe isolirterer Schriftstellerinnen auftauchen, Johanna Schopenhauer, die Mutter des pessimistischen Philosophen, hatte sich zu ihrer Zeit durch Reiseschriften und Romane einen Namen erworben. Karoline Pichler aus Wien suchte in Romanen die christliche Richtung zur Geltung zu bringen. Helmine von Chézy, Enkelin der »Karschin« (einer unter Friedrich dem Großen lebenden vereinsamten und unglücklichen Dichterin), früher als Erzählerin viel gelesen, ist vergessen, ebenso die hausbackene Wilhelmine Hanke. Leicht aufführbare, aber des Geistes bare Schauspiele schrieb Charlotte Birch-Pfeifer, kräftigere Dramen, aber ohne viel Erfolg, Elise Schmidt. Als Tochter eines unstäten Theaterunternehmers herangewachsen, machte Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805-1880), die hocharistokratische und blasirte Erzählerin, ihre merkwürdige Wandelung »von Babylon nach Jerusalem« durch. Persifflirt wurde sie von Fanny Lewald, der Gattin des Tyrannenretters Adolf Stahr, deren Reisebriefe und Romane gewandt in der Darstellung, aber unsicher in ihren Prinzipien sind. Mehr für die Aristokratie berechnete Erzählungen schrieb Auguste von Paalzow, für die bürgerlichen Kreise Ottilie Wildermuth, für die Jugend Thekla von Gumpert. Einen edel gemeinten, aber verunglückten Versuch, die Schaffenskraft ihres Gatten als Dichters zu retten, machte durch ihren Selbstmord (1834) Charlotte Stieglitz. Eine ganz bedeutende lyrische Dichterin, mit feiner und tiefer Erfassung des Lebens, bewundern wir noch heute in Annette von Droste-Hülshof (1798-1848), wenn auch ihre Richtung in einseitig-klerikale Bahnen gerieth. In demselben Fache that sich auch nicht ohne Erfolg Luise von Plönnies hervor.
Schweden brachte zwei fruchtbare Erzählerinnen von Ruf hervor, Fredrika Bremer (1801-1865) mehr im familiären, und Emilia Flygare-Carlén (geb. 1807) mehr im phantasiereicheren Stile hervorragend. Ueber mehreren englischen Schriftstellerinnen (Wetherell, Gore, Kavanagh, Yonge u. a.) ragt zwar nicht durch Dichtergaben, aber durch Erfolg die Amerikanerin Harriet Beecher-Stowe hervor, deren »Onkel Toms Hütte« unleugbar mit den Anstoß zur Aufhebung der Sklaverei in der Union gegeben hat.
Die ohne Frage größte Schriftstellerin der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts ist aber die Französin Aurore Dudevant, genannt Georges Sand (geb. 1804, † 1876). Wenn auch offen der »freien Liebe« huldigend, hat sie durch die Genialität, mit welcher sie die Heuchelei und die faulen Flecke der modernen Gesellschaft angriff, eine neue Periode der Roman-Litteratur eröffnet und zu der Frauenbewegung der neuesten Zeit folgenreiche Anregung geboten. Der Erfolg ihrer 1832 erschienenen »Indiana« war bereits ein erstaunlicher, und mit jedem ihrer Werke wuchs ihr Ruf als Dichterin, wie als Anwalt der gekränkten Frauenrechte. Freilich muß von unserem Standpunkte ihr im Leben und Dichten durchgeführter Grundsatz, daß die Liebe die Tugend des Weibes sei, entschieden bestritten werden. Sie ist blos eine seiner Tugenden und oft mehr eine Täuschung als eine Tugend. Dies bewies namentlich die höhere Tugenden übende und auf anderem Wege, als dem der Litteratur, für die Verbesserung des Loses der weiblichen Welt wirkende Engländerin Elisabeth Fry, geb. Gurney (1780-1845) durch die von ihr, der Quäkerin, gegründeten Schulen für weibliche Gefangene, durch welche sie eine Verminderung der rückfälligen Vergehen im Kreise ihres Geschlechtes bewirkte.
