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Dritter Abschnitt.
Die Frauen der arischen Völker des Alterthums

I. Die Inder

1. Vedische Periode.

Wie viel heimischer fühlen wir uns berührt und wie viel stärker angezogen als von den bis dahin betrachteten, uns fremden Völkern, wenn wir, obschon in weiter Ferne, unter dem südlichen Gluthimmel der Tropen, Laute vernehmen, die uns von Kindesbeinen an vertraut sind, wenn wir hören, wie der Vater pitar, die Mutter matar, der Bruder bhratar, die Schwester svas(t)ar genannt wird! Zwar ist die arische Völkerfamilie ein ungelöstes Räthsel und die bisher ausgeklügelten Reiserouten ihrer Glieder sind lediglich kühne Phantasiegebilde; auch stehen uns in der körperlichen Erscheinung die asiatischen Arier (Inder und Perser) nicht im geringsten näher als die Semiten; aber das geheimnißvolle Band, das uns mit ihnen verknüpft, ist ein sehr reelles; denn es umfaßt nicht weniger als die weiten Reiche der Sprache, der Sitte und der religiösen Ideen und Sagen, also geradezu das gesammte Gebiet des idealen Lebens.

Die Auffassung des indischen Urvolkes arischer Sprache und Sitte, das im Gebiete der Sindhu (des Indos) wohnte, von der Würde der Frau, also auch vom Wesen der Familie, erscheint uns ungemein hoch, wenn wir den Charakter ins Auge fassen, welcher den weiblichen Gottheiten beigelegt wird. Während die Bedeutung der Götter durchweg in ihrem äußeren Wesen, in der Beziehung zu den Naturgewalten liegt, aus denen sie abstrahirt werden, besteht die Bedeutung der Göttinnen vorwiegend in ihrem Familienverhältnis zu den Göttern, und dasselbe ist zugleich ein Vorbild für das der Menschen. Ueber allen Gottheiten des alten Indiens steht eine Göttermutter, Aditi, die Unendlichkeit, nach welcher die größeren Götter, die Lichtgottheiten, Aditja heißen. Saranju, die eilende Wolke, ist die Tochter des Donnerkeilschmiedes Twaschtar, die Gattin des aufgehenden Tages und von diesem die Mutter der Dämmerungsgötter, der beiden Açwin, Diese, welche den Aufgang der Sonne verkünden, haben zur älteren Schwester die Göttin der Morgenröthe, Uschas (griech. Eos) und zur Braut und Gattin die Tochter des Sonnengottes, Surjâ, denen sie im Wettrennen als Siegespreis zufiel. Keine dieser Gestalten aber wird von den Sängern der Wedalieder so hoch gefeiert wie die indische Eos. »Da ist sie bald die lichte, glanz- und wonnereiche Himmelstochter, welche auf lichtstrahlendem Wagen mit feurigen Rossen bespannt triumphirend einher kommt, eine Jungfrau im prunkenden Gewand, welche der Mutter Hand geschmückt, eine Braut, welcher der leuchtende Sonnengott nacheilt. Bald heißt sie das holde lichte Weib, welcher die dunkle Schwester Nacht, »so gleichen Sinns, verschiednen Aussehens«, den Platz geräumt, die jugendlich glühende Mutter, welche in ihrem Schoße den »Erreger«, Savitar, d. h. wieder den Sonnengott birgt. Bei ihrem Erscheinen, wenn sie glitzernden Morgenthau vor sich herbreitet, erheben sich die Vögel von ihrem Nest, die Menschen von ihrer Lagerstatt, werden die bösen Feinde verscheucht. Und bald endlich heißt sie das geschäftige junge Weib, welches am frühesten aufsteht, »die lichten Himmelspforten erschließt, alles, was lebt, erweckt und zur Thätigkeit ermuntert, ...« Sie ist zumal die Wohlthäterin der Menschen, welchen sie mit ihrem Scheine die reichen Schätze der Erde erhellt und anweist, und die Freundin der Götter ...« Lefmann, Geschichte des alten Indiens. Berlin 1890 S. 57 f.

