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Die Menschheit besteht aus zwei der Zahl nach nahezu gleichstarken Hälften, den beiden Geschlechtern. Die Natur selbst hat die eine derselben zum Handeln, die andere zum Dulden geschaffen. Das männliche Geschlecht ist von Natur das aktive und das weibliche das passive. Es ist daher klar, daß das Handeln, wie im Guten, so auch im Schlechten, in erster Linie Sache der Männer ist, oder mit anderen Worten, daß die Geschichte den Männern die Hauptrolle überläßt.
Die passive Natur der Frauen ist aber deshalb nicht ausschließlich zum Dulden verurtheilt. Sie kann aus ihrer ursprünglichen Bestimmung heraustreten, indem das weibliche Geschlecht 1) das männliche nachzuahmen versucht, 2) gegen den auf ihm lastenden Druck sich empört und 3) auf das männliche Geschlecht einen Einfluß ausübt, welcher im Grunde das Widerspiel des Einflusses ist, den der Mann auf das Weib geltend macht. Aus allen diesen Möglichkeiten erhellt die Abhängigkeit des Weibes im Handeln. Soweit die Frau gut handelt, geschieht es auf Anregung von männlicher Seite; soweit sie schlecht handelt, ist sie vom Manne verdorben. Es ist niemals erhört worden, daß Frauen den Männern ein schlechtes Beispiel gegeben, daß sie Männer zum Schlechten verführt hätten, wenn sie nicht selbst vorher durch männliche Einwirkung auf schlimme Wege gebracht wurden. Schon die Geschichte der Prostitution beweist dies. Zu allen Zeiten sind Frauen in Menge systematisch den Lüsten der Männer dienstbar gemacht worden; niemals ist das Umgekehrte geschehen. Soviel auch bei Völkern, die auf tieferer Kulturstufe stehen, die Tugend der Schamhaftigkeit zu wünschen übrig läßt, so ist doch, wie Friedrich v. Hellwald Die menschliche Familie (Leipzig 1889) S. 80 ff. hervorhebt, zu bemerken, daß die ersten Regungen derselben sich weit eher beim weiblichen als beim männlichen Geschlechte beobachten lassen.
Aber auch da, wo die natürliche Bestimmung der Geschlechter nicht in Betracht kommt, in der Welt des Verbrechens, d. h. der Verletzung von Rechten anderer, nehmen die Frauen stets einen weit geringern Procentsatz der Schuldigen ein als die Männer. Wenn wir nun diejenigen Verbrechen ausnehmen, die nur beim weiblichen Geschlechte vorkommen, wie den Kindesmord (der wohl in der Regel bei unzurechnungsfähigem Zustande, aus Noth oder aus Scham stattfindet), so verschiebt sich das Verhältniß der Geschlechter noch mehr zu Gunsten des weiblichen. Cesare Lombroso sagt, den häufigsten Grund zum Verbrechen gebe bei den Frauen getäuschte Liebe ab. Ein großer Theil der Verbrecherinnen ist überdies hysterisch, welcher Zustand beim männlichen Geschlechte selten vorkommt. Bei weiblichen Verbrechern sind Reue und Scham häufiger als bei männlichen, – Mitschuld mit Männern oder Verleitung durch solche oder Ererbung schlimmer Anlagen von schuldigen Vätern häufiger als eigene Initiative.
In der Strafanstalt zu St. Gallen befanden sich am 1. Jan. 1889 119 Männer und 1l Weiber; im Laufe des Jahres wurden eingeliefert 173 Männer und 29 Weiber; am Schlusse des Jahres verblieben nach den stattgefundenen Entlassungen 108 Männer und 16 Weiber. Von den Sträflingen des genannten Jahres waren 67 Männer und 9 Weiber wegen Verbrechen, 137 Männer und 16 Weiber wegen Vergehen, 88 Männer und 13 Weiber wegen Polizeiübertretungen verhaftet. Unter 20 Jahren alt waren 30 Männer und nur 2 Weiber; unverheirathet 178 Männer und 18 Weiber. In den Berichten über die Strafanstalten der übrigen Schweiz finden wir völlig ähnliche Verhältnisse.