Unberührt durch solche edle Bestrebungen blieb die aus Spekulation und Gewissenlosigkeit frivole Welt. Als eine Vertreterin derselben kennt die neueste Geschichte die leider einst kurze Zeit in einem deutschen Staate einflußreiche Lola Montez, eine Schottin von lockerem Lebenswandel, die als »spanische Tänzerin« und Vortragende Furore machte, aber in Amerika verlassen und arm starb.
Wirklich große, selbständige Herrscherinnen hat es seit Katharina II. nicht mehr gegeben; aber es ist merkwürdig, wie arm die erste und wie reich die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts an edeln und von ihren Völkern verehrten Fürstinnen ist. Der ganz vereinzelten Königin Louise in jener steht in dieser vorab die britische Herrscherin und Kaiserin von Indien Victoria gegenüber, welche seit mehr als einem halben Jahrhundert, wenn auch ohne persönliche Machtausübung, einen wohlthätigen Einfluß auf die Freiheit ihrer Reiche und auf den Frieden der Welt ausübt. Leider war ihrer ältesten Tochter, der Kaiserin Friedrich, wenig mehr vergönnt, als eine erhabene Dulderin im Leiden zu sein, während deren ehrwürdiger Schwiegermutter, der Kaiserin Augusta, im Troste des Leidens, wo sie es fand, und im Schutze der Kunst eine vielseitige Thätigkeit blühte. Wahre ungekünstelte Volksverehrung umgab nicht nur längst schon die hochgebildete Kaiserin Elisabeth von Oesterreich, sondern umgiebt auch seit jüngerer Zeit die feinsinnige Königin Margarita von Italien. In schwierigen Verhältnissen hat die Königin Christine von Spanien sich und ihrem jungen Erben die Stellung und die Achtung des Landes zu erhalten gewußt. Ein doppelter Lorber aber krönt die Dichterstirne der Königin Rumäniens, Elisabeth (Carmen Sylva). In den Räthseln des Menschenherzens zu lesen geübt, ist sie, unter fremde Verhältnisse verpflanzt, nicht nur die echte deutsche Frau geblieben, sondern hat auch ihrem Adoptivlande in Pflege der Kunst und Litteratur, in Beförderung der Schulbildung und in großartiger Wohlthätigkeit reiche Segnungen gebracht.
Angesichts dieser leuchtenden Sterne wird der Leser es uns erlassen, von Frankreichs Eugénie, von Spaniens erster Christine und zweiter Isabella, von Serbiens Natalie u. s. w. zu sprechen, die ihren Ländern, theils aus Selbstsucht, theils aus Ränkelust, theils aus Eitelkeit, zum Unheil geworden sind.
Ebensowenig gehören in den Rahmen unserer Darstellung jene Frauen, welche, die Würde ihres Geschlechtes vergessend, aus einseitigem Mißvergnügen oder gekränkter Eitelkeit oder aufgestachelter Rachelust, in die Höhlen der Verschwörer niederstiegen und mit den von Größenwahn schwindlig gewordenen Anarchisten oder Nihilisten gemeinsame Sache machten, wie die Attentatsurheberin Wera Sassulitsch, die Kaisermörderin Sophie Perowskaia u. a.
Ausdrücklich hervorhebend, daß wir keine Literaturgeschichte schreiben, erwähnen wir von den Schriftstellerinnen der Gegenwart nur die, welche auf die Gemüther größerer Kreise mit außerordentlichen Gaben bestimmend einwirkten. Den Adel wie das Volk malt treffend Maria von Ebner-Eschenbach, dämonische Charaktere Ossip Schubin (Lola Kirschner), Krisen der Leidenschaft mit Vorliebe für kirchliche Verhältnisse Wilhelmine von Hillern, Schriftstellerleben B. v. Suttner, neulich zur Prophetin des Friedens geworden, kulturhistorische Episoden und Jugendbilder Emma Wuttke-Biller.
Bei der Backfischwelt setzten sich in große Beliebtheit die Marlitt (E. John) und Werner (E. Bürstenbinder).
Von den Frauen, welche sich um die »Frauenfrage« verdient machten, heben wir hervor: Lina Morgenstern, Louise Otto-Peters, Henriette Goldschmidt, Clara v. Studnitz.