Diese Nebenordnung der Götter und Göttinnen wiederholte sich denn auch im Leben der Menschen. Die Arbeit des Hauses ist getheilt, nicht wie bei den meisten Naturvölkern auf die Frau allein gehäuft. Den Männern liegt die gröbere, vorzüglich außer dem Hause, den Frauen die leichtere, meist im Hause ob. Landwirtschaft und Viehzucht, dieser Hauptberuf der vedischen Inder, ist Sache der Männer: aber das Melken der Kühe ist Aufgabe der Tochter des Hauses; Melkerin, duhitar, ist daher das Stammwort für die Töchter der arischen Völker geworden. Die Mutter heißt »Frau im Hause des Vaters«; Schwester und Tochter sind ihr untergeben; unter ihrer Leitung wird Nahrung und Kleidung im Hause bereitet. Die Frauen der alten Inder liebten, wie man in den Bedas liest, Putz, Spiel und Tanz. Die Mutter schmückte die Tochter mit Gewand und Kleinodien und salbte sie, daß sie lieblich erschien in geselligen Vergnügungen, an denen auch die Jünglinge theil nahmen, und bei Hochzeiten. Bei diesen Anlässen wurden Verbindungen angeknüpft, und es galt als ein Unglück für ein Mädchen, ungefreit zu bleiben. Liebesabenteuer waren nicht selten und führten in der Regel zur einfachen Ehe. Mehrfache kam wohl nur bei Häuptlingen vor. Bei den Ariern Indiens erscheinen nur noch wenig und keine sehr deutliche Spuren der Vielmännerei, welcher sich die Urbewohner Indiens, die Drawidas, gleich den Bewohnern Tibets (oben S. 52) in verschiedenen Abstufungen, auch vermischt mit Vielweiberei und gänzlicher Zügellosigkeit, ergeben, die jedoch seit neuerer Zeit in Abnahme begriffen ist. So ist die Sonnentochter Surjâ gemeinsame Gattin der beiden Zwillingsbrüder, der Açwin. Im Epos Maha-Bharata, das einer späteren Periode angehört als die Bedas, wird die schöne Draupadi, Tochter des Pantschala-Königs Drupada, »nach deren Besitze alle Fürsten der Erde verlangten,« mit den fünf Pandu-Söhnen auf einmal vermählt, was freilich die Brahmanen, als den arischen Gebräuchen zuwider, mit einer göttlichen Fügung und unbezwingbarer Liebe aller Fünfe zu bemänteln suchten. Lesmann a. a. O. S. 195. Es ist anzunehmen, daß die Polyandrie, gleich anderen Unsitten, aus den Reihen der Drawidas in die der Arier Eingang fand, aber durch die brahmanische Sitte erfolgreich bekämpft wurde.

Die eheliche Verbindung der indischen Arier wurde mit großer Feierlichkeit eingegangen. Die Werbung geschah durch Freunde, welche mit dem Vater oder Bruder der Braut die Verhältnisse beider Theile besprachen, dann den geschmückten Freier als Brautführer der ebenfalls geschmückten Braut zuführten, was mit Geschenken, Bewirthung u. s. w. begleitet war und mit der eigentlichen Vermählung vor dem opfergespeisten Herdfeuer endete, wobei der Vater oder sein Stellvertreter die Hände der Brautleute in einander legte, der Bräutigam aber der Braut ein feierliches Gelöbniß unter Nennung der Götter leistete und mit ihr dreimal das Hausfeuer umschritt, worauf Schmaus, Spiel und Tanz folgten. Noch ehe der Jubel endete, fuhren die Neuvermählten auf einem von weißen Ochsen gezogenen Wagen nach dem neuen Heim. Ein Feuerbrand vom väterlichen Herde wurde vorausgetragen; zu Hause hob der Gatte sein Weib vom Wagen, und beide traten Hand in Hand in ihr Haus, dessen Herrschaft der jungen Frau übergeben wurde. Es folgte ein Opfer dem Gotte Agni, ein Umschreiten des eigenen Herdes und die erste gemeinsame Mahlzeit. Die Ehen der alten Arier waren, wie aus den Vedas ersichtlich, in der Regel glücklich; als höchster Reichthum wurde der an Kindern und danach der an Rindern betrachtet.

