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2. Die oceanischen Naturvölker

Die allgemeine Neigung der Australier, d. h. der Urbewohner des inselartigen Festlandes Australien, geht auf Verachtung des weiblichen Geschlechtes hinaus, das von den Männern für schlechter als das ihrige, namentlich für diebisch gehalten wird und das mit Schlägen zu züchtigen, dieselben sich für berechtigt halten. Ratzel, Völkerkunde II S. 67.

Die Männer stützen sich bei diesem Verhalten auf den Umstand, daß die Weiber, wie die Kinder, nicht in die Geheimbünde eingeweiht sind, denen die Männer vom mannbaren Knaben an angehören, und daher weniger werth sein sollen. Sie sind von allen religiösen Gebräuchen, von allen Berathungen und oft selbst von den Tänzen ausgeschlossen. Im Nordwesten herrscht Vielweiberei, im Südosten ist sie seltener, während im Süden Vielmännerei unter Brüdern vorkommt. Auch der Besitz nur einer Frau wird getroffen; alle diese Verhältnisse jedoch verdienen den Namen der Ehe nicht, soweit sie blos im Weiberbesitze bestehen und die Frau nichts anderes ist, als des Mannes Eigenthum, nicht eine mit Rechten begabte Person. Denn an vielen Orten wird das Weib noch geraubt, wenn auch oft nur zum Scheine. An anderen dagegen werden von verschiedenen Familien Frauen gegen einander ausgetauscht, was ein Uebergang zum Kaufe ist, der ebenfalls vorkommt; auch die Schenkung von Frauen ist üblich. In der Wahl der letzteren herrscht die Exogamie vor; sie ist aber in einzelnen Gegenden ebenso verschieden organisirt wie verwickelt. Die Frau muß nicht nur einem andern Stamme als der Mann, sondern auch einem andern Kobong, d. h. einer Unterabtheilung des Stammes angehören, welche ein anderes Thier zum Wappenbilde hat und als unverletzlich verehrt. Merkwürdig ist, daß die Frauen, obschon verachtet, nicht in die Abtheilung oder Kaste des Mannes treten, sondern in ihrer eigenen bleiben, und daß die Kinder dem Kobong der Mutter folgen, aber einer andern Kaste beigezählt werden. Demnach überdauert die Liebe zwischen Mutter und Kind das zarteste Alter nicht, und in späteren Jahren wird (nach Oberländer) dies Verhältniß sogar vergessen! In jenem zarten Alter sind aber auch die Väter zärtlich gegen die Kinder. Dessenungeachtet ist der Mord der Kinder, besonders der Mädchen, äußerst häufig, so z. B. bei Zwillingen, bei allzu schneller Folge eines Kindes auf das andere und bei mißgebildeten Sprößlingen.

Entschieden höher als die Australier stehen die Melanesier oder Papuas im weitern Sinne, auf Neuguinea, den Fidschi und zwischenliegenden Inseln. Stellenweise kommt zwar noch der Weiberraub vor, kann aber zum gesetzlichen Verhältniß, also zur eigentlichen Ehe führen, wenn die Verwandten der Frau entschädigt werden und letztere sich in ihr Schicksal fügt. Sehr ausgebildete Werbungs- und Heirathsceremonien herrschen auf den Fidschi-Inseln; sie enden damit, daß die Braut mit ihren Freundinnen badet und einen Fisch fängt, den sie als erste Gabe ihrem Gatten anbietet, der unterdessen ein Haus gebaut und dasselbe von den Verwandten mit Matten und Lebensmitteln hat versehen lassen. Ratzel, Völkerkunde II S. 275 f. Bei den Papuas der Geelvinkbai im Westen von Neuguinea darf der Werber die Auserkorene bei Strafe nicht erblicken. Die Ehe wird dort durch religiöse Ceremonien vor dem Bilde des Hauptgottes geweiht, worauf die Vermählten einander Sago reichen und gemeinsam essen und dann der Mann der Frau Betel und sie ihm Tabak anbietet. In der ersten Nacht müssen sie wachend neben einander sitzen, während die Verwandten ein großes Mahl abhalten. Auf den Salomonsinseln findet bei großer Versammlung ein Opfer gewisser Baumblätter statt und beginnt darauf ein Tanz. Bei Wohlhabenden kommt mäßige Polygamie vor, auf den Neuen Hebriden und Fidschi-Inseln bisweilen auch Polyandrie, dort bei Witwern, hier bei Brüdern. Auf letzteren Inseln sind die Heirathen durch Verwandtschaftsrücksichten vielfach beschränkt und herrscht Exogamie zwischen verschiedenen Dörfern, auf den Banks-Inseln zwischen den Unterabtheilungen der Stämme, die den australischen Kobongs ähnlich sind. Die öffentliche Sittlichkeit ist in Melanesien, mit Ausnahme der sehr lockeren Fidschi-Insulaner, eine sehr hohe, ebenso die Mutterliebe, welcher aber durch die Väter aus Gründen der Abhärtung entgegengearbeitet wird.