Es ist dieselbe Hälfte des Jahrhunderts, welche uns diese sehr verschiedenartigen Erscheinungen im Frauenleben und welche uns auch eine Frauenfrage gebracht hat. Dieselbe ist sowohl auf dem Gebiete der Staatsverfassungen, als auf dem des Rechts und der gesellschaftlichen Ordnung, und endlich auch auf dem der wirthschaftlichen Verhältnisse aufgeworfen worden. Nicht einmal die französische Revolution, die doch alles gleich zu machen strebte, hat den Frauen politische Rechte gewährt; der Ruf nach solchen war gemäßigten Staatsmännern in den friedlichsten Zeiten und in ruhigen Ländern ohne geschichtliche Krisen vorbehalten. Großbritannien und Amerika sind der Schauplatz dieses Strebens, über dessen Berechtigung wir uns bereits (oben S. 8 f.) ausgesprochen haben und dem wir aus dort dargelegten Gründen auch keinen Erfolg wünschen.
Anders liegt die Sache auf dem Gebiete des Privatrechts. Wir glauben, daß auf diesem eine vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter nicht nur keinem Bedenken unterliegt, sondern auch durchaus erstrebt werden muß, soweit dies noch nicht geschehen. Hat im Staate der Mann allein das Recht mitzusprechen, wie er allein die Pflicht der Landesvertheidigung hat, so sind im Privatrechte Männer und Frauen in demselben Maße Menschen, und die aus demselben erwachsenden Befugnisse stören in keiner Weise, wie es das Stimm- und Wahlrecht thäte, den Frieden der Familie.
Schwieriger ist schon die wirtschaftliche Frauenfrage. Das Natürlichste wäre allerdings die allgemeine Verehelichung, welche der Frau von selbst ihre Arbeit und ihren Antheil am Erwerbe anweist. Es bedarf aber nicht des Nachweises, daß nicht jeder und jede Gelegenheit findet, sich nach Neigung (und vernünftigerweise kann doch nur diese maßgebend sein) zu verheirathen. Es giebt nicht nur weibliche Personen, welche zur Ehe keine Lust haben, sondern auch solche, die sich zu derselben nicht eignen, wie z. B. kränkliche, schwächliche, krüppelhafte, blinde u. s. w. Frauen dieser Art müssen sich einen Erwerb suchen. Ihnen sowohl, als den Frauen der Fabrikarbeiter ist mit ihrem theilweisen oder gänzlichen Ausschlüsse von der Fabrikarbeit nicht nur nicht geholfen, sondern es muß sich für diesen Ausschluß ein Ersatz an Verdienst finden. Es sind zur Lösung dieser Frage Vereine gegründet worden, die aber bisher weniger Auskunftsmittel für die Beschäftigung der Armen, als für diejenige der Bessergestellten gefunden haben. Es sind in neuester Zeit nicht nur die Schulanstalten für das weibliche Geschlecht verbessert, erweitert und vermehrt worden, sondern auch für die gebildeteren Mädchen und Frauen Gelegenheiten zu eigenem Lebenserwerb gefunden und ins Leben geführt worden. Solche sind: der Lehrerinnenberuf, die Beschäftigung im Kleinhandel, diejenige mit dem Kunstgewerbe, die Krankenpflege, der Post-, Telegraphen- und anderweitige Bureaudienst u. s. w. Noch höher gebildete Damen widmen sich den schönen Künsten, besonders der Malerei und Musik, und andere sogar wissenschaftlichen Berufsarten. Wir finden das medizinische Studium, besonders im Hinblick auf Frauen- und Kinderkrankheiten, sehr gerechtfertigt für Frauen, die sich dazu eignen, so sehr auch die Meinungen der gelehrten und amtlichen Welt, namentlich in Deutschland, darüber getheilt sind. Die meisten Länder Europas und Amerikas lassen jetzt unbedenklich weibliche Aerzte zu. In der Schweiz studiren gegenwärtig 156 Damen die Heilkunde und weitere 67 Fächer der philosophischen Fakultät. Allerdings dürfte es zweifelhaft sein, ob sich Damen für das Studium des Rechts und der eigentlichen Philosophie eignen, eher Wohl für Sprachen, Geschichte und Naturwissenschaften. Doch würde wohl die Eröffnung freier Konkurrenz das beste Mittel sein, um hier Klarheit zu schaffen und die Spreu vom Weizen zu sondern. Eigene höhere Schulen für Damen dürften ohne alles Bedenken sein.