2. Brahmanische Periode.

Aus einem friedlichen Hirtenvolke in den Thälern der Indos-Zuflüsse wurden die Arier zunächst ein kriegerisches Eroberervolk in den Ebenen der heiligen Ganga und ihrer Tributärströme. Aber neben den wilden Kämpfen, die sich zwischen feindlichen arischen Stämmen über den Besitz der neuen Gebiete erhoben, regte sich mächtig das religiöse Gefühl. Die Götter kämpften für die Helden und hatten daher Anspruch auf dankbare Verehrung. Die Sänger verherrlichten in ihren Dichtungen die Thaten der Fürsten und ihrer Krieger, durften daher auf hohe Achtung zählen und stiegen nach und nach zu einzigen Priestern empor, was vor Zeiten jeder Hausvater in seiner Familie gewesen war. Ermüdung durch die wilden Kriegsscenen kam diesem religiösen Fühlen in der Gestalt des überhandnehmenden Einsiedlerlebens zu Hilfe, in welchem auch die Unterliegenden und Verfolgten Zuflucht suchten und fanden. Lefmann a. a. O. S. 356 ff. Hierher zog sich ferner die Götter- und Heldensage zurück; ja die Weltflüchtigen wähnten sich dort selbst von Göttern und Genien umgeben. Sie glaubten die indischen Nymphen und Nixen, die Apsaras, in Wald und Gewässern ihr Spiel treiben und im Mondenschein tanzen zu sehen und ihre ebenso luftigen und duftigen männlichen Gefährten, die Gandharvas, dazu singen und musiziren zu hören. Diese Apsaras, wie aus Blumenduft und Sonnenschein gewoben, in ewiger Jugendschöne glänzend, mit Glöcklein klingend, verlocken die Sterblichen zum reizendsten Liebesleben, sind aber ohne Treue und Mutterliebe; trotzdem rühmten sich die vornehmsten Geschlechter der Abstammung von ihren schnell vorübergehenden Liebesbünden mit einsiedlerischen Priestern und Fürsten. Ebenso wie die Apsaras die Männer, glaubte man, verlockten die Gandharvas die Frauen, und man nannte auch vorübergehende innige Liebesverhältnisse unter Menschen »Gandharva-Ehen«. Eine dritte Klasse von märchenhaften Wesen, aber nicht leicht und lieblich wie jene beiden, vermuthete man in den unheimlich dämonischen Nagas oder Schlangengeschöpfen, die man als Feinde der Götter und Menschen fürchtete und doch zugleich aus Furcht verehrte. Mit menschlichem, dämonisch gleißendem Kopf und Oberleib war ein glatter, windungsreicher Schlangenschweif verbunden; die beiden Geschlechter der Nagas wurden den entgegengesetzten der Menschen gefährlicher als die beiden der Nymphen, und mit ihrem Namen bezeichneten die Arier den falschen Charakter feindlicher Völker.

Das kriegerische Treiben der Arier gereichte ihrem Ehe- und Familienleben nicht zum Vortheile. Sie verwilderten und nahmen es mit vorübergehenden Verhältnissen, aus denen wohl die geschilderten Dämonengruppen abstrahirt sind, nicht genau. Vielweiberei und Gandharva-Ehen nahmen überhand. Die umworbenen Jungfrauen fielen nicht dem von ihnen Geliebten, sondern dem Sieger im Kampf oder im Kampfspiele zu und wurden als Frauen nicht mehr Herrinnen des Hauses, sondern gehorsame Dienerinnen des Mannes. Um die hochgefeierte Draupadi, die glänzende Königstochter, die Gattin von fünf Brüdern, wird, nachdem diese im leichtsinnigen Spiel alles Andere und sich selbst verloren, zwischen den feindlichen Verwandten gewürfelt, und sie wird als Sklavin des Gegners ihrer Gatten verhöhnt, beschimpft, mißhandelt, wobei sie sich verständiger benimmt als ihre Männer. Der Handel wird jedoch durch den blinden Vater des Siegers rückgängig gemacht. Draupadi wird als eine Ausnahme ihres gesunkenen Geschlechtes geschildert, unter dem Liebestränke und Liebeszauber allgemein üblich waren, um Gegenliebe zu erwecken. Aber eine weit furchtbarere Unsitte brach sich Bahn; es wurde Gebrauch, daß sich die bevorzugte der Frauen mit dem Leichnam des Gatten lebendig verbrennen ließ. Die Vedas kennen diese Unsitte nicht, sondern erlauben geradezu die Wiederverheirathung der Witwen; sie ist vielmehr ein Zug aus der Kultur der Naturvölker, also wohl von den Drawidas auf die Arier übertragen.

