Friedrich Hebbel
Gedichte
Friedrich Hebbel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Geburtsnacht-Traum

            Ich durfte über Nacht im Traum
    Ein seltsam Fest begehen,
Ich habe meine Väter all
    Um mich vereint gesehen.

Mein Vater führte stumm den Zug,
    Er lächelte hinüber,
Dann aber wandte er sich ab,
    Ihm ward das Auge trüber.

Es war der letzte, welcher starb,
    Noch hatt' er all die Milde;
Der Himmel hatte nichts verschönt
    An seinem teuren Bilde.

Großvater nahte nun heran,
    Der mich zu wiegen pflegte,
Eh', wie er mich, ihn selbst der Tod
    Ins stille Bette legte.

Ich habe ihn sogleich erkannt,
    Als hätte, wie die Nische
Den Heiligen, mein Herz sein Bild
    Bewahrt in voller Frische.

Sein Auge weilte, wie erstaunt,
    Auf mir und schien zu fragen:
Bist du dasselbe kleine Kind,
    Das einst mein Arm getragen?

Großmutter auch, sie nahte sich,
    Die mildeste der Frauen;
Auf meinen Vater schien sie bald
    Und bald auf mich zu schauen.

Und als sie fand, daß ich ihm glich,
    Ging in den bleichen Zügen,
Als wär's ein neues Leben, auf
    Das innigste Vergnügen.

Nun trat ein ernster Mann herzu,
    Den ich nicht mehr erkannte,
Doch sah ich, daß er freundlich sich
    Zu meinem Vater wandte.

Und immer größer ward die Schar
    Von Männern, welche kamen,
Und stets durchzuckte mir's die Brust:
    Du bist von ihrem Samen!

Auch zarte Frauen nahten viel
    In Trachten, fremd und eigen;
Ein schlummerndes Jahrhundert schien
    Mit jeder aufzusteigen.

Die sanften Augen waren all
    So süß auf mich geheftet,
Doch war der lächelnd holde Mund
    Zur Rede zu entkräftet.

Vom Turme schlug es, dumpf und bang,
    Sie schieden mit Getümmel;
Die Männer deuteten aufs Grab,
    Die Frauen auf den Himmel.

Das war die Stund', die mich gebar;
    Nun frag' ich mich mit Beben:
Ob sich das Leben und der Tod
    Im Grabe noch verweben?

Ob, die sich regt in meiner Brust,
    Die ungestüme Flamme,
Die Toten noch im Schlummer stört,
    Aus deren Blut ich stamme?

Ob sie mir blaß zur Seite gehn,
    Unmächtig, zu erscheinen,
Und lächeln, wenn ich glücklich bin,
    Und wenn ich's nicht bin, weinen?

Und ob ich selbst dereinst mein Kind,
    Statt ruhig auszuschlafen,
Durch Nacht und Sturm begleiten muß
    Bis an den letzten Hafen?

 


 


 << zurück weiter >>