Allerdings giebt es nun unter den Frauen, welche sich den Fächern mittlerer und höherer Bildung widmen, zahlreiche, die sich auch für die Ehe eignen würden. Hier bilden aber theils die sozialen Verhältnisse, theils die Neigung der Männer zum Wirthshausleben und der Mädchen zu Tand und Putz traurige Schwierigkeiten. Gelänge es, diese zu beseitigen, so wäre die Frauenfrage in wirtschaftlicher Beziehung sehr vereinfacht. Die vielfach leider zunehmende Abneigung gegen die Ehe ist es auch, welche die schauderhaften Zustände der Prostitution nährt, und der empörendste Schandfleck der letzteren ist hier wieder der scheußliche Handel mit Mädchen, der nach allen Erdtheilen getrieben wird. Ein erfolgreicher Kampf gegen jene Abneigung wäre auch der Tod der Prostitution und mit ihr des Mädchenhandels.
Wir finden, daß in der Zukunft der Ehe auch das Geheimniß der Zukunft des sozialen Lebens und in ihrer Regelung die Heilung des sozialen Elends geborgen ist. Die von Bebel Bebel, Aug., die Frau und der Sozialismus, 10. Auflage, Stuttgart 1891, bes. S. 337 ff. als Wortführer der Sozialdemokratie angepriesene Lösung durch eine von aller Staatsaufsicht freie Schließung und Auflösung der Ehen ist nichts als eine Verallgemeinerung der Prostitution und ein, wie er selbst nachweist, Rückwärtsschreiten zu unvollkommeneren Kulturzuständen, und würde zuverlässig zu einer ärgeren Knechtschaft der Frau führen, als sie jemals gewesen ist, indem die Frau im Kampfe mit dem stärkeren, skrupelloseren, durchtriebeneren und herrschsüchtigeren Manne nothwendig unterliegen müßte, wenn sie ohne den Schutz, den sie jetzt genießt, auf die Arena mit ihm hinausgestoßen würde. Allerdings ist dieser Schutz und allerdings ist die Stellung der Frau gegenwärtig nicht so, ja noch lange nicht so, wie es sein sollte; aber das Uebel kann nur geheilt werden, wenn der Schutz der Frau durch den Mann zu einer allgemeinen Pflicht des letzteren gemacht, und nicht, wenn er aufgehoben wird.
Nicht nur die Orientalen, sondern auch die Mormonen im fernen Westen Vergl. M. Busch, Geschichte der Mormonen, Leipzig 1869. Fernhagel, die Wahrheit über das Mormonenthum, Zürich 1869. haben genugsam dargethan, daß die Vielweiberei, welche nach Bebels Vorschlag so wenig vermieden würde wie die Vielmännerei, die Frau zur Sklavin macht. Die wilde Ehe, welche unter den Mischlingen Süd- und Mittelamerikas allgemein ist, und die Ehe auf Zeit, welche Europäer in überseeischen Ländern gewöhnlich mit dortigen Eingeborenen eingehen, Vergl. darüber Hellwald, menschliche Familie, S. 443 ff. entsprechen beide niederen Kulturzuständen und bieten der Frau keinen Schutz. Nur eine Fortbildung der bei uns bestehenden einfachen Ehe, im Sinne ihrer Erleichterung (wozu die Civilehe bereits ein Schritt ist) und damit auch ihrer Verallgemeinerung, und wirksame Schritte zur Verbesserung des Loses der hart arbeitenden Klassen durch den Staat und durch ausgiebige Beihilfe seiner Bürger, – nur dies kann die Stellung der Frau auf naturgemäßem und der geschichtlichen Entwickelung angemessenem Wege verbessern und sie des Strebens der Menschheit nach fortschreitender Vervollkommnung würdig gestalten!