In Preußen und den unter preußischen Oberlandesgerichten stehenden Kleinstaaten waren 1872 nur 18,2, 1878 nur 17,5 % der wegen Vergehen, bezw. 18,8 und 17,2 % der wegen Verbrechen angeklagten Personen weiblichen Geschlechts. Im Großherzogthum Baden beherbergten zu Anfang des Jahres 1885 die Centralstrafanstalten 1131 Männer und 165 Frauen, und das polizeiliche Arbeitshaus am 23. Mai desselben Jahres 182 Männer und 35 Frauen. Das braunschweigische Zellengefängniß in Wolfenbüttel hatte 1875 181 männliche und 22 weibliche Insassen. Unter den Gefangenen der Fürstenthümer Reuß befinden sich 79,73 % Männer und 20,27 % Frauen. In Bremen hat das Centralgefängniß zu Oslebshausen durchschnittlich 55 männliche und 14 weibliche zur Strafarbeit und 59 männliche und 15 weibliche zur Gefängnißstrafe verurtheilte Bewohner. In Hamburg zählt man eine weibliche Gefangene auf 5 männliche Sträflinge, in Lübeck eine solche auf 10 Männer im Zuchthaus und auf 12 Männer im Gefängniß. In Holland befanden sich 1862 unter den Kriminalsträflingen 954 Männer und 130 Weiber, 1871: 683 M. und 96 W., unter den korrektionellen Sträflingen 1862: 528 M. und 89 W., 1871: 342 M. und 53 W. (eine merkwürdige Abnahme!). Ungarn zählte 1875 60,897 männliche und 9343 weibliche Verurtheilte, 3907 männliche und 358 weibliche Gefangene. In Dänemark sind während der Jahre 1881 bis 1885 in die Gefängnisse eingetreten 2487 Männer und 590 Weiber, aus denselben entlassen worden 2491 M. und 607 W.; verhaftet waren in derselben Zeit 11201 M. und 3051 W., davon 1072 M. und 250 W. unter 20 Jahren. Zu Anfang des Jahres 1885 waren 640 M. und 192 W. gefangen. Unter den Sträflingen Schwedens nahmen die zu weniger als 2 Jahren Haft verurtheilten Frauen 14,3 die zu längerer Zeit verurtheilten aber (wegen der in diese Kategorie fallenden Kindesmörderinnen) 20,45 % der Gesammtzahl ein. Norwegens Centralgefängnisse hatten 1878 857 Männer und 274 Frauen zu Bewohnern. Finland zählte 1878 unter seinen Gefangenen 25,92 % weibliche. Unter den Rückfälligen Rußlands befanden sich 1875: wegen Verbrechen 870 M. und 40 W., wegen schwererer Vergehen 3326 M. und 294 W., wegen leichterer Vergehen 3032 M, und 445 W. In Schottland wurden 1876 20 806 Männer und 8444 Frauen verurtheilt. Italien hatte 1884-85 in den Bagni 19 635 männliche, in den Gefängnissen 20 232 männliche und nur 1567 weibliche Insassen. In Gibraltar kommen 45 gefangene Männer auf eine Schicksalsgenossin!