Nachdem in den blutigen Kriegen um neue Reiche die Kriegerkaste arg dezimirt war, stiegen die nunmehr alleinigen Priester, die Brahmanen, zur höchsten Kaste empor, nicht ohne Widerspruch und Widerstand; aber sie blieben siegreich durch die Macht der Religion. Aus einem kriegerischen Volke wurden die Arier, die aber in Wahrheit längst nichts Anderes mehr, als ein Mischvolk waren, eine priesterliche Nation. Den vedischen Opfern der Ehegatten gesellten sich nach brahmanischer Vorschrift weitere regelmäßige, häufige und reichliche Opfer an Pflanzenspeisen, Milch, Butter und Früchten bei, verbunden mit Fasten in ehelicher und nahrhafter Beziehung. Ja, es wurde sogar als Zweck der Ehe erklärt, alle Opferpflichten zu erfüllen. Es gab übrigens in brahmanischer Zeit mehrere Arten der Eheschließung. »Die Sutra heißen eine Ehe ›brahmanisch‹, wenn der Vater seine Tochter gebadet und geschmückt hingiebt, oder ›göttlich‹, wenn dazu ›Opferausbreitung‹ statt hat, und halten nur solche für Brahmanen geziemend. Kschatrija (Krieger) allein können Gandharva-Ehen eingehen, d. h. auf bloße Verabredung zwischen Mann und Weib, oder Rakschasa-(Riesen-)Ehen durch gewaltsame Hinwegführung des Weibes nach Kampf und Sieg. Den Waiçja (Ackerbauern, der dritten Kaste) allein soll die sogenannte Asura Ehe zukommen, eine Heirath, nachdem der Mann das Weib durch Geld bewogen. ›Unbeschränkt‹ heißt ferner die Pradschâpati-Ehe, eine formlose Vereinigung, oder die der Rischi, bei welcher der Mann das Weib um ein paar Rinder ersteht, oder die der Piçatscha infolge heimlicher Entführung. Ueberlieferung und Uebung ließen solche ältere und immer noch gepflogene Arten der Eheschließung nicht für ungültig erklären. Aber für recht und heilig galt nur die Ehe in ersterer Form, die der Brahmanen, die mit priesterlicher Handlung.« Lefmann a. a. O. S. 449.

Bei der Hochzeitsfeier wurden die Opfer zur Haupt- und die oben (S. 82 f.) geschilderten schönen Gebräuche zur Nebensache. Alles wurde durch Ceremonien überladen, die den Sinn der alten Sitten verdunkelten. Die verschiedenen Vorkommnisse im Frauenleben wurden mit abergläubischen Uebungen begleitet. Vieles davon zielte darauf hin, die Geburt eines Knaben zu bewirken, und im Kindesleben der Söhne wurden feierliche Gebräuche vorgenommen, die bei Mädchen weit einfacher waren oder ganz wegfielen.

Vorgeschrieben war die Wahl einer Frau aus gleicher Kaste, die jünger als der Mann, nicht mit ihm innerhalb der ersten vier (oder sechs) Grade verwandt und noch unberührt war. Die Frau konnte ohne Einwilligung des Mannes weder Opfer bringen, noch Gelübde ablegen und hatte überhaupt keine Rechte. Der Mann konnte sie, wenn sie kinderlos war, der Sitte »Nijoga« folgend, einem Verwandten (Sapinda) zur Kinderzeugung überlassen; die Frucht war jedoch rechtlich sein Kind. Das Gesetzbuch des Manu begründet dies naiv damit, daß der Eigenthümer der Kuh auch Eigenthümer des Kalbes werde. Der Witwe war noch Wiederverheirathung gestattet, doch unter erschwerenden Umständen. Freiwillig konnte sie nur des Mannes Bruder wählen; war kein solcher vorhanden, so war der Rath der Brahmanen maßgebend. Hatte der Mann sie verlassen, so mußte sie eine Anzahl von Jahren auf ihn warten; hatte er dem Ehestande entsagt, so mußte sie dasselbe thun. Dabei war Monogamie die Regel; nur wenn die Frau die Opfer vernachlässigte oder keinen Sohn gebar, durfte eine zweite genommen werden. Die Achtung der Frau im Hause war bedeutend. Der Mann durfte erst essen, wenn er den Gast, die Kinder, Greise, Kranken und Frauen mit Speise versehen hatte. Die Kinder waren beiden Eltern die gleiche Ehrfurcht schuldig; sie mußten bei der Begrüßung beider deren Knie umfassen. Heilige Pflicht war es, die Töchter um die Zeit der Geschlechtsreife zu verheirathen. Geschah dies nicht, so konnten sie selbst den Gatten wählen, aber hatten keinen Anspruch auf Ausstattung. Ein Erbrecht hatten weder Frauen noch Töchter, dagegen hatten es nicht nur wirkliche, sondern auch adoptirte Söhne.

