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Höchst mangelhaft sind unsere Nachrichten über die Stellung und das Leben der Frauen in den alten Reichen am Eufrat und Tigris. Es ist jetzt eine nicht mehr bezweifelte Thatsache, daß die älteste Kultur dieser Länder und auch ihre Keilschrift (deren ältere Form, eine Strichschrift, auffallende Aehnlichkeit mit der chinesischen Schrift hat) einem Volksstamm von uralischer Herkunft und Sprache, den Sumeriern oder Akkadiern zu verdanken ist. Die Statur einer Sumerierin Hommel, Geschichte Babyloniens und Assyriens, Berlin 1885 S. 244. zeigt reine, nicht unintelligente Züge mit großen Augen, stumpfer Nase, rundem Kinn und reichem Haarwuchs. Aber schon über drei Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung begann die Unterwerfung dieses aus Centralasien stammenden Volkes durch semitische Eroberer und war schon um 2000 vor Christus vollendet. Assyrien war ursprünglich eine Kolonie von Babylonien oder Chaldäa, entwickelte sich aber in kriegerischerem Geiste und unterwarf letzteres Land, um aber schließlich von demselben im Bunde mit Medien vernichtet zu werden. In der Religion der Sumerier, welche die Semiten größtentheils annahmen, aber im Sinne eines Planetendienstes umbildeten, zählen die höchsten Götter zwar nur eine Göttin unter sich, die des Morgen- und Abendsternes (Venus); aber dieselbe, Istar mit Namen, nimmt unter ihnen eine so hervorragende Stellung ein, daß die Bedeutung der Frauen in diesem Lande keine ganz geringfügige gewesen sein kann. Sumerisch Ninni genannt, hatte sie schon 3000 vor Christus einen Tempel in Uruk (biblisch Erech, heute Warka), dessen Ruinen auf der Stelle dieser Stadt die höchsten sind und die Mitte einnehmen. Die sumerischen Könige setzen sich zu ihr stets in besondere Beziehung; sie scheint ursprünglich die weibliche Seite des chaotischen Urwesens gewesen zu sein und erhielt mit der Zeit besondere Gestalten, die man wohl auch für besondere Göttinnen gehalten hat. Hommel a. a. O. S. 223, 256. Sie heißt bald Tochter des Himmels, bald Tochter Sins, des Mondgottes, welcher thatsächlich der meistverehrte Gott des Landes wurde; ihr Haupttempel hieß »Haus des Himmels«, und sie wird dem Himmelsgotte Bel an die Seite gesetzt. Ihr Bild wurde in Kriegen geraubt, was beweist, welche wunderbare Wirkung ihm zugeschrieben wurde. Besonders wichtig aber ist, daß sie einem Gedichte, dem einzigen annähernd vollständig erhaltenen des Kulturkreises der Keilschrift, das Dasein gegeben; es wird als »Istars Höllenfahrt« bezeichnet. Schraders und Jeremias' Uebersetzung, Hommel a. a. O. S. 395 ff. Sie erscheint aber auch in den Bruchstücken des großen Nimrod-Epos, und zwar als Witwe des Sonnengottes Tammuz (denn der Abendstern leuchtet nach dessen Untergang), als welche sie den Helden Nimrod (die wieder aufgegangene Sonne) liebt, der sie aber zurückweist und beleidigt. In ihrem Rachedurste verlangt sie Genugthuung von Himmel und Hölle und steigt selbst in letztere hinab, von der in überraschender Weise ganz ähnliche Worte gebraucht werden, wie sie die Inschrift an Dantes Hölle enthält. An jedem der sieben Höllenthore wird ihr ein Theil ihres Schmuckes abgenommen und in der untersten »Bulge« quält die Höllenfürstin Allatu ihre Feindin (ihr Gegenbild), während auf der Erde alle Liebe stirbt, deren Beschützerin Istar ist, daher die Götter ihre Befreiung anordnen. Das Gedicht war als Trostlied für die Hinterbliebenen der Todten bestimmt.
Die sagenhafte Königin Semiramis ist ursprünglich wohl keine andere als die Göttin Istar; den Namen aber hat sie von einer wirklichen assyrischen Herrscherin, deren Lebenszeit auch so ziemlich mit der Zeit übereinstimmt, in welche Semiramis verlegt wurde. Sammuramat, so heißt sie in den Inschriften, war wahrscheinlich eine babylonische Prinzeß und wurde die Gattin entweder des assyrischen Königs Samsi-Rammán IV. (824-812 v. Chr.) oder seines Sohnes und Nachfolgers Rammán Nirari III. (811-783 v. Chr.). Jedenfalls regierte sie zur Zeit des letztern, nur ist ungewiß, ob als Königin-Mutter für den anfangs noch minderjährigen Sohn oder als Königin-Gemahlin des letztern. In den Inschriften wird sie die »Frau des Palastes«, die »Herrin des Königs« genannt, nahm also eine bedeutende Stellung ein. Ihr zu Ehren wurde der Kult des Gottes Nebo aus Babylon in Assyrien eingeführt.
Doch, im Orient ist es nicht anders möglich, als daß Stellungen wie Istars unter den Göttern und Sammuramats unter den Königen Ausnahmen waren. In Babylonien und Assyrien herrschte, wie in anderen morgenländischen Gegenden, die Polygamie und das Haremsleben, wenigstens bei den Reichen und Vornehmen. Doch waren die Frauen, wie es scheint, nicht schlechthin Gefangene wie anderwärts, sondern hatten eine gewisse Freiheit der Bewegung. Die dortigen Bildwerke zeigen Frauen im Garten, im Tempel, es gab Priesterinnen, und die Königin speiste mit dem König, aber auf einem niedrigeren Sitze zu seinen Füßen; sie trug ein kronenartiges Diadem und ein reich verziertes langes Gewand mit gewundenen Fransenbesätzen und langen Aermeln.
Leider können wir es nicht verschweigen, daß die Babylonier nicht zufrieden waren, die Götter durch Opfer von Kindern zu beschwichtigen; ihre Töchter mußten denselben auch ihre Reinheit opfern. Dies geschah zu Ehren der Mylitta, wie die Griechen sie nannten, d. h, wohl der Bilit oder Allatu, der Unterweltsgöttin, dem dunkeln Gegenbilde der hellen Istar. Die Jungfrauen versammelten sich zu diesem Zwecke am Festtage der Göttin bei deren Tempel und ließen sich hier von den Wallfahrern durch Zuwerfen eines Goldstückes auswählen. Die Ausgewählten wurden von den Freiern gern gesucht und waren nachher nie wieder zu erkaufen, während die Zurückgebliebenen lange im Tempel zu warten hatten, bis das abscheuliche Opfer gebracht war. II. Könige 17, 30. 31. Herodot I, 199.