In China zählt man 20, in Japan aber nur 3 % weibliche Verbrecher, in der schwarzen Republik Liberia 10 %. Das tägliche Mittel der eingeborenen Gefangenen aus Hawai beträgt 44 Männer und 3 Frauen. In der Kolonie Gambia kommt eine gefangene Frau auf 7 Männer. Auf Mauritius zählte die Bevölkerung (1878) 207 578 Männer und 138 377 Weiber, während unter den Gefangenen jene mit 23 099, diese aber nur mit 303 Personen vertreten waren. Auf Ceylon betrug 1876 das tägliche Mittel der Gefangenen 2299 M. und 55 W., die jährliche Gesammtzahl 6972 männliche und 240 weibliche Verbrecher. In der Bevölkerung von Singapore kommt eine Frau auf 4, unter den Gefangenen aber erst auf 200 Männer. In Südaustralien zählte man 1878: 977 gefangene M. und 262 W., in Neu-Süd-Wales 1202 M. und 251 W., in Queensland 291 M. und 36 W. Im Jahre 1876 waren auf Neufundland 140 M. und 10 W., auf Jamaika 1090 M. und 112 W., auf St. Lucia 384 M. und 77 W., auf Barbados 2235 M. und 1313 W., aus den Bahama-Inseln 1870 85 M. und 12 W., 1875: 58 M. und 13 W. gefangen. In St. Vincent kommt eine gefangene Frau auf 7 Sträflinge, in Canada sogar 1 auf 35; auf den Bermudas betragen die Frauen 10 % der Verurtheilten. Die westindische Insel Grenada hatte 1877 190 männliche und 55 weibliche Gefangene, Trinidad (Bevölkerung von 1871: 60 405 männliche und 49 233 weibliche Personen) 1877: 358 männliche und 46 weibliche Gefangene, Britisch Guyana in demselben Jahre einen Wechsel von 272 bis 375 männlichen und von 41 bis 87 weiblichen Gefangenen. In Californien waren 1878 1423 M. und 12 W. gefangen, in Georgia 1182 M. und 43 W.; in Maine betrugen die Frauen nur 2 % der Verurtheilten, in Vermont kam eine Frau auf 157 bestrafte Männer!! In der argentinischen Provinz Santa-Fé betragen die Frauen 3 bis 5 % der Sträflinge. In Guatemala wurden 1871 1384 M. und 176 W., 1875: 2716 M. und 319 W. verurtheilt.
Es liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß sich diese Verhältnisse gerade in denjenigen Ländern, aus denen wir keine statistischen Daten erhalten konnten, wesentlich anders gestalten, und es geht daraus wohl mit ziemlicher Gewißheit hervor, daß das weibliche Geschlecht moralisch besser ist als das männliche und weit schwerer als dieses zu Abweichungen vom Wege zur sittlichen Vollkommenheit zu bringen ist, wofür namentlich auch spricht, daß die Zahl der fehlbaren Frauen in jugendlichem Alter und ledigem Stande sich zu derjenigen der schuldigen Männer viel günstiger verhält, als in späteren Jahren und in dauernder Verbindung mit den Männern.
Dagegen ist nicht zu leugnen, daß, der männlichen Thatkraft und der weiblichen Passivität gemäß, auch in guten Werken und wohlthätigen Schöpfungen die Initiative auf männlicher Seite liegt, die Beihilfe in solchen aber und die Nachfolge darin bei dem weiblichen Geschlechte viel bereitwilliger, andauernder und folgenreicher ist, als im Reiche des Schlimmen und Unerlaubten; ja man darf sagen, daß die weibliche Bethätigung in guten Werken ausdauernder ist als die männliche, und daß die Art und Weise der Ausübung solcher Werke die Gemüther der Hilfsbedürftigen mehr anspricht und tiefer ergreift, als dies von männlicher Seite stattfindet.
Wie mit dem Reiche des Guten, so muß es sich auch mit den Reichen des Schönen und des Wahren verhalten. Auch hier muß die Anregung dem aktiven Geschlechte, dem passiven aber kann nur die Nacheiferung und fortschreitende Mitwirkung zukommen. Da indessen für das Schöne die vorherrschende Gemüthsrichtung, für das Wahre aber die Verstandesrichtung empfänglicher ist, und da erstere mehr dem weiblichen, letztere mehr dem männlichen Geschlechte entspricht, so wird die Frau weit eher und weit öfter der Mitwirkung des Schönen, als der des Wahren, also mehr der Kunst als der Wissenschaft zuneigen. In einer Zeit aber, wie z. B. die unsrige ist, in welcher dem idealen Aufschwunge ein materieller Rückschlag folgt, muß derselbe auch auf das weibliche Gemüth seine Einwirkung ausüben und die Folge haben, daß die Frau, soweit sie sich über ihre natürliche Sphäre erhebt, der Wissenschaft, und zwar gerade der materiellsten, der Naturwissenschaft und ihrer Abzweigung, der Heilkunde, den Vorzug vor der Kunst einräumt.