Für hohe Achtung der Frauen zeugt auch das Vorkommen gelehrter Brahmaninnen. Der Brahmane Jadschnawalkja hatte zwei Frauen, eine gelehrte, Maitrejî, und eine gewöhnliche. Es sind tiefe philosophisch-theologische Gespräche zwischen ihm und Maitrejî erhalten. Wie auf dem wissenschaftlichen, so war es auch auf dem dichterischen Gebiete. Im Epos Ramajana, das die Ausbreitung des Brahmanismus nach Südindien und Ceylon feiert, ist Ramas Gattin, Sitâ, die eigentliche Hauptperson und eine äußerst liebliche, herzgewinnende Gestalt.

3. Buddhistische Periode.

Die Geburtsstätte der Wedalieder war der Westen, die des Brahmanismus die Mitte, die des Buddhismus der Osten von Hindustan. Legten die Vedas das Hauptgewicht auf den häuslichen Kultus, legte es der Brahmanismus auf die Kasten und Ceremonien, so legte es der Buddhismus auf das Mönchswesen und auf die Erlösung von den Uebeln des Lebens. Die letztere Richtung bestand schon zur Zeit der Herrschaft des Brahmanenthums, aber bildete sich in einer Gegend aus, wo dieses noch nicht völlig durchgedrungen war. Die Idee einer Erlösung der Menschheit von den Uebeln des Lebens durch das Mittel der Askese suchte der Buddhismus durch eine Hierarchie von Wesen zu verwirklichen, welche abwechselnd je nach Bedürfniß, als Götter und Menschen lebten und so die Gottheit und Menschheit verbanden. Die indischen Götter wurden zwar beibehalten, aber im Range unter die Buddhas, die Erleuchteten, eben jene Doppelwesen, herabgesetzt. Die Erhebung der Askese, d. h. des Mönchthums, nicht des brahmanischen Einsiedlerwesens, zur Hauptsache im Leben brachte es nothwendig mit sich, daß im Buddhismus das Frauen- und Familienleben zur Nebensache wurde und in den Kreisen dieser Religionsform keine eigenartige Gestaltung gewinnen konnte. Näheres über den Buddhismus siehe Kulturgeschichtliche Skizzen X S. 261 ff. Eine hervorragende Bedeutung hat im Buddhismus nur, und zwar gerade infolge seiner besondern Richtung, die Mutter desjenigen Buddha, den unsere Geschichte kennt, die angebliche Königin, in Wirklichkeit wohl blos Edelfrau Maja, welche der Bodhisatwa, d. h. werdende Buddha im Himmel dazu ausersah und würdigte, von ihr geboren zu werden. Maja, auch Majâ-Devî (die göttliche Maja), war nach der Legende die Gattin des Königs Suddhodana von Kapila, einer jetzt nicht mehr bestehenden Stadt. Sie war »ein wonnigliches Weib, ganz Jugend und Schönheit, hatte noch nicht geboren, war reizend, einer Götterjungfrau gleich, mit allem Schmuck geziert, dabei frei von den Fehlern ihres Geschlechtes. Ihren gepriesenen, unvergleichlichen Körpereigenschaften entsprachen die gerühmten ausgezeichneten Vorzüge und Tugenden ihrer Seele, kurz, sie war, was man sagte, ein Kleinod von einem Weibe«. Ihren Namen hatte sie von der in der indischen Philosophie eine Rolle spielenden Macht des schönen Scheins, der Scheinwelt, gegenüber der wahren Wirklichkeit. Weil sie nicht war wie andere Frauen, sondern einem Bilde der Phantasie gleich, hieß sie Maja. Lefmann a. a. O. S. 568. In wunderbarer Vorahnung des kommenden Ereignisses läßt sie nach der Legende mit Einwilligung ihres Gatten sich eine Wohnung in der Zurückgezogenheit bereiten und lebt allein mit ihren Frauen in einem wohlbewachten prachtvollen Park; sogar die Unsterblichen beeilen sich, die Erkorene dort zu erblicken; wir übergehen aber die weiteren mystischen Vorgänge des Werdens Buddhas und suchen aus seinem Leben weiter aus, was auf das Frauengeschlecht Bezug hat. Wie seine Mutter ein Kleinod von einem Weibe, so ist seine auserkorene Braut Gopâ eine Perle von einer Jungfrau, was aber den werdenden Erlöser nicht verhindert, ein zahlreiches Harem zu halten. (Die Legende giebt ihm in lächerlicher Hyperbel 84 000 Frauen!) Nachdem er jedoch durch die bekannten vier Erscheinungen ihm neuer Gestalten, eines Greises, eines Kranken, eines Todten und eines Mönches zu dem festen Entschlusse gebracht worden, der Welt zu entsagen, werden ihm seine Frauen zum Ekel, und er zieht als Bettelmönch in die Welt hinaus. Auf seinen Wanderungen sind indessen Frauen keine seltenen Begegnungen. Zehn Jungfrauen eines Dorfes sind es, an ihrer Spitze Sudschata, die Tochter des Dorfhauptmanns, die ein Gelübde abgelegt, fromme Büßer zu nähren, und ihn dazu bringen, sein übertriebenes Fasten aufzugeben und wieder Speise zu sich zu nehmen. Mara, der böse Versucher, läßt, um ihn von seinem Ziele abwendig zu machen, unter anderm auch die üppigen Reize seiner Töchter spielen, aber umsonst, – sie mußten den Buddha vielmehr um Verzeihung bitten. Eine Mutter, der ihr Kind gestorben, wähnte dessen Wiederbelebung zu erzielen; als man sie an Buddha wies, rieth ihr dieser, ein Senfkorn zu holen, aber aus einem Hause, in welchem keine geliebte Person gestorben; sie fand kein solches, wurde von Buddha getröstet und trat unter seine Gemeinde. Eine andere solche Bekehrte ist ein Mädchen aus der verachteten Mischkaste der Tschandalas (Kinder der verabscheuenswürdigsten Verbindung, der von Brahmaninnen mit Sudras), das den bei einem Brunnen sie treffenden durstigen Lieblingsjünger Ananda nicht durch ihre Berührung verunreinigen will, dem aber Ananda sagt: er frage nicht nach ihrer Kaste, worauf Buddha dazu kommt und sie bekehrt. Die Aehnlichkeit mit der Samariterin in der Geschichte Jesu springt in die Augen. Seydel, das Evangelium von Jesu und sein Verhältniß zu Buddha u. s. w. S. 186.