Höher als in Melanesien steht die Achtung der Frauen, weit tiefer aber die Sittlichkeit in Polynesien, S. dessen übrige Verhältnisse in unserm Aufsatz »das Eden der Antipoden«, Kulturgeschichtliche Skizzen V S. 131 ff. wo die Unverheiratheten beider Geschlechter höchst zügellos leben. Die Werbung um die Braut geschieht hier durch Freunde oder Verwandte des Freiers. Häuptlinge wählen nicht selbst, sondern sind in Samoa an den Rath der Tulafale, der Familienhäupter gebunden, und auch nach der Neigung der Auserwählten wird nicht gefragt. Liebt das Mädchen den Freier, wird ihm aber von ihrer Familie abgeschlagen, so entflieht sie mit ihm, und ihre Angehörigen werden durch Geschenke beschwichtigt. Liebt die Erwählte aber den Freier nicht, so entflieht sie ihm. Beide Theile geben einander Geschenke der verschiedensten Art. Die Hochzeit wird durch große und wiederholte Festlichkeiten gefeiert, bei denen man früher die Braut, die nicht rein erfunden wurde, kurzweg mit Keulen totschlug. Das furchtbare Tabu (kulturgesch. Skizzen S. 152 f.) zieht aber widerwärtige Grenzen zwischen den Geschlechtern, welche im Essen und Wohnen, bei Festen wie in Krankheit und Noth stets getrennt sind. Insofern sind freilich die Frauen ungünstig gestellt, als sie alle für tabu, d. h. unantastbar gehalten werden, ja ihnen sogar an manchen Orten die Unsterblichkeit abgesprochen wird. Sehr häufig war früher der Mädchenmord. Dagegen sind auf den glücklichen Inseln der Südsee die Frauen von den schweren Arbeiten und Lasten ihrer Schwestern auf den Kontinenten frei und an keine andere Arbeit als das Verfertigen der Kleidungsstücke und die Pflege der Kinder gebunden. Sogar das Kochen ist vielfach Aufgabe der Männer. Ganz hübsch ist die Mitwirkung der Mädchen bei dem Tätowiren, diesem beliebtesten Schmucke der Südsee-Insulaner. Der zu Operirende legt auf Samoa den Kopf in den Schoß eines jungen Mädchens, dessen Genossinnen während der Arbeit singen und den Dulder festhalten. Noch weit günstiger war die Stellung der Frauen auf Neuseeland; denn hier war das Tabugesetz nicht gegen sie; sie lebten mit den Männern zusammen und nahmen sogar an den Kriegsberathungen theil. Es gab bei den Maoris eine hochgeachtete Seherin, die in jeder Beziehung bevorzugt wurde und allein unter allen Frauen – Menschenfleisch erhielt! Die Leichtigkeit der Ehescheidung geht indessen mit der in Polynesien allgemein herrschenden Unsittlichkeit Hand in Hand. Ratzel, Völkerkunde II S. 182 ff. Auch die weibliche Erbfolge ist überall die Regel. Auf den Karolinen gilt die älteste Frau des Stammes als dessen gesellschaftliches Haupt und genießt hohe Achtung. Derselben steht auf den Palau-Inseln ein Rath von Häuptlingsfrauen zur Seite. Doch sind nur die männlichen Häuptlinge im wirklichen Besitze der Macht. Auf den Palau giebt es streng getrennte Männer- und Frauengesellschaften (Klöbbergöll), welche in besonderen Häusern zusammenwohnen, und deren erstere den Häuptlingen im Kriege als Gefolge dienen und für sie bestimmte Arbeiten verrichten, während den letzteren bei Festen zu Ehren fremder Gäste Hilfeleistungen obliegen. Die weibliche Bedienung in den Männer-Klöbbergölls aber und heimliche Zusammenkünfte zwischen diesen Vereinen verschiedener Geschlechter bieten zu manchen Aergernissen Veranlassung. Hellwald, Naturgeschichte des Menschen I S. 153 f.

Noch mannigfaltigere Verhältnisse finden sich auf den zwar zu Asien gerechneten, aber durch Rasse, Sprache und Sitte ihrer Bewohner Oceanien näher verwandten ostindischen Inseln. Allgemein sind hier der Brautkauf und die Polygamie und vorherrschend die Exogamie und arge Zügellosigkeit in Verbindung mit wilder Grausamkeit. Bei den Malaien Sumatras giebt es drei Arten des Weiberkaufes: entweder nämlich ehelichen sich beide Theile zu gleichen Rechten (Semando), oder der Mann kauft die Frau (Dschudur), oder das Geschlecht der Frau kauft ihr einen Mann, der dann in ihre Familie eintritt (Ambilanak). Starcke, die primitive Familie S. 84 f. Die Scheidung hat im erstgenannten Falle die Folge, daß die Frau das Haus behält; im zweiten erhält der Mann eine Entschädigung; im dritten aber verliert der gekaufte Mann alle Rechte auf Haus und Kinder. Nach dem Tode des Mannes fällt die gekaufte Frau mit ihren Kindern an die Erben. Die Stellung der Frauen war eine höhere und die Strafe des Ehebruchs eine härtere, ehe auf diesen Inseln die Einflüsse der Mohammedaner und später der Europäer sich geltend machten. Allem Anscheine nach waren jedoch schon vor dieser Zeit die Dajaks auf Borneo, was sie noch jetzt sind, d. h. wohl diejenigen Menschen der Erde, die in sittlicher Beziehung der Vervollkommnung unserer Gattung am fernsten stehen. Daß unter diesem Volksstamme Vielmännerei, Vielweiberei, Frauentausch, Frauengemeinschaft, Prostitution und selbst prostituirte Priesterinnen in bunter Abwechselung vorkommen, ist noch das Geringste. Die Kopfabschneidemanie der Männer aber, nicht in offenem Kampfe, sondern in feigem Ueberfalle, die das sicherste Mittel ist, die Gunst der Frauen zu erlangen, und ein hier nicht mittheilbares entsetzliches Raffinement im geschlechtlichen Umgange, Näheres darüber sagt Paul Mantegazza, anthropol.-kulturhistor. Studien über die Geschlechtsverhältnisse des Menschen, deutsche Ausgabe, Jena 1886 S. 77 ff. zwei Dinge, die sich von jener Insel aus strahlenförmig nach den Nachbar-Eilanden ausbreiten, sind wohl das Empörendste, was auf unserm Planeten vorkommt.


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