Ist es nun unzweifelhaft, daß die Frau mit dem Manne in guten Werken schrankenlos wetteifern darf und daß ihr ausnahmsweise, soweit es ihre Erziehung und ihre Anlagen und Verhältnisse gestatten, auch die Gebiete der Kunst und Wissenschaft offen stehen, so muß ihr dagegen auf dem Gebiete des Staates ein unbedingtes »Halt« zugerufen werden. Vernünftige Frauen, die ihre edle und würdige Aufgabe erfaßt haben, brauchen diesen Zuruf nicht zu riskiren; ja er trifft noch mehr unverständige Männer, als einzelne verschrobene Köpfe des weiblichen Geschlechtes. Was die Frau im Hause thut, das thut sie auch für den Staat; will sie am letzteren selbst mitwirken, so schlägt sie ihrer natürlichen und sittlichen Bestimmung ins Gesicht.
Man hat wohl versucht, ein Stimm- und Wahlrecht der Frauen durch eine angebliche Weiberherrschaft in Urzeiten zu begründen. Die Amazonenstaaten sind jedoch utopische Märchenländer. Was zu ihrer Erdichtung führte, ist etwa folgendes:
Das Kind steht mit der Mutter in engerem Zusammenhange als mit dem Vater. Bei Krieger- und Jägerstämmen sahen oft die Kinder den Vater längere Zeit nicht (was noch heute bei Geschäftsleuten großer Städte vorkommen soll), und die Mutter führte daher das Regiment im Hause, woran sich die Kinder gewöhnten. Dieser Umstand verschaffte den Frauen oft einen bedeutenden Einfluß auf die Angelegenheiten der engeren und weiteren Familie. Denn wenn die Männer, was oft lange nicht der Fall war, nach Hause kamen, so ließen sie dort die Frauen schalten und walten, wenn nur die ersehnte Ruhe nach harter Waffenarbeit nicht gestört wurde. Man hat bei Indianern Nordamerikas eine solche Anerkennung des weiblichen Hausregimentes der Frauen durch die Männer vielfach vorgefunden, ja sogar eine Beeinflussung der Wahl und Absetzung der Häuptlinge durch die Weiber, selten aber ihre selbständige Theilnahme an solchen Verhandlungen. Königinnen und andere Regentinnen hat es zu allen Zeiten und in allen Erdtheilen gegeben, aber nur infolge des Erbrechtes. Niemals stützten sie sich auf einen Hofstaat oder ein Ministerium von Frauen, sondern waren stets von Männern berathen und verbeiständet. Allerdings finden wir noch bei manchen Völkern, sowohl bei geschichtlichen, als bei sogenannten Naturvölkern der Gegenwart Reste der weiblichen Erbfolge oder des sogenannten Mutterrechts, nach welchem nicht dem Vater der Sohn, sondern dem Oheim der Schwestersohn folgt, weil dieser sicherer dem gleichen Stamme angehört. Dies sind aber lediglich Zeugnisse unentwickelter sittlicher Begriffe, weil sie auf die Ungewißheit der Vaterschaft und auf Zustände ohne dauernde Ehebünde hinweisen. Daß solche einst allgemein und rechtlich geherrscht hätten oder mit irgend einer Art von Weiberherrschaft oder wenigstens Weibervorrang in Verbindung ständen, ist keineswegs erwiesen, und wir vermögen uns den Hypothesen von Bachofen, Morgan, v. Hellwald, Lippert u. a., betreffend einen regelrechten Uebergang vom Mutter- zum Vaterrechte nicht anzuschließen, sondern müssen letzteres als das geschichtlich allein nachweisbare betrachten.
Eine Betheiligung der Frauen an den Staatsangelegenheiten könnte nur die schlimmsten Folgen haben. Einerseits würden sie der Sorge für das Hauswesen und die Kindererziehung entfremdet, andererseits würden den öffentlichen Geschäften nur soviel unselbständige Stimmen zugeführt, als bereits selbständige und unselbständige zusammen abgegeben werden. Die Frauen sind in ihrem Urtheil über Staatsangelegenheiten stets noch mehr von den Männern abhängig als in anderen Dingen; sie lassen sich vermöge ihrer passiven Natur durchweg nicht von Prinzipien, sondern von persönlichen Sympathien und Antipathien bestimmen. Darin haben sie gewiß oft ein gesundes Urtheil, und es mag ihnen unbenommen bleiben, zu Gunsten oder Ungunsten gewisser Wahlkandidaten die Männer zu beeinflussen. Ihre aktive Theilnahme an Abstimmungen würde sie jedoch zum Spielball der Parteien und der Agitatoren machen, und der häusliche Friede würde tief darunter leiden, wenn nicht gar ausgetrieben werden.