Buddha war übrigens kein Freund der Frauen; er traute ihnen nichts Gutes zu, obschon der größte Theil der seinem Orden erwiesenen Wohlthaten von ihnen ausging. Unter ihnen wird besonders Visakha genannt, welche es sich als eine Gnade von Buddha ausbat, die Mönche mit Wohnung und Kleidung zu versehen. Nicht seine Neigung, sondern nur das eifrige Andringen seiner für seine Lehre begeisterten Pflegemutter Mahapadschapati oder Gautamî, einer Schwester Majas, bewog ihn nach langem Widerstreben, die Aufnahme weiblicher Mitglieder in seinen Orden zuzugeben, aber unter schwierigen Bedingungen. Die Nonnen blieben den Mönchen stets untergeordnet. Oldenberg, Buddha S. 167 ff. Beide Geschlechter hatten ihre Familie aufzugeben, konnten aber in die Welt zurückkehren. Nach der Vergangenheit der ihm Folgenden fragte er nicht; einer schönen und reichen »Sünderin«, die ihm einen »Mango-Lusthof« schenkte, Amrapali mit Namen, gab er den Vorzug vor Fürsten und Edeln und ließ sich mit seinen Jüngern von ihr bewirthen, so daß auch die Magdalena diesem Heiland nicht fehlte. Es war dies kurz vor seinem Eingange in das Nirvana. In späterer Zeit traten sogar Prinzessen und Königinnen als Nonnen in seinen Orden, so Sanghamitra, die Tochter Açokas, des königlichen Beförderers der Buddhalehre, und Anulâ, die Königin von Ceylon, auf welcher Insel die Erstgenannte ihrem Bruder Mahendra die Lehre von der Nichtigkeit der Welt ausbreiten geholfen, und Hunderte thaten den Schritt mit ihnen.

4. Indische Litteraturblüthe und neuere Zeit.

Die Inder sind ein nur allzu phantasiereiches Volk und haben daher auch nicht den mindesten Sinn für Geschichte. Die Schicksale ihres Volkslebens gruppiren sich um die Veränderungen im Gebiete der Religion und um Einfälle fremder Völker; eine genaue Eintheilung ihrer Entwickelung im Laufe der Zeit läßt sich nicht aufstellen. So fassen wir hier zusammen, was sich nicht in die religionsgeschichtlichen Erscheinungen der Vedas, des Brahmanismus und des Buddhismus einreihen läßt. Selbst auf das älteste indische Epos, das Maha-Bharata, für dessen einzelne Theile die Abfassungszeit ohnehin nicht festzustellen ist, greifen wir zurück, soweit diese Theile keine jener drei Perioden berühren. Die berühmteste und ansprechendste Episode des riesenhaften Heldengedichtes schildert in wundersamen Farben die Liebe und Ehe des Königs Nala und der Prinzeß, später Königin Damajanti. Ist es auch ein märchenhafter Zug, daß sich die beiden lieben, ehe sie einander nur gesehen haben, so sucht doch die Seelenmalerei ihrer Liebe ihresgleichen in der Weltliteratur. Gleich den Helden der Kuru und Pandu verspielt Nala leichtsinnig sein Reich und seine Habe, doch seine Gattin nicht; aber er ist, wie schon das Spiel zeigte, von einem bösen Geiste besessen und verläßt Damajanti im Walde, in den sie arm gepilgert sind. Sie trotzt allen Gefahren, nur an Nala denkend, und ruht nicht, alle List anwendend, bis sie ihn, der wieder vom Dämon befreit ist, aufs neue gewonnen hat, worauf er auch sein Reich wieder erlangt. In einer anderen Episode will die Prinzeß Savitri, um die sich keine Freier gefunden, nur den von ihr geliebten Satjavan, Sohn eines vertriebenen Königs, obschon ihm nur noch ein Jahr des Lebens bestimmt ist, zum Gatten, und theilt seine Verbannung und deren Entbehrungen. Als dann sein Schicksal sich erfüllt, gewinnt sie durch ihre Treue den Todesgott Jama so weit, daß er dem Gatten das Leben wieder schenkt und auf ihren Wunsch auch die Wiedereinsetzung des Vaters in sein Reich bewirkt. Auch die reizende Erzählung vom König Duschjanta und der »durch den Ring wieder erkannten« Sakuntala, deren Dramatisirung durch Kalidasa die ganze civilisirte Welt entzückt, ist ursprünglich eine Episode des Maha-Bharata. Schon hier trübt unser Gefühl der erste Gedanke des Liebenden, ob die Geliebte auch seiner Kaste angehöre. So unnatürlich für uns die märchenhafte Vergeßlichkeit des Fürsten, so herzerhebend ist die treue Beharrlichkeit der Heldin, in welcher sich Damajanti und Savitri wiederholen. Es muß dabei leider auffallen, daß sich alle diese indischen Heroinen sehr ähnlich sind, und die ganze hohe und an Schönheiten überreiche indische Litteraturblüthe der ersten Jahrhunderte christlicher Zeitrechnung bietet uns weder in ihren eigenen Schöpfungen, noch in ihren zahlreichen Nachbildungen der beiden großen Epopöen scharf unterschiedene Züge weiblicher Charaktere.

Eine realistische Ausnahme macht aber unter diesen idealistischen Gestalten die gleichwohl einen nationalen Zug nicht verbergende Heldin des Dramas Mritschhakati (das Thonwägelchen), dessen Verfasser unbekannt ist. Dieselbe führt uns in die dunkeln Gänge der indischen Prostitution, erscheint jedoch ungeachtet ihres Lebenswandels ebenso dichterisch verklärt wie die Kameliendame des jüngeren Dumas. Vasantasena, eine Hetäre nach Art der hellenischen des 5. Jahrhunderts vor Chr., reich geworden und Besitzerin eines ausführlich geschilderten Palastes mit vielen Höfen, auch angesehen in der Stadt und bei Hofe, liebt den bereits verheiratheten edlen und schönen, aber armen jungen Brahmanen Tscharudatta. Ihre Liebe, welche Erwiderung findet, hebt und veredelt sie. Ein Prinz aber, den sie verschmäht, versucht ihren Mord und schiebt die Schuld auf den Geliebten, der dann verurtheilt wird. Auf dem Wege zum Schaffot erscheint jedoch die Todtgeglaubte und klärt alles auf, und die Polygamie bietet die bequeme Handhabe zur Vereinigung der Liebenden.