Es ist aber noch ein Umstand in Betracht zu ziehen. Es giebt vernünftiger Weise keine Rechte ohne Pflichten. Der Staat gewährt sowohl allgemeine als persönliche Rechte gegen die Leistung entsprechender Pflichten. Dem allgemeinen Rechte auf den Staatsschutz, welches auch die Frauen genießen, entspricht die allgemeine Pflicht der Steuerzahlung, der auch sie unterworfen sind. Dem persönlichen Rechte der Stimmabgabe dagegen entspricht die ebenso persönliche Pflicht des Waffendienstes. Die persönlichen Rechte und Pflichten sind Sache der Männer; nur diese stehen zum Staate in einem persönlichen Rechts- und Pflichtenverhältniß. Wir denken, auch die eifrigsten Emanzipationsapostel beider Geschlechter würden dem geforderten Stimmrechte der Frauen nicht deren Dienstpflicht im Heere beigesellen wollen.
Die Sache hat aber auch ihre ideale Seite. Eine Kaiserin oder Königin ist eine poetische Gestalt, zu der, als Symbol der Staatsidee, auch der Mann mit Verehrung aufblickt. Eine aktive (nicht blos als Frau ihres Mannes diesen Titel tragende) Ministerin, Regierungspräsidentin, Richterin oder Bürgermeisterin dagegen könnte keinen Anspruch auf Autorität von Seite männlicher Untergebenen erheben, während Frauen in untergeordnetem Post- und Telegraphendienste kein Bedenken erregen. Ebenso konnte in aufgeregten Zeiten eine Jeanne d'Arc oder ein Mädchen von Saragossa als Heldin Bewunderung ernten, während die Amazonengarde des blutigen Despoten von Dahomé bei aller militärischen Tüchtigkeit nur in Barbarenländern möglich ist, im Reiche der Civilisation aber sowohl ein solches Korps, als eine kommandirende Generalin lediglich eine Karikatur wäre.
Anders als auf dem politischen, verhält es sich auf dem religiösen Gebiete. Dieses ist ebenso passiv wie jenes aktiv. Die Religion ist ein duldendes Verhältniß, durch welches der religiöse Mensch sich einem verehrten Wesen schlechthin unterordnet und auf eine Mitwirkung am Walten dieses Wesens verzichtet. Das religiöse Verhältniß hat daher auch große Aehnlichkeit mit der absoluten Monarchie, in welcher wiederholt der Herrscher göttliche Verehrung oder nahezu eine solche gefordert und verlangt hat. Die Religion ist somit in höherem Maße Sache der Frauen als der Männer. Keine »heidnische« Religion entbehrte infolgedessen der Göttinnen, und der Katholizismus setzte an deren Stelle die heiligen Frauen und an die Spitze derselben die nahezu göttlich verehrte Maria. An Priesterinnen hat es bei den Heiden nie gefehlt, und die katholische Kirche hat sie durch die Nonnen ersetzt. Ob aber die Frauen sich zu Predigern, zu Seelsorgern oder gar zu kirchlichen Würdenträgern eignen, darüber zu entscheiden ist lediglich Sache der religiösen Körperschaften, denen sie angehören.
Für diejenige Gruppe der Menschen, für welche Dogmen und Ceremonien kein Bedürfniß sind, werden gottbegnadete Künstlerinnen und Dichterinnen ebenso Priesterinnen der Schönheit sein können, wie Künstler und Dichter Priester derselben und hervorragende Gelehrte Priester der Wahrheit. –
In dem Gesagten ist nun wohl die Rolle, welche die Frauen in der Kulturgeschichte spielen, vorgezeichnet. Sie sind die Hüterinnen der Sitte in der Familie, wie die Männer die Hüter des Rechtes im Staate (auf niederen Stufen im Stamme) sind. Auf den letztern üben die Frauen nur Einfluß, soweit sie durch das Erbrecht oder durch außerordentliche Anlagen dazu berufen sind. Wird jene Hütung vernachlässigt oder dieser Einfluß mißbraucht, so muß die Wirksamkeit der Frauen eine verderbliche werden; wie aber ihre passive Natur es mit sich bringt und wie die kriminalistische Statistik beweist, erreicht diese verderbliche Wirksamkeit die der Männer bei weitem nicht.
Auf dem Gebiete des idealen Wirkens und Schaffens hängen die Leistungen beider Geschlechter von persönlichen Geistesgaben ab. Es ist aber natürlich, daß das Leben der Männer im Staate einen weitern Gesichtskreis begründet als das der Frauen in der Familie, und daher auch in bedeutend höherem Maße zu Schöpfungen der Phantasie wie des Verstandes befähigt.
Vergleichen wir die verschiedenen Stufen der Kultur, so ergiebt sich, daß auf den niederen Stufen Mann und Frau in ihren Anlagen und Leistungen, in ihren Tugenden und Lastern, wie in Tracht, Schmuck, Lebensweise u. s. w., ja sogar im Körperbau einander weit ähnlicher sind als auf den höheren Stufen. Der Stamm, in welchem die geselligen Formen niederer Kulturstufen gipfeln, ist bei weitem kein die Familie (die Sphäre der Frau) so weit überragender Kreis wie der Staat; ja in vielen Fällen ist er mit der Familie sozusagen identisch. Dies ist aber nicht nur so mit Bezug auf die Stufen der Kultur im allgemeinen, sondern es wiederholt sich in den verschiedenen Stufen der Gesittung eines und desselben Kulturkreises und in den Stufen des Alters. Selbst in den Gegenden höchster Kultur sind die Gesichtskreise von Mann und Frau der ungebildeteren oder gedrückten Volksklassen sehr wenig von einander verschieden, ja sehr oft zu Gunsten der Frauen. Auffallend so verhält es sich bei den Kindern, deren Schulunterricht noch nicht weit vorgerückt ist. Knaben und Mädchen stehen sich im Geiste noch sehr nahe, und nicht selten sind letztere geweckter als erstere.
Mit dem Alter, mit der Bildung und mit den Fortschritten der Kultur wird dies anders. Wie die Individuen überhaupt, die sich in den früheren Perioden sowohl des Menschen-, als des Menschheitslebens ebensosehr ähnlich sind wie die Geschlechter, so heben sich auch diese letzteren mit der Zeit immer schärfer von einander ab. Die Individuen entwickeln sich in der Kulturgeschichte zu Charakteren, die blos physisch geschiedenen Geschlechter zu geistig differenzirten Gruppen. Während ganze Völkerstämme niederer Kultur und ebenso ganze Schichten der Bevölkerung höherer Kultur den Kindern gleichen und sich nicht oder wenig weiter entwickeln, wachsen dagegen die bevorzugten Kreise der höhern Civilisation aus ihrer Kindheit hervor und werden zu gereiften Menschen, in welcher Eigenschaft sich die europäischen Völker und ihre Kolonien von den Naturvölkern und den auf alter Stufe stehen gebliebenen Kulturvölkern und hinwieder die gebildeten Kreise Europas und seiner Kolonien (wozu sich jetzt auch Japan und Indien gesellen) von der Masse ihres Volkes unterscheiden. Und so treten denn auch die begabten Frauen je nach der Bildungsstufe ihres Kulturkreises aus der Menge ihrer Genossinnen hervor und unterscheiden sich durch ihr geistiges Leben von den Männern, – nicht um sich von ihnen zu trennen, sondern um sich mit ihnen zu einem durch seine Mannigfaltigkeit an Vollständigkeit gewinnenden großen Ganzen sittlichen, künstlerischen und denkenden Wirkens zu verbinden.
Wir haben wohl Geschichten der Frauen, die nicht selten mit vorgefaßter Meinung von deren tieferer Stellung in sittlicher und geistiger Hinsicht geschrieben sind und oft lediglich Anekdotenkram und Skandalchronik enthalten, zu welch letzterer doch die Geschichte der Männer weit mehr veranlagt ist. Es fehlt noch eine Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechtes und seines Verhältnisses zum männlichen und zur Menschheit überhaupt. Eine solche Arbeit muß sich sowohl vor Unter-, als vor Ueberschätzung der darzustellenden Kreise hüten und nicht den Klatsch hervorsuchen, sondern sich auf die Thatsachen stützen. Dieser erste Versuch einer derartigen Arbeit dürfte daher auf Nachsicht wohl zu rechnen haben.