In der Zeit, welche wir das Mittelalter zu nennen gewohnt sind, greift auch in Indien auf allen Gebieten eine Reaktion Platz. Die Litteraturblüthe verwelkt, der Buddhismus wird verdrängt, das brahmanische Kastenthum mit vermehrter Hierarchie männlicher und besonders weiblicher Göttinnen erlangt die absolute Herrschaft im Lande. Ein überschwänglicher Kultus verehrt sowohl die hyperideale Lakschmi, die Gattin des freundlichen Wischnu, als die furchtbare Todes- und Choleragöttin Kali oder Durga, die Gattin des entsetzlichen Siwa, die sogar Menschenopfer fordert. Ein alles Leben niederdrückender, geisttödtender Formalismus und Ritualismus kommt zur Geltung durch die von Fabeln und Aberglauben strotzenden 18 Bücher der Puranas, deren Entstehung in das 8. bis 13. Jahrhundert fällt, sowie die Upapuranas und Tantras. Diese Bücher erst sind es, welche die anfangs unbekannte, dann freiwillige Sati (Witwenverbrennung) als eine Pflicht erklären und nur diejenige Frau als tugendhaft anerkennen, die sich ihr unterzieht. Das Gesetzbuch des Narada (5. od. 6. Jahrhundert) erniedrigt die Frau vollends zum bloßen Fortpflanzungswerkzeug. Die Vielweiberei wird allgemeiner und nimmt durch das Eindringen des Islam noch größere Verbreitung an (die Armen natürlich immerhin ausgenommen). Hellwald, die menschliche Familie S. 470 ff. Allerdings ist die erste die Hauptfrau und die anderen ihr untergeordnet, und sie sowohl als die Schwiegertöchter führen ein »abgeschlossenes, abstumpfendes Leben«, leer an Bildung und höheren Genüssen. Das Beispiel der Mosliminnen hat auch den Hinduinnen den Schleier vor das Gesicht gebunden und ihnen das Verlassen des Hauses verboten, ja sogar das Betreten der Männergemächer als unschicklich erklärt. Dazu kommen noch die unnatürlichen Kinderehen, Vergl. Kulturgeschichtliche Skizzen S. 314 f. welche Knaben und Mädchen im zartesten Alter mit einander verbinden und so sehr als rechtmäßig gelten, daß die »Frau« eines gestorbenen Jungen wie eine Witwe betrachtet wird und das Loos einer erwachsenen Witwe theilt, nämlich den Fluch der Unreinheit und den Ausschluß aus der Gesellschaft auf Lebenszeit. Wagen es aber Witwen, sich wieder zu verheirathen, so trifft sie allgemeine Verachtung, und vergehen sie sich gar außerehelich, so werden sie in die Wildniß getrieben, um dort elend umzukommen. Diese Verhältnisse trugen viel zur Ergebung in die Sati bei, bis die britische Regierung diese unterdrückte (1875; aber in einem Vasallenstaate kam noch 1880 eine Witwenverbrennung vor). An ihre Stelle ist vielfach der Selbstmord der Unglücklichen getreten, die einem Leben zu entfliehen suchen, in welchem sie stetsfort von den Brahmanen mit Bußen und Qualen verfolgt werden. Die Religion, welche diese Herren lehren, hat aber, wenigstens in Bezug auf die Ehe, nicht den reinsten Charakter. Es werden Symbole (Lingam) verehrt und getragen und Ceremonien geübt, welche nach unseren Begriffen der Anstand auch nur anzudeuten nicht gestattet. Hellwald, die menschliche Familie S. 296 u. 478. In unseren Tagen hat die britisch-indische Regierung endlich auch angefangen, gegen den Unfug der Kinderehen und der erzwungenen Ehelosigkeit der »Kinderwitwen« einzuschreiten, wird aber mit dem Fanatismus der Eingeborenen fortzukämpfen haben, ehe sie Erfolge erringt.


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